Proteste – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Mon, 21 May 2018 11:54:30 +0000 de-DE hourly 1 Ein Tortenwurf und zwei Wochen Gefängnis https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/ein-tortenwurf-und-zwei-wochen-gefaengnis/ https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/ein-tortenwurf-und-zwei-wochen-gefaengnis/#respond Mon, 28 May 2018 09:30:30 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=375512
Heute wird die Torte gegessen statt geworfen: „Julia Pie“.Annika Munko | StudentenPACK.

Heute wird die Torte gegessen statt geworfen: „Julia Pie“.

Sie nennt sich „Julia Pie“ und bewarf im Herbst 2016 AfD-Politikerin Beatrix von Storch bei einer Wahlkampfveranstaltung mit einem Tortenboden mit Rasierschaum – 2017 wurde sie dafür wegen Beleidigung verurteilt und ging Anfang 2018 für zwei Wochen ins Gefängnis. Wie es zum Tortenwurf kam und wie sie die Zeit im Lübecker Frauengefängnis erlebt hat, erzählt die „nebenbei“ in Kiel Informatik studierende politische Aktivistin im Interview.

StudentenPACK: Würdest du kurz erzählen, wie es zu deinem Tortenwurf kam?

Julia Pie: Das war eine recht spontane Aktion: Die Antifa hatte Proteste gegen die AfD-Wahlkampfveranstaltung in Kiel organisiert. Ich hatte vorher mitbekommen, was Frau von Storch über den Gebrauch von Schusswaffen an deutschen Grenzen gesagt hatte, und fand, dass man so jemanden nicht einfach so sprechen lassen kann. Dazu wollte ich gerne etwas beitragen und habe am Abend vor der Veranstaltung zuhause geguckt, was ich noch so dahabe – das waren dann eben ein Tortenboden und Rasierschaum.

Lustigerweise wurde ich beim Abtasten am Eingang sogar noch gefragt, ob ich Torte dabeihabe. Ich sagte „Oh, ja, ich hab eine dabei.“ Die Security hielt das wohl für einen Scherz und meinte, ich könne meinen Korb am Rand abstellen. Das hat gut gepasst, denn das war direkt neben der Bühne – die perfekte Wurfposition.

PACK: Warum gerade ein Tortenwurf? Was macht einen Tortenwurf für dich zu einer guten Protestaktion?

Julia: Zum einen wollte ich damit zeigen, wie lächerlich die Argumente von Frau von Storch sind: Jemanden, der fordert, dass man auf Menschen an den Grenzen schießen soll, kann ich nicht als Gegenüber in einer politischen Debatte ernstnehmen. Um auf diese Lächerlichkeit hinzuweisen, erschien mir ein Tortenwurf ganz passend. Zum anderen war es ein „Hier seid ihr auch nicht sicher!“ an die AfD. Es ist nämlich so, dass in Kiel niemand mehr Räume an die AfD vermietet, sodass auch diese Veranstaltung in ihrem eigenen Parteibüro stattfinden musste – und selbst dort mussten sie feststellen, dass es Leute gibt, die nicht mit dem einverstanden sind, was sie fordern. Dazu kam, dass vor ungefähr einem Jahr eine Freundin von mir in Norwegen wegen eines Tortenwurfs auf eine rechte Politikerin im Knast saß, sodass sicher auch ein „Das könnte man hier doch auch mal machen“ mit dabei war.

Bei der Kundgebung zu Julias Haftantritt gab es nicht nur Kritik an Gefängnissen generell, sondern auch die Gelegenheit zum Törtchenwerfen.Hanna Poddig

Bei der Kundgebung zu Julias Haftantritt gab es nicht nur Kritik an Gefängnissen generell, sondern auch die Gelegenheit zum Törtchenwerfen.

PACK: Nur so aus Neugier: Wie bereitet man einen Tortenwurf am besten vor?

Julia: Am meisten Gedanken habe ich mir darüber gemacht, wie ich in den Raum reinkomme, welche Rolle ich spielen muss, um sicher reingelassen zu werden. Ich habe mir dann extra schicke Kleidung rausgesucht, einen Faltenrock und eine weiße Bluse, um die interessierte Jungwählerin, die noch nicht genau weiß, wie sie zur AfD steht, spielen zu können – mit Dreads wird man bei so einer Veranstaltung wohl eher nicht reingelassen. Das hat super funktioniert.

Werfen geübt habe ich vorher nicht – ich hätte in meinem Zimmer auch keine geeignete Testfläche gehabt.

PACK: Hast du absichtlich etwas geworfen, das nicht als “Körperverletzung” gewertet werden kann?

Julia: Es steckte schon die strategische Überlegung dahinter, dass Verletzen in dieser Situation nicht gut gewesen wäre. Das hätte der AfD nur geholfen, die Opferrolle einzunehmen und das wollte ich nicht. Um auf die Lächerlichkeit der Argumente aufmerksam zu machen, war ein Tortenwurf angemessener.

PACK: Wie ging es dann weiter?

Julia: Die Security hat mich direkt an die Polizei übergeben, die mich erstmal zur Wache verbracht hat. Ich wurde aber relativ schnell wieder freigelassen – als die Veranstaltung zu Ende war, war ich schon wieder draußen. Ein halbes Jahr später habe ich dann den Strafbefehl vom Amtsgericht bekommen, dass sie mich nach Beurteilung der Aktenlage wegen Beleidigung zu 800 Euro verurteilen wollen. Dagegen habe ich Einspruch eingelegt, um den Prozess dann bewusst als politische Bühne zu nutzen und Kritik an der AfD üben zu können. Letzten Endes wurden durch den Prozess aus den 800 Euro nur noch 150 Euro.

PACK: Warum hast du dich dazu entschlossen, nicht das Geld zu zahlen, sondern stattdessen ins Gefängnis zu gehen?

Julia: Ich bin in den Knast gegangen, um nochmal klar zu zeigen, dass ich zu dem, was ich tue, stehe und diese Geldstrafe nicht akzeptiere. Im Zuge dessen wollte ich auch darauf aufmerksam machen, dass Strafen und Gesetze nicht dabei helfen, Konflikte zu lösen: Auch nach meiner Zeit im Knast bin ich noch genauso wütend auf die AfD. In Deutschland werden Menschen wegen geringster Vergehen wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren eingesperrt, weil sie das Strafgeld nicht zahlen können. Da braucht es eher einen öffentlichen Personennahverkehr, der allen kostenlos zur Verfügung steht und keine Regelungen, die dafür sorgen, dass Schwarzfahrer, die das Geld für ein Ticket nicht haben, ins Gefängnis gehen und danach immer noch kein Geld für den Fahrschein haben.

PACK: Was waren deine größten Bedenken, bevor du ins Gefängnis gegangen bist?

Julia: Ich wusste nicht, wie psychisch belastend das Gefühl, tatsächlich eingesperrt zu sein, wird. Damit bin ich dann relativ gut klargekommen. Viel schlimmer war es für mich, tagtäglich mit Wärterinnen zu tun zu haben, die durchaus freundlich waren. Dadurch hat es viel Kraft gekostet, den politischen Widerstand aufrechtzuerhalten und bei der Einstellung „Knast und Leute einsperren ist scheiße, egal wie nett sie hier zu einem sind“ zu bleiben.

PACK: Du hattest dir vorgenommen, dich im Gefängnis auf die Prüfungen vorzubereiten – kann man im Knast gut lernen?

Julia: So halb. Im Knast rückt alles außerhalb der Mauern viel weiter weg, sodass man schnell meint, man könne ja, wenn man wieder draußen ist, noch lernen und hätte dann auch viel bessere Voraussetzungen, weil zum Beispiel fürs Programmieren ein Laptop nützlich wäre.

PACK: Welche Dinge durftest du außer deinem Laptop nicht mitnehmen?

Julia: Dazu gab es eine lange Liste. Es fing bei ganz banalen Sachen wie Zahnpasta an und reichte bis zur Yogamatte und Wärmflasche. Was Kleidung anging, war es so, dass eigene zwar mitgebracht werden durfte, in diese dann aber ein Patch eingebrannt wurde, der sich nicht wieder entfernen ließ. Deswegen habe ich dann doch darauf verzichtet, meine eigene Kleidung zu tragen und die Anstaltskleidung genommen.

PACK: Wussten deine Mithäftlinge als du kamst schon, dass du „die Tortenwerferin“ bist? Wie waren die Reaktionen darauf?

Julia: Der Frauenknast ist mit 60 Häftlingen sehr klein, da hat sich das schnell rumgesprochen. Ich wurde dann auch schon mal in der Bibliothek „Bist du die aus der Zeitung?“ gefragt. Die meisten fanden das mit dem Tortenwurf ganz amüsant und auch konsequent, dass ich ins Gefängnis gegangen bin anstatt das Geld zu bezahlen.

PACK: Wie sah dein Alltag im Gefängnis aus?

Julia: Am Anfang war ich im geschlossenen Vollzug und konnte später in den offenen Vollzug wechseln, da unterscheiden sich die Tagesabläufe. Im geschlossenen Vollzug wird man morgens um halb sieben vom Schlüsselrattern zur „Lebendkontrolle“ geweckt. Danach heißt es anziehen, frühstücken und Anträge abgeben. Die Zeit vor- und nachmittags, in der die lange einsitzenden Häftlinge gearbeitet haben, habe ich mit Lesen, Lernen, Briefe schreiben oder ähnlichem verbracht. Nachmittags gab es immer eine Stunde, in der man die Möglichkeit hatte, Sport zu machen. Abendbrot gab es gegen halb sechs und dann war noch eine Zeitlang „Aufschluss“, da konnte man den Gemeinschaftsraum nutzen oder einander besuchen. Um 20 Uhr war Einschluss in die Zellen, ab 22 Uhr Nachtruhe.

Im offenen Vollzug gab es nur die Mahlzeiten als feste Struktur. Dort waren die Zellentüren permanent offen, man konnte jederzeit in den Garten gehen und einige Frauen sind auch nach draußen zur Arbeit gefahren. Psychisch fand ich den offenen Vollzug deutlich fieser, weil man nicht von einer hohen Mauer mit Stacheldraht davon abgehalten wurde, das Gefängnis zu verlassen, sondern nur von einer Art Gartenzaun. Ich wusste die ganze Zeit, dass ich über diesen Zaun hätte klettern können, sodass ich mich zwingen musste, es nicht zu tun. Dieses Gefühl, gewissermaßen freiwillig im Gefängnis zu bleiben war ganz eklig.

PACK: Was hast du am meisten vermisst?

Julia: Am meisten habe ich es vermisst, von radikalen politischen Menschen umgeben zu sein, einen gemeinsamen Alltag zu haben und miteinander diskutieren zu können.

PACK: Wie beurteilst du das Gefängnisessen im Vergleich zur Mensa?

Julia: In der Mensa esse ich tatsächlich gerne, im Knast fand ich das Essen relativ schlecht. Morgens und abends gab es Brot – damit wurde man überhäuft, und mittags etwas Warmes, meistens irgendwas verkochtes. Das einzige, was mich positiv überrascht hat, war, dass es immer eine Schale mit Äpfeln im Aufenthaltsraum gab.

PACK: Wie darf man sich das Miteinander im Gefängnis vorstellen?

Julia: Das Miteinander kann man schon als gestört bezeichnen – für mich wurde es von grundsätzlichem Misstrauen bestimmt. Ich habe selbst gemerkt, dass ich mich gefragt habe, was eine Gefangene im Gegenzug von mir erwartet, wenn sie mir angeboten hat, ihr Duschgel mitzubenutzen. Das widerspricht eigentlich allem, wie ich sonst mit meinen Mitmenschen umgehe. Eine Frau sagte mir, der Knast habe sie misstrauischer, härter und aggressiver gemacht – das ist natürlich nicht, was mit einer Haftstrafe erreicht werden soll, und für mich auch ein Grund, warum ich es nicht sinnvoll finde, Menschen einzusperren. Dass jemand im Gefängnis über seine Fehler nachdenkt, alles bereut und wenn er wieder draußen ist, nicht rückfällig wird, weil er einen erneuten Haftaufenthalt vermeiden will , das ist ein Mythos. Im Gegenteil: Je länger jemand eingesperrt war, desto größer wird die Rückfall-Wahrscheinlichkeit.

Ansonsten spielen Lästereien oder wer mit wem ein Techtelmechtel hat eine relativ große Rolle, einfach deswegen, weil es sonst an Themen fehlt, weil kaum etwas passiert.

PACK: Was sind die seltsamsten im Gefängnis geltenden Regeln?

Julia: Eigentlich sind Männer und Frauen im Knast strikt voneinander getrennt, nur so etwas wie Schulunterricht, durch den man einen Abschluss nachholen kann, findet gemeinsam statt. Dabei gilt die klare Regel, dass man sofort aus der Schule rausfliegt, wenn man etwas mit dem anderen Geschlecht anfängt – da reicht schon rumknutschen. Dass die Frauen untereinander was am laufen hatten, wurde hingegen toleriert.

Ihre Zeit im Gefängnis verbrachte Julia in der Justizvollzugsanstalt Lübeck, der einzigen JVA Schleswig-Holsteins mit Frauengefängnis.Hanna Poddig

Ihre Zeit im Gefängnis verbrachte Julia in der Justizvollzugsanstalt Lübeck, der einzigen JVA Schleswig-Holsteins mit Frauengefängnis.

PACK: Hat sich für dich durch den Gefängnisaufenthalt etwas verändert?

Julia: Für mich hat sich durch den Knast nicht so viel verändert. Ich fand Knäste vorher schon scheiße und das ist so geblieben. Nachdem ich selber im Knast war möchte ich diesen in Zukunft stärker in den Fokus meiner politischen Arbeit rücken.

PACK: Seit Jahren heißt es in den Medien, dass in vielen Justizvollzugsanstalten Personal fehlt. Hast du davon etwas mitbekommen und wenn ja, was bedeutet das für die Insassen?

Julia: Ja, tatsächlich, das hat man auch in Lübeck gemerkt. An manchen Tagen erfolgte der Einschluss in die Zellen aus Personalmangel schon um 17 Uhr statt wie sonst um 20 Uhr. Was das betrifft bin ich sehr zwiegespalten, denn einerseits möchte ich überhaupt nicht, dass irgendwer in der JVA arbeitet und dieses System aufrechterhält, andererseits ist es eine Verbesserung der Haftbedingungen, wenn die Häftlinge abends länger in den Gemeinschaftsraum gehen können und nicht stupide in ihrer Zelle sitzen müssen.

PACK: Welche Tipps kannst du Anderen für eventuelle Gefängnisaufenthalte geben?

Julia: Ein Tipp ist auf jeden Fall, dass angezahlte Tage nicht vollstreckt werden dürfen. Ich war zu 15 Tagessätzen verurteilt worden, sodass auch meine Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage lang gewesen wäre, doch dadurch, dass ich einen Cent bezahlt habe, durfte der letzte Tag nicht vollstreckt werden und ich bin nach 14 Tagen wieder rausgekommen.

Ansonsten sollte man sich unbedingt etwas mitnehmen, womit man sich den Tag über beschäftigen kann – stricken, Radio hören, lesen… Stellt euch einfach vor, ihr macht eine lange Zugreise und habt kein Internet, was würdet ihr mitnehmen? Zusätzlich sollte man auch als Nichtraucher Tabak mit in den Knast nehmen, zum Tauschen.

Und, das hört sich vielleicht etwas paradox an, aber: Macht es nicht alleine. Damit meine ich nicht, dass man zum Händchenhalten zu zweit in den Knast gehen sollte, aber für mich waren meine Unterstützer, die mich zum Knast gebracht und abgeholt, draußen meine Alltags-Organisation übernommen und mir Briefe geschrieben haben, unglaublich wichtig.

PACK: Vielen Dank für das Gespräch!

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/ein-tortenwurf-und-zwei-wochen-gefaengnis/feed/ 0
Halle kämpft! https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/halle-kampft/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/halle-kampft/#respond Wed, 01 May 2013 03:50:30 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=132802
In Halle formt sich eine Protestwelle.

[media-credit name="Richard Bohn" align="aligncenter" width="645"] In Halle formt sich eine Protestwelle.

Die Slogans erscheinen irgendwie bekannt „Für die Erhaltung der Universitätsmedizin“, „Das Land braucht beide Medizinzentren.“ Es ist die Rede von den „unmittelbaren Auswirkungen der Schließung der Fakultät auf die Stadt und das Umland“, doch diesmal hört man diese Stimmen nicht aus Lübeck, sondern aus Halle. Unter dem Motto „Halle bleibt“ kämpfen dort Studenten zusammen mit Professoren und anderen Mitarbeitern der Klinik und der Universität um den Erhalt von Halle als einen von zwei Standorten, die ein Medizinstudium anbieten. Wer als Lübecker diese frühen Tage des Protests mitverfolgt, glaubt sich in einer bizarren Wiederaufführung eines bekannten Theaterstücks.

Der Fachschaftsrat Medizin

[media-credit name="Fachschaftsrat Medizin" align="aligncenter" width="645"] Der Fachschaftsrat Medizin organisiert in Halle den Protest.

Alternativloses Sparen

Der erste Akt beginnt an einem Dienstag mit dem Bekanntwerden der Überlegung des Finanzministeriums, aus finanziellen Gründen lediglich einen der beiden Medizinstandorte – der andere ist die Universität in der Landeshauptstadt selbst – zu erhalten. Dementsprechende Gerüchte sind am 23. April aus dem Umkreis der CDU-geführten Landesregierung unter Ministerpräsident Reiner Haseloff zu hören. Grund ist dabei insbesondere ein enormer Investitionsbedarf in das Klinikum, von fast einer halben Milliarde ist die Rede. „Ein steuerschwaches Land der Größe Sachsen-Anhalts […] kann sich nicht zwei medizinische Fakultäten und zwei Universitätskliniken leisten“, heißt es in einem internen Papier, welches der Mitteldeutschen Zeitung vorliegt.

Am Dienstag, dem 25. Mai 2010, erreichte vor der AStA-Sitzung die Studierenden der Uni Lübeck die Nachricht, dass die Sparliste der Haushaltsstrukturkommission der schwarz-gelben Koalition bekannt geworden war. Während Schlimmes für das Uniklinikum befürchtet wurde, traf der Inhalt nun Professoren und Studenten wie ein Hammer. „Das Medizinstudium wird auf Grund der begrenzten Ressourcen bei der Förderung exzellenter Forschung und Lehre nach Kiel verlagert. […] Ab dem Wintersemester 2011/2012 werden deshalb keine neuen Studienanfänger für Medizin in Lübeck immatrikuliert“, heißt es in dem Papier, welches dem NDR vorla.

„Die Sparpläne standen schon seit Jahren im Raum“, sagt Vigo Zühlke vom Fachschaftsrat Medizin der Uni Halle, doch nachdem die Wissenschafts- und Wirtschaftsministerin Birgitta Wolff (CDU) wiederholt kritisiert hatte, dass der Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) bei seinen Sparplänen Hochschulen auch mit in die Pflicht nehmen wolle, wurde sie kurzerhand gefeuert. Plötzlich wurde die Gefahr für Halle konkreter. Es heißt, der Hochschuletat sei bis 2025 um 50 Millionen Euro zu kürzen.

Die Lübecker Uni stand 2010 nicht zum ersten Mal vor ihrem Aus. Schon 2005 mussten die Studierenden auf die Straße gehen, um gegen die Zusammenlegung der Universitäten in Schleswig-Holstein zu demonstrieren. Damals gegen Pläne aus dem Ministerium von Wissenschaftsminister Austermann. Damals entstand der Kampfspruch „Lübeck kämpft für seine Uni“, der nun wieder an Aktualität gewinnt. Durch die Kürzungen in Lübeck sollen bis 2020 bis zu 24 Millionen Euro eingespart werden.

In Halle ist man von dieser Idee aus der nördlichen Landeshauptstadt naturgemäß überhaupt nicht überzeugt: Der Standort sei ein erheblicher wirtschaftlicher Faktor, immerhin handelt es sich um über 4000 Angestellte des Klinikums, die direkt betroffen wären. Zudem würden viele der Medizinstudenten nach ihrer Ausbildung als Ärzte in der Stadt und der Umgebung bleiben, ein wichtiges Argument für ein Bundesland, dem Ärzte fehlen. Und während der Medizinstudiengang in Halle nicht als besonders gut galt, so wird doch der zahnmedizinische Studiengang als einer der besten in Deutschland angesehen. Auch er würde nicht überleben. Dies erscheint mit dem Versprechen im Koalitionsvertrag, in dem man von starken Hochschulen gesprochen hatte, nicht vereinbar.

Studenten, Präsidium, ganz Lübeck stand im Mai 2010 nach den Nachrichten aus der nördlichen Landeshauptstadt unter Schock. In der AStA-Sitzung wurde bis tief in die Nacht diskutiert, wie vorgegangen werden solle. Dass die Sparpläne das Ende für die Universität bedeuten würden, war allen schnell bewusst. Außerdem war die Lübecker Uni mit immerhin über 5000 Beschäftigten in der Region, ganz zu schweigen von den mit der Uni kooperierenden und stark von ihr abhängigen Firmen, ein wichtiger Arbeitgeber. Dazu kam der Ärztemangel in Schleswig-Holstein, der ohne die ausgezeichnete Ausbildung in Lübeck schlimmer werden würde. Auch Uni-Präsident Dominiak wurde von der Nachricht überrollt. Zuvor hatte er sich immer auf den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein berufen, der ausdrücklich die Stärkung der beiden Hochschulstandorte Kiel und Lübeck in Aussicht gestellt hatte.

Die Nachricht kaum verdaut, tritt die Studierendenvertretung auf die Bühne. In der eilig einberufenen Vollversammlung am Mittwoch, die aus allen Nähten platzt, wird eine Resolution zum Erhalt beschlossen, in welcher es heißt: Man erkenne an, „dass der Haushalt des Landes Sachsen-Anhalt saniert werden muss. Die Politikerinnen und Politiker tragen jedoch die Verantwortung dafür, wenn selbst ihre Kinder und Eltern in Zukunft nicht mehr ausreichend medizinisch versorgt werden können.“ Es sei nicht zu verstehen, „dass eine Universität, die von Friedrich dem Weisen gegründet wurde, nun vom Finanzministerium geschlossen wird“. „Wir kämpfen nicht nur für die medizinische Fakultät, sondern für den Hochschulstandort Halle, mit allen dazugehörigen Institutionen“, betohnt Vigo Zühlke. In nur zwei Stunden unterschreiben fast 2000 Personen eine Petition mit entsprechendem Inhalt.

Am Mittwoch, dem 26. Mai 2010, konnte der Lübecker Hörsaal V1 die Vollversammlung nicht beherbergen. Zu viele wollten teilnehmen, eine Verlegung in den großen Saal im Audimax war nötig, reichte aber auch nicht aus. Einstimming beschloss der Senat in der Versammlung eine Resolution, in der es heißt „Der bereits entstandene Imageschaden für die Universität ist immens und kann nur durch ein deutliches Signal der Landesregierung für den Beibehalt des Medizinstudiums an der Universität zu Lübeck verringert werden.“ und weiter „Darüber hinaus gefährdet die Landesregierung mit dieser Maßnahme sämtliche Forschungsprojekte an unserer Universität“

Große Solidarität

In der Lokalpolitik in Halle fallen derweil die Grenzen zwischen den Parteien, einstimmig verurteilt der Stadtrat den Beschluss und unterstreicht die Bedeutung der Uniklink und der Universitätsmedizin. „Wenn der Fortbestand der Uni bedroht ist, dann ist auch die Zukunftsfähigkeit der Stadt bedroht“, sagt Dietmar Weihrich (Grüne). Auch Bernhard Bönisch (CDU) unterstützt die Resolution. Dies ist besonders brisant für die Landesregierung, da er auch Abgeordneter im Landtag ist. Unterstützung kommt auch von den Gewerkschaften, am Donnerstag erklärte DGB-Regionalchef Johannes Krause der Mitteldeutschen Zeitung, die Medizinische Fakultät dürfe „nicht ausgeschaltet werden“.

Im Rathaus und in der Bürgerschaft von Lübeck herrscht Einigkeit über alle Parteigrenzen. Wer die Medizin in Lübeck gefährdet gefährdet die Universität. Alle Mitglieder der Bürgerschaft stellen sich gegen den Sparbeschluss verkündet Bürgermeister Saxe nach der Abstimmung den jubelden Studenten auf dem Rathausplatz, die ganze Stadt steht „wie eine Frau oder ein Mann hinter der Universität“. Auch Gewerkschaften solidarisieren sich mit den Studierenden und Mitarbeitern.

Die protestierenden Studenten erhalten derweil Solidarität aus ganz Deutschland: „Was in Lübeck falsch war, wird in Halle nicht richtiger. Wir solidarisieren uns mit Studierenden und Mitarbeiter_innen!“, lässt man aus dem AStA der Uni Lübeck erklären. „Davon, dass in den Uniklinika der Putz von der Wand bröckelt und die Finanzpolitiker es nun so darstellen, als ob der Sanierungsstau über sie gekommen sei wie eine göttliche Strafe, können wir auch in Schleswig-Holstein ein Lied singen. Wer jahrelang nichts in Bausubstanz und Ausstattung investiert, der kriegt eben am Ende eine saftige Rechnung serviert. Dann den Unschuldsengel zu mimen und sich durch Privatisierung aus der Verantwortung für die öffentliche Gesundheitsversorgung zu stehlen, ist höchst unmoralisch“. Und trotz unbestritten knapper Kassen im Bundesland wendet man sich in Halle nicht gegen die Kommilitonen in Magdeburg. Der Protest habe es zum Ziel, beide Standorte zu erhalten. Auch an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg formt sich derweil unter dem Motto „Otto studiert Medizin“ eine eigene Protestbewegung.

Schon in den ersten Tagen im Sommer 2010 trafen Solidaritätsbekundungen ein. Der AStA der Uni Hamburg schrieb „Den Studiengang Medizin zu streichen halten wir bildungspolitisch für eine fatale Fehlentscheidung.“ Und trotz unbestritten knapper Kassen im Bundesland trafen auch von der Studierendenvertretung aus aus Kiel Solidaritätsbekundungen ein. Gemeinsam plante man, den Sparplänen entgegenzutreten.

Im Landtag in Magdeburg legt am Donnerstag Hartmut Möllring seinen Amtseid ab. Er ist nun Wissenschafts- und Wirtschaftminister und unterstützt uneingeschränkt die Sparpläne. Ministerpräsident Haseloff nutzte den Tag, um dem MDR mitzuteilen, der Sparkurs sei „alternativlos“. In Halle und Magdeburg evaluiert ohnehin derzeit der Wissenschaftsrat die Kliniken und Fakultäten, sein Gutachten ist für Halle besonders wichtig: „2009 gab es eine Vor-Ort-Begehung durch den Wissenschaftsrat, diese fiel sehr schlecht aus“, erklärt Vigo Zühlke. „Die Lehre wurde daraufhin komplett umgestellt, es wurde ein neues Curriculum eingeführt, zudem wurde ein Skillslab integriert, welches momentan zu einem der größten Deutschlands gehört. Am 17. und 18. April erfolgte ein erneuter Besuch des Wissenschaftsrates.“ Nun sollen im Juli die neuen Ergebnisse vorgelegt werden, ob sich Halle dabei deutlich verbessert, könnte über die Zukunft der medizinischen Fakultät entscheiden.

Im Landtag in Kiel zeigte man sich wenig beeindruckt. Ministerpräsident Carstensen, der in den kommenden Wochen des Sommers 2010 das Sparpaket wiederholt als „alternativlos“ bezeichnen wird, knüpft sein politisches Schicksal daran, dass die Koalition dem Sparpaket unverändert zustimmen wird. Noch standen die Mitglieder seiner Koalition, die nur eine Stimme Mehrheit im Landtag hat, hinter dem Sparpaket.

Samstag treffen sich in Halle Unterstützer aus verschiedensten Bereichen sowie Studierende verschiedener Hochschulen und gründen ein landesweites Bündnis. Das „Hochschulbündnis Sachsen-Anhalt“ setzt sich zum Ziel, die Sparwut in Sachen Bildung und Forschung der Landesregierung überall anzugreifen. Sollte die Landesregierung nicht einlenken, überlegt das Bündnis, die Politik mit einen Volksentscheid in die Schranken zu weisen. Am Montag treffen dann der neue Wissenschaftsminister und die Hochschulrektoren zusammen, doch die auf der Pressekonferenz präsentierten Ergebnisse sind ernüchternd: Einig sei man sich nur darüber, dass man sich nicht einig sei, sagt der Minister. Zu diesem Zeitpunkt hat die erst am Mittwoch aufgelegte Petition bereits 16.000 Unterzeichner.

Am Samstag, dem 29. Mai 2010, trafen sich in Kappeln an der Schlei die Vertreter aus AStA und anderen Gruppen der Uni, zusammen mit Vertretern der Fachhochschule und Vertretern aus Kiel. Sie begannen mit der Planung von Aktionen im ganzen Land. Es ging darum, sich zu organisieren und einen Arbeitsplan aufzustellen. Hauptaugenmerk lag auf einer geplanten Demo in der Landeshauptstadt im nächsten Monat. Am 1. Juni folgte das Treffen mit Gewerkschaftlern, die an der Demonstration ebenso teilnehmen wollten wie Mitarbeiter des Klinikums. In zahlreichen Protestaktionen kämpften die Studenten und Mitarbeiter in den folgenden Tagen gegen den Sparkurs der Regierung. Eine in diesen Tagen eingeleitete Unterschriftenaktion wird am 13. Juli in Kiel an den Ministerpräsidenten übergeben, 130.344 Menschen haben unterschrieben.

Auf die Straße

Die Spieler stehen auf ihren Positionen, die Ausgangslage ist klar. In einer Serie nennt man das wohl ein Cold Open, Zeit für den Vorspann, der zweite Akt kann beginnen: Am Dienstag, dem 30. April, findet in Halle die erste große Demonstration gegen die Sparpläne der Landesregierung statt. Um 15:00 Uhr treffen sich die Studierenden am Stadtpark um beginnen ihren Marsch zum Marktplatz, wo dann eine Kundgebung stattfindet. Viele tausend, die Presse spricht von 7000, Menschen kommen, nur eine Woche nach Bekanntwerden der Sparbeschlüsse, auf die Straße. Damit ist es eine der größten Demos in Sachsen-Anhalts seit der Wende. Im Demonstrationszug sind, wie die Mitteldeutsche Zeitung dokumentiert, nicht nur Studenten: Schüler, die um ihren zukünftigen Studienplatz bangen, und Hallenser, die sich dem Klinikum und der Universität verbunden fühlen, hat es auf die Straße getrieben. Auf dem Marktplatz ließt Anne Voß, Hauptrednerin des neu gegründeten Hochschulbündnisses, in Anwesenheit von Hartmut Möllring aus dem Koalitionsvertrag. Möllring selbst wird lange ausgebuht, bis er zu seiner kurzen Rede ansetzen kann. Berichte in der Tagespresse bleiben weitgehend aus, ein Demonstrant [über Twitter]: „Hab ich was verpasst, hat die @tagesschau wirklich nicht über #hallebleibt #lsableibt berichtet?“

bild4

30. April 2013: In Halle demonstrieren 7.000 gegen die Schließung der medizinischen Fakultät.

Richard Bohn

2010 dauert es einige Zeit bis die erste große Demo stattfindet. Am 16. Juni 2010 laufen 14.000 Menschen aus Lübeck, Kiel und dem ganzen Bundesland durch die Landeshauptstadt vom Bahnhof zum Landtag. Die größte Demo in der Geschichte der Landeshauptstadt. Die Demo begann um 15:00 Uhr und endete mit einer Kundgebung vor dem Landeshaus. Zur Überraschung vieler waren Wissenschaftsminister de Jager und andere Mitglieder von Koalition und Opposition, darunter auch die sechs Mitglieder der Haushaltsstrukturkommission, freiwillig vor dem Parlament erschienen, um die Reden von Studierendenvertretern, Professoren und Ärzten anzuhören. Einen Bericht in der Tagesschau gab es nicht.

16. Juni 2010: In Kiel demonstrieren 14.000 gegen die Schließung der medizinischen Fakultät.

 16. Juni 2010: In Kiel demonstrieren 14.000 gegen die Schließung der medizinischen Fakultät.

Thorsten Biet

Am 1. Mai machten die Gewerkschaften auch den Fortbestand der Medizinerausbildung in Halle zum Thema der jährlichen Kundgebungen. Weitere Aktionen und Demos in Halle werden folgen. Eins kann den Studenten in Halle Mut machen: Als das Stück in Lübeck aufgeführt wurde, gab es ein Happy End. Am 8. Juli 2010 knickte in Schleswig-Holstein die Landesregierung ein, die Medizinerausbildung in Lübeck war gerettet.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/05/halle-kampft/feed/ 0
Mehr Menschen haben Probleme mit dem Vögeln als mit dem Fliegen https://www.studentenpack.de/index.php/2012/02/mehr-menschen-haben-probleme-mit-dem-vogeln-als-mit-dem-fliegen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2012/02/mehr-menschen-haben-probleme-mit-dem-vogeln-als-mit-dem-fliegen/#respond Fri, 10 Feb 2012 12:00:17 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=2453 Simone Weigel | StudentenPACK.

Wovon ich rede? Von der Sexualmedizin, besser gesagt, von der nicht mehr vorhandenen Lehre der Sexualmedizin an der Universität in Kiel!

Da die Uni Sexualmedizin scheinbar als Nischenthema ansieht, beschloss man, das Lehrangebot einfach auszusetzen. Aber ist es nicht eine Schande, eine Sektion, die seit 1973 existiert und national und sogar international anerkannt ist, einzustampfen? Die Medizinische Fakultät rangiert beim nationalen Ranking im untersten Bereich und hätte mit der Sexualmedizin ein Alleinstellungsmerkmal halten können, da sexualmedizinische Forschung und Lehre nur an vier (in Zahlen: 4!!) Universitäten in der Bundesrepublik angeboten wird!

Als Wahlpflichtfach für Psychologie- und Rechtswissenschaftsstudenten waren die Seminare von Prof. Dr. med. Bosinski (Leiter der Sektion für Sexualmedizin) bereits meist für mehrere Semester im Voraus ausgebucht und die Evaluation war regelmäßig exzellent! Doch da Sexualmedizin in der Approbationsordnung für Ärzte nicht vorgesehen ist (aber Bestandteil der Ärztlichen Prüfung) und nebenbei auch nicht zu den fünf langfristig angelegten Forschungsschwerpunkten der Medizinischen Fakultät der CAU gehört, wurde die Weiterfinanzierung als nicht wichtig genug angesehen.

Im Raum steht also primär die Frage der Finanzierung, die immer noch unklar ist. Bisher trug das UKSH die Kosten großteilig, obwohl dieses eigentlich nur für die Patientenversorgung zuständig ist. Doch wer soll zukünftig die Forschung und Lehre in dem Gebiet der Sexualmedizin bezahlen? Die formale Ebene war für die Studierendenschaft schnell geklärt: Unsere Uni und das Wissenschaftsministerium sind dafür zuständig! Offensichtlich ist das diesen beiden Parteien nicht bewusst, da die Sektion seit dem 1. Januar 2012 um die Hälfte der Mitarbeiter reduziert wurde.

Der Großteil der Politik hat dieses Bewusstsein scheinbar auch noch nicht erlangt, sorgte doch die Regierung des Landes Schleswig-Holstein dafür, dass ein Antrag der Finanzierung durch das Land abgelehnt und einem Änderungsantrag, diese Thematik im Bildungsausschuss erneut, zum X-ten Male, zu diskutieren, zugestimmt wurde.

Darum fehlen eigentlich nur 150.000€ im Jahr, um den Erhalt zu sichern, doch die Mitarbeiter, die Drittmittel (die über diesem Wert stehen) akquirierten, mussten gehen oder sind gegangen, da die Zukunft ihrer Anstellung unsicher war. Wie soll man seine Arbeit fortsetzen, wenn einem die Logistik entzogen wird? Anstatt sich dem Problem zu stellen, welches seit Oktober 2011 bereits im Raume steht, wird der „Schwarze Peter“ der Zuständigkeit von Einem zum Anderen geschoben.

Das Präsidium der Uni Kiel reagierte bisher einzig auf dieses Problem damit, dass die Stelle für die Lehre über die Psychologie neu ausgeschrieben wurde. Da kommt doch die Frage auf, warum es scheinbar Mittel für die Bezahlung eines neuen Lehrbeauftragten gibt, nicht aber Geld für die ja schon vorhandenen Mitarbeiter der Sektion, die nun finanziell nicht mehr zu halten waren?!

Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Sektion wichtig ist, trotz allem muss Herr Prof. Bosinski seit über zehn Jahren um den Erhalt kämpfen! Es gab einige Lösungsvorschläge, zum Beispiel den, die Sektion für Sexualmedizin als eigenständige Struktur im Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP) anzusiedeln, doch das wurde vom Unipräsidium abgelehnt. Prof. Bosinski stellte mehrfach Anträge, die Sexualmedizin als Wahlfach anzunehmen, was an anderen Universitäten möglich ist. Zumal Sexualmedizin im Bereich der Neurowissenschaften angesiedelt ist und diese zu den Forschungsschwerpunkten des UKSH gehören. Auch das wurde abgelehnt! Schaut man sich diese Fakten an, bleibt einzig die Annahme, dass die Universität und das Wissenschaftsministerium diese Sektion einfach nicht weiterführen wollen!

Dabei ist ihr Erhalt so wichtig, denn diese Sektion am UKSH ist die einzige Einrichtung, die sowohl Forschung, Lehre, als auch Patientenversorgung (Prävention, Diagnose, Therapie) bei Opfern und Tätern anbieten kann. Forschungen zu Ursachen, Verlauf, Diagnostik, Begutachtung und Therapie von sexuell gestörtem und übergriffigem Verhalten (kurz: Sexualdelinquenz und Paraphilien) wurden vorangetrieben und besonders hervorzuheben ist ebenfalls das bundesweit einzige sexualphysiologische Forschungslabor! Es gab sogar Forschung zur effizienten Gestaltung einer Therapie, die durch Drittmittel des Landesministeriums für Justiz unterstützt wurde.

Die Politik hatte genau dies schon einmal begriffen, denn ab 1996 begann man sich ein Zentrum zu leisten, welches Beratung und Therapie in diesem Bereich anbietet und das, obwohl Schleswig-Holstein schon damals zu den armen Bundesländern gehörte! Das Verständnis für diese Thematik war also da, doch wo ist sie nun hin? Oder liegt es vielmehr daran, dass da jemand von oben Ansagen macht? Denn erst seit andere Bundesländer ebenfalls Zentren aufbauen, wird das Zentrum in Schleswig-Holstein abgebaut!

Das Thema Sexualmedizin scheint mittlerweile ein heikles zu sein, gerade deshalb haben wir die Verpflichtung aufzuklären und zu helfen! Intersexualität und Homosexualität ist noch heute in unserer Gesellschaft nicht vollends akzeptiert. Paraphilie und Pädophilie wird häufig totgeschwiegen.Und obwohl Alle sexuelle Gewalt verteufeln, engagiert sich kaum einer für die Therapien der Opfer und Täter! In Bezug dazu steht, dass ca. 35% der Bevölkerung an einer sexuellen Störung leidet! Gerade deshalb sollten sexuelle Themen nicht weiter ausgeblendet werden!

Und noch etwas Anderes wird deutlich und das ist erschreckend: Die Universität kann einfach, ohne Ausweichangebote anzubieten, die Lehre von einem zum anderen Semester einstellen und zwar in jedem beliebigen Fach!

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2012/02/mehr-menschen-haben-probleme-mit-dem-vogeln-als-mit-dem-fliegen/feed/ 0
Etwas läuft falsch https://www.studentenpack.de/index.php/2011/11/etwas-lauft-falsch/ https://www.studentenpack.de/index.php/2011/11/etwas-lauft-falsch/#respond Mon, 14 Nov 2011 11:19:13 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=2091 Die Blicke der Studentinnen und Studenten sind auf das Podium gerichtet. Einige von ihnen hatten sich zuvor an den weltweiten Protesten gegen das Finanzsystem beteiligt, alle gemeinsam hatten sie ein Wochenende über die Möglichkeiten eines neuen Weltwirtschaftssystems diskutiert. Im Rahmen der Fachschaftstagung „Globale Zusammenarbeit“ hat das Cusanuswerk, eine Podiumsdiskussion über die „Chancen einer neuen Weltwirtschaftsordnung“ organisiert. „Etwas läuft falsch in der Welt“, mit diesen Worten begrüßt Moderator Michael Groß die Politikerinnen und Politiker von Grünen, SPD und CDU, sowie den stellvertretenden Vorsitzenden vom ökosozialen Forum Deutschland, Detlef Wendt. Michael Groß listet die immer gefährlicher werdenden Finanzspekulationen, die Ausbeutung der Ökoressourcen und die exponentiell wachsende Weltbevölkerung auf. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten möchten eine entscheidende Frage von der Politik beantwortet haben: „Wie kann eine zukünftige Weltwirtschaftsordnung aussehen, damit der Planet nicht kollabiert und die Schere zwischen arm und reich nicht weiter auseinander driftet?“

Darüber, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, herrscht auf dem Podium überraschend große Einigkeit, wie sofort deutlich wird. „Wir brauchen Wachstum, was entkoppelt ist vom Ressourcenverbrauch“, glaubt Stefan Engstfeld, Landtagsabgeordneter der Grünen. Aber genauso wichtig sei ein besserer Zugang für Entwicklungsländer zu unseren Märkten. Damit müsse man die Agrarsubventionen der EU auf den Prüfstand stellen. Zu ganz so klaren Worten kann sich Christoph Jansen (CDU) nicht durchringen. Der Ortsvorsitzende der Jungen Union sieht durch die letzten Jahre bewiesen, dass „der offene Handel der beste Weg“ sei – „allerdings mit gewissen Regeln“. „Wir müssen vor allem etwas auf der persönlichen Ebene tun“, so Jansen. Das sieht Barbara Hendricks, Bundestagsabgeordnete und Schatzmeisterin der SPD, anders. „Banken müssen wieder eine dienende Funktion für die Wirtschaft haben und die Wirtschaft eine dienende Funktion für den Menschen.“ Die Antwort, wie man dies weltweit wirklich realisieren könne, bleibt sie schuldig. „Wenn wir dazu die Amerikaner nicht mit ins Boot kriegen, dann bin ich ratlos.“ Stefan Engstfeld fordert, dass Europa in diesem Fall eben die Führungsrolle übernehmen müsse. „Wir können nicht mehr warten.“ Detlef Wendt, Vertreter der „Global Marshall Plan Initiative“ und Verfechter der „ökosozialen Marktwirtschaft“, will durch weltweite handelspolitische Verfahrensstandards und die Einführung einer „leverage money tax“ (Steuer auf hochspekulative Finanzprodukte) ökologische und soziale Rahmenbedingungen durchsetzen und fordert, dass eine Balance ins Weltwirtschaftssystem gebracht wird, die uns verloren gegangen sei.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben viele Rückfragen. Ob sich kein Politiker traue, auf den Verzicht aufmerksam zu machen, der nötig sei, wenn wir die Welt gerechter gestalten wollen? Ob die Politik nicht längst ihre Macht an die Wirtschaft verloren habe und wie die ökologischen und sozialen Standards durchgesetzt werden könnten? Verhaltene Stille auf dem Podium, gefolgt von leeren Worten. Detlef Wendt appelliert in seinem Schlusswort: „Ihr seid die junge Generation. Empört euch! Und dann: engagiert euch!“

Am Ende der Veranstaltung war die Empörung erreicht – zumindest bei mir.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2011/11/etwas-lauft-falsch/feed/ 0
Europe – Hands off our Medicines https://www.studentenpack.de/index.php/2011/01/europe-hands-off-our-medicines/ https://www.studentenpack.de/index.php/2011/01/europe-hands-off-our-medicines/#respond Sat, 15 Jan 2011 14:50:19 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/wordpress/?p=319 Donnerstagabend um 19:30 Uhr wurde auch die Letzte unserer kleinen Brüsselgruppe aus ihrem Physiologiepraktikum befreit, um gemeinsam mit uns zur Bushaltestelle zu stürzen, den Bus gerade noch zu bekommen und dann den Zug nach Hannover zu nehmen. Vier Mädels aus dem 3. Semester Medizin hatten sich aufgemacht, um dem Aufruf aus Berlin von „Ärzte ohne Grenzen“ zu folgen. Der Aufruf hatte insbesondere Ärzte und Medizinstudierende aufgefordert, mit nach Brüssel zu kommen, um dort am 10. Dezember 2010 gegen das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien zu protestieren. Ausgerechnet am Tag der Menschenrechte fand das Gipfeltreffen zwischen der EU und Indien statt und die Partner verhandelten den Entwurf, der im Frühjahr nächsten Jahres verabschiedet werden soll. Zu den Forderungen der EU gehört eine erschwerte Zulassung von Generikaprodukten und die Verlängerung des Patentschutzes, der bislang in Indien 20 Jahre beträgt. Außerdem wurden in der Vergangenheit bereits häufiger in Indien hergestellte Medikamente auf dem Weg nach Lateinamerika oder Afrika in europäischen Häfen beschlagnahmt. Die indische Regierung soll nun ihr Einverständnis dazu geben, dass Medikamente im Rahmen des neuen Freihandelsabkommens legal beschlagnahmt werden können. Da ich gerade noch auf dem Bundeskongress des bvmd ein Seminar zum Thema „Global Health“ belegt hatte, bei dem unter anderem auch auf die Auswirkungen der Patentrechte auf die medizinische Versorgung in Entwicklungsländern eingegangen worden war, schrieb ich sofort nach Berlin und sicherte den Studierenden der Uni Lübeck ein paar Plätze in dem Bus. So kamen wir am besagten 10. Dezember um 8:30 Uhr nach einem langen Stau gerade noch rechtzeitig zur geplanten Aktion. Zur einen Hälfte als Ärztinnen und Ärzte verkleidet und zur anderen Hälfte mit T-Shirts mit der Aufschrift „HIV-positiv“ bekleidet, standen wir zusammen mit etwas mehr als 100 Aktivistinnen und Aktivisten vor dem Justus-Lipsius-Gebäude in Brüssel. „Europe – Hands off our Medicines“ lautete der Slogan, den wir immer und immer wieder, begleitet von Trillerpfeifen und Vuvuzelas riefen. Dann fingen drei als Merkel, Sarkozy und Berlusconi verkleidete Mitdemonstranden an, eine Mauer zu errichten und mit ihren riesigen europafarbenen Klauenhänden die Medikamente von Ärzten und HIV-positiven Patienten fernzuhalten. Als die Mauer zu hoch war und keine Medikamente mehr von der anderen Seite zu uns gelangen konnten, kam es zu einem sogenannten „die-in“. Unsere Mitdemonstranden in den „HIV-positiv“-T-Shirts zeigten enorm viel Einsatz und lagen trotz massivem Regen und dementsprechend aufgeweichtem Boden auf der Erde und rührten sich nicht. Ein eindrucksvolles Bild, das wir durch erneute und nachdrückliche „Europe – Hands off our medicine“ Rufe begleiteten.

Von den Veranstaltern wurde uns mitgeteilt, dass die Aktion eine „überwältigende Präsenz in den europäischen Medien“ bekommen habe. „So gut wie alle Artikel zum EU-Indien-Gipfel haben die Proteste bzw. die Problematik, dass die Generikaproduktion in Indien bedroht ist, mit aufgenommen!“ wurde uns in einer anschließenden Mail mitgeteilt. Das hat uns natürlich ganz besonders gefreut und wir hoffen, dass es auch andere Studierende motiviert, sich für Dinge, die Ihnen wichtig sind, zu engagieren, denn man kann mehr bewegen als man manchmal denkt. Und solche kreativen Protestaktionen, wie diese in Brüssel, ergänzen andere diplomatische Wege, die gegangen werden müssen, um zu einem Ziel zu gelangen.
„Ärzte ohne Grenzen“ hat sich natürlich auch inhaltlich viel mit dem Thema beschäftigt und unter anderem einen offenen Brief an unsere Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und unseren Gesundheitsminister Philipp Rösler geschrieben, in dem sie auffordern, sich auf EU-Ebene einzumischen. In dem Brief heißt es: „Ärzte ohne Grenzen bezieht antiretrovirale Medikamente zur Versorgung der HIV/Aids-Patienten zu 80 Prozent vom indischen Generika-Markt. Die Verfügbarkeit von so genannten Kombinationspräparaten hat die Behandlung von HIV/Aids-Patienten revolutioniert: Diese Kombinationstabletten sind besonders geeignet, eine optimale Behandlung in ärmeren, strukturschwachen Ländern zu gewährleisten. Die Bereitstellung dieser Kombinationspräparate ist nur möglich, weil Indien keine Patent-Hemmnisse kannte, die diese Zusammenstellung behindert hätte. Heute erhalten vier Millionen HIV-Infizierte die lebensrettende antiretrovirale Aids-Therapie. 92 Prozent von ihnen erhalten Nachahmerpräparate, sogenannte Generika – meistens aus Indien. Im Zuge der Anpassung an WTO-Standards hat Indien ein Patentrecht entwickelt, das eine ausgewogene Balance zwischen dem Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten für Patienten und den Interessen von Pharma-Unternehmen schuf. Wir sind besorgt, dass das EU-Indien-Freihandelsabkommen Bestimmungen enthalten könnte, die diese Entwicklung zunichte machen würde. Dies wäre ein erheblicher Rückschritt mit fatalen Folgen.“

Wenn ihr es jetzt nicht mit nach Brüssel geschafft habt, die Initiative von Ärzte ohne Grenzen aber trotzdem für unterstützenswert haltet, könnt ihr euch im Internet an einer Mailaktion beteiligen. Außerdem bekommt ihr weitere Informationen und vor allem aktuelle Aktionen zu der Kampagne unter msfaccess.org/. Denn das Freihandelsabkommen ist ja noch nicht beschlossen. Es ist besonders wichtig, dass die Aufmerksamkeit der Medien, aber natürlich auch der Bevölkerung, jetzt nicht nachlässt und die Verhandlungen weiterhin beobachtet werden. Und gerade uns als Medizinstudierenden sollte die Weltgesundheit nicht egal sein.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2011/01/europe-hands-off-our-medicines/feed/ 0
T-Shirt Verbot in Baden-Württemberg https://www.studentenpack.de/index.php/2010/12/t-shirt-verbot-in-baden-wurttemberg/ https://www.studentenpack.de/index.php/2010/12/t-shirt-verbot-in-baden-wurttemberg/#respond Mon, 06 Dec 2010 09:00:56 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=107737 AStA Uni Freiburg

Mit diesem Shirt wollen sich die Studenten aus Baden-Württemberg seit 2006 für bessere Bildungspolitik einsetzen und verkaufen es über das Internet. Nun will das Innenministerium verbieten, dass die Shirts verkauft werden und dass es getragen wird.

Der Grund dafür ist, dass es eine Ordnungswidrigkeit sei, das Landeswappen zu nutzen. Denn nach der Wappenordnung dürfen nur bestimmte Landesbehörden und Institutionen das Wappen führen.

Der Konflikt fing so an, dass ein Student, der dieses Bildungsstreik-Shirt trug, von einem Mitarbeiter des Innenministeriums darauf hingewiesen wurde, dass es ordnungswidrig sei, das Wappen auf dem T-Shirt zu nutzen. Später erhielten dann die ASten aus Baden-Württemberg eine E-Mail, in der stand, dass der Verkauf und das Tragen des T-Shirt untersagt werden sollte. Jedoch haben sich die Studenten von Anwälten bestätigen lassen, dass es unter Kunstfreiheit falle.

Warum aber erst jetzt? Es wird spekuliert, dass es an den Landtagswahlen liege, die am 27. März 2011 sind und das gibt natürlich kein gutes Bild an das Volk.

Jedoch lassen sich die Studenten nicht davon abschrecken und scheuen sich nicht davor, sich gerichtlich mit dem Ministerium auseinanderzusetzen.
Des Weiteren sind sie dem Innenministerium sogar dankbar, denn dadurch haben die Studenten mit dem Shirt mehr profitiert als bisher.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2010/12/t-shirt-verbot-in-baden-wurttemberg/feed/ 0
Herrschaftsfrei und durchgegendert https://www.studentenpack.de/index.php/2010/04/herrschaftsfrei-und-durchgegendert/ https://www.studentenpack.de/index.php/2010/04/herrschaftsfrei-und-durchgegendert/#respond Mon, 12 Apr 2010 08:00:07 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=109165
Juri Klusak

Die Alte Mensa, einen Monat in Besetzerhand.

Mittwoch, 18. November 2009. 23:55 Uhr, Alte Mensa, Uni Kiel.

Vorn auf dem Hörsaalpult sitzt eine zierliche junge Frau und leitet die Diskussion. Sie spricht ohne Mikrophon zu einigen hundert Leuten. So laut, wie ich vielleicht daheim am Esstisch reden würde. Das Plenum ist so mucksmäuschenstill, dass auch in den hinteren Reihen jedes Wort deutlich zu verstehen ist. „Als nächstes auf der Rednerliste habe ich: Dich hier vorne im weißen Pulli, dann kommt Flori [Amn. d. Redaktion: Alle Namen geändert.] und danach irgend jemand am Fenster – ach ja, genau, Du da.“

Zwei Stunden tagt das erste Besetzerplenum jetzt schon, die Luft im Hörsaal der Alten Mensa wird langsam miefig, aber die Kommunikation funktioniert: Wer reden will, meldet sich und landet auf der Rednerliste, wer redet, steht auf und stellt sich vor. Fast jede dieser Regeln hat das Plenum ausgiebig diskutiert und abgesegnet. Allein die Diskussion über den Abstimmungsmodus hat mehr als eine halbe Stunde gedauert. „Herrschaftsfreier Diskurs“ heißt das Zauberwort. Niemand soll sich mit Macho-Gehabe durchsetzen können. Jeder Mensch darf am Plenum teilnehmen, mitreden und abstimmen. Die linken Einflüsse auf das Besetzer-Milieu sind nicht zu verkennen – und gerade darum geht es bei dieser Diskussion. Ich verfolge sie gespannt, denn ich sehe die Besetzung als Spielwiese des Miteinanders, als gelebte Basisdemokratie. An den bildungspolitischen Inhalten bin ich als Student im Endstadium nur halbherzig interessiert. Später wird sich herausstellen, dass ich damit nicht allein bin.

Die Frau im weißen Pulli in einer der vorderen Sitzreihen beginnt zu reden, nur ein paar Satzfetzen kommen an. „Aufstehen“, schallt es aus dem Plenum. Sie steht auf und dreht sich nach hinten, lächelt nervös, wird sofort wieder ernst. „Als ich hier eben hergekommen bin…“ – „Entschuldige, wie heißt Du?“ unterbricht das Mädchen vorn auf dem Pult. „Ich bin Nina. Also, nochmal. Als ich eben hier hergekommen bin und draußen die Banner gesehen habe,“ beginnt sie unsicher, „da war ich gleich abgeschreckt. Die Rote Fahne, ‚Kapitalismus abschaffen‘, ich mein’, das sagt eben was darüber, wer diesen Protest macht und damit fühlen sich andere Leute sofort ausgeschlossen. Und deshalb finde ich, die Banner draußen sollten abgehängt werden.“ Während sie sich setzt, gehen im Plenum einige Dutzend Hände in die Luft und winken – ein Zeichen, das Applaus bedeuten soll, denn echter Applaus ist zu laut und zeitaufwändig und wäre bei einigen hundert Diskutanten und ebenso vielen Meinungen ein echter Störfaktor.

Die Fahnenfrage ist ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Beflaggung und linksradikale Symbolik, geduldet oder ausgeschlossen – diese Diskussion erhitzt die Gemüter schon am ersten Abend und entnervt einige Besucher so sehr, dass sie gleich wieder heim fahren. Gegen ein Uhr nachts steht schließlich Lars auf, ein schwarz gekleideter, bulliger Typ mit stattlichen Koteletten: „Ich kann euch gut verstehen“, wendet er sich an die Flaggenbefürworter, „ich finde Symbole auch total wichtig. Aber ich finde, wir sollten uns an dieser Frage nicht spalten lassen.“ Er predigt Verständnis für beide Seiten, dann stellt er noch einmal den Antrag auf Entfernung der Fahnen. Die überwältigende Mehrheit des Plenums ist dafür. Lars ändert seinen Tonfall: „So, und hat jetzt irgend jemand noch ein Veto dagegen?“ Es klingt fast wie eine Drohung.

Mit herrschaftsfreiem Diskurs hat diese Diskussion spätestens jetzt nicht mehr viel zu tun und im Rückspiegel erkenne ich: Schon hier scheitert das soziale Experiment der Besetzung an der Uni Kiel. Alle sollen gleiche Rechte haben, jeder frei entscheiden können, keiner soll sich benachteiligt fühlen – die Realität sieht anders aus. Natürlich gibt es auch hier Sprecher für bestimmte Gruppen und bestimmte Meinungsbilder, natürlich gibt es auch hier Leitwölfe, wie in jeder anderen Versammlung von Menschen. Natürlich gehen auch hier Einzelne enttäuscht nach Hause, weil ihre Meinung kein Gehör gefunden hat und einzelne Wichtigtuer sich in den Vordergrund drängeln. Der wesentliche Unterschied scheint mir im Nachhinein zu sein, dass gerade über die unwichtigsten Fragen am längsten diskutiert wird. Das Motto scheint zu lautet:

Es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Für jetzt schwimme ich auf einer Welle der Euphorie, denn im Hörsaal bricht Jubel aus. Die Einigung ist erreicht. Einer der Besetzer holt seine rote Flagge vom Vorplatz in den Hörsaal herein.

Juri Klusak

Das Foyer.

Donnerstag, 19. November 2009. 13:10 Uhr.

Die Stimmung in der Alten Mensa ist ausgelassen. Das Vorlesungsgebäude ist wieder zur Futterstelle geworden. Im Foyer ist ein regelrechtes Buffet aufgebaut und der Duft von frischem Brot liegt in der Luft. Außerdem gibt es Gemüsesuppe aus geschnorrten Resten vom Markt, Salat, Käse und kistenweise Obst. Wer etwas essen möchte, wirft einen Kostenbeitrag in ein Spendenglas und bedient sich. Das System funktioniert, der Spendentopf ist übervoll. Nebenan im kleinen Hörsaal feilt der Arbeitskreis Presse fieberhaft an der Außendarstellung der Besetzer. Die Lokalpresse regt sich langsam und soll empfangen und herumgeführt werden. Auch eine Reporterin der taz hat sich schon angemeldet. Ein Blog, ein Twitteraccount und diverse Kommentarseiten im Internet wollen gefüllt und gepflegt werden.

Ein wenig rätselhaft ist für mich, woher die ganze Infrastruktur so plötzlich kommt. Nach der Bildungsstreik-Demo am Mittwoch hatten sich einige hundert Studenten in der Alten Mensa versammelt und die Besetzung beschlossen. Den Aufruf zu dieser Versammlung hat Lua herausgegeben. Ich kenne sie flüchtig, ein unscheinbares Mädchen mit Dreadlocks und einer Affinität zum leicht Verrückten. „Ich hatte gehofft, dass irgendwas passiert,“ erzählt sie mir zwischen Hörsaaltür und Angel, „aber dass so ein Riesending draus wird… So viele Leute!“ Sie strahlt von einem Ohr zum anderen und verdreht die Augen, dann muss sie wieder weg, um irgend etwas zu organisieren. Besetzung, das bedeutet: vorläufige Aneignung des Gebäudes, Zeit und Raum für Diskussion und Information. Dass in diesem Gebäude bis auf weiteres keine Vorlesungen stattfinden können, erkennt sogar die Universitätsleitung an, die den Besetzern eine Duldung bis zum Montag ausgesprochen hat. Einige dutzend Studenten haben oben im Schlaf-Hörsaal übernachtet, hunderte Unterstützer treiben sich jetzt irgendwo an der Uni herum, besuchen ihre Vorlesungen und Seminare. Im Abendplenum sollen heute noch mehr Studenten für die Besetzung gewonnen werden. Wer vor dem Audimax ein Ohr aufsperrt hat, weiß aber, dass die meisten Kommilitonen ihr Vorurteil schon längst gefasst haben: Einige linke Spinner, so die gängige Meinung, wollen auf den Putz hauen und in der Alten Mensa ein bisschen Revolution spielen.

Entgegen aller Unkenrufe füllt sich abends um sieben der Hörsaal mit Studenten aller Couleur. Da sitzt der Neo-Hippie neben der Jurastudentin, die libertäre Feministin neben dem hochgeklappten Polohemdkragen von der Jungen Union. So unterschiedlich wie die Diskutanten sind auch die Diskussionsthemen, die nun durcheinander gemischt werden. Die freiwilligen Moderatoren verzweifeln an der Aufgabe, die Tagesordnung beieinander zu halten. Eine resolute Rothaarige betont, man sollte doch endlich zu den Inhalten kommen, zur Bildungspolitik nämlich. Ein Teilnehmer macht seinen Unmut darüber Luft, dass im Hörsaal fotografiert wird, weil er strafrechtliche Verfolgung fürchtet. Ein selbstgefälliger Rhetorikkünstler hält einen fünfminütigen Monolog über die Wichtigkeit studentischer Freiräume, bis viele im Plenum nur noch angestrengt stöhnen. Ein Journalist erklärt, es sei sehr wichtig für ihn, fotografieren zu dürfen. Ein bärtiger Politikstudent haut auf den Hörsaaltisch und mahnt, jetzt „verdammt nochmal“ endlich zu den Inhalten zu kommen. Die Inhalte lassen sich Zeit. Gegen Mitternacht gibt es eine Pause, drei Viertel des Plenums verschwinden nach Hause. Der klägliche Rest diskutiert noch stundenlang Formalitäten, bis auch der Letzte nur noch ins Bett, respektive den Schlafsack will. Die Letzte ebenfalls – es wird jetzt nämlich verstärkt „gegendert“.

Juri Klusak

Manche kümmerten sich vor allem um die Inhalte.

Freitag, 20. November 2009. 16:40 Uhr.

Am Esstisch im Foyer beredet ein kleiner, zusammengewürfelter Haufen die Lage der Dinge. Über Nacht hat einer der Besetzer eine Wand im oberen Flur mit Anarchiezeichen und platten Parolen beschmiert. Nicht jeder findet das schlecht: Das Organisationsplenum am Morgen hat sich nicht auf eine eindeutige Stellungnahme dazu einigen können. Einige sehen die besetzte Alte Mensa als Freiraum, in dem Gesetze und Universitätsordnung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das Vetorecht verhindert, dass sie im Plenum von den Gemäßigten überstimmt werden.
Markus, der bärtige Politikwissenschaftler von gestern Abend, macht ein langes Gesicht. Für das Plenum hat er nur noch harte Worte übrig. „Ich will nur endlich mal zum Punkt kommen. Das ist der dritte Tag der Besetzung und wir haben nichts in der Hand. Nichts!“ Wirklich aufregen kann er sich aber kaum mehr. Er hat sich schon seit Monaten intensiv mit der Bachelor/Master-Thematik auseinandergesetzt, hat mit Politikern verhandelt und Konzepte erarbeitet, eine Vollversammlung der Kieler Studenten organisiert. Dass sich die Besetzer im Plenum seine Erkenntnisse und Vorschläge nicht einmal anhören wollen, ist für ihn offenbar frustrierend. Mit einem guten Dutzend anderer Interessierter diskutiert er jetzt regelmäßig im kleinen Hörsaal über Bildungspolitik, unabhängig vom Plenum.

Ich schiebe mir ein paar tropfnasse Salatblätter auf einen der flachen Teller, mache mir ein Käsebrot dazu. Es ist schon der dritte Teller, aber heute bleibe ich merkwürdig unzufrieden. Das teils vegetarische, teils vegane Essen macht mich einfach nicht mehr satt. Eine Bekannte grinst mich wissend an, während ich missmutig meine Stulle vertilge. Es hilft alles nichts.

Ich muss nach Hause und mir zwei Eier in die Pfanne hauen. Gaumen und Bauch feiern ein Fest. Zurück komme ich vor dem Abendplenum mit Schlafsack und Isomatte. Heute möchte ich übernachten – um die Atmosphäre aufzusaugen und weil ich den Arbeitskreis Sicherheit unterstützen möchte, der nachts das Gebäude bewacht. Das Plenum wird eine große Enttäuschung. Wieder gerät die Diskussion vollkommen aus dem Ruder. Die Meinungen gehen weit auseinander, und zwar über die immer gleichen Fragen: Wer darf Fotos machen und wer nicht? Ist es okay, an jede freie Fläche einen antifaschistischen Aufkleber zu pappen? Der Verdacht, dass es einigen Besetzern mehr um den irren, alternativen Lifestyle geht als um bildungspolitische Inhalte, erhärtet sich immer mehr.

Neu dazugekommene Studenten verlassen den Saal in großen Trauben und lassen die Verzweiflung nur noch deutlicher hervortreten: „Ich kann es nicht glauben, was hier abgeht!“ schreit eine Studentin schon mehr, als dass sie es sagt. „Wir beharken uns gegenseitig und währenddessen laufen uns die Leute weg“. Die Aufregung steigert sich weiter und weiter, die Fronten sind alles andere als klar, die Gruppen ziemlich heterogen und unübersichtlich. Nach drei, vier Stunden ist vielleicht noch ein Zehntel der Teilnehmer übrig. Wer geblieben ist, ist erschöpft und wütend. Die offene Diskussion ist gescheitert.

„Wir sollten das hier auflösen und schlafen gehen, morgen ist alles wieder anders,“ appelliert einer mit sorgenvollem Gesicht. Nachdem drei andere den Vorschlag wiederholt haben, ist endlich Schluss für heute. Noch stundenlang erörtern Schlaflose im Großen Hörsaal, wie solche Situationen zukünftig vermieden werden können. „Seid lieb zueinander“, schreibt jemand auf ein großes Transparent.

Vor der Tür gönnen sich einige ihr Feierabendbier, es ist lau für eine Novembernacht in Kiel. Meine Gedanken kreisen um die Geschehnisse der letzten Tage. Von funktionierender Kommunikation kann keine Rede mehr sein. Morgen früh werde ich die Alte Mensa verlassen. Das soziale Experiment ist für mich beendet, alles Weitere werde ich irgendwann mit einem Lächeln betrachten können. Dem „AK Security“ sitzt der Schreck über den Verlauf des Plenums genauso in den Knochen wie mir. Wir haben jetzt aber eine Aufgabe zu erledigen. In den vergangenen Nächten hat es unerwünschte Gäste gegeben. Irgendwer erzählt, es seien Streifenwagen überall um die alte Mensa herum postiert, die Polizei warte nur auf einen Anlass, das Gebäude räumen zu können. Mir scheint, man nimmt sich wichtiger, als man wirklich ist.

Die Nacht bleibt ruhig. Wer noch nicht schläft, diskutiert in kleinen Grüppchen mit Fremden und Freunden. Nicht immer genderkorrekt aber ganz zivilisiert und respektvoll. Beinahe herrschaftsfrei.

Was danach geschah

Das Universitätspräsidium bot den Besetzern im Dezember an, statt der Alten Mensa einen ehemaligen Fahrradladen als Arbeits- und Präsentationsraum zu nutzen. Das Plenum lehnte ab, einige Studenten nutzten das Angebot. Hieraus ist die „Hochschulgruppe Bildungsinfo“ entstanden, die zusammen mit Markus den AStA bei den Planungen für eine Vollversammlung der Studierenden im April unterstützt.

Die verbliebenen Besetzer räumten kurz vor Weihnachten auf Verlangen das Präsidiums die Alte Mensa.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2010/04/herrschaftsfrei-und-durchgegendert/feed/ 0
2009: Die Uni brennt in Wien https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/ https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/#respond Mon, 07 Dec 2009 11:00:19 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=110143
Besetzter Hörsaal in Wien

[media-credit id=126 align="aligncenter" width="645"] Besetzter Hörsaal in Wien

Die Proteste in Wien haben weltweit ein Medienecho ausgelöst. Genauso Besetzungen von Hörsälen in Österreich, Deutschland, der Schweiz, aber auch Proteste in England und den USA sowie Solidarisierungen von Studenten aus aller Welt. Auch das StudentenPACK hat sich in dieser Ausgabe dem Thema verschrieben. Aus Wien berichtet für uns Constanze Stahr, die an der besetzten Hauptuni Kunstgeschichte studiert.

Am 22. Oktober 2009 begann der Protest gegen die schlechten bildungspolitischen Verhältnisse in der österreichischen Hauptstadt Wien. Eine Gruppe von 400 fraktionslosen und unabhängigen Studierenden der Hauptuni und der „Akademie der Bildenden Künste“ zieht vom benachbarten Votivpark zum Hauptgebäude der Universität. Dort wird nach einer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit gegen 12:30 Uhr das Audimax besetzt. Plakate und Transparente werden angebracht, erste Forderungen formuliert und kurze spontane Reden gehalten. Die Stimmung ist sehr aufgeheizt und Sprechchöre ertönen.

Die Nachricht über die Besetzung verbreitet sich in Windeseile und es strömen immer mehr Unterstützende ins Audimax. Rasch bilden sich Arbeitsgruppen, die die aktuelle Misslage untersuchen und diskutieren sollen und Konzepte mit Lösungen erarbeiten. Der Sicherheitsdienst der Uni Wien versucht das Audimax zu räumen, scheitert aber an einer friedlichen Sitzblockade. Nachmittags versuchen Polizisten den Zugang zum Audimax abzusperren, werden jedoch nach etwa zwei Stunden wieder abgezogen, da sich die Studierenden nicht zum Verlassen des Hörsaales bewegen lassen. Bei einem mehrstündigen Plenum am Abend werden die offiziellen Forderungen formuliert. Danach findet eine spontane Party statt, DJs legen auf und eine Punkband gibt ein Konzert.

Die Forderungen der Protestierenden sind auf einige wenige Thesen zu beschränken: Es wird Gleichberechtigung gefordert, das heißt jeder und jede, egal aus welchem Teil der Welt, aus welcher Bevölkerungsschicht und egal welchen Geschlechts oder sexueller Orientierung muss studieren dürfen. Lehre und Forschung sollen als verknüpfte und gleichwertige Bereiche gesehen werden, dabei soll eine Redemokratisierung des universitären Betriebs erreicht werden. Weiter soll das modularisierte System des Studiums gelockert und Voraussetzungsketten bei Lehrveranstaltungen abgeschafft werden, damit die Studiumsgestaltung frei bei den Studierenden liegt. Ebenfalls kritisiert wird die Zugangsbeschränkung im Allgemeinen und solche, die durch intransparente Anmeldesysteme oder Knock-Out-Prüfungen innerhalb des Studiums hervorgerufen werden, und besonders die bei Master- und PhD-Studiengängen. Für alle diese Vorhaben muss natürlich auch das Budget erhöht werden. Dieser Teil der Forderungen richtet sich vor allem an die Politik. Der Rücktritt des Wissenschaftsministers Johannes Hahn wird gefordert, der sich in den Wochen vor dem Protest für eine Wiedereinführung der Studiengebühren ausgesprochen hatte.

Am darauf folgenden Freitag findet ein Aufmarsch auf der benachbarten Ringstraße statt und am Abend wird die erste Pressekonferenz abgehalten. Bereits hier stellt sich heraus, dass eine baldige Beendigung der Besetzung nicht abzusehen ist. Erste Anflüge von Vandalismus werden auch von den Protestierenden abgelehnt und sollen durch eine AG Krisenmanagement bekämpft werden. Auch sexistische Übergriffe aus der ersten Nacht werden thematisiert. Ausgehend von diesen auftretenden Problemen bilden sich bald sehr viele Arbeitsgruppen, die die unterschiedlichsten Bereiche diskutieren, so auch Feminismus- und Genderfragen, Diskriminierungsprobleme, den Presseauftritt organisieren und die Forderungen immer weiter aktualisieren und konkretisieren. Vor allem die Demokratisierung der Proteste und ernsthafte Inhalte sollen nach außen vermittelt werden.

Der Protest greift innerhalb kürzester Zeit um sich, nachdem an der Uni Wien auch noch weitere Hörsäle (so auch das C1, der zweitgrößte Hörsaal, auf dem Campus gelegen) besetzt wurden. Hier haben es sich die Protestierenden mit Hängematten und Sofas in der Vorhalle richtig gemütlich gemacht. In ganz Europa, aber vor allem auch in Deutschland, beginnen immer mehr Studierende Hörsäle zu besetzen und die Bildungspolitik anzuprangern. Bis zum heutigen Tag „brennen“ in allen fünf großen Universitätsstädten Österreichs die Unis (Wien, Graz, Innsbruck, Linz, Salzburg). In Deutschland sind schon weit über fünfzig Universitäten, Oberschulen und Fachhochschulen aller Art besetzt und es werden täglich mehr, einige mussten die Hörsäle jedoch wieder freigeben oder durch Räumungen weichen. Als erste deutsche Uni zog die Universität Heidelberg am 3. November nach. Auch in der Schweiz sind in Bern, Basel und Zürich die Unis besetzt.

Gegenüber des Wiener Audimax’ wurde schnell und provisorisch die „Volxküche“ eingerichtet, die die Protestierenden mit Lebensmitteln versorgt und sich aus Spenden finanziert. Sofort haben sich die Studierenden auch online organisiert, es gibt eine Onlinepräsentation (zuerst freiebildung.at, dann unsereuni.at und unibrennt.at), Gruppen in sämtlichen sozialen Netzwerken und zahlreiche Twittermeldungen, die die abwesenden Studierenden über den aktuellen Stand informieren. Es gibt einen Live-Stream aus dem Audimax, der es theoretisch der ganzen Welt ermöglicht, den Diskussionen und Vorträgen zu folgen. Bis heute werden regelmäßig Solidarisierungsaufrufe veröffentlicht und Solidarisierungserklärungen an andere Protestanten versendet. Der Studierendenprotest begreift sich als Teil einer weltweiten Bewegung gegen Neoliberalismus und Kapitalismus, die alle Bereiche des Lebens betrifft. Es soll nicht nur eine bildungspolitische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Debatte ausgelöst werden.
Bereits am Abend des dritten Tages spricht sich der österreichische Bundeskanzler Faymann gegen eine vollständige Wiedereinführung der Studiengebühren aus und liefert damit eine der ersten Aussagen aus dem Regierungssektor. Viele Lehrende haben sich mit der Bewegung solidarisiert und unterstützen teilweise sogar aktiv die Forderungen, indem sie Plenumssitzungen initiieren, leiten oder selbst über die Themen sprechen.

In der Presse wird die Protestbewegung teilweise kritisch aufgenommen, vor allem hohe Kosten (erste Schätzungen besagen 50.000 Euro) durch Sachschäden werden angeprangert. Diese Kosten begründen sich jedoch nicht ausschließlich aus tatsächlichen Sachschäden, sondern auch dadurch, dass Vorlesungsräume ausfallen und neue Räume angemietet werden müssen, sich Bauarbeiten verzögerten und Sicherheitsdienste verlängert im Einsatz sein mussten. Jedoch veröffentlichen einige Medien auch positiv gestimmte Meldungen. So war zum Beispiel in einem Kommentar des Chefradakteurs Richard Schmitt in der „Heute“ von „Jungspießern“ die Rede, die den Tränen nahe vor dem Hörsaal gewartet und sich über diese Lernbeeinträchtigung beschwert haben.

Dieses zeigt, dass es ebenfalls von Seiten der Studierenden Kritik gibt. Die Forderungen wer- den von einigen als unrealistisch empfunden. Es herrscht die Befürchtung, Grundlagenvorlesungen würden eliminiert, was dem Studium nicht dienlich sei. Außerdem kritisieren einige die ganze Protestwelle als einzige große Party und zweifeln daran, dass alle Teilnehmenden es ernst mit den Protesten meinen. Viele sind genervt, weil sie für ihre Vorlesungen in neuen angemieteten Räumen (zum Beispiel in Messegebäuden) häufig eine Stunde Anfahrtszeit einplanen müssen. Gerade für Studienanfänger sind es jetzt unwegsame Bedingungen, da häufige Raumänderungen und Terminschwierigkeiten für Verwirrung sorgen.

Viele vor allem österreichische Studierende der Uni Wien schieben die Probleme auf die sehr vielen Deutschen, die aus verschiedensten Gründen hier sind, manche als „NC-Flüchtlinge“, einige als Studiengebühren-Meidende und – ja, man sollte es nicht glauben – einige sogar, weil sie Land und Stadt lieben und sich ohne Zwang durch äußere Umstände für Wien entschieden haben. Teilweise werden von Deutschen Studiengebühren verlangt, eine andere Alternative seien Ausgleichszahlungen aus Deutschland. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass es jedem Österreicher mit einer guten Matura (gleichbedeutend dem Abitur) freisteht, an eine renommierte deutsche Uni (oder irgendwo anders in der EU) zu gehen und dort einen Abschluss zu machen. Diese Möglichkeit ist nun mal mit der EU entstanden und wäre nicht eine Nutzung beider Seiten wünschenswert?
Bis heute gibt es regelmäßige Plena und AG- Treffen. Jedoch ist die Besetzung vor allem tagsüber und außerhalb der Treffen und Plena recht abgeflacht. Es sitzen nur noch vereinzelt Personen in den Sitzreihen, die Anzahl der Plakate hat sich ein wenig reduziert und auch abends ist nicht mehr so viel los. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich der Streik noch hinzieht. Die Protestierenden wollen ihn wohl bis zur Durchsetzung ihrer Forderungen durchhalten. Am 20. November fand erstmals ein Treffen zwischen den Audimax-Besetzenden und dem Rektorat der Universität statt. Zu einer Einigung konnte es hier jedoch nur in dem Punkt kommen, dass das Budget erhöht werden muss. Rektor Georg Winckler beharrte auf der Frage, wann die Besetzung möglicherweise enden könnte. Diese Möglichkeit schien jedoch von allen anderen ausgeklammert zu werden. Die Kommunikation geht jedoch weiter, so ist der „Hochschuldialog“ geplant, an dem Studierende, das Rektorat und der Wissenschaftsminister Hahn zusammentreffen, um nach Lösungsansätzen zu suchen.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/feed/ 0
Boykott der LN https://www.studentenpack.de/index.php/1998/12/boykott-der-ln/ https://www.studentenpack.de/index.php/1998/12/boykott-der-ln/#respond Tue, 01 Dec 1998 11:00:51 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=234207 Kurzer Sachverhalt:
Am 18.11.1998 gab die LN einen Artikel Namens “Ein lübsches Kleinod” heraus. Dieser verärgerte viele Studierende und natürlich auch das AStA. Das beschloß daraufhin einen Boykott.


Der LN-Artikel vom 18.11.1998.

Antwort auf LN-Artikel des AStA

Betr.: Thema des Monats, LN-Trave-Treff

Sehr geehrter Herr Strunk, sehr geehrter Herr Schur,

für die Einladung zum LN-Trave-Treff am 30. November möchten wir uns an dieser Stelle bedanken. Sie können sicher sein, daß wir die Gelegenheit gerne genutzt hätten, uns Fragen der Öffentlichkeit zu stellen und mit den Anwesenden ein konstruktives Gespräch
zu führen.

Mit dem Monatsthema “Hochschulstadt Lübeck” haben Sie eine gute Wahl getroffen. Denn wie Sie bereits im ersten Beitrag der Artikelserie festgestellt haben, prägen die Studierenden das Lübecker Stadtbild bei weitem nicht in dem Maße, wie es in anderen, typischen Universitätsstädten der Fall ist. Daher ist es begrüßenswert, wenn von Zeit zu Zeit die Hochschulen der Stadt und ihr Umfeld der Allgemeinheit in ausführlicher Form dargestellt werden.

Wir haben Ihre Berichterstattung mit großem Interesse verfolgt, wobei wir natürlich insbesondere die Artikel studiert haben, die unsere Universität und die von uns vertretene Studierenschaft betrafen. Wir sehen selbstverständlich ein, daß der Rahmen eines
Zeitungsartikels dazu zwingt, Prioritäten zu setzen, und daß es illusorisch wäre, eine tiefgehende Betrachtung aller Details zu erwarten.

Der Artikel “Ein lübsches Kleinod” Ihres Kollegen Andreas Oelker hat uns und viele unserer Kommilitoninnen und Kommilitonen allerdings sehr enttäuscht, um nicht zu sagen bestürzt. Dieser Beitrag stellt bezüglich der Qualität journalistischer Arbeit eine Katastrophe dar.

Die Kernaussage der ersten Absätze besteht darin, an der MUL gebe es außerordentlich viele Langzeitstudierende. Diese, im übrigen unzutreffende, Aussage wird darauf zurückgeführt, daß die Durchschnittsstudienzeit um Studiengang Medizin an der MUL bei 13 Semestern liegt. Wir möchten Sie daran erinnern, daß die vorgeschriebene Mindeststudienzeit bundesweit bei 12 Semestern liegt. Bei einem Schnitt von 13 Semestern kann also überhaupt keine Rede von zweifelhafter “langjähriger Verbundenheit” der Studierenden mit dieser Universität sein. Im Gegenteil – eine Durchschnittsstudiendauer von 13 Semestern ist beachtlich kurz!

Eine “lange Verweildauer” läßt sich auch nicht durch die sich anschließende Behauptung herbeireden, auf Grund eines “schleswig-holsteinischen Hochschulrahmengesetzes” könnten Prüfungen “nahezu beliebig oft” wiederholt werden. Zunächst einmal gibt es kein ”
schleswig-holsteinisches Hochschulrahmengesetz”, und außerdem können die Prüfungen im Studiengang Medizin auf Grund der bundesweiten Regelung des Medizinstudiums höchstens zweimal wiederholt werden. Für den Studiengang Informatik läßt die Prüfungsordnung der MUL ebenfalls höchstens zwei Wiederholungen einer Prüfung zu. Von nahezu beliebig vielen Versuchen kann also keine Rede sein.

Um eine Prüfung überhaupt antreten zu können, müssen bestimmte Leistungen in Form von “Scheinen” nachgewiesen werden. Die Festlegung der Kriterien zum Scheinerwerb liegen bei den jeweils zuständigen Professoren.

Unsere Kritik beschränkt sich nun nicht nur darauf, daß Fakten und Erfundenes wild verdreht, vermischt und unsinnig aneinandergereiht einen großen Teil des Artikels ausmachen. Die Verwendung der reißerischen Phrase “Oase für ewige Studenten” an so exponier
ter Stelle wie am Anfang des Textes läßt uns befürchten, daß die Intention des Artikels nicht ist erster Linie darin bestand, über die tatsächlichen Verhältnisse an der MUL zu berichten. Geringer Rechercheaufwand und Effekthascherei standen offenbar im Vor
dergrund. Sie haben damit dem Bild der Studierenden in der Öffentlichkeit in unverantwortlicher Weise großen Schaden zugefügt.

Vor diesem Hintergrund haben Sie sicher Verständnis dafür, daß wir es vor unserem Gewissen und vor der Studierendenschaft nicht verantworten könnten, Ihre Einladung auf das Podium anzunehmen.

Darüberhinaus scheint es ihrerseits kein ehrliches Interesse an einer inhaltlichen Diskussion zum Thema zu geben. Wir befürchten offensichtlich zu Recht, daß unsere Anwesenheit nur der Vollständigkeit halber gewünscht wurde. Desweiteren sind wir nicht bereit, uns in eine Statistenrolle abdrängen zu lassen und dennoch zu riskieren, am nächsten Tag in Ihrem Blatt falsch zitiert zu werden.

Sie werden nachvollziehen können, daß wir unser Fernbleiben vom Trave-Treff den anderen Teilnehmern gegenüber ebenfalls begründen werden und zu diesem Zweck jeweils eine Kopie dieses Briefes beilegen werden.

Mit freundlichen Grüßen

Der Allgemeine Studierendenausschuß der Medizinischen Universität zu Lübeck

Gregor Peter
(Sprecher der Studierendenschaft)

 

Eine Erklärung von Jülsch Ganten vom AStA

Was braucht eine Stadt zu Glücklichsein – auf keinen Fall die LN!

Ein paar Worte vorweg:

Der AStA der MUL ist sicher kein streitsüchtiges Organ. Bis uns etwas aus der Ruhe bringt und zu einem öffentlich geäußerten Protest veranlaßt, muß einiges passieren. Wenn mensch ein wenig bösartig wäre, würde er oder sie vielleicht sogar behaupten, der As tA der MUL sei phlegmatisch, was die Politik angeht, und ich würde noch nicht einmal widersprechen. So kommt es dann auch, daß die Sache mit den LN den Asta am meisten beschäftigt hat, seit dem Streik.

Aber um was geht es denn nun eigentlich?

Es geht um das Gefühl, das wohl fast jedeR von uns hat, wenn er oder sie die LN aufschlägt. Da sieht mensch bunte Bilder, große Überschriften, kleine Artikel, ein paar sinnvolle und viele sinnlose Informationen, Anzeigen und Bekanntmachungen. Klar, die LN hat ein anderes Niveau als die große Schwester „Bild“ aus dem gleichen Hause. Aber trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, daß es einige Gemeinsamkeiten gibt. Wir blättern also weiter in unserer LN. Da gibt’s ein bissi Politik, einen großen Lokalteil, e in „Thema des Monats“ und alles liest sich so ein bißchen wie eine Mischung aus Bravo und Focus. Ist das Absicht? Bestimmt. Schließlich sind die LN eine regionale Zeitung, sprich außerhalb von Lübeck interessieren sie fast niemand. Und innerhalb von Lübeck soll natürlich ein breites Publikum bedient werden. Und genau da liegt das Problem. Alle, von klassischen „Bild“- LeserInnen bis hin zu FAZ-LeserInnen wollen lokale Informationen oder sind mehr oder weniger auf sie angewiesen. Und wenn diese Tageszeitung auch noch eine (mit nicht ganz feinen Methoden selbstverschaffte) Monopolstellung hat, versucht sie den Spagat zwischen seriöser Berichterstattung und Bedürfnisbefriedigung auf dem Klatsch-Sektor. Heraus kommt eine sehr eigenartige Mischung, eine Art „Info tainment“, was ja primär nicht schlecht sein muß. Im Falle der LN allerdings gesellt sich zu dieser Problematik eine sehr gefährliche Einstellung zu journalistischer Arbeit. Diese äußert sich darin, daß einerseits miserabel recherchiert wird (siehe nebens tehender Artikel) und andererseits gewonnene Informationen nicht genutzt werden, um eine ordentliche Berichterstattung zu liefern, sondern um vorgefaßte Meinungen zu „belegen“. Wir haben versucht, dies an dem Artikel „Ein lübsches Kleinod“ zu zeigen.

Vorausgegangen war allerdings ein allgemeiner Ärger über die Berichterstattung der LN, der sich komischerweise durch alle Gruppen und Schichten zieht. Viele Menschen, vom Bürgermeister bis zur Schrebergärtnerin, haben ihre einschlägigen Erfahrungen mit den LN gemacht, in wenigen Fällen läßt sich beweisen, daß die LN Tatsachen verdrehen, falsch zitieren und bewußt Informationen zurückhalten, in vielen Fällen bleibt nur der Ärger und der sehr unbefriedigende Weg der Gegendarstellung.

In unserem Fall war also der entscheidendende Auslöser für den Entschluß, diesen LN- Praktiken etwas entgegenzusetzen, der o.g. Artikel. Dazu kamen „Pannen“ von Seiten der LN, wie z.B. nicht Abdrucken von Veranstaltungsterminen, oder Wiedergabe von Intervi ews in anderer Form als der vorher abgesprochenen. Während des Streiks im letzten Jahr beispielsweise erklärte uns eine Redakteurin, daß sie nur bis zu einem bestimmten Punkt, nämlich der Abgabe beim Chefredakteur, Einfluß auf den Artikel hat. Danach wird allerdings noch viel verändert, sodaß das abgedruckte Produkt nicht mehr viel mit der Recherche zu tun haben muß.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

  1. Mensch läuft großes Risiko, mit einem völlig falschen Zitat oder mit einer Aussage in völlig falschem Zusammenhang in den LN zu erscheinen.
  2. Die LN betreiben in Lübeck eine Meinungsbildung, die alles mögliche ist, nur nicht objektiv.

Da wir als AStA an sich nicht auf die LN angewiesen sind, sondern genausogut auf die Bauchpresse, das Ultimo und die Stadtzeitung ausweichen können, haben wir beschlossen, den LN grundsätzlich kein Material -egal ob Info`s , Fotos, oder Interviews- mehr zu r Verfügung zu stellen, einerseits also um keine bösen Überraschungen zu erleben, andererseits um ein -zugegebenermaßen nicht allzugroßes- Zeichen zu setzen.

Unterrichtet haben wir die LN davon in nebenstehendem Brief, außerdem haben wir die Rektoren und andere Organe in ähnlicher Weise in Kenntnis gesetzt.

Jülsch Ganten
Politikreferent des AStA

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/1998/12/boykott-der-ln/feed/ 0