Einblick schafft Durchblick – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Sun, 21 Feb 2016 16:25:45 +0000 de-DE hourly 1 Flucht in den Frieden https://www.studentenpack.de/index.php/2013/01/flucht-in-den-frieden/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/01/flucht-in-den-frieden/#respond Tue, 15 Jan 2013 23:00:57 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=93448
mit freundlicher Genehmigung von Flickr-Nutzer For91days

Umeswaran Arunagirinathan ist dem Bürgerkrieg auf Sri Lanka entkommen.


Wenn der Tag eines zwölfjährigen Jungen mit den Worten „Umes, du fliegst heute!“ beginnt, kann das so einiges bedeuten. Für Umeswaran Arunagirinathan kündigten sie 1991 allerdings nicht den Beginn einer Klassenfahrt an, sondern den Anfang einer acht Monate langen Flucht quer über die Kontinente mit dem Ziel, in Hamburg anzukommen und dort ein friedliches Leben führen zu können.

Wie es dazu kam und wie es anschließend weiterging, davon erzählte er am 10. Dezember im Rahmen der Vortragsreihe „Einblick schafft Durchblick“ der Fachschaft Medizin einem interessierten, etwa hundertköpfigen Publikum, dem auch einige bekannte Gesichter aus seiner Zeit in Lübeck angehörten, denn: Umes hat hier in Lübeck Medizin studiert. Mitgebracht hatte er das Buch, das er über seine Erlebnisse während der Flucht aus Sri Lanka und nach seiner Ankunft in Deutschland geschrieben hat und aus dem er zwischen seinen Schilderungen auch einiges vorlas.

Der Grund für die Flucht aus Sri Lanka liegt nahe: Von 1983 bis 2009 herrschte in Sri Lanka, vor allem im Norden, Bürgerkrieg zwischen Singhalesen und der tamilischen Minderheit, zu der auch Umes und seine Familie gehören. Die Kindheit des 1978 geborenen Umes war dadurch sehr von diesem Krieg geprägt. Von klein auf bekam er mit, wie Nachbarn bei Bombenangriffen ums Leben kamen, wie überlegt wurde, wie und wohin man am besten fliehen könnte und womit man noch seinen Lebensunterhalt verdienen kann, wenn es zu gefährlich wird, in die Stadt zu fahren, um dort Zwiebeln zu verkaufen. Seine Schule wurde geschlossen, die große Schwester starb an den Folgen einer bei uns problemlos behandelbaren Nierenerkrankung und die „Tamil Tigers“, eine paramilitärische, für einen unabhängigen tamilischen Staat kämpfende Gruppierung, zog durch die Lande und brachte schon Kinder dazu, sich ihnen als künftige Soldaten anzuschließen.

Zukunft? Ungewiss.

Umes’ Mutter machte sich immer größere Sorgen um das Leben und die Zukunft ihres ältesten Sohnes und fasste daher den Entschluss, ihn nach Deutschland zu einem Onkel zu schicken, der sich bereiterklärt hatte, ihn aufzunehmen und die Flucht finanziell zu unterstützen. Doch „jemanden nach Deutschland schicken“ klingt einfacher als es ist, wenn im Land Krieg herrscht und es unmöglich ist, einfach ein Visum für Deutschland zu bekommen. Die beiden reisten von Puthur im Norden Sri Lankas nach Colombo im Süden, wo Umes’ Mutter einen sogenannten Schlepper ausfindig machte, der für damals 15.000DM die illegale Reise ihres Sohnes nach Deutschland organisieren sollte. Die Schulden für seinen eigenen und den Schlepper seines jüngeren Bruders sollten Umes noch jahrelang begleiten.

Nachdem endlich diverse Formalien geregelt waren, ging für Umes am 6. Januar 1991 die turbulente Reise los: Angeblich zu einem Besuch bei Verwandten flog er zuerst nach Singapur, bevor es nach einem Zwischenstopp in Arabien weiter nach Togo ging. Hier warteten Umes und viele andere Tamilen monatelang auf die Weiterreise, immer zwischen der Hoffnung, schon bald auf dem direkten Weg nach Europa zu sein, und der sich nach Monaten ereignislosen Ausharrens breitmachenden Resignation. Was in der Heimat geschah, wusste keiner so genau: Telefonate waren sehr teuer und das alte Radio, mit dem einer der Männer Tag für Tag versuchte, Empfang zu bekommen und Nachrichten zu hören, funktionierte nur manchmal. Als Informationsquelle blieben lediglich die Neuankömmlinge aus Sri Lanka, die von immer neuen Bombenanschlägen berichteten und damit niemanden beruhigen konnten, denn die Sorge um die Verwandten war bei allen groß.

Die Versuche, Flüchtlinge über Marokko oder Benin nach Europa zu bringen, scheiterten und auch Umes musste, nachdem er sich zu Fuß inmitten einer Gruppe afrikanischer Frauen über die Grenze nach Ghana geschmuggelt hatte, nach einem weiteren Monat des Wartens entmutigt nach Togo zurückkehren. Der darauffolgende Versuch, über Benin, Nigeria und Spanien nach Deutschland zu fliegen, glückte dann aber endlich und nach nur einer Nacht in einem Heim in Frankfurt wurde Umes am 11. September 1991 von seinem Onkel abgeholt und mit nach Hamburg genommen. Dort angekommen konnte er schließlich ohne Angst vor Bomben werfenden Hubschraubern seine Jugend verbringen.

Mit Glück und sehr viel Arbeit vom sozialen Brennpunkt ins Uniklinikum

In all der Zeit hat Umes hart gearbeitet, sei es als Tellerwäscher, Putzmann oder Extrawache im Krankenhaus, um möglichst früh seine Eltern unterstützen zu können.

Doch er hat auch sehr viel Glück gehabt: Hätte er keinen Onkel in Hamburg gehabt, der seine Flucht finanziell unterstützt, wäre es ihm nicht möglich gewesen, dem Krieg zu entkommen. Wäre er während der Flucht nach Deutschland als illegaler Flüchtling geschnappt und zurückgeschickt worden, wäre er in Sri Lanka wahrscheinlich direkt im Gefängnis gelandet. Hätte er, als sein Asylantrag abgelehnt wurde, nicht die Unterstützung seiner Lehrer und vieler Eltern der Schule gehabt, die sich mit einer Petition für sein Bleiben einsetzten, hätte er nicht einmal sein Abitur in Deutschland ablegen dürfen. Nach dem Abschluss hätte Umes ohne die Hilfe des Hamburger Senats sowie eine Bürgschaft seines Patenonkels keine Aufenthaltsbewilligung für sein Medizinstudium in Lübeck bekommen und ohne Spenden, die es ihm erlaubten, eine Zeitlang nicht arbeiten zu müssen, hätte er sein Physikum im dritten und letzten Anlauf vielleicht nicht bestanden.

Ende gut, alles gut?

Letztlich ist für Umes dann doch irgendwie alles gutgegangen, immerhin arbeitet er mittlerweile als Assistenzarzt im Herzzentrum des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg, derzeit in der Kinderherzchirurge. Seinen Eltern kann er dadurch regelmäßig Geld schicken und ihnen so ein Leben im Süden Sri Lankas, in Sicherheit, finanzieren. 2008 erhielt er endlich seinen deutschen Pass und jetzt hofft er, in drei Jahren sowohl seinen Doktortitel als auch den Facharzt für Herzchirurgie in der Tasche zu haben. Bis dahin versucht Umes weiter, sich für andere einzusetzen und ihnen an seiner eigenen Biografie zu zeigen: Man kann es schaffen, als kein Wort Deutsch sprechendes Flüchtlingskind erfolgreicher Arzt zu werden, man darf nur nicht den Mut verlieren.

Vor seinem Abflug nach Singapur nahm Umes’ Mutter ihrem Sohn das Versprechen ab, bei seiner Rückkehr nach Sri Lanka als Arzt zu kommen, nicht zu rauchen und nicht zu trinken. Letzteres zwang die Organisatoren dazu, die bei Präsenten nahezu obligatorische Weinflasche nach Ende der auf die Lesung folgenden Fragerunde dezent hinter dem Medientower des Audimax verschwinden zu lassen, was bei dem einen oder anderen aufmerksamen Beobachter für ein Schmunzeln sorgte.

Doch obwohl Umes mittlerweile Arzt, noch immer Nichtraucher und alkoholabstinent ist, glaubt dieser nicht, dass er je wieder nach Sri Lanka reisen wird: Sein Buch „Allein auf der Flucht – Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam“ und die Tatsache, dass er illegal das Land verlassen hat, dürften ihn in Sri Lanka nicht gerade zum gern gesehenen Gast machen, sodass er voraussichtlich sicherheitshalber nicht nach Sri Lanka zurückkehren wird.

Denn obwohl sich die Verhältnisse in Sri Lanka seit Ende des Bürgerkriegs 2009 verbessert haben, traut Umes sich nicht, zurückzukehren: Noch immer werden politische Gegner ausgeschaltet und richtige Pressefreiheit gebe es auch nicht, sagt er, doch die Menschen seien dankbar, dass nun Frieden ist. So fand auch das bisher einzige Wiedersehen mit seiner Mutter 15 Jahre nach seiner Flucht nicht in Sri Lanka, sondern bei seiner Schwester in London statt, was für alle Beteiligten ein wenig seltsam war: Umes, der Hamburg mittlerweile als seine Heimat betrachtet, ist in Deutschland voll integriert, seine Schwester lebt in einem von sehr vielen Tamilen bewohnten Viertel und ihre Mutter in Sri Lanka, was durch mehr als genug Unterschiede in Lebensstil und Ansichten etliche Diskussionen über Mode und Lebensplanungen provozierte.

Wer mehr über Umeswaran Arunagirinathans Leben in Sri Lanka, seine Flucht nach Deutschland oder die Probleme, mit denen er hier zu kämpfen hatte, erfahren möchte, kann entweder bei Amazon eines der letzten Exemplare von „Auf der Flucht“ bestellen oder aber noch ein bisschen abwarten: Derzeit schreibt Umes an seinem zweiten Buch, in dem er zusätzlich beispielsweise auf seine Erfahrungen als dunkelhäutiger Arzt in Deutschland eingehen wird.

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„Ich war bereit, zu töten!“ https://www.studentenpack.de/index.php/2012/02/ich-war-bereit-zu-toten/ https://www.studentenpack.de/index.php/2012/02/ich-war-bereit-zu-toten/#comments Fri, 10 Feb 2012 17:00:25 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=2439
Lukas Ruge | StudentenPACK.

Aussteiger Manuel Bauer und taz-Journalist Andreas Speit.

Vor dem Audimax stehen Polizeiwagen, im Foyer herrscht reges Treiben und langsam füllt sich der große Hörsaal. Die Zuhörer sind gekommen, um einen Aussteiger zu sehen, um zu hören, was einer, der in der rechten Szene unterwegs war, zu erzählen hat. Veranstaltet wird der Abend von der Lübecker Studierendenschaft: dem AStA und dem StuPa der Uni zusammen mit AStA und StuPa der FH, organisatorisch und finanziell unterstützt von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Und so war es auch ein Vertreter der FES, der nach der Begrüßung durch Benjamin Eurich, dem federführenden AStA-Referenten, die Bühne betrat. Frederic Werner betonte den Auftrag der Stiftung, die Demokratie zu stärken. Rechte gefährdeten diese und Studien zeigten, dass diese kein Randphänomen, sondern inmitten unserer Gesellschaft zu finden seien. Aus diesem Grund hatte die FES auch eine eigene Ausstellung und viel Infomaterial über Rechtsextremismus und Neofaschismus mitgebracht, die vor und nach dem Vortrag im Foyer des Hörsaalgebäudes betrachtet werden konnte.

Es folgte ein kurzer Exkurs vor die eigene Haustür: Joachim Nolte, Vertreter des Aktionsbündnisses „Wir können sie stoppen“ und Beauftragter der Kirchen gegen Rechtsextremismus, berichtete von jüngsten Geschehnissen in Ratzeburg, wo rechte Morddrohungen auf Wände geschrieben und Gegner der Neonazis persönlich bedroht wurden. Nolte rief dazu auf, am 31. März in Lübeck auf die Straße zu gehen, friedlich zu blockieren und „in Sicht- und Hörweite der Nazis“ ein Zeichen zu setzen, was nur gelinge, wenn Tausende sich an der Gegendemo beteiligen.

Dann kam Manuel Bauer auf die Bühne, groß, bullig, schwarz gekleidet. An seiner Seite Andreas Speit, freier Journalist und Publizist, der unter anderem für die taz schreibt und sich vor allem mit Rechtsextremismus und Neofaschismus befasst. In einigen einführenden Worten beschreibt Bauer seinen Ausstieg aus der rechten Szene, den er während einer Haftstrafe mit Hilfe der Organisation EXIT geschafft habe. Vorher habe er im Untergrund gearbeitet, habe geprügelt, erpresst und sei bereit gewesen, zu töten. Darüber habe er den Kontakt zu seiner Familie verloren und muss nun, nach seinem Ausstieg, erst alles wieder aufbauen. „Mein Leben war ziemlich kaputt“, fasst er die Zeit vor der Haftstrafe zusammen. Seither habe er sich der Aufklärung und dem Kampf gegen Rechts verschrieben, gebe Interviews, besuche Schulklassen. Eine dieser Klassen hat als Projektarbeit einen Film über die rechte Szene gemacht, der nun als Einleitung vorgespielt wurde.

Was folgte, waren einige Fragen von Speit, zunächst die eine, die wohl das Publikum am brennendsten interessierte: Wie ist das Phänomen zu erklären, dass einer erst Nazi ist und dann nicht mehr? Bauers Antwort schweift aus, er berichtet, wie es überhaupt dazu gekommen sei, dass er sich der rechten Szene angeschlossen hat. Er berichtet wie er seine Jugend in einem Ostdeutschland nach der Wende erlebt hat, in dem jede soziale Sicherheit weggefallen war, wo die Stabilität mit dem Rückzug der Russen abnahm und Gastarbeiter als Störenfriede wahrgenommen wurden und als erheblichen Grund für die massive Arbeitslosigkeit, die auch Bauers Familie traf. Er berichtete von einem Ostdeutschland, wo Schüler auf dem Pausenhof mit rechtem Gedankengut konfrontiert wurden, wo CDs, Comics und weiteres Infomaterial verbreitet wurden. Mit elf Jahren habe er erstmals Kontakt zur rechten Szene gehabt, mit zwölf sei er ein Teil davon geworden. Hier gab es Slogans wie „Arbeit zuerst den Deutschen“, hier waren die Wessis die Imperialisten und Kapitalisten, Ossis waren Pioniere. Die Glatze wurde zum Modetrend, Stammtischparolen waren allgegenwärtig.

Bauer bezeichnet sich selbst als „Mitläufer“, denn etwa 85 Prozent seiner Mitschüler bezeichneten sich als „rechts“. Zwar hätte es auch ein paar wenige Punks gegeben, doch „denen ging es schlecht“. Er habe es schön empfunden, Teil einer Gruppe zu sein, das Gefühl kannte er bereits aus den Pionierlagern. Auch wollte er sich etwas beweisen und dafür war Gewalt legitim, denn die Ossis waren die Opfer.

Mit 14 habe er erstmals einen Jugendclub gestürmt. Er berichtet von dem Gefühl der starken Gruppe, dem Wissen, „wenn ich zuschlage, schlagen auch die anderen“. Dabei seien Parolen wie „Taten statt Worte“ und „Gewalt ist ein gutes Argument“ durchaus gängig. Es habe Spaß gemacht, über die vermeintlichen Gegner zu triumphieren und ab da habe er sich mit Überzeugung hochgearbeitet.

Bauer bezeichnet sich dabei selbst als Teil eines militanten Milieus, denn in der Partei wäre er immer abhängig gewesen. So wurde er in seinen Handlungen aber bestärkt und lernte, wie er zuschlagen müsse, um schnell und effektiv zum Ziel zu gelangen. Er erzählt von Beschaffungskriminalität „gegen das Deutsche Volk“, da diese die Würde der Neonazis nicht anerkannten. Seine frühere Gesinnung wird unter anderem deutlich, als er berichtet, dass sie einen Homosexuellen erpresst hätten, da er für sie „Abfall“ war, sie verschleppten ihn in den Wald und nahmen seinen möglichen Tod in Kauf. Das war auch die Zeit, in der der Kontakt zur Familie zerbrach, er habe von dort also keine soziale Erziehung mehr genossen. Dies übernahm die Bewegung nun für ihn.

Ein Umdenken habe erst stattgefunden, als er wegen Körperverletzung und Erpressung ins Gefängnis musste. Dort sah er vermeintliche Kameraden beim Kiffen, was ihn an deren Linientreue zweifeln ließ. Er konfrontierte sie damit und als sie ihn körperlich angriffen, wurde er von zwei Türken verteidigt. Er stellte fest, dass er sich auch mit „normalen“ Menschen gut unterhalten konnte und vor allem musste er erleben, dass seine früheren Kameraden ihm nicht schrieben, ihn nicht besuchten. Er verbrachte alle Feiertage alleine, bis die Aussteigerorganisation EXIT auf ihn aufmerksam wurde. Diese hätten ihn besucht, hätten ihm zugehört und ihm schließlich angeboten, ihn beim Ausstieg zu unterstützen. Und nicht nur dabei: Er konnte seine Schulausbildung abschließen und stellte fest, dass er nicht arbeitslos war, weil Ausländer die Arbeitsplätze wegnahmen, sondern schlicht, weil er bislang einfach keine Lust zum Arbeiten hatte. Dies sei ein „langsamer, krass schwieriger“ Lernprozess gewesen.

Diese Erzählungen wurden nur von kurzen Zwischenfragen Speits unterbrochen, der sich offensichtlich in Bauers Lebensgeschichte gut auskannte und ihm so auch die nötigen Details entlockte.

Nun wurde die Runde geöffnet und dem Publikum die Möglichkeit gegeben, Fragen zu stellen. Die rund 300 Zuhörer nutzten diese Chance und fragten in alle Richtungen. Sie fragten nach seinem Elternhaus, wo er ursprünglich gelernt hatte, niemanden vorzuverurteilen und den Menschen zu ehren. Seinen Gesinnungswandel hatten diese nicht gut geheißen und zerbrochen war die Beziehung, als er seine Mutter als „Judenschlampe“ bezeichnete und Gewalt gegen sie anwandte. Auch habe er versucht, seiner 8-jährigen Schwester rechtes Gedankengut einzuimpfen, was diese zunächst auch brav nachplapperte. Dabei habe er sich nie hinterfragt. Kamen dennoch Zweifel an seinem Handeln und seinem Denken auf, wurden diese weg gewischt, da er nicht wusste, wie er dann seinen Freunden gegenüber da stehen würde. Diese Freunde habe er nun abgelegt, von ihnen wurde er seit seinem Ausstieg beleidigt und bedroht.

Wie er nun mit der Vergangenheit umgehe, ob er bedroht werde, wollte ein Zuhörer wissen. Er habe ein Amtsschreiben, das er immer bei sich trage, falls er einmal unplanmäßig verschwinden oder irgendwo unterkommen müsse. Zudem gebe es eine bundesweite Meldesperre. Drohungen gäbe es trotzdem immer wieder und auch seine Frau habe darunter zu leiden. Den Kontakt zu früheren Freunden habe er gänzlich abgebrochen, auch wenn ihm das nicht in allen Fällen leicht gefallen sei. Zwar distanziere er sich deutlich von den Rechten und arbeite auch gezielt gegen sie an, doch würde er gerne einmal zu einem Klassentreffen gehen, was es für ihn leider nicht gibt.

Seine mit dem Ausstieg gewonnene Freiheit könne er aber auch genießen. Es sei ein neues Gefühl, jede Musik hören zu können, die er mag, seine Kleidung frei zu wählen und alles zu essen. Seinen ersten Döner habe er mit 26 Jahren gegessen und der habe ihm sogar geschmeckt. Zudem sei er auch schon einmal in einer Schwulenkneipe gewesen und habe dort festgestellt, dass auch die Schwulen „ganz normale Menschen sind“. Von diesem Besuch erzählt er mit einem gewissen Stolz, war es doch die Erpressung eines Homosexuellen, die ihn unter anderem ins Gefängnis gebracht hatte.

Auf die Frage, ob er ein NPD-Verbot für sinnvoll erachte, antwortet Bauer zwiegespalten: Zwar sei es richtig, eine rechtsextreme Partei nicht mit Steuergeldern zu finanzieren, doch sehe er im Verbot auch eine gewisse Gefahr: „Das rechte Gedankengut lässt sich nicht verbieten und wenn dann die Partei verboten wird, formieren sich die Gruppen irgendwo anders neu.“ Viel wichtiger sei es, Präsenz gegen die Rechten zu zeigen, ihnen keinen Spielraum zu geben. Denn: „Die Macht der rechten Szene ist die Angst der anderen.“ Damals hätte es diese Gegenbewegung nicht gegeben: Wer für die Jugendlichen da war, waren die Rechten. „Hätte der Staat gezeigt: ‚Wir sind für euch da’, wäre es sicher anders gekommen“, sagt Bauer. Man müsse Jugendliche beschäftigen, sei es mit Musik, mit Kunst. Man müsse ihnen in erster Linie das Gefühl geben, dass man sie nicht fallen lasse.

Die größte und wichtigste Frage, die immer wieder durchklingt, aber erst gegen Ende konkret gestellt wird, ist die nach der Reue. Bauer habe versucht, Kontakt zu seinen Opfern aufzunehmen und um Verzeihung zu bitten. Einige hätten mit im gesprochen, verzeihen konnten ihm nur wenige. Die Wege seien jedes Mal extrem schwierig für ihn gewesen. Er sei in psychologischer Betreuung, wo er seine Taten reflektiere. Und auch die Aufklärungsarbeit helfe ihm, seine Vergangenheit zu verarbeiten. Verzeihen könnte er sich dennoch nicht, insbesondere nicht, dass er sich an Frauen und Kindern vergriffen habe. „Damit habe ich mir selbst den Stolz genommen“, fasst er es zusammen und es fällt ihm sichtlich schwer, im Detail von den Übergriffen zu erzählen.

Die Fragerunde könnte wohl noch unendlich weitergeführt werden. Während Bauer die vielen persönlichen Einblicke gab, sorgte der Fachmann Andreas Speit für den Überblick über die rechte Szene und lieferte Detailwissen. Zwar mussten die Fragen dann irgendwann abgebrochen werden, doch waren alle Veranstalter zufrieden mit dem Ergebnis. Benjamin Eurich vom AStA hatte im Vorfeld gehofft, neben der politischen Bildung den Besuchern zeigen zu können, wie man sich gegen Rechts engagieren könne und damit auch dem Rückgang der studentischen Beteiligung bei der Gegendemo entgegen zu wirken. Er freute sich, dass nicht nur Studenten zu den rund 300 Zuhörern gehört hatten, sondern auch ältere Bürger aus Lübeck und Umgebung, und sich alle rege an der Diskussionsrunde beteiligt hatten. Diese fand er sehr informativ und sie habe „für viele neue Einblicke in die rechte Szene gesorgt“. Die zweieinhalb Stunden zeigten, dass es eine aktive Auseinandersetzung mit diesem Thema gebe.

Auch Andreas Speit gab sich positiv. Zwar habe er schon viele Aussteiger erlebt, doch hatte dies in kleineren Rahmen oder auf Fachtagungen statt gefunden. Diese Runde war also neu für ihn. „Bauer kam mit seinen Anekdoten beim Publikum nicht an“ und die Frage nach der Reue habe ihn unter Druck gesetzt, doch zeigt sich Speit froh, dass es diese kritischen Nachfragen gab.

Ein Ziel des Abends wurde in jedem Fall erreicht: Im Foyer und draußen auf der Straße entwickelten sich noch rege Diskussionen, der Vortrag und die Antworten des Aussteigers hatten zum Nachdenken angeregt. Ob das die Zuhörer auch gegen Rechts auf die Straße bringt, wird sich erst Ende März zeigen.

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Shopping for a better world? https://www.studentenpack.de/index.php/2011/11/shopping-for-a-better-world/ https://www.studentenpack.de/index.php/2011/11/shopping-for-a-better-world/#respond Mon, 14 Nov 2011 09:50:53 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=2097 Homo oeconomicus war einmal. Nur auf den maximalen eigenen Vorteil beim Kauf von Lebensmitteln oder Textilien zu achten – kann das langfristig und weltweit betrachtet sinnvoll sein?

Diese Frage stellt sich der Verbraucher von heute doch häufiger als angenommen. Kinderarbeit und Ausbeutung stehen ganz am Anfang einer Reaktionskette, die hierorts für günstige Preise sorgt. Doch können wir den Ablauf umdrehen? Mit unserem Konsumverhalten nehmen wir oft weit mehr Einfluss als uns bewusst ist. Was bewirken unsere Entscheidungen beim täglichen Einkauf wirklich? Wie können wir „nachhaltiger“ konsumieren?

In einem sehr lebensnahen Vortrag wird Frau Prof. Weller Antworten auf die Frage „Shopping for a better world?“ unter Einbezug ihrer Studien und Forschungsergebnisse geben.

Frau Prof. Dr. Ines Weller ist seit 2005 Professorin am Forschungszentrum Nachhaltigkeit und am Zentrum Gender Studies an der Universität Bremen. Bis 1980 studierte sie Chemie und habilitierte 2003 zum Thema „Umweltplanung, insbesondere nachhaltige Produkt- und Technikgestaltung“. Als Dozentin hat sie derzeit einen Lehrauftrag unter dem Aspekt Nachhaltigkeit in den Bereichen Maschinenbau und Verfahrenstechnik, Gender Studies und Geographie. Darüber hinaus beschäftigt sie sich in zahlreichen weiteren Projekten mit der Fragestellung „Nachhaltiger Konsum“.

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Ein Blutsbruder https://www.studentenpack.de/index.php/2011/05/ein-blutsbruder/ https://www.studentenpack.de/index.php/2011/05/ein-blutsbruder/#respond Wed, 25 May 2011 07:08:54 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/wordpress/?p=952 Michael Jentzsch ist 1975 in Bremen geboren und hat einen großen Teil seiner Jugend in Afrika verbracht. Seine Heimat war Liberia an der Westküste Afrikas. Wenn er jetzt auf der Bühne im Lübecker Audimax steht, um über den vergessenen Konflikt zu reden, dann macht der groß gewachsene Jentzsch, der auch als Basketballspieler erfolgreich war, mit seinen großen Gesten Eindruck. Auch die Geschichten, die er erzählt, sind beeindruckend. Weniger seine Geschichte als die seines Blutsbruders, seines besten Freundes Benjamin Kwato Zahn. Jentzsch und Zahn haben zusammen ein Buch geschrieben, über Mike und Ben, wie er sich und seinen besten Freund in den Dialogen, die er gern und voller Energie nachspielt, nennt. Mike, wie er nach Afrika kommt und außer „Yes“ und „No“ kaum ein Wort Englisch kann, Ben, wie er den jungen Mike im Angelwettbewerb schlägt und die beiden beste Freunde (Blutsbrüder, mit Ritual und allem drum und dran) werden, wie Ben zum ersten Mal Spaghetti sieht, wie Mike zum ersten Mal Affe isst. Es ist die erste halbe Stunde des Vortrages, eine Geschichte aus dem Paradies. „Ich hoffe, ich hab euch ein bisschen neidisch gemacht. 28°C im Durchschnitt. Jeden Tag. Das ganze Jahr.“

Wir alle wissen, dass es bei dem heutigen Vortrag nicht um Traumstrände geht. Es geht um Krieg. In Liberia beginnt der Bürgerkrieg 1989. Knapp können Mike, seine Eltern und seine Schwester aus dem Gelände des Radiosenders, bei dem sein Vater als Techniker für eine Mission arbeitete, fliehen. Den Hund Susi und andere Haustiere, ihre Freunde, ihre Kollegen müssen sie zurücklassen, kaum einer von ihnen wird den Krieg überleben.

Jentzsch versucht sein Publikum mitzunehmen in den Krieg in Liberia genauso wie in die Probleme, die er als Immigrant in Deutschland hatte. Der erhobene pädagogische Zeigefinger ist da manchmal aber einfach zu viel. „Geht es hier nur um Markenklamotten oder sieht mich jemand auch als Mensch?“, fragt er als 15-jähriger Mike das Audimax. Man merkt, dass der Vortrag für Schulklassen konzipiert ist.

Verstörend, beängstigend sind die Berichte, die Jentzsch im Namen seines Freundes vorträgt, wenn er versucht, seinem Publikum die Psychologie eines Kindersoldaten oder eines Bürgerkriegsflüchtlings näher zu bringen. Ben musste beides über sich ergehen lassen. Nachdem er von Mike und seinen Eltern zurückgelassen wurde, flüchtete er vor Rebellen und Regierungstruppen. Wurde gefangen genommen, beinahe hingerichtet, dann von den Rebellen rekrutiert. Desertierte und flüchtete. Heute, so Jentzsch, bezeichnet er sich manchmal als „professioneller Flüchtling“, eigentlich betreibt er aber ein kleines Kino.

Dass Zahn lebt, dass er und seine Frau und alle seine Kinder den Krieg überlebt haben, dass sich die Blutsbrüder wiedergefunden haben, grenzt an ein Wunder. Es ist, was den Vortrag trotz all der geschilderten Grausamkeiten ertragbar macht. Es versöhnt einen auch damit, das Jentzsch, wenn er aus der persönlichen Geschichte aufs Allgemeinpolitische zu sprechen kommt, manchmal ins Wanken gerät. Die Geschichte seiner Freundschaft ist derartig beindruckend, dass all das kaum eine Rolle spielt.

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Der stille Staatsstreich https://www.studentenpack.de/index.php/2010/01/der-stille-staatsstreich/ https://www.studentenpack.de/index.php/2010/01/der-stille-staatsstreich/#respond Mon, 11 Jan 2010 08:00:24 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=109218 Euer großes Interesse und Eure zahlreiche Teilnahme am Vortrag des Afghanistan-Experten Dr. Reinhard Erös – das Audimax war mit mehr als 400 Leuten fast voll besetzt – hat uns als Fachschaft Medizin dazu bewogen, eine Vortragsreihe unter dem Motto „Einblick schafft Durchblick“ zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen ins Leben zu rufen. Wir sind sehr froh und glücklich darüber, dass wir mit Harald Schumann, einem ausgewiesenen Finanzexperten, abermals einen sehr engagierten und aufrüttelnden Redner haben gewinnen können.

Harald Schumann ist Autor des Weltbestsellers „Die Globalisierungsfalle“ und warnte in seinem neuesten Werk „Der Globale Countdown“ bereits vor Ausbruch der Finanzkrise vor den riskanten Entwicklungen auf den Kapitalmärkten.

Inzwischen, so wird suggeriert, sei die Krise dank des entschlossenen politischen Handelns abgewendet. Es sei nur eine Frage der Zeit und der Maßnahmen, die zur Wachstumssteigerung ergriffen werden müssten, und der nächste Aufschwung komme bestimmt. Doch bestanden die
politischen Maßnahmen vor allem darin, dass der Staat sich in Form direkter Zahlungen und Bürgschaften in schier unvorstellbarem Ausmaß verschuldete, um Banken und Unternehmen zu retten. Und eben diesen Retter in der Not will man jetzt zur „Wachstumsbeschleunigung“ auch noch seiner Steuereinnahmen berauben.

Unabhängig davon, ob man die fromme Hoffnung teilt, die verringerten Staatseinnahmen würden mehr als ausgeglichen, wenn das Wachstum erst wieder steigt: Sind denn die Ursachen der jetzigen Krise beseitigt? Wurden Maßnahmen ergriffen, welche ein neuerliches Ereignis dieser Art verhindern? Sind die Verantwortlichen auch zur Verantwortung gezogen worden?

Nur wenige Experten auf diesem Themengebiet sind in der Lage, diese Entwicklungen in all ihren Zusammenhängen sowie wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Konsequenzen für eine breite Öffentlichkeit so verständlich zu machen wie Harald Schumann.

Der Vortrag „Angriff auf die Staatskasse – Der stille Staatsstreich der Finanzindustrie“ findet am 18. Januar um 18:30 Uhr im AM1 des Audimax statt, der Eintritt ist frei. Wir freuen uns schon auf den sicher sehr interessanten Abend mit Euch und Harald Schumann.

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