Praktisches Jahr – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Sat, 28 Jan 2017 16:06:59 +0000 de-DE hourly 1 Oh, wie schön ist Segeberg! https://www.studentenpack.de/index.php/2017/02/oh-wie-schoen-ist-segeberg/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/02/oh-wie-schoen-ist-segeberg/#respond Mon, 06 Feb 2017 08:15:48 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=262301 „Ganz wichtig: Bleiben Sie entspannt!“, rät Grit Hartmann, Ansprechpartnerin für alle das Praktische Jahr (PJ) betreffenden Fragen und Koordinatorin der Einteilung. Immerhin könnten bei der Einteilung für die PJ-Pflichtfächer etwa 80% der Erstwünsche erfüllt werden und für weitere 15% gehe es in ihr Krankenhaus der zweiten Wahl. Doch wie läuft das eigentlich genau mit der Einteilung ins PJ? Wie sieht es mit Geld für Studierende aus? Und wann sollte ich ins Ausland gehen?

Grit Hartmann ist Ansprechpartnerin für alle das PJ betreffenden Fragen. Für die Einteilung rät sie den Studierenden, entspannt zu bleiben - ihr zufolge können 80% der Erstwünsche erfüllt werden.Annika Munko | StudentenPACK.

Grit Hartmann ist Ansprechpartnerin für alle das PJ betreffenden Fragen. Für die Einteilung rät sie den Studierenden, entspannt zu bleiben – ihr zufolge können 80% der Erstwünsche erfüllt werden.

Qual der Wahl

Von Ratzeburg bis Heide, von Hamburg bis Flensburg – die 24 Lübecker Lehrkrankenhäuser sind über ganz Schleswig-Holstein verteilt. Gedanken darüber, welches Krankenhaus für die eigenen Bedürfnisse am passendsten ist, machen sich viele schon bevor die Online-Anmeldung fürs Praktische Jahr überhaupt freigeschaltet ist. Hilfreich können dabei neben den Kurzprofilen der Krankenhäuser und Evaluationsergebnissen aus den letzten Jahren auf der Uni-Homepage gerade für die kleineren Krankenhäuser, die nicht genug PJ-Plätze anbieten, um in der Evaluation aufzutauchen, auch Erfahrungsberichte von Kommilitonen oder auf pj-ranking.de sein.

Für Innere Medizin stehen dabei sechzehn Kliniken zur Wahl, für Chirurgie elf. Bei der Anmeldung werden davon pro Fach zwei bis fünf ausgewählt und als „Hauspräferenzen“ angegeben, die bei der Einteilung der Reihe nach geprüft werden. Genauso läuft die Anmeldung fürs Wahlfach, nur mit der Besonderheit, dass hierbei auch verschiedene Fachrichtungen als Wünsche angegeben werden können. Es ist also möglich, sich für das Wahltertial bis zu fünf verschiedene Fächer zu wünschen – auch wenn es höchstwahrscheinlich das als erstes angegebene wird, denn, dass ein Wahlfach-Wunsch unerfüllt bleibt, komme laut Frau Hartmann sehr, sehr selten vor. Am beliebtesten seien derzeit die Wahlfächer Pädiatrie und Anästhesie, gefolgt von Neurologie, Allgemeinmedizin und Gynäkologie.

Wünsche optimal angeben

Bei der Online-Anmeldung gibt es neben der 1.-5. Hauspräferenz noch weitere Möglichkeiten, die eigenen Wünsche zu konkretisieren: Mit dem Wunschtertial (1-3) kann die gewünschte Reihenfolge angegeben werden. Auf diese Reihenfolge der Fächer (nicht auf die Hauspräferenz) bezieht sich auch die Priorität (1-3), mit der dieser Wunsch behandelt werden sollte.

Ist also die Tertialreihenfolge (beispielsweise wegen eines Auslandsaufenthalts) entscheidend, so empfiehlt es sich, das Wunschtertial mit einer hohen Priorität und mehrere Ortspräferenzen anzugeben. Wem besonders wichtig ist, in ein bestimmtes Krankenhaus eingeteilt zu werden, der sollte eher wenig Ortspräferenzen angeben und Wunschtertial und Priorität leer lassen.

Bedenkenswert ist, besonders wenn eine Wunschreihenfolge angegeben wird, dass sich das eigene PJ im ersten Tertial und zu Beginn des zweiten Tertials mit dem PJ derer überschneidet, die schon ein halbes Jahr vor einem selbst ins PJ gehen. Unabdingbar ist deswegen in jedem Fall ein Blick auf die verfügbaren PJ-Plätze: Wer sich für das erste Tertial drei Kliniken wünscht, in denen alle Plätze schon von Studierenden belegt sind, die ein halbes Jahr vorher ins PJ starten, hat von Vornherein keine Chance auf den gewünschten Platz. Auch dann nicht, wenn der Freitext genutzt wurde, um zu betonen, dass es ganz besonders toll wäre, wenn dieser Wunsch erfüllt werden könnte. Relevant ist das beispielsweise auch um das „richtige“ Tertial fürs Wahlfach auszusuchen: Im letzten Tertial ist die Auswahl am größten, in den ersten beiden kann es zumindest bei den begehrten Fächern vorkommen, dass nicht genug Plätze frei sind.

Mysterium PJ-Einteilung

Jedes Mal sind es etwa 100 Personen, die sich für drei Fächer zwei bis fünf hierarchisierte Krankenhäuser wünschen und eventuell noch Wunschtertial, Priorität und Anmerkungen als Freitext angegeben haben. Anhand dieses Datenberges eine möglichst zufriedenstellende Einteilung vorzunehmen, ist eine Herausforderung. Die Grundlage hierfür schafft seit 2010 ein von einem Lübecker Informatikstudenten geschriebenes Programm, das zunächst die Studierenden, die einen Härtefallantrag gestellt haben, zuteilt und anschließend anhand der Hauspräferenzen versucht, möglichst viele Studierende von ihnen angegebenen Krankenhäusern zuzuordnen. Gibt es auf einer Hierarchie-Ebene (beispielsweise Erstwunsch) mehr Bewerber als Plätze, wird gelost. Wem nicht der Erstwunsch erfüllt werden kann, der wird auf der nächsttieferen Ebene (Zweitwunsch) genauso behandelt wie diejenigen, die die betreffende Klinik als Erstwunsch angegeben haben: Gibt es mehr Bewerber als Plätze, wird gelost – im schlechtesten anzunehmenden Fall ist also möglich, dass eine Person bei jedem Losverfahren Pech hat und erstmal übrig bleibt.

Elektronisch können so etwa 60% der Studierenden eingeteilt werden. Die daraus resultierende große Tabelle, die alle PJ-Plätze in allen Kliniken, die durch das Programm vorgenommene Zuteilung sowie die durch den vorigen Schwung PJler blockierten Plätze enthält, bildet die Basis für die folgende Arbeit des Einteilungsteams. Dieses besteht aus sechs Studierenden, ausgelost aus denjenigen, die in dem Zeitraum, für den die Einteilung vorgenommen wird, ihr Praktisches Jahr absolvieren werden und Lust haben, sich bei der Platzzuteilung einzubringen. Ein weiterer Grund für die Bewerbung ist sicher auch die Hoffnung auf die Erfüllung eigener Wünsche: „Wenn man einen absoluten Traumplatz in einem beliebten Fach haben will, kann das Mitgliedsein natürlich zu einem Vorteil verhelfen. Inwieweit man damit allerdings Freunden helfen kann – wir haben davon abgesehen –, sollte man mit seiner persönlichen Moral ausmachen“, äußert sich Klaas Wirsing, der an der Platzvergabe für das im Mai beginnende PJ beteiligt war.

Das Einteilungsteam teilt all diejenigen zu, die durch das Programm nicht zugeteilt werden konnten, beispielsweise weil für sie die Tertialreihenfolge wichtig ist. In diesem Stadium werden auch Plätze, die durch Zusagen von Kliniken im Ausland oder anderen Bundesländern wieder frei werden, gleich neu vergeben. Wer eine feste Zusage hat, erleichtert die Einteilung folglich sehr, wenn er dies zeitnah Frau Hartmann oder jemandem aus dem Einteilungsteam mitteilt. Findet das Team keine Zuteilung, die es ermöglicht, dass die angemeldeten Wünsche erfüllt werden können, so hält es telefonisch Rücksprache mit den Betroffenen, ob auch ein anderes als das gewünschte Tertial oder ein anderes Krankenhaus in Ordnung wäre. Den Zeitaufwand hierfür schätzt Klaas auf über 20 Stunden und sagt, es sei gar nicht mal trivial, nicht vergleichbare Situationen zu gewichten und in der Gruppe über die subjektive Größe „Gerechtigkeit“ entscheiden zu müssen. Durch „komplett unrealistische“ Erstwünsche einzelner Studierender gestalte sich die Arbeit als sehr mühselig und langwierig.

Jede Menge Arbeit: Die PJ-Einteilung an der Universität zu LübeckAnnika Munko | StudentenPACK.

Jede Menge Arbeit: Die PJ-Einteilung an der Universität zu Lübeck

Unzufrieden?

Ungefähr fünf Monate vor Beginn des PJs wird die vorläufige Einteilung veröffentlicht und alle, deren Erstwünsche erfüllt werden konnten, können sich freuen, denn diese Plätze nimmt ihnen keiner mehr. Wer mit seinem PJ-Platz unglücklich ist, wendet sich am besten direkt an Frau Hartmann: Es werden immer noch Plätze durch Studierende, die in ein anderes Bundesland oder ins Ausland gehen, frei. Wer sich bei Frau Hartmann meldet, bekommt einen frei gewordenen Platz oder lässt sich auf die Warteliste für sein Wunschhaus setzen.

Ab ins Ausland!

Ein PJ-Tertial (in Sonderfällen auch zwei) kann im Ausland verbracht werden. In den meisten Fällen empfiehlt es sich hierbei, das erste und / oder zweite Tertial woanders zu verbringen. Wer ein Tertial splitten möchte, für den bietet sich die erste Hälfte des zweiten Tertials als Zeitraum für den Auslandsaufenthalt an: In der zweiten Hälfte des zweiten Tertials sind in vielen Krankenhäusern gerade wieder Plätze frei geworden, weil die „alten“ PJler fertig sind – die Chancen, für diese acht Wochen den Erstwunsch erfüllt zu bekommen, sind also besonders groß, weil diejenigen, die das komplette zweite Tertial in dem betreffenden Krankenhaus verbringen wollen, wegen der Überschneidung in der ersten Tertialhälfte keine Konkurrenz darstellen.

Darüber hinaus sieht die Ärztliche Approbationsordnung prinzipiell Freizügigkeit innerhalb Deutschlands vor – es ist also theoretisch möglich, drei Tertiale woanders zu verbringen und sich in Lübeck prüfen zu lassen, auch wenn dieses Vorgehen nicht empfohlen wird. Aufenthalte an auswärtigen Einrichtungen müssen allerdings mit dem Studiendekanat abgestimmt werden und Professor Westermann ist alles andere als begeistert davon, wenn Studierende alle drei Tertiale woanders verbringen wollen. Er sagt, er kenne keinen Studienort in Deutschland, an dem mehr auf die Wünsche der PJ-Studierenden eingegangen werde.

An anderen Universitäten, die ein gemeinsames Online-PJ-Portal nutzen, wird beispielsweise jedem Studierenden eine individuelle Start-Zeit zugelost, ab der er sich für die noch verfügbaren PJ-Plätze anmelden kann – wer zuerst dran ist, hat die freie Wahl, wer zuletzt dran ist, muss gleich dreimal nehmen, was übrig ist. Von mehr als 95% der Studierenden, die ihren Erst- oder Zweitwunsch bekommen, ist dabei in der Tat nicht auszugehen.

Dieses Entgegenkommen bei der Einteilung ins PJ und für das dritte Staatsexamen, das Angebot der Lehrkrankenhaus-Messe und des PJ-Info-Abends sowie der Einsatz bei der Gewinnung von Lehrkrankenhäusern, sodass deutlich mehr Plätze zur Verfügung stehen als benötigt werden, sei Teil einer Vereinbarung mit den Studierenden, so Westermann. Im Gegenzug dafür, dass in die Organisation so viel Aufwand und Ressourcen investiert würden, könne man erwarten, dass wenigstens eins der Tertiale an einem Lübecker Lehrkrankenhaus absolviert werde. Wer drei Tertiale in einer anderen Stadt verbringen wolle, könne sich schließlich auch an der zugehörigen Universität immatrikulieren und anschließend dort das dritte Staatsexamen ablegen. Praktisch bedeutet das, dass drei Tertiale woanders nur in Ausnahmesituationen genehmigt werden, beispielsweise wenn der Universitätswechsel nicht möglich ist oder jemand mit Kindern und Partner in einer anderen Stadt wohnt. Seit November 2014 betraf das genau drei Studierende.

Pendeln oder umziehen?

Direkt in Lübeck liegen lediglich vier Kliniken, wobei in zweien davon kein Pflichtfach, sondern nur das Wahltertial absolviert werden kann. Vielen Studierenden im PJ stellt sich deswegen die Frage, ob sie pendeln oder für die Dauer des Tertials umziehen. Etliche Krankenhäuser stellen ihren PJlern günstig oder sogar kostenlos eine kliniknahe Unterkunft zur Verfügung. Nicht überall ist beispielsweise ein Internetzugang selbstverständlich – nachfragen lohnt sich!

Wer lieber weiterhin in Lübeck wohnen möchte und keine Fahrgemeinschaft gefunden hat, sollte sich im Hinblick auf Zeitkarten für den ÖPNV die Zeit nehmen und sich beraten lassen: Die Stammkarte des nah.sh-Verbunds erlaubt Studierenden, die im Rahmen der Ausbildung pendeln müssen, den Kauf von Monatskarten zum gleichen Preis wie Schülern. Wenn beim Kartenkauf zusätzlich „Lübeck Anschlussfahrt“ statt „Lübeck“ als Startort angegeben wird, kostet eine Monatskarte nach Eutin beispielsweise 113,20 Euro – würde man an jedem Arbeitstag ohne Ermäßigungen eine Hin- und Rückfahrkarte kaufen, wären es rund 370 Euro monatlich.

Aufwandsentschädigung?

Auch das Thema Geld spielt bei der Entscheidung für oder gegen ein Krankenhaus eine wichtige Rolle: Bei einer im Juni 2016 von der Fachschaft Medizin durchgeführten Umfrage unter Lübecker Medizinstudierenden gaben fast 74% an, auf die Aufwandsentschädigung angewiesen zu sein, für 93% ist die Aufwandsentschädigung ein entscheidendes Kriterium bei der Platzwahl. Fast alle Lübecker Lehrkrankenhäuser zahlen den Studierenden bereits einen Fahrtkostenzuschuss oder eine Aufwandsentschädigung in Höhe von bis zu 500 Euro monatlich, im UKSH gibt es bislang kostenfrei Mittagessen.

Die Fachschaft bemüht sich seit Oktober 2015 intensiv darum, dass auch am UKSH eine Aufwandsentschädigung für Studierende im Praktischen Jahr gezahlt wird. Der damals erhoffte und angepeilte Start einer Zahlung ab Mai 2017 bleibt derzeit aber noch ungewiss: Ein von Studierendenvertretern beim PJ-Infoabend als „tragfähiges Konzept“ bezeichneter Vorschlag der Klinikdirektoren wurde vom Ministerium für Soziales, Gesundheit, Wissenschaft und Gleichstellung als noch nicht ausgereift genug bezeichnet. Es bleibt also vorerst bei dem, was Professor Westermann beim PJ-Infoabend sagte: „Wenn Sie auf das Geld angewiesen sind, dürfen Sie nicht das UKSH wählen. Diejenigen, die das UKSH wählen, müssen sich auf die Unsicherheit einlassen.“

Seitdem führten Studierendenvertreter weitere konstruktive Gespräche mit Staatssekretär Fischer, in denen Rahmenbedingungen für eine Aufwandsentschädigung abgesteckt wurden: BAföG-Empfänger dürfen durch die neue Regelung gegenüber anderen Studierenden nicht benachteiligt werden und die PJ-Aufwandsentschädigung darf nicht das Defizit des UKSH vergrößern. Ein konkreter Vorschlag von Seiten des UKSH zu Finanzierung und Höhe der Aufwandsentschädigung steht allerdings noch aus (Stand Januar). Die Fachschaft Medizin bleibt dran: „Die Einführung einer PJ-Aufwandsentschädigung ist ein komplexeres Thema, als wir es uns selbst zu Beginn der ganzen Sache im Oktober 2015 vorgestellt hatten. Das hat zur Folge, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht so weit sind, wie wir es uns damals erhofft haben. Nun konnten wir uns mit dem Ministerium auf Rahmenbedingungen für eine Einführung einigen. Dies war ein zwingend notwendiger Schritt, da das UKSH eng mit dem Land Schleswig-Holstein verknüpft ist. Im März findet ein erneutes Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzen des UKSH, Herrn Prof. Scholz, statt. Dieser hatte uns in persönlichen Gesprächen mehrfach mitgeteilt, dass er grundsätzlich gesprochen für eine Einführung sei. Die konkrete Umsetzung und Details wollen wir nun mit ihm besprechen, so dass für uns die Einführung zum PJ-Beginn im Mai diesen Jahres als Ziel bestehen bleibt.“

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Nach der Spritze https://www.studentenpack.de/index.php/2013/11/nach-der-spritze/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/11/nach-der-spritze/#respond Mon, 11 Nov 2013 09:03:36 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=171972
Lukas Ruge | StudentenPACK.

Blutentnahmetablett am UKSH.


Zwei Jahre ist es mittlerweile her, dass in einem Bielefelder Krankenhaus ein Student im Praktischen Jahr (PJ) eine Handlungsanweisung anders auffasste als sie gemeint war und es infolgedessen zum Tod eines Kindes kam: Der PJler spritzte ein Medikament intravenös, welches das Baby oral hätte einnehmen sollen. Dieses wäre vermeidbar gewesen.

Ein Jahr später verhängte das Bielefelder Amtsgericht gegen den betreffenden Medizinstudenten wegen fahrlässiger Tötung eine Geldstrafe von 1.800 Euro. Bundesweit warf diese Premiere – noch nie zuvor wurde in Deutschland ein PJler wegen eines Fehlers strafrechtlich verurteilt – unter Medizinstudenten die Frage „Was darf ich überhaupt?“ auf, die Unsicherheit war groß (das StudentenPACK berichtete). Bis August dieses Jahres lief das Berufungsverfahren, mittlerweile ist das Urteil des Landgerichts Bielefeld rechtskräftig. Auch in zweiter Instanz wurde der ehemalige PJler der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und auch die Höhe der zu zahlenden Geldstrafe blieb gleich. Geändert haben sich lediglich zwei Dinge: Zum einen ist das Strafmaß ein anderes, die „Zusammensetzung“ der 1.800 Euro hat sich also verändert. Zum anderen ermittelt die Staatsanwaltschaft jetzt auch gegen das Krankenhaus, in dem es zu diesem Vorfall kam.

Für den Verurteilten sind diese so unwichtig erscheinenden Änderungen allerdings sehr bedeutsam: Die in erster Instanz verhängte Strafe von 120 Tagessätzen hätte für die berufliche Zukunft des Verurteilten gravierende Folgen gehabt, da ein Vergehen mit einem solchen Strafmaß im polizeilichen Führungszeugnis auftaucht – und eben dieses muss ein Arzt vor der Einstellung dem Arbeitgeber vorlegen. Auch wenn ein Eintrag im Führungszeugnis kein gesetzlich festgeschriebenes Ausschlusskriterium für die Vergabe der Stelle an den betreffenden Bewerber ist, so wird der Fall dann doch genau hinsichtlich der Frage untersucht, inwiefern diese Einschränkung für den Arbeitsplatz relevant ist. Vom dafür zuständigen Lübecker Dezernat Personal des UKSH wird in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es durchaus einen Unterschied mache, ob ein Arzt mit direktem Patientenkontakt im Krankenhaus oder beispielsweise in der Anatomie arbeiten wolle.

Doch auch bis zum approbierten Arzt muss man es erst einmal bringen: Zur Beantragung der Approbation wird ebenfalls ein amtliches Führungszeugnis benötigt. Dieses müsse „absolut einwandfrei“ sein, „wenn da irgendwas drinsteht, können Sie die Approbation vergessen“, heißt es dazu aus dem Landesamt für soziale Dienste in Kiel. Für den verurteilten Medizinstudenten hätte das folglich geheißen, dass er sich nach den langen Jahren des Studiums einen anderen Job hätte suchen können – verständlich, dass er deswegen gegen das 2012 gefällte Urteil in Berufung ging.

Auch in zweiter Instanz befand Richter Wolfgang Lerch den ehemaligen PJler für schuldig, änderte jedoch das Strafmaß von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro auf 90 Tagessätze zu je 20 Euro – die vom Verurteilten zu zahlende Summe bleibt also gleich, seine Berufsaussichten verbessern sich dadurch jedoch bedeutend: Ins Führungszeugnis eingetragen wird eine Verurteilung nur, wenn das Strafmaß mindestens 91 Tagessätze beträgt. Dass die Anzahl der Tagessätze so entscheidend verringert wurde, lässt sich durch Lerchs andere Einschätzung der Umstände im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld erklären: Während vom Amtsgericht eine Teilschuld des Krankenhauses durch Organisationsmängel nicht in Betracht gezogen wurde, schätzt er die Gegebenheiten in der Bielefelder Klinik für Kinder- und Jugendmedizin so ein, dass eine „gefahrenträchtige Behandlungsmodalität gegeben“ gewesen sei, so die Urteilsbegründung.

Vermutlich wäre der Tod des Babys rein technisch vermeidbar gewesen: Die konkret als gefahrenträchtig bemängelte Verwendung des gleichen Spritzensystems für die orale und intravenöse Applikation von Medikamenten war nicht notwendig. Durch Verwechslungen hervorgerufene Todesfälle aus den USA waren bekannt und schon Jahre zuvor hatte Prof. Dr. Joachim Boos, selbst als Oberarzt in der pädiatrischen Onkologie tätig, darauf hingewiesen, dass es sicherer sei, verschiedene Spritzensysteme zu nutzen und alles zu beschriften. Dem in Bielefeld zuständigen Chefarzt zufolge war eine durchgängige Beschriftung aller Spritzen nicht üblich; die Unterscheidung von Spritzen mit oralen Medikamenten und intravenösen sollte darüber erfolgen, ob die Spritze mit einem Combi-Stopper verschlossen und nicht beschriftet beziehungsweise etikettiert und mit einer Nadel versehen war. Dass auch ein Kommilitone des Angeklagten mit dieser Vorgehensweise nicht vertraut war, wirkte sich für den Ex-PJler nun schuldmindernd aus.

In der Lübecker Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKSH werden, wie Chefarzt Prof. Dr. Egbert Herting erklärt, möglichst verwechslungssichere Systeme zur Verabreichung oraler und intravenöser Medikamente verwendet: Bei einem Messlöffel oder einer Pipette kommt der Gedanke, es könne sich um ein intravenöses Medikament handeln, gar nicht erst auf; des Weiteren gibt es spezielle Medikamentenspritzen.

Auch wenn dadurch ein Verwechslungsfall wie in Bielefeld in Lübeck unwahrscheinlicher scheint: Die Situation bleibt unbefriedigend. Wieder einmal musste erst etwas passieren, damit ein Problem ernstgenommen und etwas verändert wurde, andere Möglichkeiten für schwerwiegende Fehler gibt es gerade für Berufsanfänger zuhauf. Angesichts dessen lässt sich nur hoffen, dass in Zukunft die Rolle von Studenten im Krankenhausalltag überdacht und Hinweisen auf Risiken schneller nachgegangen wird, damit es nicht wieder zu Vorfällen wie dem in Bielefeld kommt.

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Alles außer Fehler machen? https://www.studentenpack.de/index.php/2013/04/alles-auser-fehler-machen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/04/alles-auser-fehler-machen/#comments Thu, 04 Apr 2013 09:00:50 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=122236
Die Ärztliche Approbationsordnung schafft einen Rahmen für die Ausbildung im Praktischen Jahr.

[media-credit id=80 align="aligncenter" width="645"] Die Ärztliche Approbationsordnung schafft einen Rahmen für die Ausbildung im Praktischen Jahr.

„Umfassende praktische Erfahrungen […], die Sie auf Ihre berufliche Zukunft bestmöglich vorbereiten“, verspricht die Internetseite des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld den Medizinstudenten im Praktischen Jahr. Einer von ihnen weiß nach seiner Zeit in der Bielefelder Kinderklinik nun aber nicht genau, wie seine berufliche Zukunft in der Medizin aussieht: Im Oktober vergangenen Jahres wurde der Student im Praktischen Jahr (PJ) vom Amtsgericht Bielefeld wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil er einem Baby ein oral zu verabreichendes Medikament intravenös gegeben hatte, woraufhin das Kind starb. Derzeit läuft das Berufungsverfahren.

Ob der Student eigenmächtig gehandelt hat oder ob ein Organisationsverschulden für diesen Vorfall verantwortlich zu machen ist, wurde gründlich untersucht. Das Urteil basiert auf der Annahme des folgenden Ablaufs: In der morgendlichen Übergabe sei besprochen worden, dass der Säugling zwei Medikamente bekommen solle, davon ein Antibiotikum als Infusion, zu dem ein Medikamentenspiegel zu ermitteln gewesen sei, sowie ein weiteres Antibiotikum oral. Der Student sei zu dieser Zeit nicht dabei gewesen, im Folgenden aber von einer Krankenschwester damit beauftragt worden, dem Säugling vor der bevorstehenden Verabreichung des Medikaments Blut abzunehmen. Während der Blutentnahme sei die Krankenschwester ins Patientenzimmer gekommen, habe eine unbeschriftete Spritze auf dem Frühstückstablett abgelegt und zur ebenfalls anwesenden Mutter gesagt: „Hier ist das orale Antibiotikum.“ Schwester und PJler hätten sodann das Zimmer verlassen, der Student sei kurz darauf zurückgekehrt und habe eben jenes Antibiotikum in ein intravenöses Infusionssystem gespritzt. Das Kind erlitt daraufhin einen anaphylaktischen Schock, der zu einem tödlichen Kreislaufversagen führte.

„Das hätte jedem passieren können“, sagte dazu eine Lübecker PJlerin und auch Prof. Dr. Wilhelm Schmitz, Dekan der Medizinischen Fakultät in Münster, wo der betreffende Student immatrikuliert war, äußerte sich dahingehend. Und ohne die Richtigkeit des Tathergangs oder des Urteils in Frage stellen zu wollen: Das alarmierende daran ist, dass der Student für diesen folgenschweren Fehler ganz allein verantwortlich gemacht wird. Er habe keinen ärztlichen Auftrag zur Gabe des Medikaments erhalten, außerdem hätte er sich vor der Verabreichung der Spritze zumindest vergewissern müssen, wer diese bekommen solle und welche Anwendungsform dafür vorgesehen sei, so die Urteilsbegründung. Dass diese problemlos mögliche und in der Situation zumutbare Rückversicherung nicht erfolgt sei, werde dem Studenten vorgeworfen.

Nach diesem Urteil ist die Verunsicherung unter den Medizinstudenten groß: Was darf man im PJ überhaupt tun? Wer darf einem PJler Anweisungen geben und wer ist in welchen Situationen für sein Handeln verantwortlich zu machen?

Hierzu sieht die Ärztliche Approbationsordnung vor, dass Studenten im Praktischen Jahr „entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes […] ärztliche Verrichtungen durchführen“. Irgendwie müssen sie es schließlich lernen. Deswegen ist es auch kein Problem, wenn ein Student bei einer vom Arzt angeleiteten und beaufsichtigten Pleurapunktion, bei der krankhafte Flüssigkeit aus den Lungenfellen entnommen werden soll, versehentlich einen Pneumothorax verursacht, also Luft in den sonst abgeschlossenen Raum gelangt und die Atmung behindert: Wenn der Patient deswegen klagt, kann dem PJler vor Gericht nichts vorgeworfen werden.

Doch auch ohne eine danebenstehende Aufsicht darf der Student einige ärztliche Tätigkeiten übernehmen. Voraussetzung dafür ist, wie es im „Arzthaftungsrecht“ heißt, dass diese „auf Grund ihres geringen Schwierigkeitsgrades und Gefahrenpotenzials nicht zwingend von einem Arzt erbracht werden müssen“. Dabei hat sich der Arzt zuallererst zu vergewissern, ob der PJler für eine Delegation überhaupt geeignet ist. Im Folgenden muss er ihn so anleiten, dass er die betreffende Tätigkeit selbstständig durchführen kann und ihn danach regelmäßig dabei überwachen. Erst später darf dazu übergehen, es bei stichprobenartigen Kontrollen zu belassen.

Hinzu kommt, dass nur ein Teil der ärztlichen Tätigkeiten überhaupt an nichtärztliches Personal, dem auch Studenten im Praktischen Jahr zuzurechnen sind, übertragen werden kann. Zu den prinzipiell delegierbaren Aufgaben gehören laut Bundesärztekammer und dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen neben der Versorgung unkomplizierter Wunden mitunter Blutabnahmen, intramuskuläre Injektionen, die Anlage von Blasenkathetern sowie die intravenöse Applikation von Medikamenten. Auch das Legen einer Venenverweilkanüle kann durchaus ein PJler übernehmen.

Doch dass auf solch eine simple Aktion noch weitere Tücken folgen können, zeigt folgendes nahezu täglich vorkommende Beispiel, von dem die Lübecker Medizinstudentin Lisa* berichtet: Lisa wird angepiept, um einen neuen venösen Zugang zu legen. Neben dem Patienten steht ein Infusionsständer mit einer Infusion, die vermutlich angeschlossen werden soll, immerhin braucht der Patient eine neue Braunüle. Mit dem Legen des Zugangs befindet sie sich noch im grünen Bereich. Schließt sie aber zusätzlich die Infusion an, so verlässt sie, wie Fachanwalt für Medizin- und Arbeitsrecht Lars Bretschneider erklärt, damit schon ihren Aufgabenbereich: Niemand hat sie damit beauftragt, die Infusion auch anzuhängen. Wenn dabei etwas schiefgeht, läuft sie Gefahr, wegen eigenen Verschuldens zu haften.

Doch die Infusionen ohne konkrete Aufforderung nicht anzuschließen, macht einem PJler das Leben im Krankenhaus schwer: Lisa erzählte weiter von einer Situation, in der sie unsicher war, ob die Infusion noch verwendet werden sollte und sie deswegen nicht anhängte. Nachdem sie das Isolierzimmer verlassen hatte, fragte eine Pflegekraft sie, ob sie die Infusion angeschlossen habe. Auf das folgende „Nein“ reagierte sie dann sehr ungehalten, Lisa sagte dazu später: „Du überlegst dir nach sowas ganz genau, ob du den Weg der ‚besserwisserischen Studentin‘ gehst!“. Doch es geht um noch mehr als das bloße Anhängen einer Infusion mit oder ohne Auftrag dazu: Selbst wenn einem PJler aufgetragen wurde, die Infusion anzuschließen, ist er noch nicht ganz aus dem Schneider: Bei Trübungen, Ausflockungen oder wenn die Infusionslösung eine bestimmte Temperatur haben sollte, heißt es: Nochmal nachfragen und sichergehen, ob das so seine Richtigkeit hat. Denn von einem Studenten wird zwar nicht der gleiche Sorgfaltsmaßstab verlangt wie von einem Arzt, doch er hat dem „Handbuch des Arztrechts“ zufolge „für solche Schäden einzustehen, die er mittels seiner bereits erworbenen Fertigkeiten, Kenntnisse, Einsichten und Erfahrungen vermeiden konnte.“ Erwartet werden kann demnach die Sorgfalt eines „ordentlichen, pflichtgetreuen Durchschnittsstudenten in der konkreten Ausbildungsphase“ – wie der genau definiert ist, wird nicht weiter erläutert. Ignoriert der PJler seine Zweifel bei einer ihm übertragenen Aufgabe ganz bewusst, ist er in jedem Fall für die Folgen verantwortlich: Er ist wie ein approbierter Arzt dazu verpflichtet, nur zu tun, was er kennt und beherrscht. Führt er wider besseren Wissens eine Tätigkeit aus, kann er im schlimmsten Fall wegen eines Übernahmeverschuldens belangt werden. Ob ihm auch ein Strick daraus gedreht werden kann, wenn er angibt, er habe kein Störgefühl bei der Sache gehabt, bleibt fraglich: Hätte er, gemessen am Durchschnittsstudenten, eines haben müssen? Urteile wurden hierzu bisher nicht gesprochen.

Auch Gesetze, die explizit die Ausbildung von Medizinern regeln, sucht man vergeblich. Wie Anwalt Lars Bretschneider weiter erklärt, ist die derzeitige Regelung aber „vollkommen ausreichend“: Allgemeine Vorgaben zu Schadensersatz, fahrlässiger Körperverletzung und Tötung gelten natürlich universell, ausgefüllt wird dieser Raum beispielsweise von dem konkret auf das Praktische Jahr bezogenen §3 der Ärztlichen Approbationsordnung oder Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Delegation ärztlicher Leistungen. Dieser nur abstrakte gesetzliche Rahmen wird dann in einem Einzelfall von dem erkennenden Gericht unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls ausgefüllt.

Es gibt folglich keinen Gesetzestext, der einem Arzt verbietet, seinen PJler mit einer Bluttransfusion zu beauftragen, wohl aber eine Stellungnahme des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen, in der Bluttransfusionen als eine nicht delegierbare Tätigkeit betrachtet werden. Da bereits ein Urteil dazu existiert, welches sich an diesem Standpunkt orientiert, kann es in der Folge als Auslegungshilfe bei ähnlichen Fällen betrachtet werden.

Des Weiteren ist es beispielsweise nicht verboten, einen PJler alleine ein Medikament intravenös verabreichen zu lassen, welches bei zu schneller Applikation einen Herzstillstand hervorruft. Sollte dabei etwas schiefgehen, kann dem Arzt aber unter Umständen vorgeworfen werden, dass er fahrlässig gehandelt hat, immerhin birgt diese Situation durchaus ein gewisses Gefahrenpotential.

Dem Arzt nach Stellungnahmen der Bundesärztekammer höchstpersönlich vorbehaltene Tätigkeiten sind neben der Durchführung von Operationen sowie der ersten OP-Assistenz, dem Anordnen von Röntgen- und MRT-Aufnahmen auch die Aufklärung eines Patienten vor der OP – „Aufklärung? Mach ich ständig!“, wird jetzt vielleicht der eine oder andere denken. Tatsächlich berichten mehrere Studenten, dass von ärztlicher Seite fest davon ausgegangen wird, dass das Aufklärungsgespräch eine Studentenaufgabe ist, ähnlich sieht es mit Ultraschall aus. „Mach doch mal grade eine Sono“, heißt es auf Station oft genug, doch selbst wenn der PJler den Schallkopf führt: Die Befundung und Befundbewertung darf nur durch den Arzt erfolgen, er muss folglich immer dabei sein.

Ist und bleibt Aufgabe des approbierten Arztes: Das Aufklärungsgespräch.

[media-credit name="Techniker Krankenkasse" align="aligncenter" width="645"] Ist und bleibt Aufgabe des approbierten Arztes: Das Aufklärungsgespräch.

Der Gedanke, den viele Ärzte bei der Delegation solcher Aufgaben haben – „Mit dem bisschen Reden oder einer nicht-invasiven Maßnahme kann man ja keinem schaden“ – ist sicher nicht grundsätzlich verkehrt. Trotzdem hat der Patient auch dabei das Recht auf eine dem Stand eines Facharztes entsprechende Behandlung, die ein Student nicht bieten kann. Hinzu kommt die Verantwortung, die der PJler bei der Beurteilung seiner eigenen Fähigkeiten trägt: Sieht ein PJler bei einer sonographischen Untersuchung der Leber kein einziges Mal die Gallenblase, so kann er mit Sicherheit nicht behaupten, dass er alles gesehen hat und Auffälligkeiten ausschließen kann. Mit der daraus resultierenden Rückmeldung „Da ist nichts“ an den zuständigen Arzt ist für die beiden die Sache erledigt, Leidtragender ist im Zweifelsfall der Patient. Wünschenswert wäre natürlich, dass der PJler seine eigene Unzulänglichkeit erkennt und dann – wie es der Standard sein sollte – gemeinsam mit dem Arzt eine weitere Sonographie macht. Bei einer Sono dürfte diese Hemmschwelle für den Studenten noch recht gering sein, verglichen mit beispielsweise einer rektalen Untersuchung, doch wer weiß, wie oft eine eigentlich nötige zweite Untersuchung unterbleibt?

Die Anamnese bei der Aufnahme gehört ebenfalls zu den originär ärztlichen Aufgaben, auch wenn eine vorbereitende Anamnese anhand eines Fragebogens durch nichtärztliches Personal möglich ist. Diese muss allerdings im darauffolgenden Gespräch mit dem Arzt überprüft werden. Wie Studenten erzählen, findet diese Kontrolle aber nicht immer statt: Der Arzt unterschreibt alles nötige, doch wenn eine wichtige Frage nicht gestellt wurde, sei das eben Pech, erzählt Niklas*, ein weiterer Lübecker Student.


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Die Dokumentation medizinischer Sachverhalte ist ein weiteres wichtiges Thema: Auf vielen Stationen hat ein PJler seine eigenen Patienten, bei denen er sich neben der Eintragung von Blutdruck und Puls auch um Therapiepläne und so weiter, kümmert. So einiges davon muss unterschrieben werden. „Unterschreiben? Das mach ich alleine nicht!“, sagt Lisa, Niklas schreibt neben sein Namenskürzel „PJ“, um klarzustellen, dass er kein fertiger Arzt ist und lässt den zuständigen Arzt gegenzeichnen. Im Endeffekt ist aber egal, wie ein Student das handhabt: Die Signatur eines PJlers allein reicht auf Dokumenten wie Aufklärungen oder Diagnosen nicht aus und für Dinge, die er unterschreibt, kann er auch nicht haftbar gemacht werden. Letztlich bleibt es dabei bei der Verantwortung des die Ausbildung überwachenden Arztes.

Das Problem an der Sache ist offensichtlich: Vor dem Praktischen Jahr kann und darf der Student formal nicht viel, mit der Approbation wird plötzlich von ihm erwartet, dass er ziemlich viel kann, tut und für all das geradesteht. Der PJler muss also zwischen den Extremen „Ich bin hier nur der Student, ich darf und mache erstmal gar nichts – so bin ich wenigstens im PJ auf der sicheren Seite“ und „Ich bin quasi Arzt, durch die Approbation ändert sich ja fast nichts – ich tue also möglichst viel“ seinen eigenen Weg finden. Durch die Ereignisse in Bielefeld, die sicherlich einen Einzelfall darstellen, ist vielen Studenten jetzt klar geworden, dass sie während des Praktischen Jahrs vor Gericht für mehr verantwortlich sind als sie bisher dachten.

Dennoch: Im PJ vor lauter Angst nichts Neues mehr lernen oder selbst ausführen zu wollen, ist nicht zielführend. „Es wäre eine furchtbare Wendung, wenn diese wichtigen Monate nicht zum Erwerb weiterer Fähigkeiten und Fertigkeiten genutzt würden“, sagt Martin Schmidt, Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), auf Anfrage. Er gibt auch den Ratschlag weiter, den Prof. Dr. Dr. Klaus Ulsenheimer, Anwalt mit Schwerpunkt Medizinrecht, bei einer Podiumsdiskussion in Münster gab: Als PJler solle man so viele Menschen wie möglich in das, was man gelernt hat und selbstständig tun darf, einbeziehen. Dazu gehört einerseits, dass man im privaten Umfeld erzählt, zu welchen Tätigkeiten man herangezogen wird, und andererseits, dass man auf der Station Ärzte und Pflegepersonal auf dem Laufenden hält, was man auf wessen Anweisung hin tut oder tun soll. Für den Fall, dass es dann genauso unglücklich läuft wie in Bielefeld hat man zumindest Zeugen. Weiterhin empfiehlt es sich, alles, bei dem man sich als Student unsicher ist und möchte, dass der zuständige Arzt einen besonders gründlichen Blick darauf wirft, schriftlich festzuhalten.

An der grundlegenden Situation, dass PJler deutlich mehr tun als sie dürfen oder müssten, ändert sich dadurch aber nichts. Laut der Ärztlichen Approbationsordnung dürfen die Studierenden „nicht zu Tätigkeiten herangezogen werden, die ihre Ausbildung nicht fördern.“ Braunülenlegen will sicherlich gelernt sein, doch irgendwann beherrscht man es. Trotzdem gehört es bis zum Schluss zu den Standard-Aufgaben eines PJlers. Auch das Hin- und Hertragen eines Mutterpasses hat vermutlich einen zu vernachlässigenden Lerneffekt, ohne dass man als Student auf die Idee käme, die Bitte darum abzulehnen.

Denn letzten Endes ist der PJler vollkommen abhängig davon, dass ihm auf Station das beigebracht wird, was er später können muss. Doch dazu braucht es Zeit: „Wenn du ‚Hast du das schonmal gemacht?‘ gefragt wirst und das nicht der Fall ist, machen viele Ärzte das lieber schnell selber“, erzählt eine Studentin. Selbstverständlich spart das für den Moment Zeit, doch der Student lernt es so nicht. Und auch dann, wenn etwas bereits demonstriert wurde und ein drittes oder viertes Mal nachfragen unangenehm ist: Letztlich führt kein Weg daran vorbei. So betont auch Martin Schmidt von der bvmd, wie wichtig es ist, „darauf zu beharren, Dinge vernünftig und gut erklärt beziehungsweise gezeigt zu bekommen.“ Denn um die Gewissheit zu haben, dass man etwas Praktisches ordentlich beherrscht, braucht es eine – oder mehr als eine – gute Erklärung und jede Menge Übung. Ein Schritt in die richtige Richtung sind deswegen Skills Labs wie das tüftl, in dem tatsächlich mehr trainiert werden kann als nur die richtige Händedesinfektion oder wie ein Krankenhausbett verstellt wird: Nähen, Blasenkatheter oder Magensonden legen, Röntgenaufnahmen und EKGs interpretieren – das Üben am Modell gibt gerade zu Anfang sehr viel Sicherheit. „Die Magensonde dann am echten Patienten zu legen war viel einfacher!“, so eine Lübecker Studentin.

Eine begrüßenswerte Neuerung sind auch die seit diesem Monat durch die Approbationsordnung vorgeschriebenen PJ-Logbücher: Sie beinhalten für jedes Fach einen Katalog an Tätigkeiten und Krankheitsbildern sowie eine Graduierung, inwieweit der PJler sich nach dem Praktischen Jahr theoretisch damit auskennen und welche praktischen Fertigkeiten er erworben haben sollte. Wie diese sich in der Praxis durchsetzen, bleibt abzuwarten. Bisher ist die Existenz dieser Lernzielkataloge, den es in Lübeck beispielsweise in der Inneren Medizin schon seit Jahren gibt, jedenfalls noch nicht zu allen PJ-Studenten durchgedrungen.

Glücklicherweise ist in Lübeck bisher durch Studentenhand nichts Gravierendes passiert, was sich hoffentlich auch nicht so bald ändert. Für den Fall der Fälle geht Prof. Dr. Jürgen Westermann, Studiengangsleiter der Mediziner, davon aus, dass – sofern ein Student nicht grob fahrlässig handelt – immer der Chef der Einrichtung geradesteht. Bevor das erforderlich ist, wäre es sicher nicht verkehrt, sowohl Studenten vor dem PJ-Antritt als auch betreuende Ärzte konkret über die eigene Rechts- und Haftungslage zu informieren. Zumindest auf Studentenseite besteht daran durchaus Interesse.

* Namen wurden von der Redaktion geändert

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Die Ärztliche Approbationsordnung schafft einen Rahmen für die Ausbildung im Praktischen Jahr.

[media-credit id=80 align="aligncenter" width="645"] Die Ärztliche Approbationsordnung schafft einen Rahmen für die Ausbildung im Praktischen Jahr.

„Umfassende praktische Erfahrungen […], die Sie auf Ihre berufliche Zukunft bestmöglich vorbereiten“, verspricht die Internetseite des Evangelischen Krankenhauses Bielefeld den Medizinstudenten im Praktischen Jahr. Einer von ihnen weiß nach seiner Zeit in der Bielefelder Kinderklinik nun aber nicht genau, wie seine berufliche Zukunft in der Medizin aussieht: Im Oktober vergangenen Jahres wurde der Student im Praktischen Jahr (PJ) vom Amtsgericht Bielefeld wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, weil er einem Baby ein oral zu verabreichendes Medikament intravenös gegeben hatte, woraufhin das Kind starb. Derzeit läuft das Berufungsverfahren.

Ob der Student eigenmächtig gehandelt hat oder ob ein Organisationsverschulden für diesen Vorfall verantwortlich zu machen ist, wurde gründlich untersucht. Das Urteil basiert auf der Annahme des folgenden Ablaufs: In der morgendlichen Übergabe sei besprochen worden, dass der Säugling zwei Medikamente bekommen solle, davon ein Antibiotikum als Infusion, zu dem ein Medikamentenspiegel zu ermitteln gewesen sei, sowie ein weiteres Antibiotikum oral. Der Student sei zu dieser Zeit nicht dabei gewesen, im Folgenden aber von einer Krankenschwester damit beauftragt worden, dem Säugling vor der bevorstehenden Verabreichung des Medikaments Blut abzunehmen. Während der Blutentnahme sei die Krankenschwester ins Patientenzimmer gekommen, habe eine unbeschriftete Spritze auf dem Frühstückstablett abgelegt und zur ebenfalls anwesenden Mutter gesagt: „Hier ist das orale Antibiotikum.“ Schwester und PJler hätten sodann das Zimmer verlassen, der Student sei kurz darauf zurückgekehrt und habe eben jenes Antibiotikum in ein intravenöses Infusionssystem gespritzt. Das Kind erlitt daraufhin einen anaphylaktischen Schock, der zu einem tödlichen Kreislaufversagen führte.

„Das hätte jedem passieren können“, sagte dazu eine Lübecker PJlerin und auch Prof. Dr. Wilhelm Schmitz, Dekan der Medizinischen Fakultät in Münster, wo der betreffende Student immatrikuliert war, äußerte sich dahingehend. Und ohne die Richtigkeit des Tathergangs oder des Urteils in Frage stellen zu wollen: Das alarmierende daran ist, dass der Student für diesen folgenschweren Fehler ganz allein verantwortlich gemacht wird. Er habe keinen ärztlichen Auftrag zur Gabe des Medikaments erhalten, außerdem hätte er sich vor der Verabreichung der Spritze zumindest vergewissern müssen, wer diese bekommen solle und welche Anwendungsform dafür vorgesehen sei, so die Urteilsbegründung. Dass diese problemlos mögliche und in der Situation zumutbare Rückversicherung nicht erfolgt sei, werde dem Studenten vorgeworfen.

Nach diesem Urteil ist die Verunsicherung unter den Medizinstudenten groß: Was darf man im PJ überhaupt tun? Wer darf einem PJler Anweisungen geben und wer ist in welchen Situationen für sein Handeln verantwortlich zu machen?

Hierzu sieht die Ärztliche Approbationsordnung vor, dass Studenten im Praktischen Jahr „entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes […] ärztliche Verrichtungen durchführen“. Irgendwie müssen sie es schließlich lernen. Deswegen ist es auch kein Problem, wenn ein Student bei einer vom Arzt angeleiteten und beaufsichtigten Pleurapunktion, bei der krankhafte Flüssigkeit aus den Lungenfellen entnommen werden soll, versehentlich einen Pneumothorax verursacht, also Luft in den sonst abgeschlossenen Raum gelangt und die Atmung behindert: Wenn der Patient deswegen klagt, kann dem PJler vor Gericht nichts vorgeworfen werden.

Doch auch ohne eine danebenstehende Aufsicht darf der Student einige ärztliche Tätigkeiten übernehmen. Voraussetzung dafür ist, wie es im „Arzthaftungsrecht“ heißt, dass diese „auf Grund ihres geringen Schwierigkeitsgrades und Gefahrenpotenzials nicht zwingend von einem Arzt erbracht werden müssen“. Dabei hat sich der Arzt zuallererst zu vergewissern, ob der PJler für eine Delegation überhaupt geeignet ist. Im Folgenden muss er ihn so anleiten, dass er die betreffende Tätigkeit selbstständig durchführen kann und ihn danach regelmäßig dabei überwachen. Erst später darf dazu übergehen, es bei stichprobenartigen Kontrollen zu belassen.

Hinzu kommt, dass nur ein Teil der ärztlichen Tätigkeiten überhaupt an nichtärztliches Personal, dem auch Studenten im Praktischen Jahr zuzurechnen sind, übertragen werden kann. Zu den prinzipiell delegierbaren Aufgaben gehören laut Bundesärztekammer und dem Berufsverband der Deutschen Chirurgen neben der Versorgung unkomplizierter Wunden mitunter Blutabnahmen, intramuskuläre Injektionen, die Anlage von Blasenkathetern sowie die intravenöse Applikation von Medikamenten. Auch das Legen einer Venenverweilkanüle kann durchaus ein PJler übernehmen.

Doch dass auf solch eine simple Aktion noch weitere Tücken folgen können, zeigt folgendes nahezu täglich vorkommende Beispiel, von dem die Lübecker Medizinstudentin Lisa* berichtet: Lisa wird angepiept, um einen neuen venösen Zugang zu legen. Neben dem Patienten steht ein Infusionsständer mit einer Infusion, die vermutlich angeschlossen werden soll, immerhin braucht der Patient eine neue Braunüle. Mit dem Legen des Zugangs befindet sie sich noch im grünen Bereich. Schließt sie aber zusätzlich die Infusion an, so verlässt sie, wie Fachanwalt für Medizin- und Arbeitsrecht Lars Bretschneider erklärt, damit schon ihren Aufgabenbereich: Niemand hat sie damit beauftragt, die Infusion auch anzuhängen. Wenn dabei etwas schiefgeht, läuft sie Gefahr, wegen eigenen Verschuldens zu haften.

Doch die Infusionen ohne konkrete Aufforderung nicht anzuschließen, macht einem PJler das Leben im Krankenhaus schwer: Lisa erzählte weiter von einer Situation, in der sie unsicher war, ob die Infusion noch verwendet werden sollte und sie deswegen nicht anhängte. Nachdem sie das Isolierzimmer verlassen hatte, fragte eine Pflegekraft sie, ob sie die Infusion angeschlossen habe. Auf das folgende „Nein“ reagierte sie dann sehr ungehalten, Lisa sagte dazu später: „Du überlegst dir nach sowas ganz genau, ob du den Weg der ‚besserwisserischen Studentin‘ gehst!“. Doch es geht um noch mehr als das bloße Anhängen einer Infusion mit oder ohne Auftrag dazu: Selbst wenn einem PJler aufgetragen wurde, die Infusion anzuschließen, ist er noch nicht ganz aus dem Schneider: Bei Trübungen, Ausflockungen oder wenn die Infusionslösung eine bestimmte Temperatur haben sollte, heißt es: Nochmal nachfragen und sichergehen, ob das so seine Richtigkeit hat. Denn von einem Studenten wird zwar nicht der gleiche Sorgfaltsmaßstab verlangt wie von einem Arzt, doch er hat dem „Handbuch des Arztrechts“ zufolge „für solche Schäden einzustehen, die er mittels seiner bereits erworbenen Fertigkeiten, Kenntnisse, Einsichten und Erfahrungen vermeiden konnte.“ Erwartet werden kann demnach die Sorgfalt eines „ordentlichen, pflichtgetreuen Durchschnittsstudenten in der konkreten Ausbildungsphase“ – wie der genau definiert ist, wird nicht weiter erläutert. Ignoriert der PJler seine Zweifel bei einer ihm übertragenen Aufgabe ganz bewusst, ist er in jedem Fall für die Folgen verantwortlich: Er ist wie ein approbierter Arzt dazu verpflichtet, nur zu tun, was er kennt und beherrscht. Führt er wider besseren Wissens eine Tätigkeit aus, kann er im schlimmsten Fall wegen eines Übernahmeverschuldens belangt werden. Ob ihm auch ein Strick daraus gedreht werden kann, wenn er angibt, er habe kein Störgefühl bei der Sache gehabt, bleibt fraglich: Hätte er, gemessen am Durchschnittsstudenten, eines haben müssen? Urteile wurden hierzu bisher nicht gesprochen.

Auch Gesetze, die explizit die Ausbildung von Medizinern regeln, sucht man vergeblich. Wie Anwalt Lars Bretschneider weiter erklärt, ist die derzeitige Regelung aber „vollkommen ausreichend“: Allgemeine Vorgaben zu Schadensersatz, fahrlässiger Körperverletzung und Tötung gelten natürlich universell, ausgefüllt wird dieser Raum beispielsweise von dem konkret auf das Praktische Jahr bezogenen §3 der Ärztlichen Approbationsordnung oder Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Delegation ärztlicher Leistungen. Dieser nur abstrakte gesetzliche Rahmen wird dann in einem Einzelfall von dem erkennenden Gericht unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls ausgefüllt.

Es gibt folglich keinen Gesetzestext, der einem Arzt verbietet, seinen PJler mit einer Bluttransfusion zu beauftragen, wohl aber eine Stellungnahme des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen, in der Bluttransfusionen als eine nicht delegierbare Tätigkeit betrachtet werden. Da bereits ein Urteil dazu existiert, welches sich an diesem Standpunkt orientiert, kann es in der Folge als Auslegungshilfe bei ähnlichen Fällen betrachtet werden.

Des Weiteren ist es beispielsweise nicht verboten, einen PJler alleine ein Medikament intravenös verabreichen zu lassen, welches bei zu schneller Applikation einen Herzstillstand hervorruft. Sollte dabei etwas schiefgehen, kann dem Arzt aber unter Umständen vorgeworfen werden, dass er fahrlässig gehandelt hat, immerhin birgt diese Situation durchaus ein gewisses Gefahrenpotential.

Dem Arzt nach Stellungnahmen der Bundesärztekammer höchstpersönlich vorbehaltene Tätigkeiten sind neben der Durchführung von Operationen sowie der ersten OP-Assistenz, dem Anordnen von Röntgen- und MRT-Aufnahmen auch die Aufklärung eines Patienten vor der OP – „Aufklärung? Mach ich ständig!“, wird jetzt vielleicht der eine oder andere denken. Tatsächlich berichten mehrere Studenten, dass von ärztlicher Seite fest davon ausgegangen wird, dass das Aufklärungsgespräch eine Studentenaufgabe ist, ähnlich sieht es mit Ultraschall aus. „Mach doch mal grade eine Sono“, heißt es auf Station oft genug, doch selbst wenn der PJler den Schallkopf führt: Die Befundung und Befundbewertung darf nur durch den Arzt erfolgen, er muss folglich immer dabei sein.

Ist und bleibt Aufgabe des approbierten Arztes: Das Aufklärungsgespräch.

[media-credit name="Techniker Krankenkasse" align="aligncenter" width="645"] Ist und bleibt Aufgabe des approbierten Arztes: Das Aufklärungsgespräch.

Der Gedanke, den viele Ärzte bei der Delegation solcher Aufgaben haben – „Mit dem bisschen Reden oder einer nicht-invasiven Maßnahme kann man ja keinem schaden“ – ist sicher nicht grundsätzlich verkehrt. Trotzdem hat der Patient auch dabei das Recht auf eine dem Stand eines Facharztes entsprechende Behandlung, die ein Student nicht bieten kann. Hinzu kommt die Verantwortung, die der PJler bei der Beurteilung seiner eigenen Fähigkeiten trägt: Sieht ein PJler bei einer sonographischen Untersuchung der Leber kein einziges Mal die Gallenblase, so kann er mit Sicherheit nicht behaupten, dass er alles gesehen hat und Auffälligkeiten ausschließen kann. Mit der daraus resultierenden Rückmeldung „Da ist nichts“ an den zuständigen Arzt ist für die beiden die Sache erledigt, Leidtragender ist im Zweifelsfall der Patient. Wünschenswert wäre natürlich, dass der PJler seine eigene Unzulänglichkeit erkennt und dann – wie es der Standard sein sollte – gemeinsam mit dem Arzt eine weitere Sonographie macht. Bei einer Sono dürfte diese Hemmschwelle für den Studenten noch recht gering sein, verglichen mit beispielsweise einer rektalen Untersuchung, doch wer weiß, wie oft eine eigentlich nötige zweite Untersuchung unterbleibt?

Die Anamnese bei der Aufnahme gehört ebenfalls zu den originär ärztlichen Aufgaben, auch wenn eine vorbereitende Anamnese anhand eines Fragebogens durch nichtärztliches Personal möglich ist. Diese muss allerdings im darauffolgenden Gespräch mit dem Arzt überprüft werden. Wie Studenten erzählen, findet diese Kontrolle aber nicht immer statt: Der Arzt unterschreibt alles nötige, doch wenn eine wichtige Frage nicht gestellt wurde, sei das eben Pech, erzählt Niklas*, ein weiterer Lübecker Student.


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Die Dokumentation medizinischer Sachverhalte ist ein weiteres wichtiges Thema: Auf vielen Stationen hat ein PJler seine eigenen Patienten, bei denen er sich neben der Eintragung von Blutdruck und Puls auch um Therapiepläne und so weiter, kümmert. So einiges davon muss unterschrieben werden. „Unterschreiben? Das mach ich alleine nicht!“, sagt Lisa, Niklas schreibt neben sein Namenskürzel „PJ“, um klarzustellen, dass er kein fertiger Arzt ist und lässt den zuständigen Arzt gegenzeichnen. Im Endeffekt ist aber egal, wie ein Student das handhabt: Die Signatur eines PJlers allein reicht auf Dokumenten wie Aufklärungen oder Diagnosen nicht aus und für Dinge, die er unterschreibt, kann er auch nicht haftbar gemacht werden. Letztlich bleibt es dabei bei der Verantwortung des die Ausbildung überwachenden Arztes.

Das Problem an der Sache ist offensichtlich: Vor dem Praktischen Jahr kann und darf der Student formal nicht viel, mit der Approbation wird plötzlich von ihm erwartet, dass er ziemlich viel kann, tut und für all das geradesteht. Der PJler muss also zwischen den Extremen „Ich bin hier nur der Student, ich darf und mache erstmal gar nichts – so bin ich wenigstens im PJ auf der sicheren Seite“ und „Ich bin quasi Arzt, durch die Approbation ändert sich ja fast nichts – ich tue also möglichst viel“ seinen eigenen Weg finden. Durch die Ereignisse in Bielefeld, die sicherlich einen Einzelfall darstellen, ist vielen Studenten jetzt klar geworden, dass sie während des Praktischen Jahrs vor Gericht für mehr verantwortlich sind als sie bisher dachten.

Dennoch: Im PJ vor lauter Angst nichts Neues mehr lernen oder selbst ausführen zu wollen, ist nicht zielführend. „Es wäre eine furchtbare Wendung, wenn diese wichtigen Monate nicht zum Erwerb weiterer Fähigkeiten und Fertigkeiten genutzt würden“, sagt Martin Schmidt, Bundeskoordinator für Medizinische Ausbildung der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd), auf Anfrage. Er gibt auch den Ratschlag weiter, den Prof. Dr. Dr. Klaus Ulsenheimer, Anwalt mit Schwerpunkt Medizinrecht, bei einer Podiumsdiskussion in Münster gab: Als PJler solle man so viele Menschen wie möglich in das, was man gelernt hat und selbstständig tun darf, einbeziehen. Dazu gehört einerseits, dass man im privaten Umfeld erzählt, zu welchen Tätigkeiten man herangezogen wird, und andererseits, dass man auf der Station Ärzte und Pflegepersonal auf dem Laufenden hält, was man auf wessen Anweisung hin tut oder tun soll. Für den Fall, dass es dann genauso unglücklich läuft wie in Bielefeld hat man zumindest Zeugen. Weiterhin empfiehlt es sich, alles, bei dem man sich als Student unsicher ist und möchte, dass der zuständige Arzt einen besonders gründlichen Blick darauf wirft, schriftlich festzuhalten.

An der grundlegenden Situation, dass PJler deutlich mehr tun als sie dürfen oder müssten, ändert sich dadurch aber nichts. Laut der Ärztlichen Approbationsordnung dürfen die Studierenden „nicht zu Tätigkeiten herangezogen werden, die ihre Ausbildung nicht fördern.“ Braunülenlegen will sicherlich gelernt sein, doch irgendwann beherrscht man es. Trotzdem gehört es bis zum Schluss zu den Standard-Aufgaben eines PJlers. Auch das Hin- und Hertragen eines Mutterpasses hat vermutlich einen zu vernachlässigenden Lerneffekt, ohne dass man als Student auf die Idee käme, die Bitte darum abzulehnen.

Denn letzten Endes ist der PJler vollkommen abhängig davon, dass ihm auf Station das beigebracht wird, was er später können muss. Doch dazu braucht es Zeit: „Wenn du ‚Hast du das schonmal gemacht?‘ gefragt wirst und das nicht der Fall ist, machen viele Ärzte das lieber schnell selber“, erzählt eine Studentin. Selbstverständlich spart das für den Moment Zeit, doch der Student lernt es so nicht. Und auch dann, wenn etwas bereits demonstriert wurde und ein drittes oder viertes Mal nachfragen unangenehm ist: Letztlich führt kein Weg daran vorbei. So betont auch Martin Schmidt von der bvmd, wie wichtig es ist, „darauf zu beharren, Dinge vernünftig und gut erklärt beziehungsweise gezeigt zu bekommen.“ Denn um die Gewissheit zu haben, dass man etwas Praktisches ordentlich beherrscht, braucht es eine – oder mehr als eine – gute Erklärung und jede Menge Übung. Ein Schritt in die richtige Richtung sind deswegen Skills Labs wie das tüftl, in dem tatsächlich mehr trainiert werden kann als nur die richtige Händedesinfektion oder wie ein Krankenhausbett verstellt wird: Nähen, Blasenkatheter oder Magensonden legen, Röntgenaufnahmen und EKGs interpretieren – das Üben am Modell gibt gerade zu Anfang sehr viel Sicherheit. „Die Magensonde dann am echten Patienten zu legen war viel einfacher!“, so eine Lübecker Studentin.

Eine begrüßenswerte Neuerung sind auch die seit diesem Monat durch die Approbationsordnung vorgeschriebenen PJ-Logbücher: Sie beinhalten für jedes Fach einen Katalog an Tätigkeiten und Krankheitsbildern sowie eine Graduierung, inwieweit der PJler sich nach dem Praktischen Jahr theoretisch damit auskennen und welche praktischen Fertigkeiten er erworben haben sollte. Wie diese sich in der Praxis durchsetzen, bleibt abzuwarten. Bisher ist die Existenz dieser Lernzielkataloge, den es in Lübeck beispielsweise in der Inneren Medizin schon seit Jahren gibt, jedenfalls noch nicht zu allen PJ-Studenten durchgedrungen.

Glücklicherweise ist in Lübeck bisher durch Studentenhand nichts Gravierendes passiert, was sich hoffentlich auch nicht so bald ändert. Für den Fall der Fälle geht Prof. Dr. Jürgen Westermann, Studiengangsleiter der Mediziner, davon aus, dass – sofern ein Student nicht grob fahrlässig handelt – immer der Chef der Einrichtung geradesteht. Bevor das erforderlich ist, wäre es sicher nicht verkehrt, sowohl Studenten vor dem PJ-Antritt als auch betreuende Ärzte konkret über die eigene Rechts- und Haftungslage zu informieren. Zumindest auf Studentenseite besteht daran durchaus Interesse.

* Namen wurden von der Redaktion geändert

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Hej, Hej fra København https://www.studentenpack.de/index.php/2010/02/hej-hej-fra-kobenhavn/ https://www.studentenpack.de/index.php/2010/02/hej-hej-fra-kobenhavn/#respond Sun, 31 Jan 2010 22:00:08 +0000 http://www.phibography.de/StudentenPACK/artikel/?p=46  

Arbeitsgruppe der WHO in Kopenhagen. Foto: Carlo Huber

Ein Hauch weißer Schneedecke, zugiger Meereswind über den gefrorenen Seebuchten, puschelige Wachsoldaten rund um die Schlösser und der Duft und das Flair der schönsten Metropole Nordeuropas: Dies zeichnet das winterliche Kopenhagen, die Hauptstadt Dänemarks, in diesen Januartagen aus. Die Stadt liegt zwar nicht wie Istanbul auf zwei verschiedenen Kontinenten, aber auf zwei verschiedenen, von der eiszeitlichen Grundmoränenlandschaft geformten Inseln: Sjælland und Amager. Was mich in diesen Prototyp einer europäischen Stadt führt, ist nicht eine Famulatur oder ein PJ-Tertial, wie einige andere Lübecker Medizinstudenten vor und nach mir, sondern das europäische Hauptquartier der Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO. Mit gut 500 Mitarbeitern in Kopenhagen und vielen weiteren Büros in zahlreichen europäischen Städten sowie ihrer weltweiten Repräsentanz in fast allen Ländern ist die WHO die wichtigste Organisation, die sich mit dem Wesen und den praktischen Implikationen von Krankheit und Gesundheit in Praxis, Theorie und Politik beschäftigt. Geleitet wird sie von einem wahnsinnig wichtigen, ehemaligen französischen Gesundheitspolitiker (wie bei Franzosen üblich mit schicker, solariumgebräunter Assistentin), dem man Gerüchten zufolge bei der Amtsübergabe aus Mangel an Schlüsseln (hier funktioniert alles mit Karten) symbolisch den Toilettenschlüssel übergeben haben soll. Aufgrund seines offensichtlich gelebten Bewusstseins für das savoir-vivre ist er auf jeden Fall ein supernetter Chef für seine Mitarbeiter.

Damit komme ich auch schon zu der am häufigsten gestellten Frage: Wie kommt man als Medizinstudent auf die Idee, so ein Praktikum zu machen und sich damit der beschwerlichen Organisation von Unterkunft und Umzug bis hin zur Bibliothekskarte auszusetzen? Zunächst einmal hat es mich interessiert, in relativ kurzer Zeit Einblick zu gewinnen in ein komplexeres Organisationswesen als das eines Krankenhauses. Auch wenn die meisten Medizinstudenten natürlich dem medizinischen Lebensweg verhaftet bleiben, kann es doch passieren, dass man einmal außerhalb der typischen medizinischen Institutionen landet und sich dann unter anderen Rahmenbedingungen wiederfindet. Dies ist meine persönliche Motivation für das Praktikum, denn ausschließlich Krankenhaus oder Praxis kann ich mir für mich nicht vorstellen. Zusätzlich habe ich gelernt, Organisation nebenbei zu erledigen – für mich DIE wichtigste Aufgabe neben dem Studium. Und was man kennt und gesehen hat, bleibt einem immer im Hinterkopf – und wird abgeheftet als Lebenserfahrung.

In vielerlei Hinsicht ähnelt die WHO einem modernen Unternehmen: Die Atmosphäre ist sehr international, die meisten sprechen akzentfrei Englisch (außer dem französischen Direktor … natürlich), viele haben in gefühlten 25 verschiedenen Ländern gelebt und unter den Jüngeren scheine ich der einzige zu sein, der kein Auslandsjahr gemacht und seitdem Freunde in Ost-Timbuktistan hat. Hauptthematik sind natürlich vor allem Budgets, Projekte, Verträge und so weiter, häufig verknüpft mit interessanten Auslandsaufenthalten.

Wie bei jedem großen Unternehmen gehören Tratsch und persönliche Nettig- und -Nichtso-Nettigkeiten zum farbigen Alltagsgeschäft. Wichtigster Termin des Tages ist für alle Interns (Kurzbezeichnung für Praktikanten) das Mittagessen, wo es einen eigenen großen Intern-Stammtisch gibt. Dort treffen sich die Praktikanten aller Abteilungen, es werden Neuigkeiten ausgetauscht und zum Kaffeeklatsch eine Stunde nach der Mittagspause verabredet.

Die Zusammensetzung der Interns ist interessant: Es gibt einige Deutsche und Franzosen, die immer so etwas wie Public Health oder Krankenhausmanagement studieren. Und dann sind da noch Interns aus aller Herren Länder, die in Dänemark oder Schweden (die bekannten Universitätsstädte Malmö und Lund liegen praktisch gegenüber von Kopenhagen) so lustige Sachen wie den Bachelor für Zahnheilkunde studieren. Es ist eine illustre Runde, bei der ich ausreichend Gelegenheit habe, mein englisches Vokabular auf nichtmedizinisch und -wissenschaftlichem Gebiet auszuweiten (wie beschreibt man die „Landung“ einer Ente auf einer dänischen Fensterscheibe?).

Meine Abteilung bei der WHO ist CDS (communicable diseases unit), es geht also um übertragbare Krankheiten. Ich darf sehr selbständig Aufgaben übernehmen und bearbeiten. Zur Zeit bschäftige ich mich vor allem mit Hepatitis und schreibe einen zusammenfassenden Bericht über die Prävalenz von Hepatitis B und C in zentralasiatischen Mitgliedsstaaten.

Neben der Arbeit in dem modernen Gebäudekomplex der WHO gibt es in Kopenhagen selbst sehr viel zu sehen. Die Hauptstadt zentriert Kultur, WIrtschaft und Soziales aus allen Bereichen Dänemarks mit stark internationaler Prägung. Ich habe nach längerer Suche glücklicherweise ein Zimmer direkt in der Stadt gefunden habe, das nur fünf Minuten von dem königlichen Schloss Amalienburg und dem Zentralplatz Kopenhagens, „Kongens Nytorv“ , entfernt ist. Die langen, verzweigten Einkaufsgassen mit ihrer unglaublichen Diversität an kleinen Geschäften, Boutiquen und Cafés, der Bahnhof, die Universität und die verschiedenen Kirchen liegen im kleinen Innenstadtring nahe beieinander. Die Oper gehört zu den schönsten der Welt (die Norweger haben aus Neid sofort eine neue gebaut und als Anerkennung exklusiv das Dekolleté von Frau Merkel dazubekommen). Und wie in Amsterdam dominieren Fahrradfahrer das Straßenbild und verstärken Kopenhagens Bild einer fortschrittlichen Weltstadt.

Wenn man in eine Großstadt kommt, so nimmt man immer sehr viele neue Eindrücke wahr; man sieht und erlebt Dinge, über die man lacht, weint, nachdenkt oder sich amüsiert. Mir haben mein Aufenthalt in Dänemark, die Dänen und ihre hovedstadt wunderbar gefallen und zum Abschluss möchte ich nur noch eine wichtige Erkenntnis mit euch teilen: Trotz nordischer Schönheit, wahren Stärke und dichter Bewaldung können dänische Polizisten nicht als weihnachtliche Nordmanntanne gezüchtet werden.

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