Kommunalwahl – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Mon, 29 Oct 2018 12:24:54 +0000 de-DE hourly 1 Pöbeln für den Flughafen https://www.studentenpack.de/index.php/2018/04/poebeln-fuer-den-flughafen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2018/04/poebeln-fuer-den-flughafen/#comments Sat, 28 Apr 2018 10:15:25 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=373431
Der frischgebackene Honorarprofessor Prof. Dr. Stöcker (Mitte) mit dem damaligen Uni-Präsidenten Prof. Dr. Dominiak (links) und Prof. Dr. Zillikens (rechts) bei der Verleihung 2011.Lukas Ruge | StudentenPACK.

Der frischgebackene Honorarprofessor Prof. Dr. Stöcker (Mitte) mit dem damaligen Uni-Präsidenten Prof. Dr. Dominiak (links) und Prof. Dr. Zillikens (rechts) bei der Verleihung 2011.

Post, die „An alle Haushalte“ adressiert ist, ist ja meistens Werbung für Strom- oder Internetanbieter. Diesmal kommt sie von Winfried Stöcker, einem Lübecker Honorarprofessor. Und es geht darin nicht um günstigen Strom, sondern darum, was ihr am nächsten Sonntag bei der Bürgerschaftswahl wählen oder besser nicht wählen solltet. Wer ist dieser Mann? Was hat das mit der Uni zu tun? Und warum hat er offenbar ein großes Interesse daran, wer die zukünftige Bürgerschaft bildet?

Seinen Brief begründet Stöcker damit, dass er Orientierung in seinem Wirkungsbereich – also seinen Firmenmitarbeitern – geben möchte. Mit seiner Postwurfsendung erweitert er diesen „Wirkungsbereich“ nun erheblich. Im vollen Wortlaut kann der Brief auf seinem Blog nachgelesen werden.

Nachdem er sein Unternehmen als familien- und arbeitnehmerfreundlich beschreibt, beginnt Stöcker mit einem Rundumschlag zur Bundespolitik der letzten Jahre: Thematisch von der „irrsinnigen Willkommenszusage der Bundeskanzlerin“ über Dieselmotoren und Atomausstieg zum Veggie-Tag springend wirft er den Parteien nahezu über das komplette politische Spektrum hinweg fehlende Kompromissbereitschaft, Unfähigkeit, mangelnde Weitsicht, und „am laufenden Band die größten Dummheiten“ vor. Schlussendlich gelangt er auf der zweiten Seite im letzten Absatz zum einzigen Thema, das für die Lübecker Bürgerschaftswahl relevant ist: Dem Lübecker Flughafen. „Stoppen Sie Rot-Grün!“, schreibt er in diesem Zusammenhang und wirbt für die Wahl eines Parlaments, das den Flughafen unterstützt. Deshalb sollten die Lübecker „anständige Leute mit besseren Manieren“ wählen. Warum interessiert sich Stöcker so sehr für den Lübecker Flughafen? Diese Information unterschlägt Stöcker, die Antwort darauf ist jedoch sehr einfach: Es ist sein Flughafen.

Wer ist dieser Mann, der offenbar viel Geld hat und es in den Lübecker Flughafen investiert? Der Name Winfried Stöcker ist in Lübeck bei weitem kein unbekannter. Der mittlerweile 71jährige Labormediziner stammt ursprünglich aus der Oberlausitz, floh nach eigener Aussage in Jugendjahren aus der DDR nach Westdeutschland, weil seine Familie Benachteiligungen ausgesetzt gewesen sei, studierte in Würzburg Medizin und kam nach seiner Promotion im Jahr 1979 an die damalige Medizinische Universität Lübeck, wo er Labormediziner wurde. 1987 machte er sich selbstständig und gründete EUROIMMUN, eine Firma, die Labordiagnostika herstellt. Diese ist außerordentlich erfolgreich: Im letzten Jahr verkaufte er die Firma an den US-Konzern Perkin-Elmer – für umgerechnet 1,2 Milliarden Euro. Seit vielen Jahren trägt Stöcker den Titel „Professor“, einerseits von der Medizinischen Tongij-Hochschule im chinesischen Wuhan, andererseits von der Universität zu Lübeck. Seit 2011 ist er ihr Honorarprofessor.

Überregionale Bekanntheit verschaffte ihm aber seine Tätigkeit als Investor. Neben einem Kaufhaus in Görlitz gehört ihm unter anderem seit 2016 der Lübecker Flughafen. Für Schlagzeilen sorgte Stöcker aber mit seinem Mund. Immer wieder predigte er bei öffentlichen Auftritten, in Interviews und im Internet vom „Sturz der Kanzlerin Merkel“, der „Islamisierung Deutschlands“ und von „reisefreudigen Afrikanern“. Migranten hätten „kein Recht, sich in Deutschland festzusetzen und darauf hinzuarbeiten, uns zu verdrängen“. Auch Menschen, die viele Jahre bei ihm arbeiteten, wolle er „am liebsten wieder nach Hause schicken“. Begriffe wie „Neger“ und „Überfremdung“ lasse er sich nicht verbieten. 2016 empört er sich bei einer Modenschau über Muslima, 2017 erteilt ihm die Lübecker Kirche St. Jakobi Hausverbot, weil er in dieser in einer Weihnachtsansprache bei der Euroimmun-Firmenweihnachtsfeier die #MeToo-Debatte heftig kritisierte – unter anderem riet er, Frauen sollten sich weniger aufreizend anziehen, Männer hingegen sollten an diese „ran gehen“ und viele Kinder zeugen, „dass wir dem mutwillig herbeigeführten, sinnlosen Ansturm unberechtigter Asylanten etwas entgegensetzen können“. Mehrere Gerichtsverfahren gegen ihn laufen. Hinter dem Gegenwind, der ihm nach solchen Aussagen entgegenwehte, vermute er die „SPD-verbundene Presse in Görlitz und Lübeck“, die einen „Feldzug“ gegen ihn führe.

Mehrmals wurde die Causa „Stöcker“ auch an der Uni diskutiert. Der damalige Präsident Prof. Lehnert distanzierte sich in einer Pressemitteilung „von dem Gedankengut, das Prof. Dr. Winfried Stöcker […] geäußert hat, […] auf das Nachdrücklichste“. Im Januar 2018 erschien ein offener Brief ehemaliger Uniprofessoren, der die aktuelle Universitätspräsidentin, Prof. Gillessen-Kaesbach, dazu auffordert, Worten Taten folgen zu lassen und Stöcker die Honorarprofessur abzuerkennen, damit der Name der Universität nicht weiter beschädigt werde. Stöcker sei „ein kühl berechnender Geschäftsmann, der sich durch seine Position in einer unreflektierten Allmacht fühlt“. In ihrer zweiten Amtswoche positionierte sich Prof. Gillessen-Kaesbach klar gegen die „inakzeptablen Äußerungen eines Unternehmers“ und kündigte an, sie wolle sich „mit dem Thema im Präsidium intensiv beschäftigen“. Nur: Passiert ist nichts. Eine Prüfung habe ergeben, dass es rechtlich nicht möglich sei, Stöcker den Titel zu entziehen. Eine Zusammenarbeit mit diesem gebe es aber über die auslaufenden Kooperationen hinaus auch nicht mehr. Auch die Stadt Lübeck nimmt keine Gelder von ihm mehr an.

Und dann ist da die Sache mit dem Flughafen: Letztes Jahr hat Stöcker, bis dahin Mehrheitsaktionär bei EUROIMMUN, seine Aktien an Perkin Elmer verkauft, die übrigen Vorstandsmitglieder wollten nachziehen. Seitdem ist Stöcker „nur noch“ CEO in der Firma, die er gegründet und aufgebaut hat, die er durch Krisen geführt und zu einem weltweit agierenden Unternehmen gemacht hat. Seit mehr als 30 Jahren ist EUROIMMUN ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens und nun, da die Aktien verkauft sind, ist da plötzlich viel Leere. Jüngst entdeckte Stöcker ein weiteres Betätigungsfeld: Die Lokalpolitik. Seit zwei Jahren ist er Mitglied der FDP Groß Grönau, die sich über den direkten Kontakt zum Flughafen sehr freue.

Dieser scheint ihm eine Herzensangelegenheit zu sein, liegt er doch nur einen Steinwurf entfernt vom EUROIMMUN-Gelände. Vom Erhalt und Ausbau des Flughafens profitiert auch er und so ist es nicht verwunderlich, dass Stöcker sich seit Jahren dafür einsetzt. Schon 2010 forderte er die Bürger in den Lübecker Nachrichten dazu auf, sich für den Erhalt des Flughafens einzusetzen. Damals waren Finanzierung und Zukunft des Flughafens ungewiss, ein Bürgerbegehren sollte den Erhalt für eine absehbare Zeit sichern, nachdem sich kurz zuvor der damalige Mehrheitsgesellschafter Infratil zurückgezogen hatte. Dessen Pläne zum Ausbau des Flughafens waren zuvor mehrfach an Naturschutzbelangen gescheitert. Das Bürgerbegehren war erfolgreich und der Flughafen wurde – auf Sparflamme und ohne Ausbau – von der Stadt Lübeck weiter betrieben, bis 2012 sollte ein Investor gefunden werden.

An der Frage, ob der Lübecker Flughafen an Mohamad Rady Amar, einen ägyptischen Geschäftsmann, verkauft werden sollte, zerbrach 2012 die rot-rot-grüne Koalition. Stöcker veröffentlichte weitere Inserate in den Lübecker Nachrichten, in denen er für den Erhalt des „Traditionsflughafens“ warb und dafür, die künftigen Perspektiven statt der negativen Bilanzen der Vergangenheit zu betrachten. Darüber hinaus drohte er an, große Erweiterungen seines Unternehmens nicht in Lübeck, sondern an anderen Standorten zu realisieren, sollte der Lübecker Flughafen geschlossen werden. Letztlich wurde der Flughafen doch an den ägyptischen Investor verkauft und blieb erhalten. Nach dem Abtauchen des Investors im Jahr 2014 musste der Flughafen Insolvenz anmelden.

Auch der folgende chinesische Investor, der eine Flugschule eröffnen wollte, meldete nach gut einem Jahr Insolvenz an. Daraufhin kaufte 2016 Stöcker den Flughafen. Als ortsansässiger Unternehmer mit einem eigenen geschäftlichen Interesse am Erhalt und Ausbau des Flughafens wurde er hierfür nicht nur von der IHK gelobt. Seitdem hat sich – zumindest vom Vorbeifahren aus dem Zug aus betrachtet – nicht viel getan, doch zum Zeitpunkt seines Kaufs kündigte Stöcker an, einen Plan zu haben. Dass das Oberverwaltungsgericht in Schleswig im Februar die Klage der Gemeinde Groß Grönau gegen den für den Ausbau des Flughafens notwendigen Planfeststellungsbeschluss abwies, dürfte in diesen Plan passen. Und auch wenn noch andere Klagen anhängig sind, bedeutet das zunächst Rückenwind für Stöcker und den Flughafenausbau. Politischer Gegenwind aus der Bürgerschaft dürfte ihm da denkbar ungelegen kommen.

Aber darf ein Honorarprofessor dieser Universität öffentlich Wahlempfehlungen herausgeben?

Folgt man der Satzung der Universität, sollte der Titel entzogen werden, wenn Gründe vorliegen „die bei einer Beamtin/einem Beamten auf Lebenszeit zur Entfernung aus dem Dienst führen“. Und obgleich für Beamte natürlich auch die Meinungsfreiheit gilt, legt ihnen der Staat ein sogenanntes “politisches Mäßigungsgebot” auf. Soll heißen: Wenn man für den Staat arbeitet, muss die politische Meinungsäußerung “zurückhaltend erfolgen, dass das öffentliche Vertrauen in seine unparteiische, gerechte und gemeinwohlorientierte Amtsführung keinen Schaden nimmt”. So formuliert es eine Analyse des Vereins “Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht” von 2016.

Auch das universitäre Leitbild, besonders im Zuge der 2014 von Stöcker in einem Interview getätigten Aussagen, passt eigentlich so gar nicht zu einer weiteren Verbindung mit dem Unternehmer. „Toleranz, Weltoffenheit und ein klares Bekenntnis zu multikulturellem Denken und Handeln sind unveräußerliche Werte unserer Campus-Kultur“, schrieb der damalige Universitätspräsident Lehnert in einer Pressemitteilung und unterzeichnete 2016 eine “Charta der Vielfalt”. Die aktuelle Uni-Präsidentin Gillessen-Kaesbach bezeichnete die in Stöckers letzter Weihnachtsansprache getätigten Aussagen als “inakzeptabel“. Und doch werden sie immer wieder akzeptiert.

Auch dieses Mal wird wieder nichts geschehen, wenn ein Professor der Universität Briefe unter anderem an die Studierenden verschickt, in denen er Wahlempfehlungen ausspricht und verborgen unter Pöbelei und Selbsterhöhung eigentlich nur die politische Landschaft zugunsten seines Investitionsprojektes verändern möchte. Es scheint, als gäbe es für die Universität Lübeck keine Grenze, die Prof. Dr. Stöcker nicht überschreiten darf.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2018/04/poebeln-fuer-den-flughafen/feed/ 1
Das tägliche Klein-Klein https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/das-tagliche-klein-klein/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/das-tagliche-klein-klein/#comments Mon, 13 May 2013 11:00:16 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=137409
Die Parteien buhlen wieder um Bürgerschaftssitze.

[media-credit id=14 align="aligncenter" width="645"] Die Parteien buhlen wieder um Bürgerschaftssitze.

„Wir leben in einer Demokratie! Da dürfen wir nicht in eine Zuschauermentalität verfallen. Man ist aufgefordert zum Mitmachen. Das Mitmachen beinhaltet für die Bürger, sich zu informieren über die Wahlprogramme der Parteien“, drängt Anette Röttger, bildungspolitische Sprecherin und Kreisvorsitzende der CDU in Lübeck, auf mehr Beteiligung am politischen Leben. Vor allem in Zeiten von Wahlen werden wir Bürger oft daran erinnert, wie wichtig es ist, dass wir unser Wahlrecht ausnutzen und demokratische Parteien wählen. So also auch jetzt. Am 26. Mai ist wieder Kommunalwahl. In Lübeck sind 175.000 Bürger dazu aufgerufen, ihre Vertreter in die Bürgerschaft zu wählen.

Die Bürgerschaft, das unbekannte Wesen

Die Bürgerschaft ist die Vertretung der Lübeckerinnen und Lübecker im Rathaus. Sie entscheidet über alle kommunalpolitischen Themen, wie zum Beispiel den Lübecker Haushalt, städtische Bauvorhaben und Kindergärten. „Man besucht um die acht Sitzungen im Jahr, diese müssen natürlich vor- und nachbereitet werden“, berichtet Oliver Dedow von den Piraten. Die Bürgerschaft besteht normalerweise aus 49 Mitgliedern. Aufgrund von Überhangmandaten und durch den Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde waren es in der vergangenen Legislaturperiode 60 Mitglieder. Insgesamt zehn verschiedene Parteien, Wählerbündnisse und zusätzlich parteilose Mitglieder sind gewählt. „Hier kann man die Interessen der Bürgerinnen und Bürger hautnah vertreten. Man ist mit den Bürgerinnen und Bürgern hautnah in Kontakt“, freut sich Antje Jansen von der Partei LINKE. Die Bürgerschaft macht die Politik für das tägliche Geschehen in Lübeck.

Kommunalpolitische Ämter sind Ehrenämter. Insgesamt 15 bis 20 Stunden verbringe ein Kommunalpolitiker mit seinem Ehrenamt, meint Antje Jansen. Auch CDU-Frau Anette Röttger berichtet: „Die Kommunalpolitik fordert mich täglich ein.“ Die Mitglieder der Bürgerschaft bekommen zwar Aufwandsentschädigungen für ihre Tätigkeit, aber es gibt auf der kommunalpolitischen Ebene keine Berufspolitiker. „Da gehört ja auch einiges dazu, nicht nur die Teilnahme an Sitzungen. Da ist auch viel drum herum. Man geht mal zu Bürgerverbänden, setzt sich in andere Ausschüsse oder recherchiert“, berichtet Oliver Dedow. Insgesamt trifft sich die Bürgerschaft etwa einmal im Monat zu ihrer Sitzung, dort wird dann über Beschlüsse, die vorher in den diversen Ausschüssen gefasst wurden, beraten und abgestimmt.

In diesen 18 Ausschüssen beraten „Fachleute“ über den jeweiligen Fachbereich. Einige Themenbereiche sind Finanzen, Schule und der Kurbetrieb in Travemünde. Für die Vorbereitung der Bürgerschaftssitzungen gibt es zusätzlich den Hauptausschuss, der koordiniert, welche Themen in der nächsten Sitzung besprochen werden. Fasst einer der Ausschüsse einen Beschluss, wird dieser in der Bürgerschaft vorgestellt und dort wird endgültig darüber abgestimmt. Allerdings kann es vorkommen, dass die Mehrheit in der Bürgerschaft den Ausschüssen nicht zustimmt. „Die Ausschüsse müssten viel mehr Entscheidungskompetenz haben, in der Bürgerschaft sollten diese Beschlüsse nur noch durchgewunken werden. Es kann nicht sein, dass Fraktionen anders abstimmen als ihre Vertreter es vorher im Ausschuss getan haben“, beschwert sich Pirat Oliver Dedow über die aktuelle Situation in der Bürgerschaft. „Die Ausschusssitzungen sind wirklich uninteressant. Das muss man einfach so sagen“, beklagt sich Timon Kolterjahn von der FDP, der sich sicherlich auch mehr Kompetenzen in den Ausschüssen wünschen würde. Kommunalpolitik kann somit auch frustrierend sein.

Einstieg in die Politik

Warum sind trotzdem einige Lübeckerinnen und Lübecker motiviert, sich in die Bürgerschaft wählen zu lassen? SPD-Mann Jan Lindenau kann da eine sehr konkrete Motivation angeben: „Mein damaliger Grund war der Anschlag auf die Lübecker Synagoge. Ich hatte das Gefühl, dass man sich mehr einbringen muss, um die Demokratie, die Freiheit und auch das Gemeinwohl weiter zu stärken, damit es keinen Nährboden gibt für rechtsradikale Tendenzen.“ Er engagierte sich zuerst überparteilich und später parteigebunden. Heute, 16 Jahre später, ist Lindenau Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses und auch Vorsitzender des Finanzausschusses. Im Jahre 2011 ist Lindenau als Nachrücker in die Bürgerschaft eingezogen.

Der ’86 geborene Politikwissenschaftsstudent Timon Kolterjahn von der FDP fühlt sich zu Höherem berufen. „Kommunalpolitik ist der Einstieg in die Politik“, erklärt Kolterjahn. Außerdem glaubt er, auf der kommunalen Ebene eher etwas verändern zu können. Ähnlich sieht das auch die 63 Jahre alte Erzieherin Antje Jansen, die bis 2012 für die LINKE im Schleswig-Holsteinischen Landtag und gleichzeitig Bürgerschaftsabgeordnete in Lübeck war. „Ich finde Kommunalpolitik bringt mehr Spaß, weil man da näher am Bürger ist“, resümiert sie ihre Zeit in der Landespolitik. „Da kann man über Themen entscheiden, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen. Es bringt Spaß, da man Erfolge hat“, freut sie sich.

Etwas politisch umzusetzen war auch der Gedanke, als Anette Röttger sich 2008 entschied, zum ersten Mal für die Bürgerschaft zu kandidieren. Die Mutter von drei Kindern engagierte sich bereits über Jahre hinweg im vorpolitischen Umfeld. Als aktives Mitglied im „Landfrauen“-Verein stieß sie immer wieder auf Themen, die sie ändern wollte. „Vor wenigen Jahren wurde ich dann aufgefordert, genau dies zu tun, unsere Wünsche politisch umzusetzen und mich für die Bürgerschaft aufstellen zu lassen.“ Seitdem sitzt sie in der Bürgerschaft und freut sich, dass sie sich im Bereich Bildungs- und Schulpolitik verwirklichen kann. „Mit drei schulpflichtigen Kindern bin ich gerade in diesem Thema sehr fit“, begründet die bildungspolitische Sprecherin der CDU Lübeck ihre Schwerpunktwahl. Gerade im Bildungsbereich sind Landes- und Kommunalpolitik sehr verzahnt. Die Stadt ist Schulträger und daher zuständig für die Schulgebäude sowie Hausmeister und Schulsekretärinnen, während die inhaltlichen Fragen im Landtag besprochen und geklärt werden. An dieser Stelle, aber auch bei anderen Themen, wird Kommunalpolitik häufig mit Landespolitik verwechselt. „Da ist es unsere Aufgabe, den Unterschied darzustellen, aber die Anliegen der Bürger auch in die Landes- und Bundesebene zu tragen“, verspricht Silke Mählenhoff.

Mählenhoff kandidiert in diesem Jahr zum ersten Mal für die Bürgerschaft in Lübeck. Obwohl sie seit dreizehn Jahren in Lübeck wohnt, war sie bisher im Grünen-Kreisverband Ostholstein engagiert, da sie auch dort in einem Jobcenter arbeitet. Ein kommunalpolitisches Amt konnte sie dort allerdings nicht bekleiden, da man das nur an seinem Wohnort kann. So kam die Hobby-Politikerin zu den Lübecker Grünen. „Da sich die Lübecker Grünen momentan personell umstrukturieren, passte es insofern ganz gut, dass ich mich jetzt hier engagiere“, freut sich die Umweltfreundin. Mählenhoff ist schon seit gut 25 Jahren für die Umwelt und den Umweltschutz aktiv. Ihr Engagement möchte sie auch in der Lübecker Bürgerschaft weiterführen. „Zu meinen Themen wird der Ausbau des Radwegnetzes in Lübeck gehören, dazu kommen Themen wie die Kläranlage und die Deponie in Ihlendorf. Da müssen wir für den Umweltschutz eintreten.“ Doch nicht nur auf kommunale Themen werden Kommunalpolitiker des Öfteren angesprochen, häufig ist der Unterschied zur Landespolitik den Bürgerinnen und Bürgern nicht direkt geläufig. „Das passiert häufig wenn man in der Breiten Straße steht“, empfindet Anette Röttger (CDU). Neben dem Thema Bildung ist die Steuergesetzgebung einer der Schwerpunkte, bei denen Kommunalpolitiker wenig Macht haben. Der Haushalt sei, so Oliver Dedow (Piraten), zu 90 Prozent vorgegeben, mit den restlichen zehn Prozent könne man arbeiten.

Die Themen, die eigentlich nicht in die Kommunalpolitik gehören, werden trotzdem auch in der Bürgerschaft diskutiert. „Da wird über viele Sachen gesprochen, die in Lübeck gar nicht umsetzbar sind. Vieles ist für eine Bürgerschaft auch eigentlich gar nicht relevant. Da müsste man viel mehr differenzieren“, behauptet Timon Kolterjahn und erinnert sich an eine Resolution der Lübecker Bürgerschaft gegen die Todesstrafe vor zwei Jahren. Wie Resolutionen funktionieren erklärt Antje Jansen (LINKE): „Mit einer Resolution beauftragen wir dann den Bürgermeister, sich im Landtag oder im Bundestag für die und die Fragen einzusetzen. Der Bürgermeister schickt das an den Bundestag, dann wird gesagt, dass sie es bekommen haben, aber nichts daran ändern. Die entscheidenden Fragen werden auf der Bundes- und Landesebene behandelt.“ Timon Kolterjahn resigniert: „Das kann in Lübeck ausgesprochen werden, landet dann aber im Ministerium in Kiel in irgendeiner Schublade.“

Streiten und Entscheiden

Über die verbleibenden kommunalen Themen kann man sich trotzdem vorzüglich streiten. „Am meisten gestritten wurde über die Finanzen. Ob man jetzt dem Konsolidierungskurs zustimmt, wo man kürzt, wo man spart, wo es Mehreinnahmen geben kann“, berichtet Antje Jansen aus den letzten fünf Jahren in der Bürgerschaft. „Die weitere Rekordverschuldung der Stadt ist eine ganz fatale und traurige Entwicklung“, findet Anette Röttger (CDU). Darin sind sich die Bürgerschaftler parteiübergreifend einig. „Juristisch ist es nämlich so, dass Gesellschaften und Privatpersonen eine Insolvenz eingehen können, Lübeck kann das nicht. Das ist eine rechtliche Vorgabe, vielleicht kann man da auf Bundesebene etwas ändern“, erklärt Oliver Dedow von der Piratenpartei die Rechtslage. Dedow arbeitet eigentlich in einer Kanzlei als Rechtsanwalt und hat sich auf Straf- und Verkehrsrecht spezialisiert. „Wir wollen den Bürgerhaushalt, damit sich die Bürger einbringen können. Es ärgert mich ungemein, dass die Bevölkerung so viele Ideen hat, die zu Hause oder am Stammtisch formuliert werden, die aber nicht ins Rathaus gelangen, weil es dafür keine Plattform gibt.“ Vielleicht braucht es einen neuen Ansatz. Die Stadt hat aktuell 1,3 Milliarden Euro Schulden mit einer jährlichen Neuverschuldung von rund 80 Millionen Euro. Das Konzept eines Bürgerhaushalts beinhaltet, dass sich die Bürger aktiv an Finanzentscheidungen beteiligen können. Dieses Projekt wird in Schleswig-Holstein bereits in einigen Kommunen ausgetestet. Für Lübeck wurde allerdings noch kein funktionierendes Konzept entwickelt. Mit dieser Idee können sich auch die Parteien SPD, LINKE und Grüne anfreunden. „Finanzpolitische Entscheidungen […] werden wir im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern treffen“, verspricht Jan Lindenau (SPD). Er arbeitet hauptberuflich in einer Bank und verbringt so sehr viel Zeit mit Zahlen. „Der Haushalt wird immer ein Thema bleiben.“

Zersplitterung und Fluktuation

Entscheidungsfindung ist in der aktuellen Bürgerschaft schwierig. Das Bundesverfassungsgericht hat die Fünf-Prozent-Klausel für Kommunalwahlen abgeschafft. Deshalb kam es zu einer Splitterung der Lübecker Bürgerschaft. In der letzten Legislaturperiode waren zehn verschiedene Parteien vertreten. Jetzt kandidieren elf Listen. Eine Partei braucht bei 49 vorgesehenen Sitzen für einen Sitz in etwa zwei Prozentpunkte. CDU-Frau Röttger mahnt an: „Wir brauchen keine Splitterungen oder kurzfristigen Aktionismus. Wir brauchen den weiten Blick und im Grunde genommen die längerfristigen Perspektiven.“ Die Zersplitterung frustriert auch Jan Lindenau: „Es können keine verlässlichen Mehrheiten gebildet werden, die für verantwortungsvolle Politik zwingend erforderlich sind. Ständig gibt es wechselnde Positionen bei den kleineren Wählergemeinschaften. Setzt sich ein Mitglied einer Wählervereinigung mit seiner Ansicht nicht durch, gründen sich neue Fraktionen und Wählervereinigungen.“ Ganz anders sieht dies naturgemäß Pirat Dedow. „Als kleine Fraktion, oder auch als Parteiloser habe ich die Möglichkeit, auf […] Missstände aufmerksam zu machen, und kann Ideen einbringen.“ Dedow entschloss sich vor einigen Jahren, einen neuen Bürgerverband mit einigen Mitstreitern zu gründen, die „Bürger für Lübeck“ (BfL). Für diese Fraktion ist er 2009, nachdem eins der gewählten Fraktionsmitglieder aus Lübeck wegzog, in die Bürgerschaft eingezogen. Mittlerweile hat Dedow die BfL verlassen und ist bisher als Parteiloser in der Bürgerschaft. „Ich bin da momentan noch als Einzelkämpfer unterwegs, hoffe aber, dass wir nach der Wahl eine richtige Fraktion werden.“ Die Mitglieder einer Partei, die in die Bürgerschaft gewählt wurden, werden zur Fraktion, sobald sie mit mehr als drei Personen gewählt wurden.

Hier finden die Bürgerschaftssitzungen statt.

[media-credit id=16 align="aligncenter" width="645"] Hier finden die Bürgerschaftssitzungen statt.

Zusätzlich zur Splitterung der Parteienlandschaft ist auch die große Fluktuation an Abgeordneten ein Problem, in den letzten fünf Jahren wurden mehr als ein Drittel der Mitglieder ausgetauscht. Scheidet eine Person aus der Bürgerschaft aus, rückt der nächste auf der Liste nach, so auch Jan Lindenau und Oliver Dedow. Die Fraktionen bekommen dann von der Stadt einen gewissen Etat und Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Insgesamt bekommen die Fraktionen zusammengerechnet 770.000 Euro von der Stadt. Dieses Geld wird zwischen den Fraktionen anhand der Mehrheitsverteilungen in der Bürgerschaft aufgeteilt. Die Fraktionen bezahlen von diesem Geld beispielsweise ihre Fraktionsgeschäftsführer. Dedow ist der Meinung, dass das zu viel Geld sei und möchte auf Missstände hinweisen: „Die Fraktion der Piratenpartei im Landtag hat das Geld, das übrigblieb von dem erhaltenen Fraktionsgeld, an das Land zurückgegeben. Das kommt bei anderen Parteien nicht so häufig vor. Da wird lieber noch eine Ausfahrt geplant.“

Doch was geht das ganze Diskutieren, Streiten und Beschließen nun Studenten an? Die meisten Studenten wohnen in Lübeck und sind hier wahlberechtigt. Aber ist Kommunalpolitik wirklich so wichtig für uns? Was wird da entschieden, das uns tatsächlich angeht? „Wo finde ich eine günstige Wohnung? Ist wohl eine der wichtigsten Fragen, die Sie sich stellen müssen, oder?“, beantwortet Silke Mählenhoff von den Grünen diese Frage. In den letzten Jahren hat die Stadt größtenteils Eigentumswohnungen bauen lassen. In den nächsten fünf Jahren werden sich die Fraktionen dafür einsetzen, dass auch der soziale Wohnungsbau weitergeführt wird. Auch die Linken-Politikerin Jansen sieht dies genauso. Sie wirbt dafür, dass sich auch Studenten in der Kommunalpolitik einsetzen sollten. „In den einzelnen Parteien der Bürgerschaft gibt es zu wenig junge Leute, die vielleicht auch das ganze Geschehen in der Bürgerschaft umkrempeln könnten. Im Durchschnitt sitzen dort ja immer noch die Älteren.“ Jansen hält es auch für wichtig für Lübeck, dass es viele Studenten gibt. Sie ist noch immer beeindruckt von der „Lübeck kämpft“-Aktion im Sommer 2010. Auch die Frage nach Arbeitsplätzen ist für Studenten interessant. Einmal während des Studiums, aber auch danach. „Wir als CDU sind in dieser Hinsicht auch sehr bestrebt, dass wir hier in Lübeck auch bezahlte Arbeitsplätze schaffen“, erklärt Anette Röttger die Pläne ihrer Partei für die nächsten fünf Jahre. Die Bürgerschaft möchte Lübeck als Wissenschaftsstandort weiterhin stärken. Auch „Lübeck kämpft“ ist immer noch ein Thema für die Kommunalpolitiker. Die Kreativität und der Ideenreichtum der Studenten haben die Bürgerschaft beeindruckt. „Ich hätte gerne mehr von der Uni hier in der Stadt und vielleicht auch mehr von der Stadt in der Uni“, wirbt Grünenpolitikerin Mählenhoff für die Vernetzung von Uni und Stadt. Auch die Lübecker Schulen sollen mehr mit der Universität vernetzt sein.

Weitere Themen, die für Studenten relevant sind, sind wohl der Busverkehr, der ausgeweitet werden soll. Vielleicht wird es weitere Bahnstationen zusätzlich zu dem Bahnhof in St. Jürgen geben. Für Studenten mit Kind ist es wichtig, dass die Bürgerschaft sich für eine bessere und flexiblere Kinderbetreuung einsetzen will.

Mehr Transparenz für Lübeck

Weiterhin wird es in Lübeck um Transparenz in der Politik gehen. Die Piraten fordern bekanntermaßen schon lange eine öffentlichere Politik. Das Konzept wird auch „gläsernes Rathaus“ genannt. „Es wäre vielleicht einfacher für den Bürger, die Kommunalpolitik zu verstehen, wenn er den Politikern auch mal über die Schulter schauen könnte”, motiviert Pirat Dedow. Ein Schritt in diese Richtung ist das neue Bürger- und Ratsinformationssystem „Allris“. Das ist ein Internetportal, auf dem Informationen wie Verwaltungsvorlagen und politische Beschlüsse zur Verfügung gestellt werden. „Das sollte noch viel mehr ausgeweitet werden“, findet FDP-Kandidat Timon Kolterjahn. Einige der Parteien möchten sich dafür einsetzen, dass die Bürgerschaftssitzungen per Livestream im Internet übertragen werden. Durch Bookmarks können dann die Diskussionen über bestimmte Themengebiete findbar gemacht werden. „Von Bürgerbeteiligung halte ich sehr viel“, bestätigt auch Silke Mählenhoff (Grüne), „das finde ich sehr kostbar.“ Im Zeitalter des Internets werde man da eine Lösung finden können.

Dies ist auch nötig, denn der Mehrheit der Kommunalpolitiker fällt es gerade zu Wahlkampfzeiten auf, dass die Bürger nicht ausreichend informiert sind über das, was im Rathaus vorgeht. „Es kommt ja immer viel Protest, wenn es um Kürzungsgeschichten geht, wie Privatisierung oder sowas, dann gibt es immer einen großen Protest vor dem Rathaus“ sagt Antje Jansen (LINKE). „Ich höre leider in der Bevölkerung eine Verbitterung gegenüber der Politik. Ich mag mich manchmal schon gar nicht outen als Politiker, es käme häufig besser an, wenn ich Sportler wäre. Ich bitte aber alle anderen, dort mitzumachen und ihre Ideen einzubringen“, ruft Oliver Dedow von der Piratenpartei auf.

Die Frage ist nun, wer zieht eigentlich die Fäden in der Kommunalpolitik und wie viel Macht haben die gewählten Vertreter? „Der Souverän ist das Volk. Wir Politiker geben den Auftrag an die Verwaltung, etwas auszuarbeiten oder umzusetzen“, glaubt Silke Mählenhoff. Doch die Kandidaten, die bereits Mitglieder in der Bürgerschaft waren, sehen dies etwas anders. „Bürgerschaftsbeschlüsse werden durch die Verwaltung, möglicherweise aufgrund von Bearbeitungsvorgängen, anders mit Priorität versehen, als die Bürgerschaft sich dies wünscht.“, berichtet Jan Lindenau aus seinen Erfahrungen. Anette Röttger von der CDU sieht dies nicht ganz so eng: „Die Hauptverwaltung ist die hauptamtlich arbeitende Ebene, während die kommunalpolitische Ebene immer ehrenamtlich bleiben wird. Es ist nicht vorgesehen, dass die Kommunalpolitiker die Verwaltungsvorlagen erstellen sollen. Das würde auch nicht funktionieren.“ Auch Timon Kolterjahn von der FDP sieht die Situation kritisch: „Eigentlich müssen die gewählten Vertreter das alles beeinflussen. Mittlerweile ist der Spielraum sehr stark eingeschränkt.“ Er beschwert sich weiterhin, dass es nicht sein könne, dass die Verwaltung selbstständig entscheide und daraufhin die Politik gezwungen sei, einen Nachtragshaushalt einzureichen. „Das sind Sachen, die müssen schleunigst unterbunden werden.“ „Es gibt schon mal ein Kräftemessen zwischen Verwaltung und Politik“, sagt Jan Lindenau (SPD). „Wenn wir beispielsweise in die Finanzen mal hineinschauen wollen, wird das immer gleich boykottiert“, so Antje Jansen, die parteiübergreifend dazu aufruft, die Initiative zu ergreifen: „Der Bürgermeister steht der Verwaltung vor und der muss geknackt werden!“

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/das-tagliche-klein-klein/feed/ 1
Interview mit Silke Mählenhoff (Grüne) https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-silke-mahlenhoff-grune/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-silke-mahlenhoff-grune/#respond Sat, 11 May 2013 22:00:53 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=139633 Silke Mählenhoff
Silke Mählenhoff

StudentenPACK: Hallo Frau Mählenhoff, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Wie lange sind Sie denn schon in der Politik?

Silke Mählenhoff: Ich bin seit 13 Jahren, seitdem ich in Lübeck wohne, politisch aktiv. Ich arbeite im Kreis Ostholstein und bin dort noch Kreissprecherin für den Kreisverband der Grünen in Ostholstein. Da habe ich auch angefangen, aktiv Politik bei den Grünen zu machen.

PACK: Waren sie bereits in der Lübecker Bürgerschaft Mitglied?

Mählenhoff: Nein, bisher war ich im Kreisverband Ostholstein organisiert. Aber weil ich in Lübeck wohne, kann ich im Kreis Ostholstein kein politisches Amt bekleiden. Das geht nur am eigenen Wohnort. Weil ich dort schon recht lange aktiv bin, habe ich mich entschlossen, jetzt auch etwas anderes zu machen. Das traf sich sehr gut mit den Lübecker Grünen, die mich fragten, ob ich für die Bürgerschaft kandidieren möchte. Das habe ich mit den Grünen in Ostholstein, zu denen ich ein sehr persönliches Verhältnis entwickelt habe, abgesprochen. Nach der Wahl werde ich in den Kreisverband Lübeck wechseln. Es war nicht mein Ziel, den ersten Listenplatz zu bekommen. Ich wollte einen sicheren Listenplatz haben, denn wenn ich schon mein Engagement in Ostholstein aufgebe, möchte ich mich hier in Lübeck auf jeden Fall weiter einbringen können. Ich möchte hier aktiv etwas machen. Der erste Listenplatz hat sich dann einfach so ergeben.

PACK: Was machen sie beruflich?

Mählenhoff: Ich bin Angestellte im Kreis Ostholstein und arbeite dort in der Arbeitsvermittlung. Studiert habe ich Landschaftsgestaltung, komme also aus dem grünen Bereich, und habe schon an mehreren Orten in Deutschland gearbeitet.

PACK: Ist Kommunalpolitik also ihr Hobby? Haben Sie noch Zeit für andere Aktivitäten?

Mählenhoff: Ja, ich habe noch andere Hobbys. Beispielsweise bin ich seit ungefähr zehn Jahren im „Weltladen“ ehrenamtlich im Verkauf und auch im Vorstand aktiv. Dazu kommt, dass ich zu Hause einen Garten habe. Da ich aus dem gärtnerischen Bereich komme, macht es mir sehr viel Spaß. Ich empfinde es als sehr entspannend, zwischendurch mal in der Erde herumzuwühlen.

PACK: Was war ihre Motivation, in die Politik zu gehen?

Mählenhoff: Mein Engagement begann in der Bürgerinitiativbewegung und der Umweltbewegung, daran habe ich schon während meines Studiums im Umweltschutzzentrum in Hannover mit gearbeitet. Damals gründeten sich gerade die Grünen. Daraus können Sie erkennen: Das ist so 25 bis 30 Jahre her. Das habe ich alles mitgenommen: die Umweltschutzbewegung, die Anti-Atombewegung, dann die Gründung der Grünen, bei denen ich damals nicht Mitglied wurde, da ich zu der Zeit den Wohnort häufig gewechselt habe. Dazu kam auch die Bewegung „Fairer Handel – Eine Welt“, das ist meine Welt, das ist mein Hintergrund. Ich habe dann, ein bisschen als Spätzünder, hier, als ich nach Ostholstein kam, aktiv begonnen, mich in die Politik einzubringen. Zuerst auf der Parteibasis der Grünen, als Kreisschatzmeisterin und danach als Sprecherin des Kreisverbandes. Jetzt kommt dann der Wechsel nach Lübeck und in die Bürgerschaft, weil ich denke, dass ich da mitreden und auch etwas bewegen kann. Das werden keine umwerfenden und großen Dinge sein, aber es muss auch Leute geben, die sich engagieren. Nur dann haben wir ein lebendiges Gemeinwesen. Wenn es Leute gibt, die da tätig werden und sagen „Meine Zeit ist mir nicht zu schade!“

PACK: Was sind Ihre Themen, wofür wollen Sie sich auf kommunaler Ebene einsetzen?

Mählenhoff: Das erklärt sich schon so ein bisschen aus meiner Geschichte. Ich werde mich für die Umwelt einsetzen und den Radverkehr. Ich habe bereits seit einigen Jahren kein Auto mehr und fahre dementsprechend mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Insofern möchte ich mich hier für Verbesserungen einsetzen. Dazu kommt auch noch der Bereich Denkmalpflege. Das ist ein sehr wichtiges Thema für Lübeck. Natürlich befasse ich mich auch mit Umweltschutz. Von der Kläranlage über die Deponie Ihlenberg bis hin zur Grünflächenpflege hier in Lübeck. Ein weiterer Aspekt ist der faire Handel. Lübeck ist „fair trade“ Stadt, da hat sich die Stadt verpflichtet, für weitere Entwicklung zu sorgen, zum Beispiel in der Beschaffung solcher Produkte. Für Sie interessant ist sicherlich das Thema Bildung.

PACK: Welche Themen werden in den nächsten fünf Jahren in der Bürgerschaft diskutiert? Was sind potentielle Streitthemen?

Mählenhoff: Ein großes Thema wird immer wieder der Haushalt sein. Lübeck ist chronisch pleite. Wir werden uns stets fragen müssen, was Vorrang hat. Soll man lieber Straßen ausbauen oder Gewerbegebiete, der Hafenausbau ist auch ein Thema. Die Lübecker Schulen müssen saniert werden. Ich bin sehr dafür, dass Schüler einen vernünftigen Arbeitsplatz haben. Die Schule ist der Arbeitsplatz der Schüler, kein Arbeitnehmer würde dauerhaft an einem Arbeitsplatz arbeiten, wo die Toiletten nicht funktionieren. Insgesamt wird die Frage sein: Wo geben wir das Geld aus, wo sind Projekte geplant, wie beispielsweise in Travemünde die Waterfront.

PACK: Wie stehen die Grünen zur Waterfront?

Mählenhoff: Sehr skeptisch. Es kann nicht sein, dass erst mal eine Grünfläche geopfert wird. Ich halte es für Travemünde, speziell den Priwall nicht zielführend. Der Priwall hat andere Qualitäten.

PACK: Haben Sie das Gefühl, dass die Lübecker Bürger wissen, was im Rathaus passiert?

Mählenhoff: Ich glaube nicht. Vielleicht ist das aber auch manchmal besser, dass das nicht so ist. Ich war zufällig in der Bürgerschaftssitzung anwesend, in der auch die Bürger von Reecke anwesend waren, als dort die Brücke gesperrt wurde. Die Kommentare der Bürger, die oben auf der Tribüne saßen und sahen, was unten in der Bürgerschaft passierte, waren sehr ernüchternd. Ich finde es wichtig, dass die Bürgerschaft für sich ein anderes Selbstverständnis und einen anderen Umgang miteinander findet.

PACK: Finden Sie, dass die Kommunalpolitik transparenter werden sollte? Sollten mehr Informationen aus dem Rathaus an den Bürger herausgegeben werden, oder sollte sich der Bürger mehr selbst informieren?

Mählenhoff: Wir brauchen ganz viel Transparenz, gerade in der Kommunalpolitik, denn die wird immer komplizierter. Wenn die Bürger da noch mitreden können, wollen und sollen, dann müssen sie gut informiert werden. Das ist eine Bringschuld der Kommune und der Politiker. Sie werden dahinein gewählt und müssen dann auch deutlich machen, was sie dort tun und warum sie das tun oder eben auch mal nicht.

PACK: Wenn Sie auf der Straße mit Bürgern ins Gespräch kommen, werden Sie häufig auf Themen angesprochen, die in die Landes- oder Bundespolitik fallen?

Mählenhoff: Das kommt vor. Gerade an Wahlkampfständen sprechen einen viele Leute auf nicht kommunale Themen an. Der eine Punkt für uns ist dann, deutlich zu machen, wo dieses Thema gerade hingehört, ob das Landes- oder Bundespolitik ist. Zweitens ist es wichtig, zu sagen, dass wir uns trotzdem darum kümmern werden und dass die Grünen in Lübeck auch zu Bundes- und Landesthemen eine Meinung haben. Manchmal ist es auch sinnvoll, Kontakte zu vermitteln, damit das Anliegen weitergegeben wird und der Bürger nicht auf der Strecke bleibt.

PACK: Welche kommunalen Themen sind für Studenten relevant?

Mählenhoff: Wo finde ich eine günstige Wohnung, oder?

PACK: Joa.

Mählenhoff: Hier in Lübeck haben wir einen chronischen Mangel an kleinen Wohnungen, oder größere Wohnungen, die vielleicht WG-geeignet wären, sind zu teuer. Ein weiteres Thema ist Mobilität. Wie komme ich zur Uni? Wie fahren die Busse? Wie sind die Radwege? All das sind Themen, die für Studenten relevant sind und sein werden. Oder liege ich da falsch?

PACK: Nee, ich denke nicht. Was sind Ihre Ziele und die Ziele der Grünen für die nächste Legislaturperiode?

Mählenhoff: Unser erstes Ziel ist ein gutes Wahlergebnis zu bekommen, damit wir die grünen Ziele auch möglichst stark vertreten können. Die weiteren Ziele sind vor allem im Verkehrsbereich, der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. Wir möchten die S-Bahn hier einführen, oder zumindest mehr Bahnhalte einrichten. Wir möchten die Radwege verbessern. Es gibt da ein umfangreiches Radwegekonzept für Lübeck, das auf keinen Fall in irgendeiner Schublade verschwinden sollte. Da sind viele gute Ideen drin, die kann man, denke ich, nach und nach umsetzen.

Ein ganz großer Schwerpunkt ist weiterhin die Bildung und die Schulsanierung. Da brauchen wir sowohl ein langfristiges Konzept als auch Sofortmaßnahmen, um die Schule als Arbeitsplatz für die Schüler vernünftig auszustatten. Das wird uns beschäftigen. Weiterhin wird es immer wieder Umweltthemen geben. Die Deponie Ihlenberg: Da müssen die Lübecker mitreden, wir müssen wissen, was dort passiert. Die Deponie ist kurz vor der Stadtgrenze, der Grundwasserstrom geht in Richtung Trave. Bei diesen alten Deponien, egal ob Ost oder West, da weiß man nie was da drin passiert und was dort abgeladen wurde. Das ist ein Thema für die nächsten Jahrzehnte. Wir müssen jetzt anfangen, damit die Überwachungsmaßnahmen stimmen und Lübeck muss da eine Mitsprache haben.

Weiterhin würde ich persönlich gerne für den Stadtteil St. Lorenz-Nord, in dem ich auch wohne, mehr erreichen. Dieser Stadtteil fristet ein wenig ein Aschenputtel-Dasein, finde ich. Man fährt dadurch zur Autobahn und der Bahnhof ist dort. Mehr weiß man da aber nicht. Ich würde gerne den Brolingplatz als Marktplatz wieder beleben. Da gibt es eine Bürgerinitiative, die versuchen da schon seit Jahren etwas zu machen.

PACK: In der letzten Legislaturperiode waren viele verschiedene Fraktionen und auch parteilose Mitglieder in der Bürgerschaft vertreten. Halten Sie diese Entwicklung für kontraproduktiv der Entscheidungsfindung gegenüber, oder finde Sie, dass das eine gute Entwicklung ist?

Mählenhoff: Wir brauchen eine Vielfalt an Meinungen, damit nicht nur der Mainstream durchkommt. Allerdings habe ich so meine Zweifel, ob viele kleine Gruppen das, was in einer Stadt von der Größe wie Lübeck gefordert ist, wirklich leisten können.

PACK: Wie viel Zeit verbringen Sie mit der Politik? Wie viel Zeit glauben Sie wird die Bürgerschaft in Anspruch nehmen?

Mählenhoff: Im Augenblick verbringe ich jeden Tag mit Politik. Es gibt keinen Tag, an dem nicht eine Veranstaltung ist, sowohl extern, als auch intern. Ich hoffe, dass das nach der Wahl ein bisschen besser wird. Je nachdem wie groß unsere Fraktion nach der Wahl ist, werden wir die Arbeit für die einzelnen Ausschüsse aufteilen. Ich denke, mit einem guten Zeitmanagement wird das zu schaffen sein.

PACK: Es stellt sich bei Kommunalpolitik immer die Frage: Wer zieht die Fäden? Ist das die Verwaltung, die im Hintergrund die Fäden ziehen, oder sind das tatsächlich die gewählten Vertreter? Wie haben Sie das bis jetzt mitbekommen?

Mählenhoff: Der Souverän ist das Volk. Wir Politiker geben den Auftrag an die Verwaltung, etwas auszuarbeiten oder umzusetzen.

PACK: Sie sind aber noch Vollzeit berufstätig neben der Kommunalpolitik?

Mählenhoff: Ja, klar! Das Bürgerschaftsmandat ist ehrenamtlich, da bekomme ich lediglich eine Aufwandsentschädigung.

PACK: Wie schätzen Sie die Chancen der Grünen ein?

Mählenhoff: Wir erwarten um 15 Prozent. Wir stehen auch ganz gut da, der Wahlkampf fängt jetzt an, wir haben da einige Veranstaltungen, bei denen wir unsere Positionen darstellen können. Ich war auf dem Maifest, da hatten wir einen Stand und die Resonanz war sehr gut. Ich denke da können wir zuversichtlich sein.

PACK: Wie stehen Sie zur Bürgerbeteiligung? Und vom Bürgerhaushalt?

Mählenhoff: Von Bürgerbeteiligung halte ich sehr viel. Wir haben das in der Vergangenheit bereits durchexerziert. Beispielsweise als es um den Grünstrand in Travemünde ging. Da haben die Bürger ihr Votum abgeben können, ob der Grünstrand bebaut werden soll, oder nicht. Diese Entscheidung wird nun auch in die Bürgerschaft weiter getragen. Auch bei Projekten wie „Soziale Stadt“ in Buntekuh und Moisling werden die Bürger stark mit einbezogen. Ebenso bei dem neuen Projekt „Lübeck, die lernende Stadt“. Da war ich bei der Vorstellung des Zwischenberichtes. Was da alles an Bürgerbeteiligung und an Ideen kam! Das finde ich sehr kostbar, das sollten wir ausbauen. Ich kann mir auch sehr gut einen Bürgerhaushalt vorstellen. Aus anderen Kommunen habe ich da Gutes gehört. Ich denke, wir sollten das in Lübeck versuchen. Aber im Zeitalter des Internets wird man da eine Lösung finden können. Wir haben 200.000 Bürger, die haben alle Ideen, die sollte man auch nutzen.

PACK: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch!

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-silke-mahlenhoff-grune/feed/ 0
Interview mit Jan Lindenau (SPD) https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-jan-lindenau-spd/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-jan-lindenau-spd/#respond Sat, 11 May 2013 22:00:33 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=139621 Lindenau
Jan Lindenau

StudentenPACK: Herr Lindenau, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Sie sind jetzt seit 2011 in der Bürgerschaft. Sie sind damals als Nachrücker in die Bürgerschaft eingetreten. Hat es Ihnen so gut gefallen, dass Sie nun nochmal angetreten sind?

Jan Lindenau: Ich bin damals schon bei der Wahl angetreten, habe aber den Wahlkreis nicht direkt gewonnen. Die vergangenen Jahre war ich bereits Vorsitzender des Jugendhilfeausschusses und seit 2010 Vorsitzender des Finanzausschusses, sodass ich automatisch immer am Thema Kommunalpolitik dran war. Das Ausscheiden einiger Personen aus der Fraktion aus privaten Gründen hat es dann erforderlich gemacht, dass ich in die Bürgerschaft nachrücke. Ja, Kommunalpolitik mitzugestalten macht mir Spaß und deshalb kandidiere ich erneut.

PACK: Beruflich sind Sie bei einer Bank angestellt.

Lindenau: Ja, das ist so richtig.

PACK: Was waren für Sie die wichtigsten Themen der vergangenen fünf Jahre? Oder vielleicht auch der vergangenen zwei Jahre, in denen Sie nun auch dabei sind?

Lindenau: Dominierend in den vergangenen Jahren war immer wieder das Thema Finanzen, sprich der städtische Haushalt. Dies war insbesondere in den letzten anderthalb Jahren ein großes Thema. Vor dem Hintergrund, dass wir einen Konsolidierungsvertrag mit dem Land Schleswig-Holstein beschlossen haben. Darüber hinaus war der Ausbau der Kinderbetreuung immer ein wichtiges Thema, auch dabei ging es darum, den Gesetzesanspruch ab diesem Sommer zu erfüllen. Da haben wir viel organisieren und beschließen müssen, um die Anzahl der Betreuungsplätze mehr als zu verdoppeln. Es soll an dieser Stelle auch noch weitergehen, somit bleibt es ein wichtiges Thema.

Wir haben das große Thema Busverkehr und Mobilität gehabt und die Liniennetzoptimierung, die nicht in allen Fällen optimal gelaufen ist, sodass da auch viel Nacharbeit notwendig war. Auch hier bedarf es weiterer Verbesserungen.

Dann hatten wir noch die beiden großen Themen in Bezug auf die städtischen Gesellschaften. Einmal der Lübecker Hafen, bei welchem der private Partner eine Kaufpreisnachzahlung tätigen sollte, und parallel ging es darum, die Arbeitnehmerrechte abzusichern. Außerdem die aktuelle Diskussion um die Stadtwerke, dabei ging es darum, ob wir die privaten Anteile zurückkaufen und damit die Stadtwerke Re-Kommunalisieren oder nicht.

Darüber hinaus haben wir uns viel mit der Wohnsituation beschäftigt. Unter anderem eben auch mit studentischem Wohnen. Dies waren so im Wesentlichen die Schwerpunkte in den vergangenen Jahren, die wir aus unserer Sicht zu konkreten Lösungen geführt haben. Optimierungsbedarf gibt es sicher immer noch, aber wir haben mit vielen wichtigen Weichenstellungen begonnen, die wir nun weiter fortführen wollen.

PACK: Wieviel glauben Sie, wissen die Bürger über das Vorgehen im Rathaus? Glauben Sie, dass es ziemlich klar ist oder meinen Sie, dass viele gar nicht so genau Bescheid wissen, was im Rathaus passiert?

Lindenau: Also ich glaube, dass es schwer zu vermitteln ist, was im Rathaus passiert, dadurch, dass nun mal nicht alles, was im Rathaus entschieden wird, jeden Abend in der Tagesschau oder den Nachrichten kommt und die Informationsmöglichkeiten doch eher begrenzt sind. Dies ist sicherlich ein Problem. Das ist auch ein Punkt, warum wir gesagt haben: Wir wollen Entscheidungen in der Bürgerschaft deutlich transparenter gestalten, unter anderem mit der Einführung des Rathausinformationssystems im Internet. Ich glaube aber, da ist weiterhin viel zu tun, beispielsweise gab es das Interesse, Einwohnerversammlungen durchzuführen. Da muss weiter nachgelegt werden. Andererseits nehme ich auch häufig wahr, dass es nicht wirklich transparent ist, wie weitreichend einige kommunale Entscheidungen aus dem Rathaus sein können. Ich glaube, da sind alle aufgefordert, für mehr Transparenz zu sorgen.

PACK: Manchmal fragt man sich doch, welches Thema nun Kommunalpolitik, Landespolitik oder sogar Bundespolitik ist. Werden Sie häufig auf Themen angesprochen, bei denen Sie eigentlich gar nichts machen können?

Lindenau: Ja, das kommt schon häufiger vor. Das liegt daran, dass vieles, was auf kommunaler Ebene geregelt wird, eben auch auf Landesebene gesetzlich verankert ist. Gerade wenn man das Thema Bildung und Schule betrachtet, kommen da sehr viele Anfragen, die wir faktisch nur sehr begrenzt lösen können. In der Form, dass wir als Stadt nur die Infrastruktur, also die Gebäude und Ausstattung zur Verfügung stellen, dafür aber inhaltlich nur wenig machen können, da dies Landesthemen sind. Dies ist ein Themenfeld, bei dem viele Anfragen an uns herangetragen werden, wir aber wenig mitentscheiden können.

Das gleiche ist die Frage der Steuergesetzgebung. Die Kommune selber kann nur an zwei Ecken etwas tun. Das ist zum einen das Thema Gewerbesteuer und zum anderen das Thema Fremdenverkehrsabgabe. Alle anderen Steuerarten sind durch die Kommunen in keiner Weise zu beeinflussen und auch das ist ein riesiges Problem, weil wir unter diesen Gesichtspunkten von der Finanzmittelzuweisung des Landes und des Bundes in vielen Fragen abhängig sind und dann schauen müssen, wie wir damit klarkommen. Auch das sind Themen, die wir wenig oder fast gar nicht steuern können.

Hier kommen schon viele Fragen zu uns, die wir dann aber auch weiterreichen. Dafür haben wir unsere Land- und Bundestagsabgeordneten, um bei solchen Fragen natürlich trotzdem Antworten geben können.

PACK: Wieso sind Sie Kommunalpolitiker geworden? Einfach weil Sie sich dafür interessieren oder gab es einen konkreten Grund?

Lindenau: Ja, es gab einen konkreten Grund. Ich mach das nun ja schon seit 16 Jahren und mein damaliger Grund zu Schulzeiten war der Anschlag auf die Lübecker Synagoge. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass man sich mehr einbringen muss, um die Demokratie, die Freiheit und auch das Gemeinwohl weiter zu stärken, damit es keinen Nährboden gibt für rechtsradikale Tendenzen. Dies war damals der Anlass, warum ich mich erst überparteilich und später dann parteigebunden politisch engagiert habe.

PACK: Als letzte Frage würde ich gerne von Ihnen wissen, wer die Fäden in der Kommunalpolitik zieht? Sind Sie als Bürgerschaft oder die Verwaltung die treibende Kraft in der Kommunalpolitik?

Lindenau: Ich glaube, dies ist themenabhängig. Aber in der Tat: Das, was Sie damit beschreiben, sehe ich genauso. Es gibt durchaus Situationen, in denen man sagen muss, Bürgerschaftsbeschlüsse werden durch die Verwaltung, möglicherweise aufgrund von Bearbeitungsvorgängen, anders mit Priorität versehen, als die Bürgerschaft sich dies wünscht. Es geht aber auch umgekehrt: Wenn die Bürgerschaft ganz klare Konsequenzen für das Verwaltungshandeln beschließt, bleibt der Verwaltung dann manchmal kein Interpretationsspielraum mehr und es entsteht Handlungsdruck. Ich glaube, dass dieses Hin und Her nicht unbedingt zielführend ist. Aber es gibt schon mal ein Kräftemessen zwischen Verwaltung und Politik. Es ist, wie schon gesagt, nicht immer zielführend, aber manchmal durchaus erhellend, wenn es darum geht, die beste Lösung zu finden. Ich glaube schon, dass in dieser Frage ein Geben und Nehmen existiert.

PACK: Wie viel Zeit verbringen Sie mit Kommunalpolitik? Wie viele Tage die Woche?

Lindenau: Sieben Tage die Woche. Täglich vier bis fünf Stunden.

PACK: Haben sie noch andere Hobbies?

Lindenau: Nein, keine wirklich zeitaufwändigen.
PACK: Wie stehen Sie zu den vielen kleinen Wählergemeinschaften, die in der letzten Legislaturperiode in der Bürgerschaft vertreten waren? Eher kontraproduktiv oder hilfreich?

Lindenau: Eher kontraproduktiv. Es konnten keine verlässlichen Mehrheiten gebildet werden, die für verantwortungsvolle Politik zwingend erforderlich sind. Ständig gibt es wechselnde Positionen bei den kleineren Wählergemeinschaften. Setzt sich ein Mitglied einer Wählervereinigung mit seiner Ansicht nicht durch, gründen sich neue Fraktionen und Wählervereinigungen. Inhaltliche Arbeit ist da schwierig. Wir brauchen mehr Verlässlichkeit.

PACK: Was sind die relevanten Themen der nächsten fünf Jahre, speziell für Studenten?

Lindenau: Aus unserer Sicht sind dies bezahlbarer, guter Wohnraum für Studierende, eine Verbesserung der Mobilität mit Bus und Fahrrad, eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen nach dem Studium. Hierfür setzen wir uns ein.

PACK: Wie stehen Sie zum Bürgerhaushalt?

Lindenau: Finanzpolitische Entscheidungen der Vergangenheit wie der Zukunft werden wir im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern treffen. Wir wollen die Menschen stärker an den Entscheidungen mit weitreichenden Auswirkungen für die Stadt zum Beispiel durch regionale Einwohnerversammlungen beteiligen. Auch Haushaltsdiskussionen im Rahmen von Konsolidierungen wollen wir unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger diskutieren, wie zuletzt beim Bürger-Forum „Sparen für die Zukunft“ – http://foren.luebeck.de. Eine direkte Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger über den gesamten städtischen Haushalt halten wir für nicht zielführend.

PACK: Haben Sie vielen Dank für das Interview.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-jan-lindenau-spd/feed/ 0
Interview mit Timon Kolterjahn (FDP) https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-timon-kolterjahn-fdp/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-timon-kolterjahn-fdp/#respond Sat, 11 May 2013 22:00:20 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=139626 FDP-6490
Timon Kolterjahn

StudentenPACK: Hallo Timon, schön, dass das geklappt hat. Du bist ja noch nicht so alt und studierst noch. Welche Motivation steckt dahinter, dich für die Kommunalpolitik zu engagieren?

Timon Kolterjahn: Zum einen ist Kommunalpolitik der Einstieg in die Politik, zum anderen kann man in der Kommunalpolitik am schnellsten etwas verändern und bewegen. Über den Jugendverband der FDP kann man, gerade bei der Kommunalpolitik, einen Einblick gewinnen. Wie man sieht, stehe ich schon jetzt zur Wahl, obwohl ich erst vor ein paar Jahren beigetreten bin. Gerade bei der Bürgerschaft kann man auch mal direkter sagen: “Ich möchte den Finanzplan dahingehend ändern.” oder “Ich möchte folgende Projekte mit unterstützen.” Das ist dann auch der typische Einstieg.

PACK: Möchtest du auch irgendwann mal in die Landespolitik?

Timon: Am liebsten natürlich ja, allerdings ist es erstmal Utopie, dass ich soweit komme. Es gibt viele, die das gerne möchten und wie wenige schaffen es? Außerdem studiere ich zurzeit noch und bereite mich darauf vor, Lehrer zu werden.

PACK: Seit wann bist du in der FDP engagiert?

Timon: Mitglied bei der FDP bin ich seit 2007. Wirklich engagieren tue ich mich seit zwei Jahren, da ich es vorher zeitlich nicht geschafft habe.

PACK: Was gehört für dich zu den kommunalpolitischen Themen?

Timon: Ich studiere gleichzeitig Politikwissenschaften, dementsprechend kann man es dahingehend eingrenzen, dass man klärt, was Kommunalpolitik ist. Also was in der Kommunalpolitik möglich ist. Viele möchten große Sachen verändern, wenn sie in der Kommunalpolitik tätig werden. Sie lassen dann Beschlüsse zu, die die Kommunalpolitik nicht verändern können und nichts bewirken können. Wir hatten vor zwei Jahren einen Antrag gegen die Todesstrafe. Das kann in Lübeck ausgesprochen werden, landet dann aber im Ministerium in Kiel in irgendeiner Schublade. Ich denke es ist wichtig, die Situation in Lübeck vor Ort zu ändern. Das sind zum größten Teil die Rahmenbedingungen. Bildungspolitik kann in Lübeck nicht gestaltet werden. Das wird in Kiel gemacht und ist auch so in der Verfassung festgeschrieben. Wir selber können die Rahmenbedingungen stellen, dass man sagt, die Schulen, die Wege zur Schule und alles, was den Schüler tangiert, kann beeinflusst werden. Das ist in der Wirtschaftspolitik genau so. Man kann vor Ort keine Wirtschaftspolitik betreiben. Man kann allerdings Gespräche führen und versuchen, Firmen nach Lübeck zu bekommen. Allerdings sind auch dies wieder nur Rahmenbedingungen, die man schaffen kann. So ist es mit fast allen Bereichen. Man hat nur ein relativ kleines Budget und man muss gucken, dass man damit die Rahmenbedingungen herstellt, sodass das jeweilige Politikfeld vernünftig agieren kann. Das ist in der Sozialpolitik genau so. Man kann die Familien nicht dazu zwingen, zu einem zu kommen und Hilfen an zu nehmen. Heute Vormittag war ich in Moisling und man kann die Familien dort nur ansprechen und ihnen sagen: “Wir machen etwas Vernünftiges für euch.” Oder aber man kann dort eine Einrichtung hinstellen mit qualifiziertem Personal, die die Leute ansprechen, aber auch dies sind wieder nur Rahmenbedingungen.

PACK: Bisher warst du ja noch nicht in der Bürgerschaft. Inwieweit hast du schon politische Erfahrungen gemacht?

Timon: Ich war bisher noch nicht Mitglied der Bürgerschaft, das ist richtig. Bislang bin ich stellvertretendes Mitglied im Sozialausschuss und im Schul- und Sportausschuss. Vor acht Jahren war ich Landesschülersprecher. Da habe ich versucht gegen G8, also gegen das verkürzte Abitur in Schleswig-Holstein, zu arbeiten. Allerdings haben wir das nicht so geschafft, wie wir uns das gewünscht haben. Weitere politische Erfahrungen habe ich bisher noch nicht.

PACK: Aus meiner Erfahrung und denen meiner Kommilitonen kann ich sagen, dass Zeit für außeruniversitäre Aktivitäten sehr knapp ist. Hast du neben dem Studium noch Zeit für Kommunalpolitik?

Timon: Es ist natürlich eng. Ein Vorteil als Student ist aber, dass man zu den komischsten Zeiten Zeit hat. Es ist nicht wie beim Arbeitgeber, dass man feste Zeiten hat. Und wenn dann mitten in der Woche um 14:00 Uhr Ausschusssitzung ist, dann schaue ich halt, dass ich einen anderen Kurs in der Woche belege. Aber sonst ist Kommunalpolitik wirklich ein Full-Time-Hobby. Wenn man Kommunalpolitik richtig betreibt ist es ein Halbtagsjob. Also muss ich gucken, dass ich in den Semesterferien Geld verdiene, sodass ich dann ein halbes Jahr Kommunalpolitik machen kann, weil ich es nebenbei nicht auch noch schaffe arbeiten zu gehen.

PACK: Du studierst in Lüneburg und machst Kommunalpolitik in Lübeck. Ist es nicht recht kompliziert, wenn man immer Pendeln muss? Wie schafft man das?

Timon: Ja also einfach ist es nicht, aber das meiste findet mittlerweile über Daten statt. Der Laptop ist quasi der ständige Begleiter. Die ganzen Papiere für die Ausschusssitzungen bekommt man zugeschickt. Aber das meiste ist im Internet eingestellt, wo allerdings zum Teil nur die Fraktionsmitglieder Zugriff haben. Sodass man auch die nicht-öffentlichen Bereiche der Stadtverwaltung, die es ja immer wieder gibt, einsehen kann Und man muss nur zu bestimmten Zeiten, wenn man Präsenz-Zeit hat, wirklich in Lübeck vor Ort sein. Das geht dann noch. Allerdings ist mein Herz immer in Lübeck geblieben und daher habe ich nie gesagt, ich bin dauerhaft weg.

PACK: Glaubst du, dass die Lübecker Bürger darüber Bescheid wissen, was im Lübecker Rathaus passiert?

Timon: Zu wenig glaube ich. Ich glaube die meisten sehen eher die große Politik selbst. Im letzen Jahr war ich an der Hanse-Schule und habe dort ein Praktikum gemacht und dort auch selbst in einer Politik-Klasse unterrichtet. Letztes Jahr zu den Landtagswahlen wurde ich von einer über Dreißigjährigen, die sich das erste Mal richtig mit der Wahl beschäftigt hat, angesprochen. Diese Dame wusste nicht, dass sie zwei Stimmen hat, und sie wusste nicht, dass sie bei einer Landesentscheidung nicht über Angela Merkel entscheidet. Das sind natürlich Einzelfälle, Extrema, das ist klar, aber es zeigt doch, dass sich vermehrt auf die Bundespolitik konzentriert wird. Was auch klar ist, da es jeden Abend in der Tagesschau gezeigt wird. Aber je mehr es in das kleinere geht, desto weniger wird sich damit beschäftigt. Deshalb befürchte ich, dass sich die wenigsten ausreichend mit der Kommunalpolitik beschäftigen. Das sieht man auch daran, dass viele bei ihren Wahlkampfthemen weit weg von kommunalpolitischen Themen sind. Das kann zum Teil eine Bürgerschaft gar nicht beeinflussen.

PACK: Wird man auf Wahlkampfveranstaltungen auf nicht-kommunalpolitische Themen angesprochen, an denen, wenn man in die Bürgerschaft gewählt wird, gar nichts ändern kann?

Timon: Ja. Das ist in der Regel so. Derzeit, als FDPler, wird man andauernd auf die Bundespartei angesprochen. Da kann man auch gerne drüber reden, nur müssen die Bürger auch wissen, dass das mit der Situation in Lübeck nichts zu tun hat. Im Bund herrscht vor allem eine ganz andere Situation, ob es jetzt finanziell ist oder die Basis der Entscheidungsfindung, das ist ganz anders als hier in Lübeck. Hier hat man zum Beispiel eine Vielzahl von kleineren Parteien und Wählergruppierungen, die berücksichtigt werden müssen. Außerdem ist Lübeck nicht annähernd finanziell so potent wie der Bund.

PACK: Was hältst du von den ganzen Splitterparteien? Ich habe bisher verschiedene Meinungen gehört. Die einen sagen, dass es total gut ist, da sich die Bürger einbringen können ohne, dass sie in großen Parteien sind. Die anderen halten es für kontraproduktiv, weil es die Entscheidungsfindung erschwert. Was sagst du dazu?

Timon: Von der Idee ist es natürlich nett, dass man sich dadurch an der Politik beteiligen kann. Allerdings sind die zum großen Teil vom Gerüst her aufgebaut wie eine herkömmliche Partei, wie zum Beispiel die FDP. Sie müssen sich genauso zusammen setzten und haben mittlerweile Größen erreicht, wo sie sich in größeren Gruppen zusammen setzten müssen und wo nur noch wenige es hinterher in der Bürgerschaft umsetzen. Also ist die Idee, dass man dort hin geht und durch seine Meinung direkten Einfluss hat, nicht mehr gegeben. Wobei der Witz ist, dass der Bürgermeister nicht mehr direkt gewählt wird. Da die 5%-Hürde vom Bundes-Verfassungsgericht gekippt worden ist, wird die nächste Bürgerschaft sehr kleinteilig sein. Und dabei eine Regierungsmehrheit zu finden ist schwierig. Wenn wir wirklich unsere acht oder neun Parteien in der Bürgerschaft zusammen bekommen würden, dann hätten wir hinterher so viele verschiedenen Meinungsträger, dass man sie nicht unter einen Hut bringen kann. Man sieht das schon, wie schwer es ist, bei einer Drei-Parteien-Koalition eine Entscheidung zu treffen. Noch mehr Parteien unter einen Hut zu bekommen macht Lübeck unregierbar. Eventuell wird Lübeck dann dauerhaft von einer großen Koalition regiert werden.

PACK: Welches sind die Themen, die deiner Meinung nach in den nächsten fünf Jahren wichtig werden?

Timon: Das Wichtigste ist für uns zum einen die Finanzsituation: Wir haben 1,3 Mrd. € Schulden mit einer jährlichen Neuverschuldung von rund 80 Mio. €. Einige sprechen von Spardiktaten und Sparzwängen, aber es ist nun mal so, dass eine Stadt sich die Kredite holen muss. Der Stadtkämmerer verhandelt täglich mit den Banken über die Dispo-Kredite. Es ist so, dass sich die Stadt Lübeck zurzeit zum größten Teil nur über Dispo-Kredite finanziert. Das ist so, als würde man bei seiner Bank das Girokonto dauerhaft überziehen. So agiert derzeit Lübeck. Im Dezember habe ich mit dem Kämmerer telefoniert und er meinte, dass er aus seiner langjährigen Berufserfahrung durchschnittliche Zinsen von 3-4% kennt. Lübeck hingegen zahlt derzeit Zinsen von unter 1%. Sobald der Zinssatz steigt, muss Lübeck viel mehr Geld aufnehmen, um überhaupt die Zinsen abzahlen zu können. Und das ist eine Situation, die wir aus Griechenland kennen. Sollte es so weit kommen, dann wird es auch schwer werden, jemanden zu finden, der Lübeck leiht. Sollten die Banken in eine Krise kommen, ist dieser niedrige Zinssatz nicht mehr gesichert. Dann hat Lübeck von einem auf den anderen Tag kein Geld mehr. Die nächstgrößeren Probleme sind die offensichtlichen. Die Lübecker Brücken sind marode und quasi zu Tode gespart worden. Dort muss man sehen, wie sinnvoll eine Investition ist. Wenn man einmal investiert, dann hält die Brücke relativ lang. Wenn man hingegen immer nur ein bisschen investiert, dann halten die Brücken nur kürzer und man hat mehr Geld rein gesteckt. Man sieht dies auch bei der Flickerei bei den Straßen. Wenn man immer wieder den Kaltasphalt auf die Straßen gibt, macht das zunächst die Schlaglöcher dicht, aber irgendwann besteht die Straße nur noch aus diesem Kaltasphalt. Außerdem hält der Kaltasphalt nicht lange. Dort muss man Investitionspläne aufstellen, so dass man sagt, dass man große Arbeiten machen und nicht immer nur kleinteilig die Arbeiten erledigen will, weil das nach hinten raus Geld spart. Gleiches gilt für die Bildungseinrichtungen. Zurzeit sind oft die Schultoiletten in der Diskussion. Auch hier werden oft nur kleine Maßnahmen vorgenommen, die die Situation akut verbessern, jedoch gibt es mittlerweile technisch bessere Maßnahmen, die die Lebensdauer von Toiletten stark verlängern. Ein weiterer Punkt wären die Dächer, von denen in Lübeck einige Einsturzgefährdet sind.

PACK: Welche Themen werden direkt im Rathaus besprochen, die die Studenten betreffen?

Timon: Das sind natürlich Themen um die Stiftungsuniversität. Dass Lübeck eine Universitätsstadt bleibt, davon gehen derzeit parteiübergreifend alle aus. Da besteht gar kein Zweifel mehr. Aber man will die Umsetzung der Stiftungsuniversität weiter begleiten und verfolgen, sodass die Realisierung einer Stiftungsuniversität tatsächlich umgesetzt wird. Der Vorteil daran ist, dass die Uni sich hierdurch Geld wieder requirieren kann. Und man muss hierfür natürlich die Rahmenbedingungen verbessern. Natürlich möchte jeder Student eine Studentenbude haben. Möglichst passend, möglichst vor Ort. Und Lübeck hat Bedarf daran, dass man passende Wohnräume schafft. Es sollen nicht nur Groß-WG’s sein, sondern vor allem Kleinwohnungen, die zu normalen Preisen angeboten werden. Die Verkehrsanbindung in Lübeck, vor allem die Radwege, sollen fahrradfreundlich gestaltet werden, sodass Radwege, wie der am Kanal, nicht ausschließlich als Parkstreifen benutzt werden, sondern den Fahrradfahrern zur Verfügung stehen. Auch die Innenstadt und die Zuwege müssen fahrradfreundlich gestaltet werden. Gerade bei den nächsten Umplanungen, wie zum Beispiel in Moisling, müssen Fahrradwege mit eingeplant werden. Was sich bei den breiten Straßen in Moisling ja geradezu anbietet. Die wenigsten Studenten können sich ein Auto leisten und sind daher, so wie ich auch, auf das Fahrrad angewiesen. Ich fahre auch lieber Fahrrad als Bus.

PACK: Glaubst du, das Rathaus sollte mehr Informationen über die Ausschüsse und über Entscheidungen veröffentlichen?

Timon: Über das neue Informationssystem, Allris, ist dies schon jetzt möglich. Bis auf einen kleinen Teil, der auch bei Veranstaltungen als nicht öffentlich gekennzeichnet wird, sind die Informationen verfügbar. In Lübeck ist der nicht öffentliche Teil aber sehr klein. Allerdings sind viele Informationen nicht so interessant, weil sie erst im größeren Zusammenhang etwas interessantes bewirken. Das ist dann allerdings oftmals hinter anderen Informationen versteckt. Solche Veränderungen könnte man durchaus besser kommunizieren, indem man bessere Schlagworte findet. Auf der anderen Seite bringt jeder seine Pressemitteilungen raus und durch die Stadtzeitung sind Informationen auch eigentlich gut präsent. Die LN sind natürlich auch auf ihre Auflage angewiesen und präsentieren Berichte, die sich gut verkaufen lassen, offensichtlicher. Ich würde mir aber auch wünschen, dass die Sitzungen der Bürgerschaft via Livestream gesendet werden und von den Bürgerinnen und Bürgern so verfolgt werden können.

PACK: Glaubst du, dass das von den Bürgern angenommen wird? Man kann ja jetzt auch zu den öffentlichen Teilen der Sitzungen gehen.

Timon: Die Ausschusssitzungen sind wirklich uninteressant. Das muss man einfach so sagen. Da sind ab und zu ein paar Highlights dazwischen, wenn es gerade um ein Projekt oder eine Baumaßnahme geht. Im Bauaussschuss ist das auch häufiger. Ansonsten sind die Ausschüsse wirklich uninteressant. Die Bürgerschaftssitzungen sind dagegen sehr langatmig, da kann ich mir vorstellen, dass viele da wegschalten würden. Da wird über viele Sachen gesprochen, die in Lübeck gar nicht umsetzbar sind. Vieles ist für eine Bürgerschaft auch eigentlich gar nicht relevant. Da müsste man viel mehr differenzieren. Ich hoffe, dass da dann einige doch hängenbleiben und doch mal drauf klicken würden. Die Ränge des Bürgerschaftssaals sind ja leider begrenzt, aber gerade zu Wahlen sehr gut gefüllt. Von daher besteht schon ein gewisses Interesse. Mir fällt sonst kein direkterer Weg ein, die Politik an die Leute heranzubringen, als sie live zuschauen zu lassen. Da kann man ja schon nichts Besseres mehr bringen, außer, dass sich die Leute selbst beteiligen. Zu diesem Glück kann und will ich auch keinen zwingen. Die meisten Fraktionen machen ihre Sitzungen öffentlich. Da kann man gut mal hineinhören und mitmachen.

PACK: Ist es für die nächsten 5 Jahre euer Ziel, das zu erweitern?

Timon: Ja, das läuft ja auch gerade. Es gibt ja das Allris, das möchten wir gerne auf alle öffentlichen Dokumente erweitert haben . Es ist unser Ziel, dass das Allris wirklich ein großer Datenpool wird, in dem alle Dokumente drin sind. Das geht auch über Bauakten, für die man natürlich einen personalisierten Zugang braucht, aber gerade über das Internet gibt es da viele Möglichkeiten, das Ganze transparenter zu gestalten. Gerade jetzt durch die Wahl wird sich auch die Bürgerschaft verjüngen, durch den fünf-Jahres Rhythmus hat man ja immer einen Personalwechsel. Das ist bei uns auch der Fall und bringt immer wieder neue Ideen.

PACK: Welche Ziele möchtet Ihr als FDP in den nächsten Jahren durchsetzen?

Timon: Unsere Hauptthemen haben wir schon besprochen. Dazu möchten wir die Investitionsfreundlichkeit in Lübeck stärken. Lübeck hat eine gewisse Arroganz entwickelt. Wenn man also einen Investor hat, wird der erst sehr kritisch beäugt. Das kann Lübeck sich gar nicht leisten. Die Stadt braucht Investoren. Wenn man sich deren Konzepte nicht mal richtig anguckt, sondern von vornherein sagt „Nein, das will ich nicht, das ist keine gute Idee“ ist das kein Weg aus der Krise. Da muss sich etwas ändern. Das liegt auch an den vielen Untergesellschaften, die hier gebildet wurden. Die machen sich gegenseitig Konkurrenz und werben alle um Investoren. Das ist in Lübeck ein großer Sport geworden. Einige sagen sogar, dass dadurch verdiente Parteikollegen einen Job bekommen sollten. Es wurden in allen Bereichen ganz viele Untergesellschaften gegründet. Diese kleinen Gesellschaften arbeiten gegeneinander. Gerade im Tourismus, da sind es drei verschiedene. Jeder hat einen Geschäftsführer, der gutes Geld verdient. Das müsste man zurück fahren. Das möchten wir auch erreichen. Wir wollen das ganze zurück fahren, sodass man am Ende für jeden Bereich einen Ansprechpartner hat. Das würde enorm Geld sparen.

PACK: Meine letzte Frage: Wer macht die Politik? Sind das wirklich die Politiker oder sitzen im Hintergrund die Verwaltungsbeamten und ziehen die Fäden?

Timon: Lübeck ist sehr verwaltungslastig. Das habe ich ja gerade schon beschrieben. Teilweise schichtet die Verwaltung auch selbstständig Finanzen um, dadurch dass der Bürgermeister separat gewählt wird, haben wir einen sehr eigenständigen Verwaltungsapparat. Das ist uns schon sehr aufgefallen. Eigentlich müssen die gewählten Vertreter das alles beeinflussen. Mittlerweile ist der Spielraum sehr stark eingeschränkt. Das merkt man gerade, wenn es um den Bereich des Personalwesens geht. Da will keiner einsparen. Wir können die auch nicht dazu zwingen, denn die Entscheidungshoheit liegt wieder beim Fachabteilungsleiter. Wir können nur die Mittel allgemein kürzen, dann wird aber niemals beim Personal gespart. Das geht eher zu Lasten von anderen Bereichen. Es kann auch nicht sein, dass die Verwaltung selbstständig entscheidet und daraufhin die Politik gezwungen ist, einen Nachtragshaushalt einzureichen. Das sind Sachen, die müssen schleunigst unterbunden werden. Da muss man gegen anwirken, sonst artet das komplett aus. Nur ist das in Lübeck schwierig. Da hat sich ein Lüb’scher Klüngel entwickelt. Wir brauchen da einen direkten Wechsel in den Machtpositionen. Solange die gleichen Köpfe in der Politik bleiben, wird sich da nichts ändern.

PACK: Wie schätzt du die Chancen der FDP für diese Wahl ein?

Timon: Wir sind derzeit mit fünf Leuten in der Bürgerschaft, das gedenken wir auch zu verteidigen. Drüber hinaus wäre sehr sportlich ambitioniert, aber ich denke, die fünf Leute zu verteidigen ist machbar. Lübeck ist auch eine ganz andere Situation, als die Bundesebene. Da gibt es einen großen Unterschied zwischen uns Lübeckern und Figuren, wie Rösler. Wir gehören zwar alle zur selben Partei, aber wenn man die Lübecker Situation betrachtet, findet man uns in den letzten Jahren nicht in der Regierung. Ich erinnere mich noch daran, als Bürgermeister Saxe im Zuge der Euro-Umstellung sich freute, dass die Stadt die Milliarde an Schulden los ist. Schwups jetzt sind wir schon wieder weit drüber hinweg.

PACK: Vielen Dank für das Gespräch!

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-timon-kolterjahn-fdp/feed/ 0
Interview mit Oliver Dedow (Piratenpartei) https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-oliver-dedow-piratenpartei/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-oliver-dedow-piratenpartei/#comments Sat, 11 May 2013 22:00:06 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=139610 Dedow
Oliver Dedow

StudentenPACK: Herr Dedow, schön dass sie sich die Zeit nehmen, mit uns zu sprechen. Sie sind seit 2009 Mitglied der Lübecker Bürgerschaft, da war ja gar keine Wahl, wie kamen Sie denn dennoch in die Bürgerschaft?

Oliver Dedow: Beginnen wir mal am Anfang: Ich bin hier in Lübeck sehr tief verwurzelt, bin hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Ich habe dann sehr lange nach einer Partei gesucht, in der ich mich politisch engagieren konnte, habe aber nie die richtige gefunden. Mich haben überall die festen Strukturen abgeschreckt. Irgendwann hat sich dann ein Bürgerverband in Form einer Wählervereinigung gegründet, die BfL (Bürger für Lübeck), dort war ich Gründungsmitglied und habe mich für die Kommunalwahl aufstellen lassen. Ich hatte damals den achten Listenplatz. Eines der gewählten Mitglieder ist dann aufgrund eines Umzuges aus der Bürgerschaft ausgeschieden, woraufhin ich nachrücken konnte. Damals war ich in der BfL-Fraktion und nicht in der Piratenpartei. Ich konnte mich recht schnell mit der Politik vertraut machen, lernte die Gepflogenheiten kennen und wurde dann bald Fraktionsvorsitzender. Vor gut einem Jahr wechselte ich dann zu der Piratenpartei, weil ich hier noch die Hoffnung habe, meine Ideen verwirklichen zu können. Selbst in der BfL kamen bald diese starren Strukturen auf. „So wird Politik schon immer gemacht“ heißt es da. Genau das möchte ich ändern. An dieser Stelle hat die Piratenpartei eine sehr gute Ausgangsposition.

PACK: Was macht man eigentlich so in den fünf Jahren, für die man gewählt ist? Wie sieht der Alltag aus?

Dedow: Man besucht um die acht Sitzungen im Jahr, diese müssen natürlich vor- und nachbereitet werden. Was mich allerdings ärgert, ist, dass allein die derzeit 60 Mitglieder der Bürgerschaft eine viel zu große Entscheidungsmacht in allen Dingen haben. Ich möchte lieber, dass in den Fachausschüssen, wo die kompetenten Leute sitzen, die Entscheidungen gefällt werden. Dort sollten die Leute hingeschickt werden, die Ahnung haben, denen die Fraktionen vertrauen. Dort sollte viel mehr Entscheidungskompetenz liegen, da wird die Grundlagenarbeit gemacht. Nachher in der Bürgerschaft sollten diese Sachen einfach nur noch durchgewunken werden. Eine Fraktion sollte sich in der Bürgerschaft nicht anders entscheiden, als die eigenen Leute es vorher im Ausschuss getan haben. Ich habe ja als Mitglied der Bürgerschaft zum Glück die gleichen Rechte, die auch der Bürgermeister hat. Als Bürgerschaftsmitglied kann ich in die städtischen Betriebe hineinschauen, mir berichten lassen, um Missstände aufzudecken und dann den Finger in die Wunde legen, um einfach mal nachzuhaken. Dieses passiert aber von den anderen Fraktionenen erstaunlicher Weise viel zu wenig. Momentan bin ich Einzelkämpfer, aber auch die kleineren Fraktionen in Lübeck könnten sehr gut auf Probleme hinweisen und ihre Ideen einbringen.

PACK: Das ist interessant, die CDU beispielsweise hält diese Splittergruppen für kontraproduktiv, das sehen Sie ja nicht so?

Dedow: Nein als kleine Fraktion, oder auch als Parteiloser habe ich die Möglichkeit, auf eben Missstände aufmerksam zu machen, und kann Ideen einbringen. Die Piraten wollen ja viel viel mehr Bürgerbeteiligung. Wir wollen den Bürgerhaushalt einführen, damit sich die Bürger einbringen können. Es ärgert mich ungemein, dass die Bevölkerung so viele Ideen hat, die zwar zu Hause oder am Stammtisch formuliert werden, die aber nicht ins Rathaus gelangen, weil es dafür keine Plattform gibt. Genau diese Plattform wollen wir erstellen. Wir wollen, dass die Bürger den Haushalt mitbestimmen können, und ihre Ideen im Rathaus ankommen. Das beinhaltet auch die Einführung von Ortsbeiräten, da soll sich dann jeder engagieren, der meint, zu einem Thema eine Meinung, Fachkompetenz oder neue Ideen zu haben. Einen qualifizierten Antrag kann jede Fraktion stellen, dann erwarte ich aber auch von den anderen Fraktionen, dass sie sich mit der Sache grundsätzlich befassen und nicht aufgrund von Fraktionszwang abstimmen.

PACK: Sie sind Rechtsanwalt, bringen Sie Ihre Erfahrungen und Ihr Wissen auch in die Politik ein, geht das überhaupt?

Dedow: Da gebe ich eine typische Politiker-Antwort: Ja und Nein! Das Gute ist, dass ich als Jurist weiß, wie die Strukturen der Verwaltung aussehen und auch wie man entsprechend Klagen tätigen kann im Verwaltungsbereich. Ich habe den Vorteil, dass ich einfach die rechtlichen Grundlagen sehr genau kenne. Als Rechtsanwalt habe ich mich allerdings auf Straf- und Verkehrsrecht konzentriert, sodass das Verwaltungsrecht nicht ganz mein Steckenpferd ist. Das Schöne ist aber, dass ich auf Datenbanken wie „Beck-Online“ oder „Juris“ zurückgreifen kann. Da habe ich meistens eine sehr gute Informationsquelle, da kann ich die eine oder andere Frage sehr gut klären.

PACK: Welche Themen sind überhaupt kommunal? Gibt es viele Themen, auf die Sie von Bürgern angesprochen werden, die keine kommunalen Themen sind?

Dedow: Das passiert sehr sehr häufig, das ist ein großer Unterschied zu dem, was wir in der Kommunalpolitik leider nur leisten können. Häufig machen wir bei Themen, die unseren Bereich überschreiten sogenannte Resolutionen. Wir sagen dann einfach, dass der Bürgermeister sich auf Landes- oder Bundesebene für diese spezielle Sache einsetzen soll. Das wiederum hält die Bürgerschaft allerdings von ihrer eigentlichen Arbeit ab. Eine Resolution beinhaltet eigentlich nur, dass wir eine Erklärung oder einen Appell abgeben, weil wir uns für etwas einsetzen. In jeder Bürgerschaftssitzung verfassen wir mehrere Resolutionen.

Wir haben aber hier auf kommunaler Ebene schon Möglichkeiten. Insbesondere, was den Haushalt betrifft. Dieser ist zwar zu 90 Prozent vorgegeben, aber mit den letzten 10 Prozent kann man arbeiten. Gerade das ist wichtig. Was fördere ich, wie fördere ich das? Gerade was Schulen angeht, da sind wir für die Gebäude zuständig. Oder der Personennahverkehr, der liegt auch auf kommunaler Ebene. Sehr wichtig sind allerdings auch die Bauangelegenheiten. Der Bauausschuss tagt fast zwei oder drei Mal im Monat. Ich werde sehr häufig auf Angelegenheiten angesprochen, die in den Bereich Bauwesen fallen. Dazu gehören die Fahrradwege und die kommunalen Straßen. Da fallen sehr viele Themen an, da hat die Stadt auch die Möglichkeit, viele Dinge zu steuern.

PACK: Was war in den letzten fünf Jahren aus Ihrer Sicht wichtig in der Lübecker Bürgerschaft?

Dedow: Natürlich der Haushalt, der ist hier an allererster Stelle zu nennen. Dazu kommen auch bauliche Angelegenheiten, wie der Priwall. Travemünde ist sehr sehr wichtig, denn die Trave ist ein Zubringer für den Skandinavienkai und andere Häfen. Hier ist die Zwei-Wege-Schifffahrt nun nicht mehr möglich. Das bedeutet, es können sich keine zwei Fährschiffe in der Trave begegnen. Dafür hätte man die Trave entsprechend erweitern müssen. Da gibt es viele Themen.

Ein weiteres Thema ist natürlich immer der Flughafen, wo wir jetzt eine sehr gute Lösung gefunden haben. Allerdings muss man hier sagen, dass sich die Bürgerschaft leider nicht so verdient gemacht hat, sondern der externe Investor sich der Sache angenommen hat. Momentan ist dieser auf einem sehr guten Weg.

PACK: Was wird in den nächsten fünf Jahren wichtig? Was sind Ihre Themen, weshalb Sie erneut kandidieren?

Dedow: Wichtig ist und bleibt der Schuldensumpf. An der hohen Verschuldung von Lübeck muss etwas geändert werden. Juristisch ist es nämlich so, dass Gesellschaften und Privatpersonen eine Insolvenz eingehen können, Lübeck kann das nicht. Das ist eine rechtliche Vorgabe, vielleicht kann man da auf Bundesebene etwas ändern. Mein Ziel und das von den Piraten ist, dass mehr Informationen weitergegeben werden. Wir schreiben das dritte Jahrtausend, es gibt Internetplattformen, aber keiner kann den Haushalt vorher sehen. Warum werden die Bürgerschaftssitzungen nicht ins Internet übertragen, warum werden keine Aufnahmen gespeichert und mit entsprechenden Bookmarks zugänglich gemacht? Information ist ein ganz wichtiger Punkt, aber auch die Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen. Öffentlicher Personennahverkehr ist auch ein wichtiges Thema, wir wollen das umstrukturieren. Man liest zwar immer, dass wir ein fahrscheinloses System wollen, aber wir wollen nur eine andere Art der Finanzierung finden.

PACK: Wie würde eine solche Finanzierung aussehen?

Dedow: Das würde in die Richtung gehen, dass man Steuergelder hierfür verwendet oder den Kraftfahrzeugverkehr verteuert durch eine entsprechende Maut oder Parkgebühren. Die Arbeitgeber sollten etwas dazu geben, so auch die Anlieger. Auch die Orte wo man hinfährt sollen etwas dazu bezahlen, also der Einzelhandel, beispielsweise IKEA. Wenn wir das Geld, das wir für den Erhalt der Straßen ausgeben, in eine solche Lösung investieren würden, wäre das schon eine Menge. Wir wollen den Stadtverkehr ausbauen, damit es attraktiver wird. Das wäre für Umwelt und Stadt sehr erstrebenswert. Sidney, Perth, Hawaii und ander Orte haben eine derartige Lösung gefunden.

PACK: Was sind die für uns Studenten relevantesten Themen?

Dedow: Einerseits der Ausbau der Uni, die Umgestaltung der Uni war ja auch eine Frage. Wir wollen die Uni weiter fördern und besser in Lübeck integrieren, womit wir wieder beim Stadtverkehr wären. Wir müssen auch den Studenten eine Möglichkeit zu arbeiten geben, während des Studiums und insbesondere hinterher. Im Bereich Medizintechnik sind wir da schon sehr gut aufgestellt, aber andere Bereiche sind da noch nicht soweit. Wir wollen die guten Leute hier behalten und ihnen auch etwas bieten nach der Uni für den Start in das Berufsleben.

PACK: Haben Sie persönlich das Gefühl, dass die Bürger wissen, was im Rathaus passiert?

Dedow: Nein, das Gefühl habe ich überhaupt nicht. Das ist etwas, das wesentlich besser ausgebaut werden müsste. Momentan haben wir zwar das OK-Radio, das ist aber ein externer Radiosender, der etwas aus dem Rathaus überträgt. Das Rathaus selbst engagiert sich da nicht. Es gibt jetzt zwar das „ALLRIS“, das Bürger- und Ratsinformationssystem. Ich halte das allerdings nur für einen Stolperschritt in die richtige Richtung. Das muss ausgebaut werden. Wir Piraten wollen das gläserne Rathaus, damit man den Politikern ein bisschen über die Schulter gucken kann.

PACK: Sind Sie sich sicher, dass ein solches Angebot angenommen wird? Die Sitzungen sind ja bereits öffentlich und da gehen selten Besucher hin.

Dedow: Ich höre leider in der Bevölkerung eine Verbitterung gegenüber der Politik. Ich mag mich manchmal schon gar nicht outen als Politiker, es käme häufig besser an, wenn ich Sportler wäre. Ich bitte aber alle anderen, dort mitzumachen und ihre Ideen einzubringen. Der Politiker ist in Beliebtheitsrankings immer auf den hintersten Plätzen. Dabei ist das, was ich im Rathaus tue ein Ehrenamt, ich bereichere mich damit nicht und habe da auch sonst keine Vorteile von. Ich möchte gerne das Bild des Politikers wieder aufwerten.

PACK: Wird die Politik tatsächlich von der Bürgerschaft gemacht? Oder ziehen die Mitarbeiter der Verwaltung die Fäden?

Dedow: Ja leider immer noch, die Verwaltung und auch andere Leute. Das sind die politischen Machenschaften, die ich jetzt seit vier Jahren kennenlerne. Das ist eben einer der Gründe, weshalb ich Transparenz und Bürgerbeteiligung herstellen möchte. Damit auch andere Bürger oder Ortsbeiräte mitwirken können. Das ist mir sehr wichtig. Es ärgert mich, dass die Politik nicht objektiv genug ist. Viele Posten werden nach den jeweiligen Stimmmehrheiten in der Bürgerschaft und Parteizugehörigkeit der Kandidaten vergeben, nicht nach Qualifikation.

PACK: Wie viel Zeit verbringen Sie mit der Kommunalpolitik?

Dedow: Ich arbeite zwei Nachmittage in der Woche daran. Da gehört ja auch einiges dazu, nicht nur die Teilnahme an Sitzungen. Da ist auch viel drum herum. Man geht mal zu Bürgerverbänden, setzt sich in andere Ausschüsse oder recherchiert im Internet oder in Stadtteilen, z.B. in Travemünde. Momentan im Wahlkampf bin ich natürlich viel häufiger unterwegs.

PACK: Wie schätzen sie die Chancen der Piraten ein? Werden sie Fraktion?

Dedow: Ich hoffe, dass ich nicht ein Einzelkämpfer bleibe. Es würde mich sehr freuen, wenn weitere Piraten in die Bürgerschaft gewählt werden, die mit viel Enthusiasmus und Elan bei der Sache sind. Wenn wir Fraktionsstatus bekommen würden, würde das auch für uns die Sache einfacher machen, uns zu strukturieren, da wir dann ein Fraktionsbüro zur Verfügung gestellt bekommen würden und von da aus mit einem Geschäftsführer einige Angelegenheiten einfacher klären könnten.

Ein weitere Missstand, auf den ich hinweisen möchte, ist das Geld, das für die Fraktionen ausgegeben wird. Insgesamt wurden 770.000 Euro an die Fraktionen ausgegeben im letzten Jahr. Das ist zu viel, das sollte gekürzt werden. Die Fraktion der Piratenpartei im Landtag hat das Geld, das übrigblieb von dem erhaltenen Fraktionsgeld, an das Land zurückgegeben. Das kommt bei anderen Parteien nicht so häufig vor. Da wird lieber noch eine Ausfahrt geplant. Da muss etwas passieren.

PACK: Vielen Dank für das Gespräch.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-oliver-dedow-piratenpartei/feed/ 1
Interview mit Antje Jansen (DIE LINKE) https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-antje-jansen-die-linke/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-antje-jansen-die-linke/#respond Sat, 11 May 2013 22:00:02 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=139617 „Ich komme aus der Frauenbewegung, aus der Anti-AKW-Bewegung und auch aus der Anti-Kriegsbewegung.“

LINKE SH

StudentenPACK: Frau Jansen, Sie haben für die Landtagswahl kandidiert, sind aber nicht in den Landtag gekommen. Ist das richtig?

Antje Jansen: Ja, aber wir sind nicht reingekommen.

PACK: Was haben Sie seitdem gemacht? Wir haben ja zur Landtagswahl mit Ihnen gesprochen. Was ist denn seitdem passiert?

Jansen: Ich war ja immer schon, trotz meines Landtagsmandates, hier Bürgerschaftsabgeordnete. Gott sei Dank sag ich da jetzt mal, dass ich das nicht niedergelegt hatte. Wenn ich in den Landtag gekommen wäre, hätte ich mein Mandat hier niedergelegt und hätte auch nicht wieder kandidiert.

Was habe ich gemacht? Ich habe die Kommunalpolitik weitergemacht. War ja auch klar, ich bin ja hier Fraktionsvorsitzende. Die Politik hier in der Stadt geht weiter. Beruflich habe ich Übergangsgeld bekommen. Man kriegt noch 7 Monate oder 18 Monate glaube ich Übergangsgeld. Das bekomme ich noch.

PACK: Also waren Sie hauptberuflich Politikerin?

Jansen: Im Landtag ist man hauptberuflich Politiker. Hier ist es ehrenamtlich, aber im Landtag ist man hauptberuflich.

PACK: Macht Ihnen die Kommunalpolitik Spaß? Ist das schön für Sie?

Jansen: Ich habe jetzt auch die Erfahrung im Landtag gemacht. Ich finde Kommunalpolitik bringt mehr Spaß, weil man da näher am Bürger ist. Hier kann man die Interessen der Bürgerinnen und Bürger hautnah vertreten. Man ist mit den Bürgerinnen und Bürgern hautnah in Kontakt. Das ist man im Landtag nicht. Da geht es mehr um größere Projekte im Landtag, dann trifft man mal einen Verein oder einen Verband, aber im Grunde genommen ist Landtagspolitik viel anonymer.

PACK: Wie soll man sich das vorstellen, wenn man in der Bürgerschaft Mitglied ist, wenn man dort gewählt ist. Was bedeutet das? Was muss man da alles tun?

Jansen: Erstmal ist einmal im Monat Bürgerschaftssitzung. Die müssen wir wahrnehmen. Darin gibt es Ausschüsse. Je nach dem, in welchem Ausschuss wir sind, müssen wir das wahrnehmen. Und dann geht es ja auch darum, dass wir die Bürgerinnen und Bürger vertreten. Wir werden häufig zu Vereinen, Verbänden und Initiativen eingeladen. Dann gibt es Gespräche. Es gibt Gespräche mit Personalräten. Dann gibt es Gespräche mit Vereinen, Verbänden, und dann repräsentative Sachen. Es ist schon, wenn man es ganz ernst nimmt, und alles wahrnimmt, ehrenamtlich neben der Arbeit, sind es in der Woche bestimmt 15-20 Stunden. In meiner Freizeit.

PACK: Was machen Sie beruflich?

Jansen: Ich bin Erzieherin. Ich werde ja auch wieder arbeiten. Ich bin Erzieherin und arbeite in einem Naturkindergarten.

PACK: Auch hier in Lübeck?

Jansen: Hier in Lübeck, in Kücknitz.

PACK: Was waren in den letzten fünf Jahren die großen Themen in der Bürgerschaft und worüber wurde sich am meisten gestritten?

Jansen: Am meisten gestritten wurde sich über die Finanzen. Ob man jetzt dem Konsolidierungskurs zustimmt, wo man kürzt, wo man spart, wo es Mehreinnahmen geben kann. Das war eines der größten Streitthemen. Das nächste Streitthema war Bau. Also der Bau auf den Wallanlagen. War ein großes Streitthema. Ein großes Streitthema war, dass wir 60.000 Euro bekommen haben für kostenlose Verhütungsmittel. Das war auch hier ein großes Streitthema, jedenfalls für die Opposition. Der Bau und Straßenverkehr, das sind immer die großen Streitthemen. Und dass wir die Bettensteuer eingeführt haben für die Hoteliers, das war ein großes Streitthema.

PACK: Was wird jetzt in den nächsten fünf Jahren wichtig sein, also für die nächste Legislaturperiode?

Jansen: Mit Sicherheit den Konsolidierungskurs zu bestimmen. Also sie müssen jetzt wieder weiter kürzen. Ich denke mir, dass Finanzen noch eine der wichtigsten Fragen bis 2015 sein werden, weil da die nächsten Kürzungsprojekte anstehen in den nächsten Haushalten. Das wird ein großes Thema werden. Ein großes Thema wird auch sein, dass wir Lübeck als soziale Stadt erhalten.

PACK: Wären Sie dafür, dass die Bürger den Haushalt mitbestimmen dürfen?

Jansen: Also wir haben vor fünf Jahren einen Bürgerhaushalt gefordert. Wir fordern ihn immer noch. Wir haben auch einen Antrag hier in die Bürgerschaft reingetragen. Diesen Antrag in der Bürgerschaft, ein Konzept für einen Bürgerhaushalt zu erstellen, haben wir auch bekommen, aber aufgrund der ganzen Kosten hat die Mehrheit der Bürgerschaft dies abgelehnt. Wir sind immer noch für einen Bürgerhaushalt. Ich finde das immer noch sinnvoll. Man hat ja auch gesehen, dass Bürgerinnen und Bürger hier Vorschläge gemacht haben für den Haushalt, die dann hinterher im Finanzausschuss debattiert wurden, die aber gar nicht ernstgenommen wurden. Es gibt schon andere Kommunen, die bereits Bürgerhaushalte haben. Und dann müsste man hier Stadtteilkonferenzen machen, man müsste das ganz anders aufziehen, als zu sagen liebe Bürgerinnen und Bürger, über Internet dürft ihr jetzt ein paar Vorschläge machen und die Vorschläge werden dann hinterher von uns mal angeschaut oder abgestimmt. Das ist keine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Ich hoffe, dass wir es in der nächsten Legislaturperiode schaffen, wenn auch die Piraten mit hineinkommen, dass wir dann eine größere, stärkere Macht sind und den Bürgerhaushalt durchsetzen können.

PACK: Haben Sie das Gefühl, dass die Bevölkerung weiß, was im Rathaus passiert?

Jansen: Diejenigen, die Zeitung lesen, diejenigen, die das über Internet oder den offenen Kanal verfolgen. Aber ich glaube, der Rest der Bürgerinnen und Bürger bekommt es gar nicht mit, was im Rathaus los ist. Die Ausschüsse sind ja öffentlich, aber so viel Publikum kommt da gar nicht. Die Bürgerschaftssitzungen sind auch öffentlich, aber dann kann man da oben sitzen und zuhören und sich nicht beteiligen. Ich denke mir auch, es kommt ja immer sehr viel Protest, wenn es um Kürzungsgeschichten geht, wie Privatisierung oder sowas, dann gibt es immer einen großen Protest vor dem Rathaus. Oder als die Feuerwehrleute einen höheren Etat wollten. Dann kriegt man das ein bisschen mit. Wenn jetzt irgendwo was gebaut wird oder ein Baum gefällt wird, dann kriegen die Bürgerinnen und Bürger das mit, aber ansonsten nicht. Und deshalb fordern wir auch Ortsbeiräte. Wir fordern die schon von Anfang an, da hatten wir auch einen Antrag in der Bürgerschaft. Ich bin zum Beispiel Kielerin, ich weiß, wie das ist. Ich komm aus Kiel und da gibt es ja schon immer Ortsbeiräte und ich weiß, dass durch die Ortsbeiräte in den einzelnen Stadtteilen die Bürgerinnen und Bürger mit einbezogen werden. Ich denke mir, dann erst werden die Bürgerinnen und Bürger auch mitkriegen, was in der Bürgerschaft los ist.

PACK: Wie viel Entscheidungskompetenz würde so ein Ortsbeirat haben?

Jansen: Die Bürgerschaft müsste das entscheiden. Ein Ortsbeirat kostet ja auch Geld, ca. 220.000 Euro im Jahr. Für alle Ortsbeiräte, nicht nur für Travemünde, aber für Demokratie muss man auch Geld ausgeben. Man merkt auch, der Schulgarten soll verkauft werden, privatisiert werden und schwupps kommen Bürgerinnen und Bürger und sammeln Unterschriften. Oder mit der Brücke Reecke: Es gibt Proteste. Wenn es Proteste gibt, dann reagiert die Politik erst und ich denke mir, wenn man die Bürgerinnen und Bürger mehr beteiligt, dass man dann auch mehr Transparenz und Bürgernähe hat.

PACK: In der letzten Legislaturperiode waren glaube ich zehn verschiedene Fraktionen in der Bürgerschaft. Haben Sie das Gefühl, dass dies kontraproduktiv für die Entscheidungsfindung war oder dass dadurch mehr Meinungen auftreten konnten?

Jansen: In der Öffentlichkeit wird dies ja immer als sehr negativ beurteilt. Wir haben aber keine Fünfprozenthürde mehr. Weil wir keine Fünfprozenthürde mehr haben, und das finde ich auch gut so, kommen natürlich auch mehr Bürgerinnen und Bürger, die sich politisch engagieren wollen. Man kann ja nur eine Partei oder Wählergemeinschaft gründen, um überhaupt hier hereinzukommen. Ich finde das eigentlich ganz gut, dass nicht die großen Volksparteien, die immer schon hier drin gewesen sind, dass die immer die Platzhirsche sind und wieder reingewählt werden und kein anderer hat eine Chance hereingewählt zu werden. Das hat auch ein Stück Demokratieverständnis, wenn eine Wählergemeinschaft sagt, mir gefällt die Politik der CDU nicht, das ist uns zu mittelständisch, zu rechtslastig oder zu bürgerlich. Wir würden den Mittelweg finden, sind aber bei den Linken oder Grünen oder der SPD auch nicht so richtig aufgehoben. Das finde ich eigentlich ganz gut. Eigentlich, muss ich jetzt mal sagen, hat das auch gar nicht gestört. Ich finde, dadurch ist das Parlament auch ein bisschen lebendiger geworden. Ich war ja auch schon einmal für die Grünen in der Bürgerschaft. Da saßen nur CDU, SPD und die Grünen in der Bürgerschaft, drei Parteien. Da war das natürlich alles wesentlich schneller abgehandelt. Da gab es nicht so einen großen Meinungsaustausch. Die Alteingesessenen meinen immer, dann müsste es immer die Mehrheiten geben und dann müsste man immer eine feste Kooperation machen, die haben wir hier auch zweieinhalb Jahre gemacht. Aber wir sind vor fünf Jahren auch einmal angetreten mit wechselnden Mehrheiten, wie wir es jetzt bei der Sporthalle in Travemünde gemacht haben. Da gab es Mehrheiten von CDU, FDP, Wählergemeinschaften, Linken und Grünen für den Bau einer Turnhalle in Travemünde. Das hat natürlich die SPD gestört. Die haben herumgewettert, weil sie nicht diejenigen waren, die entschieden haben, aber ich finde, wir müssen uns auch in unserem Politikverständnis ein bisschen verändern, dass auch andere, auch kleinere Wählergemeinschaften oder Einzelpersonen nachher in der Bürgerschaftssitzung ihre Meinung sagen können. Das finde ich ganz gut.

PACK: Was motiviert Sie, Politik zu machen?

Jansen: Ich bin ja schon ein bisschen älter. Ich bin 63 Jahre alt. Ich habe schon seit meiner frühen Jugend Politik gemacht. Ich habe in der Friedensbewegung angefangen. Ich war in der Frauenbewegung, in der Anti-AKW-Bewegung. Da bin ich auch erst so richtig motiviert gegen Atomkraftwerke aufgetreten. Vor 30 Jahren habe ich das erste Mal richtig auf der Straße gestanden. Diese ehrenamtliche Initiativarbeit in Vereinen und Verbänden oder kleinen Vereinigungen hat mich dann auch motiviert zu sagen, man muss auch einen Schritt weitergehen. Man muss dann auch sagen, ich gehe jetzt mal in die Bürgerschaft oder in einen Ausschuss, um was mitentscheiden zu können, meine Meinung zu sagen, um auch die Gesellschaft ein bisschen zu verändern. Es bringt auch Spaß, weil man gerade in der Kommunalpolitik auch Erfolge erzielen kann. Nicht so wie im Landtag, wo ganz klar ist, die und die stimmen dafür, dann gibt es eine Regierung, das ist schon total klar, die kann man gar nicht mehr umstimmen. Höchstens in einigen Nuancen kann man da was verändern. Hier in der Kommunalpolitik kann man sich mit seinen Anträgen durchsetzen. Man kann die Richtung einer Stadt mitentscheiden. Politik beginnt vor der Haustür, da kann man entscheiden, was die Bürgerinnen und Bürger bewegt. Es bringt Spaß, da man Erfolge hat.

PACK: Also ist Politik Ihr Hobby oder haben Sie noch andere Freizeitbeschäftigungen?

Jansen: Ich mache noch andere Sachen. Ich gehe gerne ins Kino. Ich habe einen großen Freundeskreis. Ich stricke und nähe gerne. Ich mache gerne Gartenarbeit. Aber die Politik, die ich ehrenamtlich in meiner Freizeit mache, frisst natürlich auch viel an eigener Freizeit. Das ist schon eine Überlegung. Man muss sich dann auch ein bisschen freischaufeln, um zu sagen, ich lass den Termin jetzt mal ausfallen und gehe ins Kino oder treffe mich mit Freunden oder ich fahre jetzt mal Fahrrad am Wochenende. Das muss man irgendwie auch hinkriegen.

PACK: Was sind Ihre Ziele für die nächsten fünf Jahre? Was würden Sie gerne erreichen?

Jansen: Wir wollen erreichen, dass die Bereiche Soziales, Kultur und Bildung so erhalten bleiben wie jetzt. Dass dort keine Kürzungen stattfinden, dass es weiter entwickelt wird. Ganz wichtig ist, dass wir bezahlbaren Wohnraum bekommen. Grade auch Studentenwohnungen, also das auch für die Studierenden hier gebaut wird. Aber auch für die Menschen, die wenig Geld haben oder ein mittleres Einkommen haben, dass die sich hier auch die Mieten leisten können. Wir haben in den letzten fünf Jahren fast ausschließlich Eigentumsbau, also Luxuswohnungsbau auf den Weg gebracht und es muss unbedingt auch Wohnraum geben, der bezahlt werden kann von Menschen. Das wollen wir in den nächsten fünf Jahren erreichen. Dass Lübeck noch fahrradfreundlicher wird und weniger Autos durch die Altstadt fahren. Das alles wollen wir so grob machen.

PACK: Wenn man in die Kommunalpolitik reinschaut, dann stellt man sich immer die Frage, wer dieses Ganze leitet. Liegt das bei den Politikern oder ziehen am Ende doch die Menschen aus der Verwaltung die Fäden? Wie schätzen Sie das ein?

Jansen: Ich kann jetzt auch nach den fünf Jahren sagen, dass es für uns ehrenamtliche Politiker schwer ist, die Verwaltung zu kontrollieren. Ich bin auch der Meinung, dass wir immer an unsere Grenzen stoßen, dann kommt die Verwaltung und die schlägt uns was vor und geht nicht offen mit uns um, sondern hat ihre vorgefertigten Geschichten und wir kriegen schwierig Informationen. Also grob gesagt, die Verwaltung hat hier ziemlich große Macht. Für uns ist das total schwer, das zu kontrollieren oder auch umzudrehen. Wenn wir beispielsweise in die Finanzen mal hineinschauen wollen, wird das immer gleich boykottiert. Ich finde, da muss parteiübergreifend für die nächsten fünf Jahre eine Initiative ergriffen werden, dass es einfacher wird. Gut, der Bürgermeister steht der Verwaltung vor und der muss geknackt werden. Das müsste man parteiübergreifend schaffen, dass alle Fraktionen, die in der nächsten Bürgerschaft sitzen, da an einem Strang ziehen und sagen, das wollen wir verändern. Anders geht das gar nicht. Der Bürgermeister ist jetzt von der SPD, da schützt ihn die SPD natürlich. Das ist ein großes Feld, das wir als Ehrenamtler noch beackern müssen.

PACK: Was sind die Themen, die für uns Studenten relevant sind? Weshalb wir uns vielleicht auch in der Kommunalpolitik engagieren könnten.?

Jansen: Also junge Leute braucht die Kommunalpolitik. Es gibt auf jeden Fall zu wenig. In den einzelnen Parteien und auch in der Bürgerschaft gibt es zu wenig junge Leute, die vielleicht auch das ganze Geschehen in der Bürgerschaft umkrempeln könnten. Im Durchschnitt sitzen dort ja immer noch die Älteren. Speziell für die Studenten erst einmal bezahlbarer Wohnraum, aber auf der anderen Seite auch, um Lübeck nach außen zu repräsentieren, ist es wichtig, dass wir viele Studenten haben. Diese Unigeschichte, die Uni muss gerettet werden, das war ja schon etwas, was die Studenten hier auf den Weg gebracht haben und bravourös auf den Weg gebracht haben. Sie haben da ja schon gezeigt, Lübeck kämpft für seine Uni, dass die Studenten unglaublich gut selbst auch Politik machen können auf ihre Art und damit die ganze Stadt begeistern können und somit der Beschluss zurückgenommen wurde. Ich kann nur dafür plädieren, dass sich mehr Studenten in der Bürgerschaft engagieren und auch mehr in die Bürgerschaft einziehen und ein bisschen mehr die Stadt gestalten. Das können sie garantiert. Aus „Lübeck, rettet die Uni“ können wir nur lernen, wie das damals gemacht wurde. Tolle Ideen, tolle Sachen auf den Weg gebracht, kreativ gewesen und dem Minister und Ministerpräsidenten richtig die Kante gezeigt haben. Das war total klasse. Ich glaube, das brauchen wir mehr.

PACK: Wie würden Sie zu einem gläsernen Rathaus stehen? Wenn es wirklich in die Öffentlichkeit übertragen werden würde, was in den Sitzungen passiert?

Jansen: Ich würde es gut finden. Das fordern ja auch die Piraten. Wir haben ja jetzt den Offenen Kanal. Die Ausschüsse müssen übertragen werden. Ich finde, es ist einen Versuch wert, dies zu machen. Man muss dann mal schauen, wie viele Menschen sich das anhören, wie viele Menschen hätten Interesse, das auf dem Computer alles nachzuvollziehen. Das wäre einen Versuch wert und wir würden es auf jeden Fall unterstützen. Ich glaube, wir müssen auch heute so werden, also transparent und offen nach außen. Wir sind zu abhängig auch von den Medien. Wenn die Lübecker Nachrichten schlecht über unsere Bürgerschaftssitzung schreibt, heißt das ja noch lange nicht, dass es schlecht gewesen ist, was wir da gemacht haben. Vielleicht können Bürgerinnen und Bürger das auch mehr mitverfolgen und sich auch mehr einmischen. Das würde ich gut finden. Es kommen ja auch Menschen zu uns die sagen, ich fühle mich durch die Verwaltung nicht richtig behandelt, könnt ihr uns unterstützen. Das machen wir ja auch. Aber es kommen so einzelne, noch wenige. Wir kriegen das dann immer nur nebenher mit. Ich würde es gut finden, wenn wir es auf den Weg bringen können, dass das gläsern wird. Die Frage ist nur, wie das machbar ist. Das kostet ja auch Geld. Aber das wäre machbar.

PACK: Werden Sie häufig auf der Straße oder bei Veranstaltungen auf Themen angesprochen, die eigentlich gar nicht in den Kommunalpolitiksektor reingehören, sondern in Richtung Landespolitik oder sogar Bundespolitik gehen?

Jansen: Ja natürlich. Gerade in der Bildungspolitik ist es ganz extrem. Wir sind ja die Schulträger hier. Wir können entscheiden über das Bauwerk Schule. Wir können entscheiden, ob wir eine Gemeinschaftsschule haben wollen oder Realschulen, Regionalschulen oder Gymnasien, also die Schulart, oder wie viele Grundschulen wir haben wollen. Aber wir können nicht entscheiden, wie viele Lehrer es gibt, wie der Unterricht gestaltet wird, ob es G8 oder G9 gibt an den Gymnasien. Diese inhaltlichen Bildungsfragen können wir alle nicht entscheiden. Wir können nur über die äußere Hülle entscheiden. Da werden wir natürlich viel angesprochen. Wir können das dann in der Bürgerschaft anhand einer Resolution verabschieden, dass wir dann den Bürgermeister beauftragen, sich im Landtag oder im Bundestag für die und die Fragen einzusetzen. Aber dann schickt der Bürgermeister das an den Bundestag und dann kommt es dahin. Dann wird gesagt, sie haben es bekommen, aber sie können es nicht ändern. Das wird viel gefragt, aber die entscheidenden Fragen werden auf der Bundes- und Landesebene behandelt.

PACK: Können Sie aus Ihrer Erfahrung im Landtag sagen, ob solche Resolutionen dann wirklich beachtet werden?

Jansen: Sie werden ein bisschen in den Ausschüssen diskutiert, aber im Landtag selbst eher nicht. Vielleicht macht das die jetzige Regierung. CDU und FDP haben das damals gar nicht so richtig wahrgenommen. Die haben dann gesagt, dass es den Städtetag gibt, wo die Städte und Kreistage alle organisiert sind. Und unsere Sachen besprechen wir im Städtetag, da sind die Kommunen vertreten und deshalb müssen wir nicht unbedingt, wenn Lübeck zum Beispiel sagt, wir wollen jetzt aber da und da mitreden, das finden wir nicht gut hier in Lübeck, müssen sie es nicht haben, da sie es ja vorher schon mit dem Bürgermeister besprochen haben, im Rahmen des Städtetages.

PACK: Also kann man sagen, dass die Resolutionen manchmal ins Leere gehen.

Jansen: Ja. Die Kommune müsste eigentlich in ganz bestimmten Fragen auch viel bezahlen, z. B. Kindergartenaufbau, Krippenaufbau. Hier muss die Kommune die entscheidenden Sachen bezahlen, aber die Kommune kann überhaupt nicht entscheiden, was so passiert. Ich finde, die Kommune müsste in Fragen, auch von Naturschutz und Umweltschutz oder Finanzen mehr Mitspracherecht oder Macht haben. Bei Finanzen ist es ja auch so. Wenn wir den Haushalt verabschieden, dann muss die Kommunalaufsicht im Land das genehmigen. Der Haushalt wird immer nicht genehmigt, weil wir immer nicht genug gekürzt haben. Dann sagt das Land, ihr müsstet elf Millionen Euro an Investitionskosten einsparen. Das müssen wir auch machen. Da redet das Land rein, wie wir unsere Finanzen verteilen. Elf Millionen Investitionskosten heißt, dass Straßen hier nicht ausgebessert werden können, Schulen können nicht saniert werden, Schultoiletten können nicht saniert werden. Da finde ich muss die Kommune mehr Macht haben, ihre Finanzen selbst zu gestalten, selbstverantwortlich.

PACK: Würden Sie auch im Bundestag kandidieren wollen?

Jansen: Ich habe kandidiert. Ich bin auf Platz fünf auf der Bundesliste. Die Linken kriegen ja höchstens ein, zwei Plätze. Wir haben jetzt zwei Bundestagskandidaten gehabt und die eine ist jetzt wiedergewählt worden. Ich bin jetzt auch schon 63 Jahre alt. Jetzt muss man auch mal ein bisschen gucken, dass Jüngere nachkommen und die Sache machen. Man kann bis 70 Politik machen, aber Lust hätte ich schon, wenn ich ein bisschen jünger wäre. Ich habe auf Platz fünf kandidiert, aber wir kriegen ja keine fünf Sitze. Wir kriegen höchstens einen, oder wenn es hochkommt, zwei rein.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-antje-jansen-die-linke/feed/ 0
Interview mit Anette Röttger (CDU) https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-anette-rottger-cdu/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-anette-rottger-cdu/#respond Sat, 11 May 2013 22:00:01 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=139600 A_Röttger
Anette Röttger

StudentenPACK: Hallo Frau Röttger, es freut uns, dass dieser Termin so gut geklappt hat. Sie sind Kreisvorsitzende der CDU in Lübeck und bildungspolitische Sprecherin sowie Bürgerschaftsmitglied und in fünf Ausschüssen, verbringen Sie sehr viel Zeit mit Kommunalpolitik?

Anette Röttger: Als Bürgerschaftsmitglied bin ich bildungspolitische Sprecherin der CDU und habe letzten Sommer das Amt der Kreisvorsitzenden übernommen. Dadurch verbringe ich mehr Zeit mit der Kommunalpolitik und arbeite sehr stark daran, dass die Lübecker CDU wieder ein junges und frisches Bild gewinnt. Dazu gehört auch, Menschen anzusprechen, zu aktivieren und zu begeistern für Politik, Kommunalpolitik in erster Linie. Das erfordert, wenn man diese Aufgabe ernst nimmt, auch Zeit.

PACK: Was macht ein Kommunalpolitiker den ganzen Tag?

Röttger: Als Mutter von drei Söhnen bewirtschafte ich hier einen landwirtschaftlichen Betrieb. Das ist meine vorrangige Aufgabe. Kommunalpolitik ist eine ehrenamtliche Aufgabe, die ich in meiner Freizeit ausübe. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für andere Freizeitaktivitäten. Man muss das also als mein Hobby bezeichnen.

PACK: Wie viel Zeit nimmt die Politik in Anspruch?

Röttger: Das habe ich nicht direkt aufgeschrieben, aber es fordert mich schon täglich ein. Nicht nur durch die Tätigkeiten in der Bürgerschaft, sondern auch gerade im Moment zur Vorbereitung der Kommunalwahl können Sie davon ausgehen, dass ich täglich Programmpunkte habe. Das sind dann Veranstaltungen, an denen ich teilnehme, oder einfach Arbeiten vom Schreibtisch aus. Das, was wirklich Zeit kostet, ist, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, an Veranstaltungen teilzunehmen, präsent zu sein und sich auszutauschen mit anderen.

PACK: Wie kamen Sie dazu, sich für CDU und die kommunalen Themen in Lübeck zu engagieren?

Röttger: Ich gehöre zu den Menschen, die sehr verwurzelt in dieser Region sind. Wir haben eine sehr große erweiterte Familie, wir sind alle hier und haben nicht das Bestreben, hier wegzuziehen. So ein landwirtschaftlicher Betrieb bindet einen sehr stark an die Region. Dann fängt man an, darüber nachzudenken und sagt sich „Ich will das hier nicht alles laufen lassen, ich will das alles etwas mit entwickeln in dieser Region.“ Ich schätze einfach diese Stadt, die mir so am Herzen liegt, und das Umfeld der Stadt, ich spreche da speziell auch vom Süden Lübecks und den Lüb’schen Dörfern. Diese zählen alle zur Stadt hinzu und brauchen auch ein Sprachrohr im Lübecker Rathaus. Ich komme aus einem langjährigen Engagement im vorpolitischen Raum. Seit vielen Jahren bin ich in den Landfrauen aktiv und habe mich dort mit Menschen getroffen und mich ausgetauscht. Dabei dachte ich immer wieder: „Das muss politisch umgesetzt werden.“ Vor wenigen Jahren wurde ich dann aufgefordert, genau dies zu tun, unsere Wünsche politisch umzusetzen und mich für die Bürgerschaft aufstellen zu lassen. Das habe ich zur letzten Kommunalwahl 2008 getan und wurde auch in die Bürgerschaft hineingewählt und habe schwerpunktmäßig das Thema „Schule und Bildung“ gewählt. Als Mutter von drei schulpflichtigen Kindern bin ich in dem ganzen Prozess auch fit bin. Ich habe sogar selbst mal an Schulen unterrichtet, da ich von Beruf Ökotrophologin bin. Das alles führte dazu, dass ich immer tiefer in diese Materie hineinwuchs und immer mehr Menschen kennenlernte und ein Engagement dafür entwickelte. Ich denke, an so etwas muss man dranbleiben und eine Kontinuität herstellen, denn das ist, was Kommunalpolitik braucht in dieser Zeit. Wir brauchen keine Splitterungen oder kurzfristigen Aktionismus. Wir brauchen den weiten Blick und im Grunde genommen die längerfristigen Perspektiven. Diese müssen auch von Personen vertreten werden, die längerfristig in dieser Region bleiben wollen.

PACK: Was waren seit 2008 große Streitthemen, worüber wurde am heftigsten diskutiert?

Röttger: Da gibt es definitiv einige. Wenn wir uns den Bildungsbereich nehmen, ist uns immer wieder die überraschende Schulschließung der sanierten Schule in Moisling. Das hätten wir uns so nicht gewünscht. Wir als CDU haben das auch verhindern wollen. Doch dazu ist es nicht gekommen, das haben die Mehrheitsentscheidungen anders befunden. Eine andere Geschichte ist der Flughafen. Das war ein ständiger Dauerbrenner, eine ständige In-Frage-Stellung. Heute bin ich heilfroh, dass sich ein Investor gefunden hat, der einfach an diese Region glaubt. Er ist genauso wie ich überzeugt davon, dass Lübeck eine tolle Stadt ist, dass hier Entwicklungspotential ist. Er hat eine Vision, hier etwas weiterzuentwickeln. Da können wir wirklich froh sein, dass wir das zusammen mit den Bürgern in einer Vernunftentscheidung gemeinsam mit der SPD entschieden haben. Das sind ganz markante Punkte, die auch immer wieder deutlich gemacht wurden. Eine weitere ganz fatale und traurige Entwicklung ist die immer weiter wachsende Rekordverschuldung der Stadt. Da können wir froh sein, dass es den Konsolidierungsfonds des Landes gibt, der unter Peter-Harry Carstensen eingeführt wurde, wo wir auch mit Stimmen der CDU dazu beitragen konnten, dass Lübeck an diesem Pakt teilnimmt. Weitere Punkte sind natürlich in der gesamten Schul- und Bildungsentwicklung die Schulreform auf den Weg gebracht worden. Gemeinschaftsschulen und Gymnasien entstanden sind, da es jetzt auf ein Zwei-Säulen-Programm hinauslaufen wird. Dazu muss man noch sagen, dass wir Mensen bauen konnten und Gebäude sanieren konnten aufgrund des Konjunkturpakets der Bundesregierung. Das ist wichtig, zu wissen, wo das Geld herkommt. Da ist eine ganze Menge passiert.

PACK: Welche Themen sind kommunal, welche nicht? Wo liegt der entscheidende Unterschied?

Röttger: Da muss man sich sicherlich ein bisschen hineindenken. Nehmen wir als Beispiel den Bildungsbereich, auf kommunaler Ebene haben wir eine reine Schulträgerpolitik zu verantworten. Wir sind zuständig für Schulgebäude, Schulsekretärinnen, bewegliche Ferientage und solche Dinge. Die Entwicklung des Bildungsganges als solches, oder Lehrer-Stellenzuweisung. Hier findet allerdings eine Durchmischung statt, weil vor Ort die Bedürfnisse formuliert werden. Da gibt es dann Ausschüsse, die die Entwicklungen begleiten. Die dritte Ebene ist die Bundesebene, die in den letzten Jahren durch Gelder die Möglichkeit gab, energetische Sanierungen durchzuführen.

PACK: Werden Sie häufig von Bürgern auf gerade diese nicht-kommunalen Themen angesprochen?

Röttger: Das passiert häufig, wenn man in der Breiten Straße steht. Hier vor Ort im eigenen Wahlkreis passiert das nicht so oft. Hier kommt es eher dazu, dass die Leute auf mich zukommen und mir ihre lokalen Probleme schildern. Natürlich kommt es auch häufig vor, dass ich zu dem einen oder anderen Thema nur sagen kann, dass ich das weiterleite. Damit kann ich dann aber auch helfen. Als Kreisvorsitzende der CDU bin ich auch landesweit vernetzt und im Landesvorstand. Dadurch kann ich Verbindungen herstellen.

PACK: Glauben Sie, dass die Bevölkerung genau Bescheid weiß, was im Rathaus passiert?

Röttger: Ja, darüber bin ich sehr traurig. Ich versuche immer, meinen Kindern zu vermitteln, dass wir in einer Demokratie leben, wir dürfen nicht in eine Zuschauermentalität, ein Geschimpfe über Politiker und Politikverdrossenheit verfallen. Man ist aufgefordert zum Mitmachen. Das Mitmachen beinhaltet für die Bürger, sich zu informieren über die Wahlprogramme der Parteien und dann auch zur Wahl zu gehen. In der letzten Wahlperiode hat die Bürgerschaft ein schlechtes Bild abgegeben, denn über ein Drittel der Bürgerschaftsmitglieder wurden ausgetauscht. Dazu haben sich die Fraktionen immer weiter zersplittert. Mittlerweile haben wir zehn verschiedene Fraktionen im Rathaus sitzen, was im Grunde zu einer Handlungsunfähigkeit geführt hat. Das war für mich ein Grund, mich definitiv einer der großen Parteien anzuschließen. Wir müssen als Fraktion eine gewisse Fraktionsstärke haben, damit Kommunalpolitik noch als Ehrenamt leistbar ist. Mit etwa zwanzig Personen kann man alle Fachbereiche abdecken, das funktioniert nicht in kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen. Wir wollen konstruktiv nach Lösungen suchen und gemeinsam hier und da einen Kompromiss schließen. Studenten haben eine sehr gute Schulausbildung und streben einen Hochschulabschluss an, damit sind Sie Teil der qualifizierten Bevölkerung. Sie können sich nicht dieser Verantwortung entziehen und nicht wählen gehen.

PACK: Welche Themen sind aus Ihrer Sicht relevant für Lübecker Studierende?

Röttger: Für Sie wird es immer spannend sein: Wo und wie bekomme ich einen Arbeitsplatz? Die zweite Frage wird dann sein, ob Sie eine Familie gründen möchten. Dann drängt sich die dritte und letzte Frage auf, wo möchte ich wohnen. Kann ich den Wohnraum bezahlen und von dort aus alles erreichen? Auch die Bildungsangebote für Kinder sind da wichtig. Während des Studiums geht es eher um die Frage, wie der öffentliche Personennahverkehr läuft, wie ist die Uni ausgestattet und wie ist mein Umfeld gestaltet. Habe ich bezahlbare kulturelle Angebote, ist die Stadt attraktiv? Da hat Lübeck mit „Stadt der Wissenschaft“ und im Zuge der Absicherung der Uni einen erheblichen Schritt nach vorne getan. Dazu gehören auch Studenten, die den Kontakt zu den Schulen aufrecht erhalten. Das wird zukünftig nicht anders gehen, die Schulen müssen sich vernetzen mit den Hochschulen. Das hängt immer mit Personen und Persönlichkeiten zusammen und je besser wir das aufstellen, umso besser funktioniert das. Wir als CDU sind in dieser Hinsicht auch sehr bestrebt, dass wir hier in Lübeck auch bezahlte Arbeitsplätze schaffen. Der Standort bleibt ja immer davon abhängig, ob es Arbeitsplätze gibt. Das sind Themen, die man im Geldbeutel spürt. DA muss man Studenten auch drauf stoßen und sagen „Bringt euch ein.“

PACK: Wer macht Politik? Sie oder die Verwaltung?

Röttger:Die Hauptverwaltung ist die hauptamtlich arbeitende Ebene, während die kommunalpolitische Ebene immer die ehrenamtliche bleiben wird. Es ist nicht vorgesehen, dass die Kommunalpolitiker die Verwaltungsvorlagen erstellen sollen. Das würde auch nicht funktionieren. Die Verwaltung gibt die Dinge vor, aber die Politik ist durchaus durch Mehrheitsfindung in der Lage, diese Vorlagen zurückzuweisen und Änderungsanträge zu stellen, wir geben dem Ganzen die Handschrift. Deswegen sind Mehrheiten auch sehr wichtig, das verstehen die Bürger manchmal auch nicht so richtig, denn es ist ja ziemlich schwammig geworden zwischen den Parteien. Es kommt allerdings auf die Haltung an, in der CDU ist diese sehr von einem christlichen Menschenbild geprägt, da wird sparsam mit Geld umgegangen. Dies beeinflusst auch ein Verwaltungshandeln, die Verwaltung muss schon schauen, ob sie bei den von den Bürgern bestimmten Mehrheiten mit ihren Vorlagen durchkommt oder eben nicht.

PACK: Wir bedanken uns für das Gespräch!

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/interview-mit-anette-rottger-cdu/feed/ 0