Kultur – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Fri, 29 Jan 2021 12:50:21 +0000 de-DE hourly 1 Wagner und zwei Russen https://www.studentenpack.de/index.php/2018/06/wagner-und-zwei-russen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2018/06/wagner-und-zwei-russen/#respond Tue, 26 Jun 2018 22:48:59 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=380604 Das Orchester der Universität zu Lübeck lädt ganz herzlich zum traditionellen Semesterabschlusskonzert ins Kolosseum ein. Neben dem Konzert in Lübeck spielt das Uniorchester in diesem Jahr außerdem im Augustinum in Mölln. Aufgrund des später stattfindenden WM-Endspiels findet das Konzert in Lübeck in Form einer Matinee statt.

Zur Eröffnung spielt das Uniorchester unter der Leitung von Fausto Fungaroli das Vorspiel zum dritten Akt aus Wagners „Lohengrin“. Es ist ein prachtvolles Stück Musik, das abgesehen von einer ruhigen Zwischenepisode geprägt ist vom flirrenden Spiel der Streicher und auffahrenden Hornfanfaren.

Es folgt die Fantasie-Ouvertüre „Romeo und Julia“, zu der sich Tschaikowsky von Shakespeares berühmter gleichnamigen Tragödie hat inspirieren lassen. Mit diesem romantischen Stück erlangte der Komponist schon in jungen Jahren große Bekanntheit. Die Komposition besteht aus emotionalen Harmonien sowie furiosen Läufen und beschreibt die Tragik der Protagonisten auf eine ganz besondere Art und Weise.

Nach der Pause steht mit ersten Sinfonie von Kalinnikow ein Werk auf dem Programm, das eher seltener in den Konzertsälen zu hören ist. Das Stück besticht durch eine sehr einfallsreiche und eingängige Melodik und eine volle Klangfarbe. Die Themen im ersten vermitteln jede Menge russische Leichtigkeit, während sich der langsame zweite Satz mit Harfenklängen zwischen Träumerei und Melancholie bewegt. Es folgt ein temperamentvolles Scherzo und ein dem Optimismus verfallener vierter Satz, der mit einer prunkvollen Coda endet.

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Wie funktionieren eigentlich Namen? https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/wie-funktionieren-eigentlich-namen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/wie-funktionieren-eigentlich-namen/#respond Mon, 28 May 2018 08:00:44 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=375489 Wenn zwei Menschen mit Doppelnamen heiraten, wie können sie dann heißen? Wird aus Isa Müller-Lüdenscheid und Andrea Wieczorek-Zeul dann Andrea und Isa Müller-Lüdenscheid-Wieczorek-Zeul? Um es vorwegzunehmen: Nein. Aber Isa und Andrea haben verwirrend viele Optionen. Namen, Rufnamen, Familiennamen und alles dazwischen sind kompliziert und weil in Deutschland alles geregelt ist, was geregelt werden kann, gibt es Vieles zu beachten.

Vorname: Alpha-Kevin

Die meisten wissen: In Deutschland sind nicht alle Vornamen erlaubt. Die Gründe dafür sind vielfältig, so soll verständlicherweise von einem Namen keine Belastung für das Kind ausgehen, weswegen gewisse (historisch) belastete Vornamen wie Judas oder Adolf von Ämtern abgelehnt werden können. Zudem ist zwischen dem Vornamen und dem Rufnamen zu unterschieden. Der Rufname ist der Teil des gesamten Vornamens, mit dem sich eine Person sich üblicherweise ansprechen lässt.

Andere Gründe erscheinen weniger zeitgemäß, so muss aktuell am Namen das Geschlecht des Kindes erkennbar sein, ein Name der dies nicht erkennen lässt, muss daher durch einen weiteren, eindeutigen Namen ergänzt werden. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlechtseintrag im Geburtenregister ist allerdings mit dieser Regelung nur schwer vereinbar. (Zudem konnte der Eintrag seit 2013 frei bleiben, um intersexuellen Menschen kein Geschlecht vorzuschreiben). Aktuelle Regelung ist: “Alpha” ist nur ein erlaubter Vorname, wenn er per Bindestrich mit geschlechtsspezifischen Namen kombiniert wird, wie Kevin oder Jacqueline.

Wie viele Namen darf man einem Kind geben? Schlussendlich entscheidet das jeweilige Amt. Angeblich können es bis zu sieben sein, fünf Namen sind zumindest meist unproblematisch. Gewisse Relevanz gewann die Frage, als eine Mutter 2004 vor das Verfassungsgericht zog, um die zuvor vom Oberlandesgericht Düsseldorf untersagte Benennung ihres Kindes mit zwölf Vornamen durchzusetzen. Sie sah darin Art. 2 des Grundgesetzes widersprochen, also ihrem Recht auf die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit.

Das Gericht wies die Klage ab und bestätigte die Entscheidung des niedrigeren Gerichtes. Die Namenswahl dürfe nämlich nicht dem Kindeswohl widersprechen. Mit zwölf Vornamen wäre das Kind aber “erheblich belastet” gewesen. Zudem ging es bei der Benennung eines Kindes nicht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit der Mutter, sondern um die Sorgeverantwortung im Interesse des Kindes. Auch wenn Eltern sich nicht einigen können, wie ihr Kind heißen soll, entscheidet am Ende ein Gericht.

Macht gleich alles falsch - Der Stadtverkehr Lübeck. Das Formular zum Beantragen von Monatskarten erlaubt zwar haufenweise ungültige oder veraltete Titel, zwingt aber den Antragsteller zwischen „Herr“ und „Frau“ als Anrede auszuwählen. Notwendig ist das alles nicht, die Karte ist übertragbar.

Macht gleich alles falsch – Der Stadtverkehr Lübeck. Das Formular zum Beantragen von Monatskarten erlaubt zwar haufenweise ungültige oder veraltete Titel, zwingt aber den Antragsteller zwischen „Herr“ und „Frau“ als Anrede auszuwählen. Notwendig ist das alles nicht, die Karte ist übertragbar.

 

Namenszusätze: Dr. Mika Gräfin von Hinkelstein II, MdB

Daran, dass es Namenszusätze gibt, sind hauptsächlich die Adligen Schuld. Adel, Ritterschlag, Gutsbesitz und ähnliche längst irrelevante Statusbezeichnungen führten dazu, dass sich früher Menschen etwas vor, in die Mitte oder an das Ende ihres Namens hefteten. Nicht ohne Grund: Der Namenszusatz, zum Beispiel der Adelstitel, brachte Privilegien mit sich.

Durch das “Art. 109 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919” wurden alle diese Privilegien aufgehoben. Es sollten “alle Deutschen vor dem Gesetze gleich” sein und da konnten Adelsprivilegien nicht bestehen bleiben. Und so musste man nun einen Grafen nicht mehr mit Hochwohlgeboren ansprechen, der Titel allerdings blieb und wurde Teil des Nachnamens.

Als Adelsprädikate bezeichnet finden sich insbesondere “zu”, “von und zu”, “vom”, “zum”, “vom und zum”, “von der” oder “von dem” noch häufig in Namen. So ist es nicht ungewöhnlich auf Menschen zu stoßen, die ein “von” zu Beginnn ihres Nachnamens tragen (Mika von Hinkelstein) welches manchmal noch den eigentlichen Titel hinzu bekommt (Mika Graf/Gräfin von Hinkelstein).

Weniger bekannt sind Vulgonamen, auch als Genanntnamen bekannt. Ein solcher Name wäre beispielsweise Mika Hinkelstein genannt Großeotto, wobei alles außer Mika dann zum Familiennamen der Person gehört. Warum? Großgrundbesitz. Irgendwann hat ein Herr Hinkelstein in die Reiche Familie Großeotto eingeheiratet. Dadurch verlor er seinen Namen nicht, war nun aber auf dem Gut Großeotto tätig und für die restliche Bevölkerung war dies nun der Name, an den sie dachten, wenn sie an ihn und seinen Hof dachten. Deshalb wurde er so genannt.

Ebenfalls vom, vor dem/vor der oder ähnliche Ortsbezeichnungen finden sich noch heute in Namen, weil sie auf Orte oder einen Hof verweisen. Vong ist (bisher) kein gültiger Zusatz.

Nicht immer überleben Namenszusätze als solche, manchmal wachsen sie auch zu einem einzelnen Namen zusammen, so wie der mit 29 Zeichen meist als längster Nachname Deutschlands (ohne Leerzeichen oder Bindestriche) genannte Ottovordemgentschenfelde.

Akademische Grade, auch das “Dr.” vor dem Namen, und Berufsbezeichnungen sind keine Namensbestandteile. Manche, wie auch der Doktorgrad, können dennoch auf dem Personalausweis eingetragen werden. Auch das ist natürlich durch ein Gesetz geregelt und zwar das “Gesetz über die Führung akademischer Grade”, welches auch spezifiziert, dass Menschen einen Grad oder eine Berufsbezeichnung führen dürfen, aber keinerlei Anspruch haben, mit ihrem Grad oder ihrer Berufsbezeichnung angesprochen zu werden. Dies gilt übrigens auch für Professoren.

Neben einem potentiellen Titel vor dem Namen und einem Adelsprädikat zwischen den Namen kann ein Name auch am Ende durch eine Ergänzung verlängert werden. Hier haben sich insbesondere Kürzel für Posten oder Ämter etabliert, die wie der akademische Grad nicht tatsächlich Bestandteil des Namens sind. Übliche Beispiele sind “MdL” für Mitglied des Landtages, oder “RA” bei Rechtsanwälten. Zudem gibt es genealogische Zusätze wie “Junior”/”Senior” oder eine lateinische Zahl nach dem Namen.

Familiennamen: Müller-Lüdenscheid

Angeblich existieren in Deutschland nahezu eine Million verschiedene Familiennamen. Müller und die verschiedenen Variationen (Möller…) sind dabei der häufigste Nachname. Etabliert haben sich diese schon ab dem zwölften Jahrhundert, wurden aber erst im Jahre 1900 tatsächlich per Gesetzgebung festgelegt. Seitdem hat jeder Mensch, der in Deutschland geboren wird, einen Vornamen, eventuell einige Zwischennamen und einen Nachnamen und das auch immer in dieser Reihenfolge. Andernorts war man schneller, schon im neunten Jahrhundert wurde in Venedig ein Familienname vererbt.

Dabei wurde auch festgelegt, dass der Nachname der Familienname ist, der von Eltern auf Kinder übergeht. Die meisten in Deutschland entstandenen Familiennamen folgen einer von vier Gruppen: Berufsbezeichnungen oder Amtsbezeichnung (Müller, Wagner, Schulz), Namen von Vätern (Patronym) oder Müttern (Metronym) wie Hansen, Peterson oder auch Hartmann. Eigenschaften (Klein, Krause, Fromm), geographischen Herkunft (Frankenstein, Grünewald) oder Besonderheiten des Ortes (Stein, Horn, Busch).

Kulturelle Unterschiede: Govindjee

Als wäre es nicht schwer genug mit den alten Adelstiteln und Hofnamen, den akademischen Graden und Berufsbezeichnungen und den aneinandergereihten Rufnamen, so kommt es ja durchaus vor, dass Menschen nach Deutschland ziehen, die ihren Namen in einem anderen Land erhalten haben. Auch damit muss also jede Personaldatenbank, jedes Einwohnermeldeamt und auch jedes Identity Management System einer Universität umgehen können.

Die Regierung von Großbritannien hat zu diesem Zweck einen “Naming Guide” herausgebracht, der auf 88 Seiten verschiedene nationale und kulturelle Namenspraktiken zusammenfasst.

Das erste Problem erkennt man schon an der in Deutschland üblichen Bezeichnung “Vorname” und “Nachname”, diese suggerieren eine Reihenfolge, aber Rufnamen stehen nicht in allen Kulturen am Anfang eines ganzen Namens. In Rumänien ist die Reihenfolge von Vor- und Nachnamen beliebig. Bei manchen tamilischen Namen wird der Rufname am Ende genannt, der Zuname, in diesem Fall ein Patronym , der Vorname des Vaters, zuerst. Pashtu, Dari, Sikh und viele weitere Kulturen nutzen Namen, die gar keinen Familiennamen haben. So publizierte beispielsweise der indisch-amerikanische Professor Govindjee mit seinem einzigen Namen.

Somali-Namen enthalten nicht nur ein Patronym, sondern auch noch einen Namen für den Namen des väterlichen Großvaters. Dies heißt: Nachnamen innerhalb mehrerer Genrationen einer Familie sind unterschiedlich.

Grundsätzlich kann jeder Mensch, der sich einbürgert oder sonst irgendwie seinen Namen bei deutschen Behörden registriert, seinen Namen so behalten, wie dieser war. Er kann allerdings zahlreiche Änderungen durchführen, so darf nach Art. 47 (1) Abs 2 “bei Fehlen von Vor- oder Familiennamen einen solchen Namen wählen”. Achtung: Er kann. Verpflichtet ist er jedoch nicht.

Es kann also in Deutschland sehr wohl Menschen mit Namen geben, die Ämter bei Geburt nicht zulassen würden, weil sie keinen Nachnamen besitzen oder in Deutschland nicht gebräuchliche Bestandteile beinhalten.

Letztendlich ist nicht einmal garantiert, dass ein Name unverändert bleibt. So galt es Anfang des neunzehnten jahrhunderts in Hawaii als üblich, dass Eltern sich umbenannten, um ihr krankes Kind vor bösen Einflüssen zu schützen.

Ehenamen: Müller-Lüdenscheid-Wieczorek-Zeul geb. von Hinkelstein

Der häufigste Grund für Namensänderungen in Deutschland sind Eheschließungen.

Eheschließungen allerdings sind nicht einfach nur Umbenennungen, sie folgen in Deutschland natürlich strengen Regeln, die weitestsgehend dem Familiennamenrechtsgesetz entspringen. Wie die Eheleute nach Eheschließung heißen wollen, müssen sie gegenüber dem Standesbeamten erklären. Gewählt werden kann nicht jeder x-beliebige Name, sondern einer der Familiennamen der jeweiligen Eheleute (wobei es auch dort wieder Ausnahmen gibt). 1991 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass bei fehlender Erklärung nicht einfach der Name des Mannes gewählt wird, sofern sich die Eheleute nicht einigen. Seit 1994 brauchen sie sich nicht zu einigen, sie geben einfach keine Erklärung ab und behalten beide ihren bisherigen Namen.

Also zurück zu Isa Müller-Lüdenscheid geb. von Hinkelstein und Andrea Wieczorek-Zeul. Isa hat in diesem Beispiel bereits eine Ehe hinter sich und hat nach der Scheidung den Namen behalten. Nun möchten Isa und Andrea heiraten und machen sich Gedanken zum Namen. Natürlich können beide jeweils ihren Namen behalten, zusätzlich haben sie aber noch N weitere Lösungen.

Isas Name bei Geburt sowie der aktuelle Name als auch Andreas Name stehen natürlich zur Verfügung, aus den beiden können also die Eheleute Müller-Lüdenscheid, die Eheleute von Hinkelstein und die Eheleute Wieczorek-Zeul werden. Erst vor kurzer Zeit, nämlich 2009, legte das Bundesverfassungsgericht dies noch einmal fest: Ketten von Nachnamen, die über 2 Namen hinausgehen, sind nicht erlaubt. Isa Müller-Lüdenscheid-Wieczorek-Zeul ist also keine Option. Haben beide Eheleute aber nur einen Namen so ist die Reihenfolge innerhalb des Doppelnamens beliebig. Heißen die beiden Partner schon vor Eheschließung gleich, ist ein Doppelname nicht möglich. Das Bundesverfassungsgericht war es auch, das entschied, dass Müller-Lüdenscheid ein möglicher gemeinsamer Name ist, obwohl Isa als Isa von Hinkelstein geboren wurde und den Namen nur durch frühere Ehe erworben hat. Der frühere Partner hat auch keine Möglichkeit, so das Gericht, dem zu widersprechen.

Aber da hört es noch nicht auf mit den Möglichkeiten. Denn Menschen mit Doppelnamen sind nicht verpflichtet beide zu ihrem Ehenamen zu machen, der Ehename von Isa und Andrea könnte also auch Müller, Lüdenscheid, Wieczorek oder Zeul sein. Zudem sind auch Neubildungen möglich, genau dann, wenn Isas Geburtsname von Hinkelstein der Ehename werden soll. Andrea hat nun die Möglichkeit einen ihrer beiden Nachnamen als Doppelnamen anzuhängen, also kann Andrea von Hinkelstein-Wieczorek oder Andrea von Hinkelstein-Zeul oder, die Reihenfolge ist ja beliebeig, Andrea Wieczorek von Hinkelstein heißen.

Je nach dem, wie wild das Namensgeschiebe wird, können Standesämter natürlich die Gefolgschaft verweigern. Bei besonders klagefreudigen Menschen landen diese Fälle dann beim Bundesverfassungsgericht.

Alle Annahmen sind falsche Annahmen

Namen sind also komplex. Aber warum ist das relevant? Nun, wie Professor Govindjee in vielen Interviews festgestellt hat, ist das Leben kompliziert für Menschen, deren Namen nicht dem “westlichen” Standard folgen. Allzuoft werden Annahmen über Namen gemacht und Anmeldungen in Formularen, Einkäufen oder auch rechtlichen Prozesse für jene, die diesen Annahmen nicht entsprechen, unmöglich. Was also ist die Lösung? Keine Annahmen machen.

Ein einzelnes Feld, welches beliebig lange, aber auch beliebig kurze Eingaben in jedem Schriftsatz erlaubt anstelle einer komplexen Überprüfung von Kriterien, die ohnehin falsch sind. Und wenn man schon dabei ist, das Formular zu vereinfachen und Annahmen zu entfernen: Nicht jeder Mensch kann ein Geschlecht, eine Nationalität oder eine feste Adresse angeben, wenn diese Daten also nicht benötigt werden, gibt es keinen Grund sie abzufragen.

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Muskeln lernen muss nicht nur stupides Lernen sein https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/muskeln-lernen-muss-nicht-nur-stupides-lernen-sein/ https://www.studentenpack.de/index.php/2018/05/muskeln-lernen-muss-nicht-nur-stupides-lernen-sein/#respond Mon, 28 May 2018 08:00:28 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=375505 Für Physiotherapeuten und Mediziner des ersten Semesters bestimmt das Fach Anatomie über ihr Leben. Jede Woche erwartet sie ein Testat im Präpsaal. Im ersten Semester beschäftigt man sich mit dem Bewegungsapparat: Muskelansätze, -ursprünge und Innervationen werden gepaukt ohne Ende. Jeder ist dankbar für Hilfsmittel, die helfen, dieses stupide Lernen zu erleichtern.

Nun gibt es das extra für Mediziner und Physiotherapeuten entwickelte Arbeitsbuch Muskeln von Sobotta.

Dass es als Ringbuch verfasst wurde, ist ein großer Pluspunkt, denn dadurch lässt es sich leicht aufschlagen. Das Inhaltsverzeichnis gibt es in zweifacher Ausführung. In einer kurz kompakten Variante, die nur die Regionen einteilt, und in einer detaillierten Variante, so dass man schnell einen Überblick gewinnen kann.

Im Inneren findet man jeweils detaillierte Abbildungen von Knochen und Gelenken. Da dies ein Arbeitsbuch ist, muss man natürlich auch etwas ausfüllen. Man wird immer aufgefordert, Ursprung, Ansatz, Funktion und Innervation bestimmter Musklen niederzuschreiben. Daraufhin kann man dann in den Abbildungen den Verlauf der Muskeln einzeichnen.

Zwischendurch werden auch immer wieder klinisch relevante Fragen gestellt, beispielsweise wie die klinischen Symptome sind, wenn ein bestimmter Muskel ausfällt.

Sollte man die Antwort nicht wissen, ist der zweite Teil des Arbeitsbuches mit Lösungen versehen. Dort sind Ursprung, Ansatz und Funktion aufgeführt und ebenso eine Zeichnung, in der die korrekte Verlaufsrichtung der Muskelfasern eingezeichnet sind. Ebenso sind Abbildungen wie aus einem Atlas abgebildet, in denen die Lage der Muskeln ebenfalls klar zu erkennen ist. Daneben ist ein längerer Text in dem gut und detaillierter erklärt wird, wo genau die Muskeln ihren Ursprung und Ansatz haben und von welchen Nerven sie innerviert werden.

Ich denke, dass dieses Arbeitsbuch übersichtlich strukturiert ist und sich für zweierlei Typen von Lernern verwenden lässt. Entweder man füllt es mittels eines Atlanten aus und nutzt das Arbeitsbuch als Kurzfassung zum Lernen. Eine andere Möglichkeit wäre vorher zu lernen und sein gelerntes Wissen durch Ausfüllen des Arbeitsbuches zu überprüfen. Aber egal für welche Variante man sich entscheidet, ich denke, dass dieses Arbeitsbuch ein sehr hilfreiches ergänzendes Arbeitsmittel ist.

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Metaphorische Lichtgestalten https://www.studentenpack.de/index.php/2017/12/metaphorische-lichtgestalten/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/12/metaphorische-lichtgestalten/#respond Mon, 04 Dec 2017 09:00:01 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=306471
Der Eingang zum Hinterhof der neuen Rösterei in der Wahmstraße.Fabian Schwarze | StudentenPACK.

Der Eingang zum Hinterhof der neuen Rösterei in der Wahmstraße.

“Glauben” – für manche ist das etwas sehr Abstraktes und Fremdes, für manche selbstverständlicher Bestandteil des alltäglichen Lebens. Woran Menschen glauben und welche Rituale dazugehören, ist nicht nur zwischen den verschiedenen Religionen unterschiedlich, sondern unterscheidet sich schon zwischen Individuen. Um nicht nur – wie in der Schule – die Organisationsstruktur und Theorie der unterschiedlichen Glaubensrichtungen kennenzulernen, besucht ein Team aus der StudentenPACK-Redaktion die verschiedenen Religionszentren in Lübeck und möchte möglichst unvoreingenommen erleben, wie es sich anfühlt, mitzumachen und dabei zu sein. Als erstes führt uns der Weg ins Buddhistische Zentrum Lübeck.

Ein Kronleuchter. Ein Blick durch einen Torbogen. Industriell anmutende Stahlträger. Eine Feuerschutzleiter. Backsteine.

Es ist Dienstag kurz vor 20 Uhr. Obwohl es Frühling ist, ist es um uns herum bereits dunkel. Wir treten durch den Torbogen zur Neuen Rösterei. „Sind wir hier richtig?“, scheinen unsere Blicke zu fragen. Wir blicken auf das ehemalige Lagergebäude in einen auf den ersten Blick nicht einsehbaren Innenhof der Lübecker Wahmstraße. Mein Blick wandert nach oben – entlang der stählernen Feuerschutzleiter, vorbei an vier Reihen großer ausladender Fenster – und mein Blick fixiert die bunten im Wind schwingenden Fähnchen in der Nähe des Daches – dahinter der fast schon nachtblaue Himmel. Wir finden den Eingang zum Hinterhaus und entdecken ein Schild, das uns verrät, dass wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Sechs Treppen später stehen wir vor der schweren altertümlich wirkenden Tür. Wir treten ein und stehen in einem Raum mit hohen Decken. Der Blick aus dem Fenster zeigt die Silhouetten der Lübecker Altstadthäuser und gleichzeitig die Höhe, in der wir uns befinden.

Der Raum, in dem wir uns befinden, besteht praktisch nur aus einer Küche und einem großen Tisch, an dem bereits sieben Leute sitzen, die sich unterhalten und Tee trinken – keiner trägt Schuhe. Etwas überfordert stehen wir in der Mitte des Raumes und fühlen uns fehl am Platz. Wir fühlen uns, als wären wir plötzlich in der Wohnung einer fremden Person aufgetaucht.

So hatte sich keiner das buddhistische Zentrum Lübecks vorgestellt. Nach wenigen Augenblicken werden wir begrüßt und in den weiteren Verlauf des Abends eingewiesen.

Wir sind zu einer der wöchentlich stattfindenden, offen geleiteten Meditationen eingeladen worden. Wir ziehen unsere Schuhe aus und setzen uns zu den anderen an den Tisch und trinken von dem Mangotee. Keines der Gespräche handelt von dem, was gleich passieren wird. „Wollen wir anfangen?“, ertönt eine Stimme aus dem Nebenraum und alle beginnen sich langsam zu erheben.

Wir betreten den Nebenraum, der noch einmal die Größe des zuvor betretenen Raumes aufweist. Dieser ist jedoch bis auf die Bilder an der Wand und ein paar Regale voller Kissen fast komplett leer. Dieser Raum war für mehr gedacht.

Meditieren

Eine Meditation im buddhistischen Sinne soll uns die Qualitäten einer erleuchteten Person in uns selbst zeigen. Um dies zu erreichen, sind einige Strategien entwickelt worden, wird uns erklärt. Zu allererst die Sitzposition: Wir greifen zu den an der Wand aufgestellten harten und hohen Kissen und setzen uns im Schneidersitz darauf. Sofort wird unsere Sitzposition korrigiert. Die Knie liegen auf dem Boden. Die Fußoberseite liegt flach auf dem Boden, die Beine voreinander, die Hände auf den Knien, der Rücken gerade und der Blick ist leicht Richtung Boden gerichtet. Sobald sich auch alle anderen gesetzt und ihre jeweilig bevorzugte Sitzposition eingenommen haben, beginnen wir mit der Meditation. Vor uns sitzt die Meditationsleiterin. Das Licht wird gedimmt und ich beginne, mich zu entspannen. Sie führt uns mit ihren Worten in die Idee der buddhistischen Meditation ein. Wir meditieren auf den 16. Karmapa, einen buddhistischen Lehrer, der 1959 das chinesisch besetzte Tibet verließ und durch einige westliche Schüler den Buddhismus dorthin verbreite.

Verwunderlich ist in diesem Fall nur, das Rangjung Rigpe Dorje, der 16. Karmapa, bereits verstorben ist. Mein Blick wandert zu dem Bild des Karmapas, welches an prominentester Stelle in der Mitte der Wand hängt, in deren Richtung alle Meditierenden sitzen. In tiefer Meditation mit leicht glasigem Blick schaut er von oben auf uns herab – nicht überheblich oder erhaben, sondern nur gut sichtbar für alle Sitzenden. Wir verharren in Stille auf unseren Sitzpositionen, während die Meditationsleiterin von den positiven Aspekten berichtet, die wir in uns zu erkennen wünschen. Liebe, Mitgefühl und ein Verständnis der Welt in und um uns. Qualitäten, die laut buddhistischer Lehre in jedem von uns vorhanden sind. Qualitäten, die die Buddhisten – und in diesem Moment auch wir – in diesem Augenblick finden und erreichen wollen.
Der Karmapa stellt keine Gottheit oder einen Heiligen da. Er ist kein Papst oder Messias, sondern ein einfacher Mensch. Doch er ist auf dem Weg zur Erleuchtung weiter als wir gekommen.

Er stellt ein Ziel dar. Wir können an ihm die Merkmale entdecken, die wir an uns missen oder die wir an uns noch hervorbringen wollen. In diesem Fall ist er ein Ziel, ein Lehrer und ein Beispiel.

Der Meditationsraum im Buddhistischen Zentrum.Fabian Schwarze | StudentenPACK.

Der Meditationsraum im Buddhistischen Zentrum.

Wege zur Erkenntnis

Doch die Beispiele mit denen diese Qualitäten von ihm – beziehungsweise von seinem Bild vor uns – auf uns übertragen werden sollten, kann ich im Nachhinein nur als verwunderlich bezeichnen. Auf dem Bild eines verstorbenen Menschen ist nichts von dessen Liebe oder Weltverständnis zu sehen. Von diesem Bild geht eine Ruhe aus und eine Vorstellung für das, was dieser Mensch zu Lebzeiten möglicherweise ausgestrahlt hat. Mit Worten wird uns erklärt, wie Strahlen aus farbigem Licht von seinen Augen in unsere Augen strahlten, von seinem Herzen zu unseren, von seiner Stirn zu unseren und aus seinem Mund in unsere Münder. Diese Strahlen brachten die erwünschten Erkenntnisse für diejenigen mit, die die nötigen Schritte unternommen hatten, um diese zu verstehen. Mich persönlich amüsierten die kunstvollen Ausführungen der an aus den Augen geschossenen Lasern erinnernden Strahlen und ich verlor kurz meine Konzentration.

Weiter ging es mit einem Teil, der Neuen vermutlich am meisten das Gefühl gibt, nicht dazu zu gehören – ein tibetanischer Gesang. Die sogenannte Anrufung des schwarzen Mantels – eines Erleuchteten der den ihn Anrufenden den Schutz vor den negativen Emotionen der Welt auferlegen sollte. Für diesen Gesang gibt es – anders als bei vielen anderen buddhistischen Gesängen – noch keine adäquate Übersetzung, weshalb dieser immer noch in seiner grundlegenden und originalen Form gesungen wurde. Der schwarze Mantel oder auch Mahakala ist eine aus dem Hinduismus übernommene „Gottheit“, die im Buddhismus zu einem Symbolbild für das zornvolle Mitgefühl des Lehrers des Bodhisattvas Avalokiteshvara gesehen wird und eine markante Darstellung für die geschichtliche Verbindung von Buddhismus und Hinduismus ist.

Der Gesang dauerte etwa fünf Minuten und die mehrstimmigen Gesänge der Meditierenden hallten im Raum umher. Mittlerweile war es komplett dunkel vor den Fenstern und das Gefühl, das die singenden und meditierenden Menschen um uns herum ineinander auslösen mussten, war spürbar und verständlicher geworden. Ein gemeinsames Ziel wirkt belebend und verbindend. Dabei nach sich selbst und nicht nach einer Gottheit zu suchen, ist in diesem Fall wahrscheinlich das Ausschlaggebende.

Langsam öffneten wir die Augen. Um uns herum sich streckende Menschen. Ein Blick auf die Uhr. „Was denkst du? Wie lange hat es gedauert?“ „So um die 15 Minuten?“ „Naja… Das Dreifache trifft es besser.“ Wir verließen den Raum mit mehr Fragen als zuvor.

Fragen über Fragen

Ein paar Minuten später betraten wir wieder den Meditationsraum. Diesmal mit dem Sprecher des Buddhistischen Zentrums, der uns bei unseren Fragen zur Seite stehen wollte. Was auch wir schon verstanden hatten, war der Fakt, dass die Buddhisten zwar Riten und spirituelle Taten vollbrachten, diese jedoch nicht als übernatürlich ansahen, sondern als Metaphern für das, was sie als urtümlich menschliche Eigenschaften kennen. Nun erfuhren wir auch einiges über die Geschichte des Buddhismus – insbesondere der hier ausgeübten Karma-Kagyü-Linie – in Deutschland selbst. Daraus ergab sich auch die Erklärung, warum im Lübecker Zentrum immer noch auf den bereits verstorbenen und durch den 17. Karmapa ersetzten 16. Karmapa meditiert wurde. Der Däne Ole Nydahl – der Begründer der meisten buddhistischen Zentren im Norden Europas – begegnete 1969 dem 16. Karmapa und wurde einer seiner Schüler. Als Lama (Lehrer oder Leiter) reiste er durch die westliche Welt, gründete Zentren und verbreitete den Buddhismus in Europa. Damit gilt Ole Nydahl als Lehrer dieser Zentren und sein Lehrer als Oberhaupt. Ole Nydahl hatte nie vom 17. Karmapa gelernt, weshalb dieser für seine Schüler auch nicht als Ziel der Meditation gelten konnte. Ein Karmapa ist ein bewusst wiedergeborener, erleuchteter Lama und ist zuständig für den Erhalt und die Verbreitung seiner buddhistischen Lehren. Der von ihm gelehrte Diamantweg-Buddhismus soll den Ausführenden – nicht durch Dogmen oder Tatsachen, sondern durch kritisches Hinterfragen aller Dinge – dazu bringen, dass wir unsere Erfahrungen nutzen können und das gesamte „Potential“ des Menschen durch Rede, Körper und Geist erreichen können. Dazu wird meditiert – das heißt verweilt in einem Zustand der Geistesruhe.

Generell soll der Buddhismus uns in den Zustand unseres inneren Buddha versetzen – in den Zustand der Erleuchtung. Er soll uns aus unseren Gewohnheitsmustern herausführen und die Welt so sehen lassen, wie auch Buddha sie sah, als er sich selbst aus dem Hinduismus entfernte und durch Meditation zum ersten bekannten erleuchten Wesen wurde.

Menschen trennen die Welt in sich und die Welt um sich herum. Das möchte der Buddhismus durch das Erleben verbinden. Dort gibt es jedoch keine Trennung, daher sind alle Dinge die real und fest sind endlich. Menschen werden alt und krank, aber das Denken, das Innerliche und das Erleben sind dauerhaft. Der Erleber ist unendlich. Das Erleben findet als Konstante immer noch statt, auch wenn es keinen Körper mehr gibt. Der Buddhismus erkennt, dass nichts außer dem Erleben dauerhaft ist.

Im obersten Stockwerk meditieren regelmäßig die Lübecker Buddhisten. Am oberen Ende der Treppe wehen einige bunte Fahnen im Wind.Fabian Schwarze | StudentenPACK.

Im obersten Stockwerk meditieren regelmäßig die Lübecker Buddhisten. Am oberen Ende der Treppe wehen einige bunte Fahnen im Wind.

Meine Frage: Wie würde man Buddhismus in 45 Sekunden erklären? „Buddhismus in 45 Sekunden ist für mich die Eigenverantwortung, zu erkennen, dass ich eigentlich schon perfekt bin, dies nur nicht jederzeit erkennen kann. Durch die Beschäftigung mit dem Buddhismus und auch durch die Meditation kann ich lernen, meine eigenen Qualitäten wie Furchtlosigkeit, Freude und mitfühlende Liebe zu erkennen. Wenn ich mich auf diese Qualitäten fokussiere, kann ich für mich besser leben und anderen besser helfen. Auch der Alltag ist einfacher – ich bin kein Buddha, aber ich spüre eine Veränderung.“

Wie hilft mir die Meditation auf eine Person diese Qualitäten zu erkennen? Buddhisten meditieren nicht auf eine Person – auch wenn es möglicherweise so wirken könnte. Sie meditieren auf dessen Lichtenergieform. Es gibt mehrere Ebenen des Buddhismus. Der Diamantweg wird in diesem Fall mündlich übertragen und nicht aus Büchern gelehrt. Hier gibt es eine erfahrene mündliche Übertragung vom Buddha bis heute. Dabei muss alles hinterfragt und durch Meditation erfahren werden. Die Qualitäten müssen wir dabei an einer anderen Person sehen, da wir uns selbst nicht als perfekt wahrnehmen können, obwohl wir die Qualitäten in uns haben. Jemand, der dies kann und sich selbst als perfekt sieht, könnte auch auf sich selbst meditieren. Die buddhistische Zuflucht zeigt somit die Zuwendung hin zu drei Säulen – zu Buddha selbst, zu seinen Lehren (Darma) und zur Gemeinschaft der Buddhisten (Sanga). Im tibetischen Buddhismus gibt es eine vierte Zuflucht und zwar den Lama, den Lehrer, der die Belehrung bekommen hat.

Ein Résumé

Der Buddhismus ist also eine Religion, die sich selbst nicht als Religion versteht. Eine spirituelle Philosophie mit Wurzeln in den Lehren des Buddha. Mit Verbindungen zum Hinduismus und dem generellen Verständnis, dass der Mensch selbst perfekt sein kann, wenn er sich nur darauf bezieht. Jemand der sich den Prinzipien des Karma nicht unterworfen fühlt oder den Weg in Richtung der Erleuchtung nicht gehen möche, kommt keinen Schritt weiter. Dies bedeutet nicht, dass er ein schlechtes Leben führt. Ganz im Gegenteil: Der Buddhismus versucht, Erklärungen für „gutes“ und „schlechtes“ Verhalten zu vermitteln und nicht zu lehren, was das überhaupt ist. Dabei bezieht er sich auf die positiven Eigenschaften früherer buddhistischer Lehrer, die im Verständnis der Buddhisten auch nur Menschen sind, die aber auf dem Weg zur Erleuchtung einen Schritt weiter gekommen sind. Diese Grenzen zwischen natürlichem und übernatürlichem Verständnis wirken jedoch im Gespräch mit den Buddhisten äußerst verschwommen. Und es ensteht immer häufiger der Eindruck, dass sie sich in Erinnerung rufen müssen, dass nichts, was sie tun, übernatürlich ist. Die Lichtgestalt eines Karmapa ist eine geistige und metaphorische Symbolisierung unseres Selbst in Form eines Anderen. Ein hinduistischer Gott des schwarzen Mantels eine Metapher für das Mitgefühl eines Bodhisattvas. Ob alle Buddhisten tatsächlich in Metaphern denken ober ob die Grenzen zwischen natürlicher Umgebung und übernatürlicher Geistlichkeit in diesem Fall so starr sind, wie uns erklärt wurde, kann ich nicht sagen, aber das Erleben war während der Meditation spürbar. Mit dem Gedanken, dass die Welt des Inneren und die Welt des Äußeren durch meine Erfahrungen und Erlebnisse verbunden sind und dass eine Meditation geistesfördernd ist, kann ich mich sehr gut anfreunden – mit Lichtgestalten, die Licht aus ihren Mündern strahlen etwas weniger.

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Ein Buch zum Überleben https://www.studentenpack.de/index.php/2017/12/ein-buch-zum-ueberleben/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/12/ein-buch-zum-ueberleben/#respond Mon, 04 Dec 2017 06:30:02 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=306431 Biochemie – nicht gerade das Fach, das die meisten Medizinstudenten am liebsten haben. Vielleicht ist man gerade durch die Chemie-Klausur durchgekommen, hat den letzten Praktikumstag im vergangenen Semester ordentlich gefeiert und jetzt geht der ganze Kram wieder von vorne los – nur mit noch größeren Molekülen, längeren unaussprechlichen Namen und im Zuge dessen lauter Abkürzungen.

Ich habe jetzt gut einen Monat Biochemie-Vorlesungen hinter mir und immer öfter driften meine Gedanken ab, das ist doch eh alles zu schnell und Zeit zum Nacharbeiten habe ich auch nicht wirklich. Insofern war ich ganz glücklich, in ein Buch hineinschauen zu können, welches scheinbar die gesamte Biochemie für etwa 20 Euro auf gut 300 Seiten zusammenfasst.

Das Buch “Survival Kit Biochemie” ist meiner Meinung nach gut strukturiert. Das Inhaltsverzeichnis ist aufgrund seiner Länge von nur zwei Seiten sehr übersichtlich, man findet Themen auf einen Blick. Ein absoluter Pluspunkt für mich. Öffne ich es an einer beliebigen Stelle, springen mir mindestens zwei Abbildungen und eine Infobox ins Auge, die Struktur ist also aufgelockert und ansprechend. Die Infoboxen haben verschiedene Farben, je nach dem, ob es sich um die Kategorie „Für die Klausur“, „Lerntipp“, „Achtung“ oder „Für Ahnungslose“ handelt. Diese Kategorie beschreibt in zwei Sätzen absolute Grundlagen, die unabdingbar für das Thema sind. Für jemanden, der länger aus der Schule raus ist oder Chemie abgewählt hat, kann hier der eine oder andere Aha-Effekt auftauchen.

Allgemein ist das Buch weniger wie ein Lehrbuch geschrieben, sondern sehr viel lebhafter und auch persönlicher. Der Leser wird oft direkt angesprochen und mit einbezogen. Der Autor versteift sich nicht auf stumpfe Fakten und Gegebenheiten, sondern verpackt die Theorie in eine Sprache, die man gut verstehen kann, ohne jede Seite doppelt lesen zu müssen.

Zum Inhalt kann ich nach einem Monat Biochemie natürlich noch nicht so viel sagen. Was mir beim Lesen der Themen aufgefallen ist, welche mir schon bekannt waren, sind viele Querverweise. Unter Umständen muss man also ziemlich zwischen den Kapiteln hin- und herblättern, um den gesamten Text zu verstehen. Zudem sind manche Kapitel sehr kurz gehalten – ich kann im Moment nicht beurteilen, ob man für eine Klausur oder ähnliches nicht mehr zu dem jeweiligen Thema wissen muss. Was ich gelesen habe, konnte ich aber gut nachvollziehen, auch wenn ich in der dazugehörigen Vorlesung nicht immer geistig anwesend war.

Insgesamt gefällt mir das Buch ziemlich gut und für jemanden, der normalerweise in die Vorlesungen geht und dann für die Klausur oder die Praktikumsvorbereitung das Eine oder Andere nachlesen und wiederholen möchte, ist es eine gute Zusammenfassung – vielleicht sogar als echte Alternative zu anderen Kurzlehrbüchern. Ich werde es künftig auf jeden Fall benutzen und damit – hoffentlich – die Biochemie überleben.

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Best of Filmschool – Ein Abend voller Kurzfilme https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/bestoffilmschool/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/bestoffilmschool/#comments Sun, 05 Nov 2017 09:30:39 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302946 Der Kinosaal 7 des CineStars ist pickepacke voll, als wir ankommen. Regisseurinnen und Regisseure sitzen unters Publikum gemischt in den Reihen. Wir sind gespannt, denn was hier zu erwarten ist, wissen wir nicht so recht. Wir sind beim Best of film schools der 59. Nordischen Filmtage Lübeck.

Die Filmemacherinnen und Filmemacher kommen von unterschiedlichen Hochschulen aus ganz Deutschland und sie haben jeweils einen Kurzfilm mitgebracht, der im Rahmen ihres Studiums entstanden ist. Der Grad der Erfahrung rangiert vom ersten Film überhaupt bis hin zum preisgekrönten Abschlussfilm eines postgraduierten Studiums. Ebenso groß ist die inhaltliche und formale Vielfalt der Werke. Wir wollten eine gemeinsame Kritik schreiben – einigen konnten wir uns nicht.

Die Lichter gehen an. Eine unbekannte Sprache. Eine Frau, eine Blume, zwei Kinder. Ein Instrument. Ein Schicksal. – Vorhang

In diesem aufwendig produzierten Animationsfilm arbeitet Ahmed Saleh ein echtes Ereignis auf. Der Film stellt die Geschichte zweier Jungen, die im Kriegsgebiet zurückgelassene Munition für Spielzeug gehalten und sich schwer verletzt hatten, berührend dar.

Ayny – My second Eye” eine Stop-Motion-Produktion zeigt auf eindrucksvolle Weise die Geschichte zweier durch eine Miene verletzten Jungen. Nicht nur die für den Film verwendeten Puppen wirken auf den Zuschauer als Figuren mit Zielen, Gefühlen und Sehnsüchten, sondern auch die Kamerafahrten zeigen eine eindeutige Identifikation mit dem Problemgebiet im nahen Osten.

AYNY – My Second Eye (Official Trailer) from Ahmad Saleh on Vimeo.

Das Rasseln eines Filmprojektors. Bildartefakte auf der Leinwand. Eine andere Zeit. Eine Zeit der Entbehrung. Ein Aphrodisiakum. – Vorhang

In dem Kurzfilm „The Ballad of Ralf and Heike“ von Manuel Ostwald wird in den 70er Jahren in einem Jugendzimmer in Ostberlin eine Rolling-Stones-Platte gehandelt. Heike will sie unbedingt haben und bietet Ralf an, ihm dafür ihre Brüste zu zeigen. Ralf tauscht all sein Geld und die Kamera seines Vaters ein, damit Heike die Platte bekommt. Heike zeigt ihre Brüste – aber nur extrem kurz. Glaube ich. Ich habe eine Viertelsekunde nicht hingeguckt.

Ralf und Heike sitzen in einem Zimmer in Ostdeutschland. Schüchtern lernen sie russisch. Bald soll Klaus vorbeikommen und ihnen eine seiner verbotenen Rolling-Stones-Platten verkaufen. Nichts ist anregender für die beiden als der Genuss dieser verbotenen Musik zu einer Zeit der Entbehrung. Das ist es Ralf sogar wert, seine geliebte “Knipse” herzugeben. Eine Aufarbeitung der Zustände in Ostdeutschland und den Kult der Schallplatte und frühe Medien an sich – gedreht auf 16 mm Rollen.

Ein fernes Land. Ein Bus. Eine Frau. Ihre Religion. Ein Konflikt. Fanatismus oder Menschlichkeit? – Vorhang

Der Film „Watu Wote: All of us“ von Katja Benrath beruht auf einem Angriff von islamistischen Terroristen auf einen Bus, in dem Muslime als auch Christen reisten, in Kenia im Jahr 2015. Die Angreifer wollten die christlichen Menschen ermorden, doch die Muslime nahmen ihre Mitreisenden in Schutz. Sehr verstörender Film, da ich das Gefühl hatte mitten drin zu sein. Sehr berührender Film – aus dem gleichen Grund.

Islamisten schießen auf Muslime? Nur um eine Christin aufzuspüren? Eine packende Installation, die sowohl von der christlichen Kirche als auch dem Zentralrat der Muslime unterstützt wurde, die die Menschlichkeit über den Fanatismus stellt und dem ein oder anderen Zuschauer und auch meiner Mitautorin vor Schrecken, Trauer oder Rührung die Hände vor die Augen trieb.

Blau. Grau in Grau. Farbwechsel. Grün. Eine Brücke. Gelb. Verlassen, Allein. Eine Ewigkeit des Konsums. Orange. Rückkehr zur Geborgenheit. Rot. – Vorhang

Auch nach dem Gespräch mit dem Regisseur bin ich nicht schlauer, was Nicolaas Schmidt mit seinem Film „FINAL STAGE“ ausdrücken wollte. Er zeigt die gesamte Leinwand ausfüllende Farbflächen und ungewöhnlich lange Szenen ohne Handlung. Wir sehen den Protagonisten des Films quälende zwölf Minuten lang durch ein Einkaufszentrum gehen. Das Publikum wird während der 27-minütigen Filmvorstellung hörbar unruhig. Ob er solche Publikumsreaktionen gedanklich miteinbeziehe, wenn er einen Film mache, fragt die Moderatorin ihn im Anschluss. „Nein“, erwidert er freundlich lächelnd. Er mache Filme nur für sich. Die Moderatorin erwähnt, dass er sie gebeten habe, wegen der grellen Farbwechsel vorab eine Epileptikerwarnung auszusprechen, was sie jedoch vergessen habe. Ich frage mich: wenn man eine Epileptikerwarnung haben möchte, wieso setzt man dann keine Epileptikerwarnung voran? Das lässt sich für mich auf den ganzen Film übertragen: sag doch, was du sagen möchtest. Ich möchte verstehen. Wirklich. So unangenehm ich mich während der Filmvorstellung auch gefühlt habe – dieser Film hat mich im Nachhinein bei Weitem am meisten beschäftigt. Schmidt hat bei der diesjährigen Berlinale einen spontanen Sonderpreis für seinen „formalen Mut“ verliehen bekommen, das kann ich gut verstehen. Dennoch habe ich mir den Namen des Regisseurs gemerkt – um erstmal nicht ausversehen noch mal in einem Film von ihm zu sitzen.

Wurde hier das Publikum gequält, indem es 27 Minuten lang einem weinenden Teenager dabei zusah, wie er ein Einkaufzentrum durchquerte? Auf jeden Fall. Ohne Grund? Eher nicht. So zeigt der Unterschied der farblosen Welt, die sich grau in grau vor dem verlassenen Jungen erstreckt zu der abstrus farbigen und trotzdem immer gleichen “corporate Identity” Welt innerhalb des Einkaufszentrums, wie leblos Farbe wirken kann, wenn sie überdimensional auf den Menschen einwirkt. Quittiert wird das Ganze mit zurückhaltendem Applaus. Vielleicht nichts für jeden. Vielleicht eine Überinterpretation eines von Farbfeldern durchzogenen “Kurzfilms”. Vielleicht doch nicht so schlecht, dass der Regisseur seine “Drohung” nicht bewahrheiten lässt und den Film mit einem Rückweg durch das Zentrum nicht auf Spielfilmlänge erhoben hat. Zweieinhalb Stunden Kurzfilme sind dann doch genug.

FINAL STAGE [TRLR] from Nicolaas Schmidt on Vimeo.

Eine Ehe. Ein Frühstück. Stimmungsschwankungen. Ein Konflikt. Eine Verbannung. Eine Realisation. – Vorhang
„Tisch und Bett“ von Jonathan Schulz ist das Ergebnis einer studentischen Gruppenarbeit. Mir hat die Mitteilung hinter der Handlung sehr gut gefallen, die Umsetzung etwas weniger.

Diese Aufarbeitung von Trauer, Wut, Realisation und Verzweiflung wirkt anfangs wie ein Ehestreit an einem idyllischen Frühstückstisch. Doch irgendetwas fehlt.

Ein Wissenschaftler. Die Unsterblichkeit. Der Mikrokosmos. Der Makrokosmos. Eine Möglichkeit. Eine Tragödie. Ein Neuanfang! – Vorhang

Der Film „Das Bärtierchen“ von Kerstin Welther ist ein von ihr selbst gezeichneter animierter Dokumentarfilm über die weniger als einen Millimeter großen gleichnamigen Tierchen. Sie lässt einen Wissenschaftler verschiedene Experimente mit ihnen anstellen, in denen sich zwei Dinge herausstellen: Bärtierchen überleben im Prinzip alles und Bärtierchensex bringt den gesamten Saal zum Lachen.

Voller Liebe zum Detail und mit Humor und Anspielungen auf die Welt der Science Fiction nimmt der kleine Überlebenskünstler den Zuschauer für sich ein.

Mehr dazu: Kerstin Welther: Tardigrade

Ein Fest. Eine fremde Umgebung. Ein Radio. Kein Entkommen. – Vorhang
In „Merry X-Mas“ fängt Jessica Dahlke eine völlig überladene Weihnachtsfeier in Thailand ein. Dazu spricht Angela Merkel. Während des Anschauens fehlte mir die Geschichte, die die Regisseurin im Anschluss mündlich nachlieferte: sie war Weihnachten entflohen und in einem Hotel voller Weihnachtsmänner mit Jingle-Bells-Dauerschleife gelandet.

Trotz des Versuchs, dem heimatlichen Weihnachtstrubels in ein buddhistisches Land zu entfliehen findet sich die Regisseurin – in diesem Fall auch Kamerafrau – inmitten von weihnachtsbegeisterten Menschen wieder. Ein Grund mehr, die Kamera auszupacken.

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Qeda https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/qeda/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/qeda/#respond Sat, 04 Nov 2017 17:00:39 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302845

Der Film QEDA, ein dystopischer Streifen des Dänen Max Kestner, lief dieses Jahr auf den Nordischen Filmtagen und konnte zumindest mich für sich einnehmen.

Die Welt 2095, nur wenige Generationen nach der unsrigen. Der Meeresspiegel ist gestiegen, ganze Landstriche mussten den Fluten überlassen werden, der Rest ist Wüste. Alles, aber auch alles ist vom Salz vergiftet, das Trinkwasser knapp (und zur Währung erhoben) und neben dem menschlichen scheint nur noch sehr wenig Leben auf der Erde zu existieren.

Um wieder eine lebenswerte Welt zu schaffen entschließt sich die Regierung, auf das gefährlichste Mittel zurückzugreifen, das inzwischen existiert: Zeitreisen. Für solche Zwecke ist es möglich, sich zu teilen bzw. zu verdoppeln – Ein Mann der Regierung unterzieht sich einer Teilung und eine Hälfte von ihm wird in das Jahr 2017 zurück geschickt, um die weltverändernden Forschungsergebnisse einer Dänin zu retten.

Schön an dem Film ist vor allem der unklassische Ansatz, der Fragen aufwirft, wie etwa wofür es sich lohnt, eine Welt zu retten, die derartig der Zerstörung anheim gefallen ist und ob es nicht sinniger ist, die Weichen zu stellen, solange noch so viel schützens- und lebenswertes existiert. Sehr schöne Szenen bestehen schlichtweg darin, wie der Regierungsagent bezaubert durchs Kopenhagen unserer Zeit wandert und in allem – den blühenden Bäumen, den Tauben, dem Kaffee, für dessen Produktion dutzende Liter Wasser aufgewendet worden sind – das Wunder sieht, was es eigentlich tatsächlich darstellt.

QEDAs Macher machen keinen Hehl daraus, keine hochwissenschaftliche Hypothese für ihr Zukunftsszenario zugrunde zu legen und verzichten auch absichtlich auf fast jegliche Darstellung zukünftiger Technologien – Es wurde das Zitat vorangestellt, es sei „Science Fiction without too much science, a fairy tale without any faries“.

Jedem, der Freude an nachdenklichem skandinavischem Kino hat oder sich ins Gedächtnis rufen möchte, was wir alles als selbstverständlich ansehen – Dinge, die auch in unsere westlichen Welt vielleicht nicht immer selbstverständlich bleiben werden – sei dieser Film ans Herz gelegt.

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Tagebuch eines Gangsters https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/tagebuch-eines-gangsters/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/tagebuch-eines-gangsters/#respond Sat, 04 Nov 2017 01:31:39 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302496

Ein gut gelaunter und zu Späßen aufgelegter Ivica Zubak, der Regisseur des Films, begrüßt uns – auch wenn es bereits halb elf am Abend ist – herzlich und stimmt uns auf den bevorstehenden Film ein. Er freue sich, zum zweiten Mal in seiner Karriere in Lübeck bei den Nordischen Filmtagen zu Gast zu sein. In diesem Jahr hat er auch Hauptdarsteller Can Demirtas mitgebracht: Kräftig, kurz geschorenes Haar, Dreitagebart – die grimmige, einschüchternde Rolle des Vorstadt-Kriminellen kauft man ihm ohne zu zögern ab. Dann wird es dunkel, und Can Demirtas erscheint als Metin auf der Leinwand.

Im schwedischen Vorort Jordbro, einer grauen, tristen Siedlung, hat es Metin auf die schiefe Bahn verschlagen. Gemeinsam mit seiner Bande tritt er als Kleinganove und Auftragsgangster mit einem Hang zur Gewissenhaftigkeit in einem sozialen Brennpunkt türkischstämmiger Familien auf. Was ihn von seinen Freunden und Feinden unterscheidet ist der Leitsatz seines toten Vaters, der ihm nicht aus dem Kopf geht und ihn manchmal an dem, was er tut, zweifeln lässt: „Jeder Mann sollte in seinem Leben einen Baum pflanzen, ein Kind großziehen und ein Buch schreiben.“ Daher führt Metin über alle Geschehnisse – vom in Brand gesteckten Auto bis zum Verpfänden gefälschter Uhren – Tagebuch, das eines Tages in die Hände des Verlegers Puma aus der Stadt fällt. Dieser erhofft sich mit dem Buch einen großen Erfolg und möchte das Tagebuch so schnell wie möglich veröffentlichen, was Metin alles andere als Recht ist, da er bei einer Publikation nicht nur um seine Sicherheit fürchten muss. Es beginnt ein spannendes und zwiespältiges Hin und Her, bei dem sich Metin zwischen seiner Vergangenheit und seinen Wünschen für die Zukunft entscheiden muss.

Ivica Zubak schafft es, ohne Kitsch authentisch die Atmosphäre und Gefühle von Metin einzufangen und auf die Leinwand zu bringen. Wer einen oberflächlichen Gangsterfilm erwartet, wird sicherlich enttäuscht sein. Vielmehr geht es um die Auseinandersetzung eines Menschen mit den verschiedenen Seiten von Gesellschaft und Kultur, gerade vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen. Unserer Meinung nach wirklich lohnenswerte und unterhaltsame 96 Minuten, in denen ständig unklar ist, welche Ziele gemäß dem Lebensmotto seines Vaters Metin erreichen kann. Am besten findet ihr das selbst heraus!

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Finlandia https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/finlandia/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/finlandia/#respond Thu, 02 Nov 2017 22:30:39 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302522
Finlandia in St. KatarienLukas Ruge | StudentenPACK.

Finlandia in St. Katarien

Finnland kennt halt einfach keiner. Das zumindest muss sich das finnische Außenministerium in den frühen Zwanzigern gedacht haben. Was braucht man, um die eigene Bevölkerung zu informieren, den Tourismus anzuheizen und sein Image in der Welt zu verbessern? Klar: Man nimmt sich das neuste, hippste Medium das man finden kann – im Falle der zwanziger Jahre: den Film.

So entsandte das Ministerium in den Zwanzigern ein Filmteam um Erkki Karu, um in 5 Episoden das Land, seine Leute und seine Sitten zu dokumentieren.

In der unbeheizten Katharinenkirche gab es die restaurierte Fassung von Finlandia nun zu sehen. Stilecht froren die Zuschauer zu Bildern von Eisbrechern, Skifahrern und Holzfällern an schneebedeckten Hügeln. Begleitet wurde die Vorstellung – die als Stummfilmkonzert angepriesen wurde – von den weitgehend elektronischen Tönen von Franz Danksagmüller. Die Tonbegleitung war einer der Schwachpunkte der Vorstellung. Zu oft wurde die Musik durch symbolische Geräusche ersetzt, ein elektronisches Blubbern wann immer Wasser im Bild war, ein Schleifen bei jedem Bild von Industrieanlagen, das einfach unpassend und auch nervig war.

Der Film hingegen ist deutlich weniger eintönig als die Beschreibung vielleicht erahnen lassen würde. Die finnischen Landschaften der zwanziger Jahre sind wunderschön, die Aufnahmen gut ausgewählt und die Segemente größtenteils kurzweilig und abwechslungsreich genug. Bei einigen wenigen – wenn Finnen auf Baumstämmen stehend reißende Flüsse heruntertreiben oder auf dem Eis stehend den Eisbrecher in den Hafen lotsen – stockt einem sogar kurz der Atem ob der todesmutigen Protagonisten.

100 Jahre später wurde dieser Film nun in restaurierter Fassung – er war in den späten 50ern fast vollständig verbrannt – in der Museumskirche Sankt Katharinen vorgeführt. Kennt man nun Finnland? Wahrscheinlich nicht, aber die finnische Tourismusbranche hat vorgesorgt, um die eigene Bevölkerung zu informieren, den Tourismus anzuheizen und sein Image in der Welt zu verbessern. Man nimmt sich das neuste, hippste Medium das man finden kann: 360-Grad-Hightech-Kino. Jetzt zu sehen auf dem Klingenberg.

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Ein Bankraub, fünf Menschen und drei Dinge https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/ein-bankraub-fuenf-menschen-und-drei-dinge-2/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/ein-bankraub-fuenf-menschen-und-drei-dinge-2/#respond Thu, 02 Nov 2017 21:31:39 +0000 http://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/ein-bankraub-fuenf-menschen-und-drei-dinge-2/

Fünfminütige Kurzfilme und Bilderserien in der Kuppel am Klingenberg sind nicht so dein Ding? Für Freunde düsterer Thriller mit verzwickter Handlung könnte der dänische Spielfilm „3 Dinge (3 ting)“ des Regisseurs und Autors Jens Dahl eher den Geschmack treffen.

Zum Inhalt nur so viel: Die Handlung dreht sich um Mikael, der als Sprengstoffexperte an einem Bankraub beteiligt war. Von der Polizei geschnappt soll er nun als Kronzeuge den Ablauf rekonstruieren, verlangt als Bedingung für seine Kooperation jedoch die titelgebenden „3 Dinge“. Gespielt wird die Rolle des über und über mit Molekülstrukturen explosiver Verbindungen tätowierten Bombenbauers von Nikolaj Coster-Waldau, der nach sieben Staffeln als Jamie Lannister in Game of Thrones einige Bekanntheit erlangt haben dürfte. Ihm zur Seite stehen die Däninnen Birgitte Hjort Sørensen als seine wenig begeisterte Ex-Freundin Camilla und Lærke Winther als ermittelnde Staatsanwältin Nina, hinzu kommen noch Jacob Ulrik Lohmann und Morten Holst als Polizisten Sander und Carsten. Die schauspielerischen Leistungen überzeugen, wobei meiner Meinung nach vor allem Birgitte Hjort Sørensen positiv heraussticht.

„3 Dinge“ ist kein bombastischer Action-Film, sondern eher ein dialogbasiertes Kammerspiel mit fünf Sprechrollen. Die Handlung beginnt mit dem Betreten eines Hotelzimmers, das im Laufe des Films nicht mehr verlassen wird. Somit wird die meiste Zeit gesprochen oder geschwiegen und ein Großteil der Geschehnisse spielt sich in der eigenen Vorstellung ab. Hier blieb der Film jedoch etwas hinter meinen Erwartungen zurück, denn die Geschehnisse bleiben vorhersehbar und spannend erscheinende Nebenstränge der Geschichte werden nach wenigen Sätzen fallengelassen und nicht wiederaufgenommen. Nichtsdestotrotz ist „3 Dinge“ ein unterhaltsamer Film, der von schnippischen Wortwechseln und dem Spiel der beiden Hauptrollen lebt.

Gezeigt wird der neunzigminütige Thriller in der dänischen Originalfassung mit englischen Untertiteln, denen man meist gut folgen kann. „3 Dinge“ wird noch am 4. November und am 5. November im Rahmen der Nordischen Filmtage für 7,50 Euro zu sehen sein.

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Der grüne Planet – Zwischen Eiszeit und Treibhaus https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/der-gruene-planet/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/der-gruene-planet/#respond Thu, 02 Nov 2017 14:47:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302252
360 Grad Kino auf dem KlingenbergLukas Ruge | StudentenPACK.

360 Grad Kino auf dem Klingenberg

Aus dem Planetarium in Hamburg kommt der Animationsfilm “Der grüne Planet – Zwischen Eiszeit und Treibhaus” nach Lübeck. Dieser in Kooperation vom Hamburger Planetariumsdirektor Thomas Kraupe mit dem Leiter des Produktionsstudios Mirage in Den Haag Robin Sip produzierte Dokumentarfilm zeigt in 35 Minuten die Komplexitäten des Erdklimas – mit einem besonderen Fokus auf die pflanzliche Relevanz bei der globalen Erwärmung.

Dabei sollte der Betrachter sich vom verlinkten Trailer aus dem Jahr 2007 nicht verunsichern lassen, da die Animation seit dessen Erstellung bereits mehrere Male sichtbar überarbeitet worden zu sein scheint.

Inhaltlich beschäftigt sich der Film mit der dokumentationsartigen Aufarbeitung der pflanzlichen Photosynthese und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Klima. Dabei wird auch auf die Notwendigkeit der Erdrotation, der Sonneneinstrahlung, der Erdlaufbahn und der atmosphärischen Veränderungen eingegangen. Zuletzt gibt der Film dem Betrachter die Erkenntnis mit auf den Weg, dass die umfassende menschliche Verstrickung in die klimatischen Vorgänge der Auslöser zukünftiger Krisen zu sein scheint – der Mensch ist zur Naturgewalt geworden.

Technisch gesehen nutzt der Grüne Planet die Möglichkeiten eines 360-Grad-Kinos fast vollkommen aus. Dabei wird die gesamte Leinwand „bespielt“. Durch spektakuläre Kamerafahrten wird der Zuschauer so sowohl in den Mikrokosmos einer einzelnen Pflanzenzelle als auch in den Makrokosmos des Universums befördert – so werden beispielsweise Ausblicke auf mögliches Leben auf Mars oder Jupiter gegeben.

Von künstlerischen Darstellungen der Jahreszeiten in schneekugelartigen Murmeln von klassischer Musik unterlegt bis hin zu wissenschaftlichen Darstellungen grönländischen Phytoplanktons konnte der Grüne Planet das Publikum im finnischen Iglu auf dem Klingenberg auf gemütlichen „Sonnenliegen“ belehren.

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Backstabbing for Beginners https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/backstabbing-for-beginners/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/backstabbing-for-beginners/#respond Thu, 02 Nov 2017 10:57:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302392 Backstabbing for Beginners handelt von der wahren Geschichte eines der größten Korruptionsskandale der vergangenen Jahrzehnte. In dem Film bekommt Michael Soussan (Theo James) seinen Traumjob bei der UNO. Bereits sein Vater hatte als Diplomat für die UNO gearbeitet und war früh gestorben. Michael möchte in seine Fußstapfen treten und wird gleich mit der Beaufsichtigung des Oil-for-Food Programms beauftragt. Dieses Programm war begründet worden, um der unter den Wirtschaftssanktionen infolge des zweiten Golfkrieges leidenden Zivilbevölkerung Iraks zu helfen. Sinn und Zweck war es, dass der Irak sein Öl verkaufen durfte, um im direkten Austausch dafür humanitäre Güter, wie Lebensmittel und Medikamente, zu bekommen.

Michael reist in den Irak, um das Programm zu kontrollieren. Doch dort trifft der junge Idealist, der die Welt gern verbessern würde, auf eine Welt voller Korruption und Gewalt. Sein Boss Pasha (Ben Kingsley), von dem er als „Kid“ bezeichnet wird, versucht ihm beizubringen, wie das System funktioniert. Man solle nicht lügen, aber die Fakten sehr sorgfältig wählen.

In diesem Politthriller verschönt Regisseur Per Fly nichts und führt uns vor Augen, dass in unserer Welt nicht immer alles so funktioniert, wie es sollte. Geld bedeutet nun mal Macht und bestimmt die Welt. Dem Zuschauer wird auf eine gelungene und beeindruckende Weise gezeigt, dass es aufgrund der tief verwurzelten Korruption nicht unbedingt einfach ist und sogar lebensbedrohlich werden kann, wenn man mit gutem Willen in die Politik gehen und seine Ziele durchsetzen möchte.

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100 Moods from Finland https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/100-moods-from-finland-2/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/100-moods-from-finland-2/#respond Wed, 01 Nov 2017 17:47:12 +0000 http://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/100-moods-from-finland-2/
Dieser Dome steht gemeinsam mit einigen Holzhütten auf dem Klingenberg und versucht ein wenig Finnland in die Lübecker Innenstadt zu bringenFabian Schwarze | StudentenPACK.

Im Dome kann man 360-Grad Aufnahmen betrachten.

Die 59. nordischen Filmtage sind gestartet und zu den elf Kinosälen gesellt sich dieses Jahr der sogenannte Fulldome – ein an eine Hüpfburg in Form eines großen Iglus erinnerndes Kino. Dieser Dome steht gemeinsam mit einigen Holzhütten auf dem Klingenberg und versucht, ein wenig Finnland in die Lübecker Innenstadt zu bringen.

“100 Moods from Finland” verspricht dem Zuschauer dieses Gefühl des Fernseins noch zu untermalen. Die Darstellung zeigt innerhalb einer Stunde diverseste 360-Grad-Aufnahmen aus verschiedensten finnischen Umgebungen. Diese sind dabei vollkommen unbespiel, kaum durch den Fakt des Filmens verfälscht und zeigen beispielsweise plätschernde Bäche, arktisdurchkreuzende Eisbrecher oder sogar den finnischen Arbeitsplatz des Weihnachtsmannes, den man dort bei seiner Arbeit mit den Touristen beobachten kann. Natürlich sieht man auch viel Schnee: Immer wieder blickt man auf unbewegte schneeüberzogene Landschaften und hört nur den Wind an der Kamera vorbeiziehen.

Der Fulldome zeigt den Film dabei mithilfe von fünf Videoprojektoren auf der als Leinwand dienenden Innenseite des “Iglus” , die man auf einer Sonnenliege sitzend beobachtet. Die 360-Grad-Umgebung wird dabei nur selten komplett genutzt. Die meisten Umgebungen zeigen eine klares Blickzentrum. Dadurch wird häufig der übrige gefilmte Umgebungsbereich zur vom Publikum unbetrachteten Peripherie. Genutzt wird dieses Umgebungspotential jedoch beispielsweise in einer Szene in einem industriell anmutenden Stadtteil einer finnischen Stadt, in der ein Skater die Köpfe des Publikums mit seinen Manövern zum Rotieren bringt.

Von Schlittenhunden über Kirchengesänge bis hin zu arktischen Meeren hat “100 Moods from Finland” versucht, fast alles, was Finnland ausmacht, in 360-Grad-Filmausschnitten darzustellen. Dabei entsteht ein Projekt, das nicht als stundenfüllende Unterhaltung angesehen werden kann, sondern als Projekt, das den Menschen die Natur und die Bräuche Finnlands näherbringen soll – ohne Sprache, ohne Musik und ohne Erklärung.

Wer zu den Spielzeiten in der Innenstadt ist, sollte sich schon einmal Gedanken machen, vielleicht diese kostenlose Reise nach Finnland zu unternehmen – vielleicht auch nur, um den ungewohnten Perspektivwechsel und die ungewohnten neuen Blickwinkel auf einen Film auszunutzen und auszuprobieren. Dabei sollte jedoch kein klassischer Film erwartet werden, sondern eine leicht bewegte Slideshow finnischer Umgebungen. Nach der virtuellen Reise nach Finnland ist dann wahrscheinlich noch Zeit für einen Schoko-Minttu an einer der vor dem Iglu aufgebauten Holzhütten.

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Homo Lubecensis – Das Leben des Joachim Jungius https://www.studentenpack.de/index.php/2017/02/homo-lubecensis-das-leben-von-joachim-jungius/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/02/homo-lubecensis-das-leben-von-joachim-jungius/#respond Mon, 06 Feb 2017 09:00:15 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=262267 [nextpage title=”Ein Junge seiner Zeit” img=”262286″]

Joachim JungiusJosefine

Joachim Jungius

Die Biografie von Joachim Jungius beginnt mit einem Mord. Es war spät abends irgendwann im Herbst 1590. Tatort: Lübeck, Ecke Glockengießerstraße und Königstraße. Es hatte gerade von den Kirchen der Stadt Mitternacht geschlagen, als drei Gestalten mit Lampen in ihren Händen an der Ecke stehen blieben. Sie waren Freunde und gehörten dem Lehrerkollegium am Katharineum an.

Was folgte beschreibt Robert Ch. B. Avé-Lallemant in seiner 1882 erschienenen Jungius-Biografie „Yn Gudes Namen“ lesenswert, lebhaft und mit großer Liebe für die Mundart, daher sei die Szene hier in Gänze zitiert:

„‚Ei, ei, meine Herren Kollegen, was würde der Nachtwächter sagen, wenn er uns praeceptores juventutis (Anm. junge Lehrer) so laut in nächtlicher Stunde hier anträfe und erkännte! Denn es muss schon recht spät sein.‘ Und wirklich kam ein dunkler Umriss, ebenfalls mit einer grossen Laterne durch die Königstrasse daher, stiess mit einer Hellebarde auf den Boden, – ein regelrechtes Strassenpflaster hat es zu Lübeck erst in neueren Zeiten gegeben -, schwang eine mächtige Knarre einmal um ihre Achse und rief dabei aus: ‚De Klock hätt twölf sslahn, twölf iss de Klock’, – grüsste die drei Gesellen, und verzog sich. Die drei gingen nun auch eiliger ihres Weges. –

Keiner von ihnen aber hatte in der Blendung der eigenen Laterne eine Gestalt bemerkt, die aus der Pfaffenstrasse heraus schleichend längs der Häuser sich hinbewegte. Kaum waren die praeceptores und cantores auseinander gegangen und der Nachtwächter verschwunden, als einer der Schulmänner in dem Augenblick, in welchem er sich anschickte, in den Umgang des Katharineums hineinzugehen zu seiner dortigen Wohnung, von jener Gestalt überfallen und mittelst eines Stossdegens, wie ein solcher damals ausserordentlich viel getragen wurde, niedergestochen ward.

Ein einziger herzzerreissender Schrei des Getroffenen verkündete es, dass ein Meuchelmörder […] den Unglücklichen niedergemacht hatte. Dieser aber flüsterte entsetzt dem Sterbenden zu: ‚Oh mein Gott, Herr Präceptor, es galt ja gar nicht Euch!‘ und sprang davon.”

Das Mordopfer war Nicolaus Jungius, Vater von Joachim. Ob die Details so wirklich stattgefunden haben, wie von Avé-Lallemant geschildert, mag angezweifelt werden, sicher scheint: Der Mörder von Nicolaus Jungius hatte beabsichtigt, jemand anderen zu töten und in der Dunkelheit der Nacht den Lehrer für sein geplantes Opfer gehalten.

Jungius’ Mutter, die Pfarrerstochter Brigitte Jungius, war wahrscheinlich schnell vor Ort, da der Mord nahe der Wohnung geschah, aber ihrem Ehemann konnte nicht geholfen werden. Die Beerdigung fand am nächsten Tag statt. Wahrscheinlich begleiteten, so war es üblich bei bedeutenden Personen der Stadt, die ehemaligen Schüler, unter Leitung des Rektors, als Chor die Leichenprozession. Der dreijährige Joachim Jungius dürfte sich an nichts davon erinnert haben.

Die frei gewordene Lehrerstelle wurde schnell besetzt: Martinus Nordmann übernahm nicht nur das Lehramt an der Schule, er heiratete auch, der Moral der Zeit entsprechend, die Witwe Jungius, die dadurch nicht gezwungen war, die von der Schule gestellte Wohnung am Katharineum zu verlassen und mit ihren Kindern ohne eigenes Einkommen zu leben.

Ein Junge seiner Zeit

Das zu Ende gehende 16. Jahrhundert, in welchem Joachim Jungius geboren wurde, war eine Zeit des Wandels. Die Entdeckung der neuen Welt, die Ausbreitung des Buchdrucks, die Spaltung des Christentums, Pestausbrüche und die Hexenverfolgung waren alle Teil von Jungius’ Lebensrealität.

1458 eröffnete die erste Druckerei in Straßburg, 1500 gab es im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, in dem zu diesem Zeitpunkt über zwölf Millionen Menschen lebten, 62 Druckereien. Die Generation von Lehrern, zu der Joachims Vater gehörte, war wahrscheinlich die erste, welche als “Print Natives” aufgewachsen waren.

1522 erschien die Übersetzung der Bibel von Martin Luther, sie war der erste Bestseller des jungen Mediums und führte mit zur Abspaltung der protestantischen Kirche um 1530.

Die Zeit des Jungius war auch die Zeit der Hexenverfolgung. Von Vielen mit dem Mittelalter und der katholischen Inquisition verbunden, kam es in der frühen Neuzeit zu einer stark durch die neue lutherische Kirche getriebenen, neuen Welle von Hexenprozessen und Verbrennungen. Insbesondere zwischen 1550 und 1650 starben dabei ungefähr 60.000 Menschen. Die Anzahl der Inhaftierten und Gefolterten war natürlich viel höher. Bis zu 80 Prozent der Opfer waren Frauen.

Joachim Jungius wurde am 22. Oktober 1587 als Joachim Junge in Lübeck geboren. Der Familienname Jungius stellte eine zu jener Zeit übliche Latinisierung dar. Die Hansestadt Lübeck im Jahre 1587 war unerhört reich und Joachim wurde in eine Familie des gehobenen Mittelstands geboren. Sein Vater war als Lehrer am noch heute existierenden Katharineum zu Lübeck, damals wie heute im Gebäude des alten Franziskanerklosters, gut bezahlt.

Mit der infolge der Lutherveröffentlichung aufgetretenen Religionsspaltung ist auch zu verstehen, warum das ehemalige Franziskanerkloster in Lübeck nun eine protestantisch geführte Schule wurde: Der katholische Franziskanerorden war in Lübeck, welches sich am lutherischen Bild orientierte, nicht mehr willkommen gewesen. Der Schulreformator Johannes Bugenhagen war 1530 nach Lübeck geladen worden, um das Schulwesen im Sinne der neuen, lutherischen Kirche zu reformieren, und hatte das Katharineum in diesem Zusammenhang gründen lassen.

Am Katharineum zeigte Jungius sich bereits früh als außergewöhnlicher Schüler. Es sagt vielleicht mehr über das Schulsystem der Zeit als über Jungius, dass als Anekdote erhalten blieb, dass er einmal nicht nur wagte im Logik-Unterricht dem Lehrer zu widersprechen, sondern der Lehrer ihm am nächsten Tag vor der Klasse auch noch Recht geben musste. Das Schulsystem war üblicherweise keines, welches den freien Austausch von Meinungen beförderte.

Streng kontrolliert durch die Kirche wurde Jungius in Sprachen (Griechisch, Latein, Hebräisch), Religion, den Künsten (zwei Theaterstücke, die er in seiner Schulzeit schrieb, sind erhalten geblieben, aber das Katharineum war auch für den Gesangsunterricht bekannt) sowie der Philosophie, welche im Verständnis der Zeit alles, was heute als Naturwissenschaft oder Mathematik verstanden werden würde beinhaltete, unterrichtet. Gerade die philosophischen Inhalte waren dem Schüler Jungius nicht genug und es ist überliefert, dass er sich nicht nur selbst weiterbildete, sondern auch seinen Mitschülern zusätzlichen Unterricht gab.

Insbesondere interessierte sich Joachim Jungius für erkenntnistheoretische Ansätze, welche über die in der kirchlichen Lehre akzeptierten Konzepte von Aristoteles hinausgingen. Konflikte mit den Autoritäten waren garantiert und Jungius hatte wohl großes Glück, auf einige eher liberale Lehrer zu stoßen, welche seine Neugierde zu schätzen und zu befördern wussten.

Joachim Jungius schloss das Gymnasium mit 18 Jahren als Bester seines Jahrgangs ab und hielt zum Abgang seines Jahrgangs eine bis heute erhaltene Abschlussrede, in welcher er argumentierte, dass es besser sei, in einfachen Worten die Wahrheit zu sagen als in guten Worten, mit Hilfe der Beredsamkeit, Andere vom Gesagten, unabhängig vom Wahrheitsgehalt, zu überzeugen. Die Frage nach der Wahrheit und der Erkenntnis, wie diese zu definieren und wie sie zu kommunizieren seien, würde für den Rest seines Lebens ein Kern seines Schaffens sein.

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Die Universität der Hanse

Jungius entschied sich für ein Studium in Rostock. Dies war für einen Schüler aus Lübeck eine sehr gewöhnliche Wahl. Die dortige Universität war das akademische Zentrum der Hanse, so wie Lübeck deren Handelszentrum war. Tatsächlich hatte die Universität Rostock gut 100 Jahre zuvor, als es 1487 zu Streitigkeiten zwischen Universitätsleitung und Landesherren von Mecklenburg kam, für einige Jahre ihren Lehrbetrieb nach Lübeck verlegt. Jungius dürfte dort mit vielen seiner Klassenkameraden studiert haben, darunter vielleicht auch sein Schulfreund Johann Adolph Tassius, der in einem späteren Lebensabschnitt eine große Rolle spielen wird.

1606: Joachim Jungius verlässt Lübeck um sein Studium zu beginnen.Josefine

1606: Joachim Jungius verlässt Lübeck um sein Studium zu beginnen.

Die Anzahl der Studienfächer zu jener Zeit war begrenzt. Jungius entschied sich erstmal für die „Metaphysik“. Das Studienfach Metaphysik befasste sich grundsätzlich damit, die Realität, das „Sein“ zu ergründen und umfasste Aspekte, welche aus heutiger Sicht verschiedensten Disziplinen wie Philosophie, Theologie, Naturwissenschaft, Logik und Mathematik zugerechnet würden. Eine solche Bündelung von aus moderner Sicht gänzlich unterschiedlichen Fachbereichen bestand aus mehreren Gründen.

Eine Unterteilung der verschiedenen Naturwissenschaften, wie wir sie heute üblicherweise vornehmen, erfordert ein Verständnis dafür, was sie trennt. 1606 war das gesammelte Wissen in vielen Bereichen nicht so umfassend, dass es als eigener Themenbereich überhaupt abgrenzbar gewesen wäre. Der Unterschied zwischen Philosophie und Mathematik war von vielen so schlecht verstanden, dass die meisten Universitäten keinen Lehrstuhl für Mathematik hatten. An anderen Universitäten wurde der Lehrstuhl mit einem anderen zusammengelegt, oft mit der Theologie. Die Chemie existierte faktisch nicht, die Lehre der vier Elemente und alchemistische Bemühungen dominierten das Themenfeld, auch Biologie und Physik steckten in den Kinderschuhen.

Der komplexere Grund dafür, dass sich Universitäten entschieden, die Suche nach Erkenntnis hauptsächlich theologisch und philosophisch zu betreiben, hat damit zu tun, was man über Wahrheit dachte.

Für die meisten Gelehrten der Zeit war nicht fraglich, was, zumindest grundlegend, wahr sein muss. Wahrheit sei ein religiöses und philosophisches Konzept und könne daher lediglich aus dem Wort, dem Argument, entstehen. Quelle für die Argumentation sei immer ein Gedanke, meist aus der Bibel, aber auch Aristoteles’ Werk galt als derart wahrhaftig, dass es den christlichen Lehren gleichwertig schien. Diese Denkweise wurde unter dem Begriff der Scholastik zusammengefasst. Jungius kritisierte später: “Das unglückliche Vertrauen in die dialektische Physik des Aristoteles hat die Vernachlässigung der Beobachtung zu Wege gebracht.“ Bekanntestes Opfer dieser Denkweise war Jungius’ Zeitgenosse Galileo Galilei. Mit Hilfe neuer wissenschaftlicher Instrumente (der optischen Linse und dem daraus konstruierten Fernrohr) konnte Galilei Beobachtungen anstellen, welche das vorherrschende Weltbild widerlegten. Dies jedoch führte keinesfalls dazu, dass die Kirche sich gezwungen sah, ihr Weltbild zu revidieren oder anzupassen, vielmehr musste Galilei revidieren, erklären, dass seine Beobachtungen falsch sein müssten, da sie der Wahrheit widersprächen.

Für den präzise denkenden Jungius war eine solche Position kaum haltbar und er stellte, wie es ein Biograf formuliert, frustriert fest, „wie wenig wahre Wissenschaft die Metaphysik ihren Verehren verheiße.“ Er konzentrierte sich auf die Mathematik, welche er als reine und wahre Wissenschaft verstand. Einige Jahre später, 1629, schrieb er über den Zustand der Wissenschaft jener Zeit „So erhoben sich bis zum Überdruß zahlreiche Meinungen, erdichtete Distinktionen, Labyrinthe von Kontroversen. Dabei entstand eine Frage aus der anderen, entsproß eine Kontroverse aus der anderen, ganz wie aus einem abgeschlagenen Haupte der Lernäischen Hydra gleich mehrere andere nachwuchsen. […] So stieß der Hörer da, wo er einen Beweis erwartete, auf irgendeine wahrscheinliche Pseudobegründung, auf einen Kompromiß zwischen doppeldeutigen Texten oder auf ähnliche Trauergesänge.“ Erstmalig stieß Jungius in Rostock auf den Konflikt, der ihn lebenslang begleiten würde: Den Konflikt zwischen der scholastischen Philosophie seiner Zeit, welche auch von der mächtigen Kirche vertreten wurde, und dem aufkommenden Ideal empirischer Forschung, dem er sich verschrieb.

Mathematik als Wissenschaft begreifen

Jungius studierte zwei Jahre in Rostock, um dann für sein letztes Studienjahr an die neu gegründete Universität nach Gießen zu wechseln, wo Mathematik auch besser gefördert wurde.

Die neue Universität war für viele der Erneuerung der Wissenschaften zugeneigten Studenten ein Anzugspunkt, womit sie sich nicht nur Freunde machte. Auch das von der Universität vertretene klar lutherische Weltbild half in einem von Religion geteilten Deutschen Reich nicht. Manche Fürsten, gerade im naheliegenden Marburg, welches damit auch seine eigene Uni schützen wollte, verboten ihren Untertanen, in Gießen zu studieren oder zu lehren. Jungius allerdings schloss dort sein Studium sehr erfolgreich ab und promovierte wieder als Jahrgangsbester. Zwar hatte Jungius nun promoviert, dies machte ihn aber im Bildungswesen der Zeit nicht zum Doktor, sondern zum Magister. Es war ein gänzlich anderer Prozess als heute, die Promotion erfolgte in einer mündlichen Prüfung, gemeinsam mit anderen Studenten, sowie einer schriftlich verfassten Verteidigung (Disputation) von einigen Seiten.

1608: „Bei Promotionen sogar tranken Examinatoren und Doctoranden promiscue in ungeheuren Massen Bier.“ - Robert Ch. B. Avé-Lallemant (Yn Gudes Namen, p. 22) - Kurz nach seiner Promotion wird Jungius zum Professor ernannt.Josefine

1608: „Bei Promotionen sogar tranken Examinatoren und Doctoranden promiscue in ungeheuren Massen Bier.“ – Robert Ch. B. Avé-Lallemant (Yn Gudes Namen, p. 22) – Kurz nach seiner Promotion wird Jungius zum Professor ernannt.

Jungius hatte wohl geplant, nach Rostock zurückzukehren. Stattdessen machte ihm die Universität Gießen ein ungewöhnliches Angebot: Mit nur 22 Jahren sollte er den freigewordenen Platz eines Professors für Mathematik übernehmen. Dies war für den jungen Gelehrten sicherlich eine große Ehre, da er der Mathematik allerhöchste Bedeutung unter den Wissenschaften zugestand, es war jedoch aus Sicht der Universität eher eine unbedeutende Professur. Jungius nahm das Angebot an.

In seiner Antrittsrede verfeinerte Jungius die Argumente jener Rede, die er nur wenige Jahre vorher in Lübeck zum Schulabschluss gehalten hatte. Doch ging es nun um mehr als darum, die Wahrheit, wie man sie versteht, zu sagen anstelle andere mit schönen Worten zu überzeugen. Es ging nun um die Art und Weise wie diese Wahrheit überhaupt festzustellen sei. Jungius pries die Vorzüge einer wissenschaftlichen Denkweise und stützte sich, anders als so viele Wissenschaftler seiner Zeit, eher auf Platon als auf Aristoteles als Ideengeber. Sein Weg, der ihn „nach und nach aus den Reichen der Metaphysik herabsteigend, der Erfahrungsphysik nähert“ wie Goethe es später schrieb, begann hier in Gießen.

Zwar würde Jungius nur wenige Jahre in Gießen lehren, bis er, nicht zum letzten Mal, seinen wissenschaftlichen Fokus wechselte, aber es lohnt sich dennoch, kurz bei der Mathematik zu verweilen. Es war wohl 1613, Jungius war seit vier Jahren Professor, als er von einem Buch hörte, welches bereits vor seiner Geburt geschrieben wurde, aber lediglich in einer Kleinstauflage erschienen war: Die Zetetica (1593) des Franzosen Franciscus Vieta. Vieta war eigentlich Anwalt und hatte die Mathematik nur als Hobby betrieben. Offensichtlich auch begeistert von der neuen Technologie des Drucks ließ er seine Ideen in kleinster Auflage drucken und verteilte sie unter Freunden. Tatsächlich waren die darin enthaltenen Erkenntnisse revolutionär, insbesondere die Zetetica und Logistica speciosa hatten es in sich. Erstmalig wurden, in systematischer und formalisierter Form, Buchstaben in einer Formel für beliebige Zahlen eingesetzt um Allgemeingültiges darzustellen. Er und andere Mathematiker, die ähnliche Ideen präsentierten oder darauf aufbauten, versetzten die Mathematik in die Lage, Formeln zu schreiben, um Aufgaben zu stellen und Beweise zu führen, die vorher nur geometrisch, mit Hilfe spezieller Zahlenbeispiele oder in umständlicher Sprache gezeigt werden konnten. Vieta, heute der Vater der Algebra genannt, hatte an vielen Stellen die Mathematik vorangebracht, doch sein wichtigster Beitrag bleibt: Er hat die Variable in die moderne Mathematik eingeführt.

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Ohne Zahlen zählen

Bei Tartaglia (1535) hieß es noch: „Finde mir eine Zahl derart, dass, wenn ihr Kubus addiert wird, das Resultat sechs ist.“ So konnte man bald etwas schreiben, was der modernen Darstellung x^3 + x = 6 zumindest nahe kam. Und wenn die Aufgabe noch verständlich scheint, so gilt dies für den Lösungsweg für Gleichungen vom Typ ax^3+ax = b kaum mehr, der hier nach „6000 Jahre Algebra: Geschichte – Kulturen – Menschen“ von Hans Wußing zitiert ist: „Bilde die dritte Potenz von einem Drittel des Koeffizienten der Unbekannten; addiere dazu das Quadrat der Hälfte des konstanten Gliedes der Gleichung; und nimm die Wurzel aus dem Ganzen, d.h. die Quadratwurzel. Bilde sie zweimal. Zur einen addiere die Hälfte der Zahl, die du schon mit sich multipliziert hast; von der anderen subtrahiere dieselbe Hälfte. Du hast dann ein Binom und seine Apotome. Dann subtrahiere die Kubikwurzel aus der Apotome von der Kubikwurzel aus dem Binom. Der dabei übrig bleibende Rest ist der Wert der Sache.“ (im Original als Gedicht verfasst).

1613: An sine numeris numerare sciret?Josefine

1613: An sine numeris numerare sciret?

Wenn man eine Weile darüber nachdenkt, versteht man, was für eine grundlegende Veränderung für die Denkweise eines Mathematikers es sein muss, erstmalig von Variablen zu lesen. Verwunderung liest man bei Jungius, der wohl schrieb „an sine numeris numerare sciret?” (Ob er ohne Zahlen zählen könnte?). Eine viel größere Revolution hatte übrigens erst einige Jahrzehnte vorher stattgefunden. 1522 veröffentlichte Adam Ries das Buch „Rechenung auff der linihen und federn“, in welchem er den Wechsel von lateinischen zu arabischen Zahlen beim Rechnen vorschlug, (und wer nicht glaubt, dass dies eine Revolution ist, möge einfach mal ein paar Wochen versuchen, in lateinischen Zahlen zu rechnen).

Die Legende um Jungius und die Zetetica besagt, dass Jungius sich das Buch von einem durchreisenden Gelehrten lieh. Er konnte es jedoch nur für eine Nacht haben und so schrieb er die ganze Nacht hindurch bei Kerzenlicht so viel von dem Buch ab, wie er konnte, und gab es dann zurück. In der Folgezeit musste er sich dann die Herleitungen zwischen den abgeschriebenen Teilen erarbeiten. Als er später selbst eine Ausgabe kaufen konnte, hatte er sich alles fehlende und vieles mehr bereits erarbeitet. In welchen Punkten er über Vieta hinausgekommen war, ist leider nicht erhalten. Nimmt man an, dass er die Notation so weiterentwickelte, wie es später einer seiner Schüler in einem Buch nutzte, so gelangen ihm mehrere Schritte, die heute Descartes zugeschrieben werden, vor jenem, darunter die Nutzung kleiner statt großer Buchstaben und das Hochstellen von Zahlen, um Potenzen anzuzeigen.

Es ist ein Muster, das sich durch Jungius’ Karriere ziehen wird. Er mag sich mit der Hyperbelquadratur befasst haben und, so weiß man aus einem Brief eines Schülers, soll dort auch Erfolge erlangt haben, vielleicht noch bevor Fermat und Roberval dies taten. Veröffentlicht hat Jungius diese nie. Jungius veröffentlichte ohnehin selten, stattdessen schrieb er tausende ungeordnete Notizen, die er später zusammenführen wollte, was er aber selten tat.

In seiner Zeit in Gießen wurde Jungius zunehmend unzufrieden mit dem Bildungssystem. Dies betraf nicht nur das strenge, scholastische Universitätssystem, an welchem er immer wieder scharfe Kritik übte, sondern auch das Schulsystem. „Es geht mir gar nicht um diesen oder jenen Irrtum,“ schrieb er, „sondern die ganze Art und Weise des Denkens ist sophistisch, und aus ihr erwachsen all die Monstrositäten von Lehrmeinungen.“ Als er 1613 einen Ruf aus Rostock erhielt, um dort ein Gymnasium zu leiten, lehnte er ab. Das mag auch daran gelegen haben, dass Mathematik an den Schulen wenig galt. Erst in den letzten 100 Jahren war es überhaupt auf den Stundenplänen der Gymnasien erschienen. Die Schüler von Jungius waren später hoch geschätzt für ihre Kenntnisse in einer Zeit, in der Leibniz in der Schule ohne Matheunterricht auskommen musste.

Wolfgang Ratichius und das Bildungssystem

Anstatt also Rektor eines Gymnasiums zu werden, erhielt Jungius als Universalgelehrter von gutem Ruf vom Landgraf von Hessen-Darmstadt den Auftrag, zusammen mit seinem Kollegen Prof. Helevicum ein Gutachten über eine neue didaktische Methode anzufertigen. Entwickler der neuen Methode war Wolfgang Ratichius. Jungius war von dessen Ideen durchaus angetan. Nicht nur, dass Ratichius versprach, dass Schüler mit seiner Methode jede Sprache in nur einem Jahr lernen könnten, er stellte auch die Grundprinzipien des Schulsystems in Frage. Erstmalig glaubte Jungius Verbündete im Kampf gegen das geltende Bildungssystem zu finden: „Wie kannst du es wagen wollen, allein gegen solche Lehrmeinungen zu kämpfen? Wenn ich hätte allein sein sollen, so hätte ich keine Feder gegen die Schulmeinung gerührt.“ Er zog mit Ratichius nach Augsburg und ließ sich in den neuen Methoden unterweisen.

Das Unternehmen einer Bildungsreform war zum Scheitern verurteilt, schon allein weil Ratichius und Jungius zu unterschiedliche Persönlichkeiten aufwiesen. Zudem waren die Versprechen, die Ratichius seine Methode betreffend gemacht hatte, gänzlich überzogen. Jungius war auf das hereingefallen, wovor er schon in seiner Rede zum Schulabschluss gewarnt hatte: Eine schön verpackte Theorie ohne den nötigen wissenschaftlichen Hintergrund. Auch Jungius erkannte dies nach einem Jahr und gab das Unterfangen auf. Er kehrte kurzzeitig zurück nach Lübeck, wo er sich angeblich daran versuchte, ein allgemeines deutsches Wörterbuch zu erstellen, 266 Jahre bevor Konrad Duden sein „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache“ herausgeben würde und 171 Jahre bevor Jacob Grimm überhaupt geboren wurde. Ob Jungius tatsächlich an einem Wörterbuch arbeitete, ist unklar, erschienen ist es nie. Es mag auch sein, dass er nach Lübeck ging, um seine Halbschwestern besser kennenzulernen, die aus der Ehe seiner Mutter mit dem Lehrer Nordmann stammten.

1614: Zurück in Lübeck überdenkt Jungius seinen bisherigen Werdegang und beschließt ein zweites Mal zu studieren.Josefine

1614: Zurück in Lübeck überdenkt Jungius seinen bisherigen Werdegang und beschließt ein zweites Mal zu studieren.

Es war vielleicht auch eine Zeit der Introspektion für Jungius. Er hatte in der Mathematik etwas gefunden, was er für die Grundlage aller Wahrheit hielt, doch die Universitäten erlaubten ihm kaum, es so wie er wollte weiterzugeben, zudem war das Arsenal an Techniken begrenzt. Jungius mag erkannt haben, dass die rein theoretische Betrachtung der Wahrheit aus der Mathematik heraus nicht ausreichte, dass eine naturwissenschaftliche Bildung, eine empirische Herangehensweise notwendig war, für die er nicht ausgebildet war.

Trotz seiner Abneigung gegen die rigide Struktur des Unterrichts ging der inzwischen 29 Jahre alte Jungius als Student wieder an die Uni nach Rostock. Diesmal studierte er Medizin. Die Medizin war, anders als die Mathematik oder die Naturwissenschaften, wenn auch grundlegend primitiver als heute, als Wissensbereich immerhin schon ungefähr so abgegrenzt, wie wir sie kennen: Gelehrt wurden die Funktionsweise des menschlichen Körpers, die Arten, auf die selbiger erkranken konnte, wie diese Krankheiten oder Verletzungen diagnostiziert werden konnten und welche Methoden zur Heilung es gab.

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Dr. med. Joachim Jungius

Doch was weiß die Welt zu diesem Zeitpunkt darüber, wie der menschliche Körper funktioniert? Eine der neueren Erkenntnisse, die Jungius in seinem Studium gelernt haben wird, ist, dass Wunden, zum Beispiel Schusswunden, nicht am besten damit zu heilen sind, dass man heißes Öl über sie kippt.

1537 hatte Ambroise Paré in Turin in unbeabsichtigten Versuchen (das Öl war aus) festgestellt, dass die Behandlung von Wunden mit kochendem Öl außer großen Schmerzen nichts verursachte. Paré hatte es allerdings schwer, sich durchzusetzen, da er seine Erkenntnisse nicht auf Griechisch, sondern auf Französisch aufschrieb, der einzigen Sprache, die er wirklich beherrschte. Auf Kritik daran soll er mit dem Spruch, Hippokrates habe ja auch in seiner Muttersprache geschrieben, reagiert haben.

Gängige Lehrmeinung dürfte in Jungius’ Studium noch das Konzept der Körperflüssigkeiten von Galenos von Pergamon (Galen; 129 n. Chr. – 215 n. Chr.) gewesen sein. Es unterscheidet verschiedene Flüssigkeiten, darunter auch Blut das vom Herz angesaugt durch den Körper fließt und dort verbraucht würde. Ein Rückfluss findet in diesem Modell nicht statt.

Jungius beendete auch sein zweites Studium nicht in Rostock, sondern wechselte 1618 an die angesehene Universität in Padua, an welcher einige Jahre zuvor William Harvey studierte, der 1627 den Blutkreislauf postulieren würde. Die Universität Padua stand unter der Herrschaft des 40 Kilometer entfernten Venedigs, welches unangefochten als eines der Zentren der europäischen Wissenschaftsförderung galt. Nur neun Jahre vorher hatte Galileo Galilei hier sein Fernrohr präsentiert und war danach mit einer lebenslangen Professur in Padua geehrt worden, welche er aber nicht mehr ausübte, als Jungius nach Italien zog. Nach einem Jahr in Padua beendete Jungius sein Studium der Medizin mit seiner zweiten Promotion und bereiste danach noch eine Weile Italien.

In Italien erweiterte der frisch promovierte Arzt seine Kenntnis in einer weiteren Wissenschaft: Der Biologie. Er beschäftigte sich intensiv mit den verschiedenen Pflanzen, der Beobachtung von Raupen und der Bienenzucht. Diese Begeisterung würde ihn bis an sein Lebensende begleiten und er sammelte unzählige Notizen zu diesem Thema.

Goethe würde Jungius später hauptsächlich als Botaniker sehen. Über dessen Buch „Leben der Insekten“, welches Jungius 1691 unter dem Titel „Historiam Vermium“ herausbrachte, schrieb Goethe, man erkenne darin den Geist eines „ruhig beschauenden Naturfreundes, der in dem Gefühl, eine solche grenzenlose Masse sei nicht zu ordnen, sich Zeit seines ganzen Lebens ununterbrochen mit dem Gegenstande beschäftigt, den er nicht abzuschließen gedenkt“ und verweist auf den Botaniker Carl Ludwig Willdenow, der über Jungius’ Studien geschrieben haben soll: „Wenn man diesem Mann in der Art zu studieren gefolgt wäre, so hätte man hundert Jahre eher dahin gelangen können, wo man gegenwärtig ist.“

Während der 31 Jahre alte Jungius noch seinen Abschluss feierte, begannen in Prag Ereignisse, die sich zur größten Katastrophe des 17. Jahrhunderts entwickeln würden: Der Dreißigjährige Krieg brach aus.

Per inductionem et experimentum omnia

In diesem Text sei darauf verzichtet, die Geschichte des Krieges nachzuzeichnen, außer zu den Zeiten, in denen es Jungius direkt beeinflusst. Der Krieg wird in den nächsten Jahrzehnten immer wieder Einfluss auf sein Leben haben und ihm den Erfolg verwehren, den er mit seinen Abschlüssen hätte erwarten können.

Jungius kehrte 1619, wahrscheinlich mit Umweg über Lübeck, nach Rostock zurück, wo er als Arzt praktizierte. Dies ist vielleicht seine einzige Profession, in welcher sein Ruf zu Lebzeiten nicht immer ausgezeichnet war. Von einigen Seiten wurde ihm vorgeworfen, er handele zögernd und verschreibe selten Arznei. Dies mag zu jener Zeit als ein fragwürdiges Verhalten verstanden worden sein, nach allem, was wir heute über die Medizin jener Zeit wissen, hat Jungius womöglich mit seinem Zögern so oft geholfen, wie er geschadet hat.

Neben seiner Praxis übte sich Jungius nun auch in der praktischen Botanik. In einem Garten pflanzte er in Rostock unterschiedliche Gewächse an und schickte sich mit einem Freund in Lübeck Tipps und Pflanzensamen hin und her.

Obwohl Jungius anfangs keine Stellung in Rostock fand, in welcher er für das Forschen bezahlt wurde, wollte er Forschung in Norddeutschland vorantreiben. Sein Mittel zum Zweck war ein wissenschaftlicher Geheimbund. Als Vorbild dienten ihm zweifelsohne die Geheimbünde, die er während seines Aufenthaltes in Italien kennengelernt hatte. Der von Jungius mitbegründete Bund nannte sich „Societas ereunetica, zetetica, heuretica“ und war die erste naturwissenschaftliche Gesellschaft nördlich der Alpen. Jungius formulierte für sie das Ziel, „die Wissenschaft von Grund auf neu zu beginnen, keine Regel und keine Anweisung zuzulassen, die nicht von neuem gründlich erforscht und erprobt worden sei.“ Was als ein von dem rigiden System der Universitäten unabhängiges Forscherteam gedacht war, würde vorläufig in Deutschland nicht erfolgreich sein: Der Krieg zwang den frisch gegründeten Bund, sich wieder aufzulösen.

1622: Die Erneuerung der Wissenschaften im Universitätssystem erschien unmöglich, so gründete Joachim Jungius einen Forschungsbund.Josefine

1622: Die Erneuerung der Wissenschaften im Universitätssystem erschien unmöglich, so gründete Joachim Jungius einen Forschungsbund.

Jungius spielte in jener Zeit mit dem Gedanken, einen Wechsel nach Hamburg zu wagen, eine Stadt, in welcher der Krieg keine Gefahr sein würde. Viel zu respektiert waren ihre Befestigungen. Hamburg zu jener Zeit verfügte über zwölf promovierte Mediziner, welche für ausreichend erachtet wurden. Wer sich als Arzt dort niederlassen wollte, musste sich um eine Zulassung bewerben. 1623 hatte Jungius damit kein Glück.

Stattdessen bekam er 1624 nach einigen Jahren endlich die Anstellung an der Uni Rostock, die er wegen des festen Gehalts wohl von Anfang an angestrebt hatte. Fortan war er dort Professor für Mathematik. Zudem lernte er seine zukünftige Frau, die Rostocker Patrizierin Katharina Havermann kennen.

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[nextpage title=”Jahre der Unruhe” img=”262286″]

Jahre der Unruhe

In Rostock hätte Jungius berufliche und private Zufriedenheit und Stabilität finden können, aber stattdessen brach in Rostock die Pest aus. Die frisch Verheirateten mussten die Stadt schnellstmöglich verlassen. Jungius flüchtete mit seiner Frau zuerst in das Haus eines Freundes in Lübeck und gelangte dann, durch Vermittlung seines Schulfreundes Tassius, nach Helmstedt, wo er eine Professur erhielt.

Nicht nur war jede Reise ein Risiko, weil Räuber und Soldaten am Wegesrand lauern konnten, sie war auch ein enormes bürokratisches Unterfangen. Schutzzusicherungen der jeweiligen lokalen Fürsten waren idealerweise einzuholen, bevor man sich auf den Weg machte. Und Jungius verlegte jedes Mal seinen Hausrat, inklusive inzwischen reichhaltiger Bibliothek mit vielen hundert Büchern, an einen neuen Ort.

Er war kaum in Helmstedt angekommen und hatte mit seiner Arbeit begonnen, als auch hier sowohl die Pest als auch der nahende Krieg die Arbeit unmöglich machten. Bald schon gab es in Helmstedt praktisch keine Studenten mehr und so blieb auch dem kriegsmüden Jungius keine andere Wahl, als zu flüchten. Jungius überlegte, ins nahe Magdeburg zu fliehen, doch dort tobten die katholischen Truppen unter dem Feldherrn Tillich. Stattdessen ging es so hastig, dass Jungius seine Privatbibliothek zurück lassen musste, nach Braunschweig.

Wieder um seine staatliche Anstellung und das damit verbundene geregelte Gehalt gebracht, lebte Jungius dort in verhältnismäßiger Armut. Er versuchte wieder, eine Privatpraxis zu führen, doch er konnte sich kaum über Wasser halten. Wieder eingefädelt durch seinen Freund Tassius erklärte sich der Statthalter von Wolfenbüttel bereit, Jungius bei sich aufzunehmen, sodass er ein weiteres Mal seine Praxis verlegte.

Nun steckten Jungius und Tassius in Wolfenbüttel fest. Beide wären gerne zeitnah nach Rostock zurückgekehrt – allerdings möglichst zu guten finanziellen Konditionen. Die Verhandlungen mit der Uni gestalteten sich als lang, aber schlussendlich erfolgreich. Nach zwei Jahren der Abwesenheit und vier umständlichen Umzügen kehrte Jungius 1626 an die Universität Rostock zurück.

Doch mit seiner Rückkehr nach Rostock wurden die Zeiten nicht ruhiger. Als Jungius 1628 seinen Geburtstag in Lübeck feierte, erreichte ihn ein Brief aus Rostock: Die katholischen Truppen von Wallenstein und Tillich hatten Rostock eingenommen.

An dieser Stelle widersprechen sich die Biografen. Nach Robert Ch. B. Avé-Lallemant ist unklar, ob Jungius überhaupt nach Rostock zurückkehrte, wenn ja, dann nur für wenige Wochen, bevor es ihm gelang, eine Rektorenstelle in Hamburg zu erhalten und aus dem besetzten Rostock zu ziehen. G.E. Gurhauer hingegen berichtet von einer kurzen Phase, in der Feldherr Wallenstein Professor Jungius in Rostock halten konnte und versuchte, dort eine Uni von Weltruf zu errichten. Sogar ein Ruf an Johannes Kepler soll ergangen sein, aber das Gehaltspaket war wohl nicht ausreichend.

Sicherheit in Hamburg

Dass die Möglichkeiten, in Hamburg Anstellung zu finden, besser geworden waren, war unter anderem eine Folge des Krieges, welcher im sicheren und verhältnismäßig liberalen Hamburg zu Bevölkerungswachstum führte. Protestanten aus Frankreich, Juden aus Portugal, politisch Verfolgte aus England, Kriegsflüchtlinge und aus religiösen Gründen Verfolgte aus dem norddeutschen Umland – sie alle suchten Schutz in Hamburg. So auch Jungius, welcher im November 1628 die Leitung eines Gymnasiums und des Johanneums in Hamburg übernahm. Als eine seiner ersten Amtshandlungen bat er einige Tage später den Hamburger Senat, seinen Freund Tassius auch einzustellen zu lassen. Er hatte Erfolg.

Nun wieder mit einem regelmäßigen Gehalt versehen konnte sich Jungius unter anderem darum bemühen, seine in Helmstedt vor den Truppen versteckten Besitztümer, darunter die umfangreiche Bibliothek, wieder zurückzuholen.

Der Zustand des von ihm übernommenen Gymnasiums in Hamburg war desolat. Es gab kaum Lehrer, erst recht kaum gute Lehrer, was aber halb so schlimm war, denn es gab ebensowenig Schüler. Tatsächlich war in den Jahren zuvor überlegt worden, das Gymnasium zu schließen. Für Jungius hieß dies zwar, dass sein neuer Job mit Anstrengungen verbunden war, er erlaubte ihm aber auch, die Schule wieder aufzubauen und nach seinen Vorstellungen zu formen, sie sozusagen neu zu gründen und dabei seine Grundsätze einzubringen. Was diese Vorstellungen sein würden, legte er in seiner erhaltenen Antrittsrede in Hamburg dar – eine heute viel beachtete Rede, da sie, Jahre bevor es Descartes tun würde, Grundzüge der empirischen Theorie umriss. Eine Feststellung, die die Leistung Descartes’ nicht schmälert, denn es ist nicht davon auszugehen, dass er die Antrittsrede des Hamburger Rektors jemals sah. Aber man sieht daran, wie nah an der ganz großen Erkenntnis Jungius sich manches Mal befand.

Obwohl Jungius, nachdem er zwischen seinem 18. und 41. Lebensjahr 14-mal umgezogen war, in Hamburg scheinbar zur Ruhe kam, wurde sein Leben doch nicht ruhig. Grund dafür waren die Konflikte mit jenen, die sich als Bewahrer traditioneller Werte betrachteten – sowohl im Kollegium seiner Schule als auch und besonders mit der Kirche.

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Inquisitionsgericht

Dies gipfelte im Inquisitionsgericht gegen Jungius im Jahre 1637. Jungius war des „Atheismus“ bezichtigt worden, eine Anschuldigung nicht ganz ohne Gewicht, die ihn, sollte er schuldig befunden werden, seine Stelle kosten konnte. Immerhin drohten im liberalen Hamburg weder Folterhaft noch Scheiterhaufen.

Dieses Glück hatten anderenorts selbst Angehörige gutbürgerlicher Schichten nicht: 1615 war die Mutter von Johannes Kepler in Süddeutschland verhaftet und mit 14 anderen Frauen der Hexerei beschuldigt worden. Gegen acht wurden Todesurteile verhängt und vollstreckt. Katharina Kepler blieb in Haft, bis ihr Sohn die Freilassung erwirken konnte. Sie starb ein Jahr später.

Jungius dürfte davon gewusst haben, Kepler und Jungius, wenn auch nicht persönliche Bekannte, wussten wohl voneinander. Kepler hat Jungius sein 1627 geschriebenes “Tabulae Rudolphinae“ mit Widmung zukommen lassen. Jungius lehrte eventuell 1629 noch in Rostock als Wallenstein versuchte, Kepler dorthin zu berufen.

Die Anfeindungen der Kirche gegen Jungius begannen zwei Jahre zuvor: 1635 war der Dreißigjährige Krieg in vollem Gange, in Europa bekämpften sich katholische Truppen und eine sich reformierende christliche Bewegungen. Doch die Situation war nicht so einfach: Innerhalb der Reformbewegungen in der Kirche herrschte tiefe Uneinigkeit. In Norddeutschland dominierten die Lutheraner das kirchliche Leben, doch aus dem Süden kamen immer mehr Calvinisten, welche in Hamburg auch unterkamen, aber von der Hamburger Kirche nicht akzeptiert wurden. Doch während sich die junge lutherische Kirche mit den Calvinisten in manchen Teilen verständigen konnte, so waren die Differenzen mit den aus England und den Niederlanden kommenden Reformierten unüberbrückbar – auch weil diese viele Praktiken des Luthertums grundlegend und vehement ablehnten. Doch die Stadt Hamburg, in für die Zeit ungewöhnlicher Toleranz und natürlich gegen den Protest der Geistlichkeit, bot auch Reformierten ein Zuhause. Der Protest der Kirche ging so weit, dass die lutherische Kirche in Hamburg anderen „Abspaltern“ von der katholischen Kirche jene Rituale des Christentums zu verweigern suchte, die für einen Lutheraner verpflichtend waren. Eines davon war eine nach dem Maße der Zeit würdige Beerdigung. Allerdings gelang dies nicht in Gänze: In Altona hatten die Reformierten eine eigene Kirche, in welcher sie nach Gutdünken beerdigen konnten. Zudem erlaubte der Hamburger Dom, welcher nicht zum Hamburger Stadtgebiet gehörte und somit nicht der Geistlichkeit der Stadt unterstand, auch anderen Nicht-Katholiken die Beerdigung.

Eine würdige Beerdigung jener Zeit involvierte immer auch die Schulen. Jungius war als Rektor verpflichtet, mit seiner Schülern an der Beerdigung bedeutender Bürger teilzunehmen, ebenso war die Schule verpflichtet, einen Chor zu stellen. Dieser Chor begleitete die Prozession in Richtung Kirche. Die Größe der Prozession sagte viel über die Wichtigkeit der Person aus. Von daher war es weder ungewöhnlich noch anrüchig, Trauergäste gegen Geld zu engagieren.

1635: Mit einer Geste bringt sich Jungius fast um seinen Stelle in Hamburg. Josefine

1635: Mit einer Geste bringt sich Jungius fast um seinen Stelle in Hamburg.

1635 nun hatte Jungius seine Schüler zu einer Beerdigungsprozession im Dom mitgenommen, allerdings zur Prozession anlässlich des Begräbnisses einer Reformierten. In den Augen der Kirche ein Eklat und ein Amtsmissbrauch des Rektors, außerdem ein Verstoß gegen einen Beschluss des Hamburger Rats, den Jungius auch kannte. Für die Kirche war dies die Gelegenheit, ein weiteres Mal zu versuchen, den unbeliebten Rektor loszuwerden. Der Jungius-Biograf Guhrauer schildert, wie Jungius vorgeworfen wurde, in seiner Schule „Philosophie auf Kosten des Christentums“ zu betreiben und wie man ihm mit einer Anklage wegen Atheismus drohte. Die Sache schaukelte sich hoch und schlussendlich musste sich der Hamburger Senat dem Thema widmen. Es kam zu einer Verhandlung, doch Jungius konnte seinen Job behalten.

Vor Barbarismen strotzend

Glaubt man den Ausführungen des Jungius-Biografen Robert Ch. B. Avé-Lallemant, so war der nächste Skandal von einem Lehrer an Jungius’ Schule eingefädelt worden. Bernhard Weremberge hatte sich vor Jungius’ Berufung wohl Hoffnungen auf dessen Posten gemacht und hegte nun einen Groll gegen den Rektor.

Auch missfielen Weremberge Jungius’ Ansätze den Griechisch-Unterricht zu reformieren. Traditionell durfte Altgriechisch ausschließlich anhand des neuen Testaments gelehrt werden, da die Sprache der Bibel im Gegensatz zur Sprache der Profanliteratur als rein galt. Jungius hingegen strebte an, zumindest in geringem Umfang, auch die Texte griechischer Philosophen als Lehrmaterial zu nutzen.

Und so mag es Jungius sogar als unterstützend für seine Position empfunden haben, als unter dem Vorsitz von Weremberge in einer Disputation die Frage von Schülern diskutiert werden sollte, ob das neue Testament „vor barabarismen strotze“ – vor allem, da klar war, dass die Frage mit „nein“ beantwortet werden würde. Doch schon allein, dass der Rektor, vielleicht auch gerade dieser Rektor, erlaubt hatte, die Frage zu diskutieren, genügte den Kirchenoberen, um Pfingsten 1630 den Skandal zu provozieren.

Nach einigen Beschuldigungen und Verteidigungen verpuffte der Skandal, der für kurze Zeit Gelehrte in ganz Deutschland zu beschäftigen wusste. Es folgten Anschuldigungen des Atheismus und Jungius musste sein Rektorat niederlegen. Als Professor der Logik arbeitete er weiter am Gymnasium.

1638 starb seine Frau. Ihr war es schon in den Jahren davor immer schlechter gegangen und sie hatte an Halluzinationen gelitten. Jungius lebte fortan allein in Hamburg. Doch er beklagte sich nicht, vielleicht auch, weil er immerhin einen Job hatte und in Sicherheit lebte. Als er 1639 bei einem ehemaligen Freund in Rostock nach der Rückzahlung einer Schuld fragte, so antwortete dieser „[…] ihr wisset nicht, in welchem stande das land und dise Stadt ist […], hier ist alles zu grunde verderbet […]. Wo kein haar ist, da ist übel leusen. Capital und zinsen sind gleich getroffen [und] unser Statt Kasse giebt nichts. Gott bewahre dise gute Statt.“ Der Krieg hatte große Teile des Landes inzwischen verwüstet und würde noch zehn Jahre weitergehen.

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„Damit wir zu wissen beginnen“

Der Karriere des Jungius als angesehener Lehrer und Gelehrter hingegen taten die persönlichen Schicksale, die Streitigkeiten mit der Kirche und dem Stadtrat oder der Krieg keinen Abbruch. 1638 veröffentlichte er, im Auftrag der Hamburger Schulbehörde, die Logica Hamburgensis, ein umfangreiches Lehrbuch der Logik, welches er auch im Unterricht nutzte und das in den Folgejahren auch an einigen Universitäten zum Einsatz kam. Es handelte sich um ein traditionell strukturiertes Lehrbuch der Logik und widersprach damit durchaus den didaktischen Überzeugungen Jungius’ in manchen Punkten, aber nur so konnte es an Schulen eingesetzt werden. Jungius selbst formulierte, im öffentlichen Unterricht halte er sich an die etablierte Lehrweise, allerdings fühle er sich in seinen Aufzeichnungen über die Wissenschaft nicht daran gebunden, sondern verfasse sie im Geiste eines vielleicht kommenden glücklicheren Zeitalters. Als Kompendium der Mathematik erfuhr die Logica zwar unter vielen Gelehrten, darunter später auch Leibniz, große Anerkennung, sie setzte sich jedoch als Lehrbuch nicht durch.

Das Ansehen, welches er unter Mathematikern in Europa nach Veröffentlichung der Logica genoss, führte auch dazu, dass er als Schiedsrichter bei Uneinigkeiten von Mathematikern herangezogen wurde. Eine damals übliche Praxis, die heute wohl einem Review in einem Journal ähnlich wäre.

1642 veröffentlichte er seine Dissertation in Chemie „Doxoscopiae Physicae Minores“ in welcher er wie andere Forscher seiner Zeit für eine primitive Version des Atommodells warb und die klassische Vorstellung der vier Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser zurückwies. Neben Mathematik und Medizin war er nun auch anerkannter Wissenschaftler der noch im Entstehen begriffenen Chemie.

Seine Schüler gingen nach ihren Abschlüssen in Hamburg an Universitäten in ganz Europa. Mit ihrem ehemaligen Rektor blieben viele von ihnen in reger Korrespondenz. Sie unterrichteten Jungius über die Lehrmeinungen, über philosophische Streitigkeiten, schickten ihm spannende Disputationen und baten ihn um Rat, den er gerne und reichlich erteilte. Sein indirektes Wirken an verschiedenen Universitäten in Deutschland war so deutlich, dass man allerorts von seinen Schülern als „Die Jungianer“ sprach, eine Bezeichnung, die gelegentlich als so angesehen galt, dass sogar einige, die gar nicht unter Jungius gelernt hatten, sondern nur eine ähnliche philosophische Lehrmeinung vertraten, sich als solche bezeichneten.

In jener Zeit begann Jungius damit, sich mit Astronomie zu befassen. Die 1617 in Italien und zuvor schon in den Niederlanden vorgestellte Linse fand langsam Verbreitung und machte sich auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen einen guten Ruf. Auch hier konnte Jungius einige neue Erkenntnisse beitragen und die junge Wissenschaft voranbringen.

Während Jungius von überall über den Zustand der Wissenschaften informiert wurde, resignierte er im Alter was die endgültige Revolution der Wissenschaften anging. War er in den zwanziger und dreißiger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts noch voller Hoffnung, die Physik weg von „wahrscheinliche[n] Pseudobegründungen“ und „Kompromissen zwischen doppeldeutigen Texten“ hin zu einer empirischen Wissenschaft zu entwickeln, so begann er nun zu glauben, dass die Anzahl der gemachten Beobachtungen noch nicht ausreiche, um ein solches Fundament zu legen. So blieben jene Schüler ungehört, die schrieben: „Möge doch jener Tag nicht mehr lange auf sich warten lassen, an dem Ihr uns die gründlich erneuerte Naturwissenschaft schenkt […] damit wir nicht mehr bloß vermuten, sondern zu wissen beginnen.“

1657: Sterben will ich und bei Christo sein.Josefine

1657: Sterben will ich und bei Christo sein.

Tassius, der geplant hatte, sich um den literarischen Nachlass von Jungius zu kümmern, starb 1654 und das Drängen der Jungianer an ihren Lehrmeister, endlich zu veröffentlichen wurde lauter. „Verwende doch die Zeit, welche Dir auf Erden vergönnt ist, darauf, Deine göttlichen Gedanken der Welt mitzutheilen“, flehte Johann Vorstius in einem Brief. „[Es ist] nicht unbekannt, wie ungern Du Dich bestimmen lassen könntest, von Deinen Gedanken etwas heraus zu geben, auch könne nicht jeder Deine Bemerkungen, wie Du sie auf Blättern entworfen hast, lesen. Jetzt mußt Du selbst an die Herausgabe denken, wodurch Du mich und Andere Dir zum höchsten Danke verpflichten wirst.“ Jungius veröffentlichte nicht, und so mussten sich später Biografen wie Avé-Lallemant mit seiner Handschrift auseinandersetzen, welche dieser eine „wahrhafte Geduldsprobe“ nannte.

Im Frühjahr 1656 stürzte der inzwischen 69 Jahre alte Jungius unglücklich und hatte in der Folge etwas Schwierigkeiten zu gehen. Gleichzeitig begann er, vergesslich zu werden. In Briefen äußerte er öfter, dass er bereit sei zu sterben, und zitierte den Apostelspruch “Sterben will ich und bei Christo sein“. Die Stürze häuften sich. Am 17. September 1657 diktierte er, inzwischen bettlägerig, sein Testament. Am 23. September starb Joachim Jungius in Hamburg.

Nachwort

Ein Gesamtwerk der Erkenntnisse von Joachim Jungius wird es nie geben. 1691 fing das Haus des Jungius-Schülers Johannes Vagetius Feuer. Vagetius starb in den Flammen und mit ihm verbrannte ein Großteil von Jungius’ Nachlass, geschätzte 75.000 Seiten, die Vagetius und andere Mitschüler noch hatten aufbereiten und veröffentlichen wollen. Niemand weiß heute, welche Erkenntnisse dabei verloren gingen. Auch seine Bibliothek, die Jungius der Öffentlichkeit vermachte, wurde zerstört, allerdings erst 1942.

Joachim Jungius wird, von Goethe, Leibniz und auch von Newton, in eine Reihe gestellt mit Namen, die uns viel bekannter sind: Kepler, Descartes, Galilei, Bacon, Kopernikus. Der erhaltene Teil seines wissenschaftlichen Nachlasses lässt einen solchen Vergleich eigentlich nicht zu. Dies gesteht auch die Jungius-Forschung unumwunden ein. Der Jungius-Forscher Rudolph Meyer attestiert in einem Vortrag zum 300. Todestag von Jungius in Hamburg 1957: „Wo manifestiert sich diese vorschreitende Arbeit des Jungius? Wir möchten sagen: Sie manifestiert sich nicht in der Wirklichkeit der Forschung und Entdeckung, auch nicht im systematisch durchgeführten Entwurf einer Wissenschaft von der Natur, sondern in der Erkenntnis der Methode, in der Umstellung des Geistes auf die tragende Idee von Wissenschaft. Wir sehen Jungius an der Freilegung eines Bodens beschäftigt, auf dem künftige Naturwissenschaft möglich wird.“ Als der Boden freigelegt war, konnte die Wissenschaft darauf stehen lernen. Wenn Newton 1676 bemerkt, „Wenn ich weiter geblickt habe, so deshalb, weil ich auf den Schultern von Riesen stehe“, so stehen diese Riesen auf dem Boden, den Jungius und zahllose andere, weitgehend vergessene Wissenschaftler seiner Zeit, beispielhaft könnten Stanislaus Lubienietzki oder Hermann Samuel Reimarus genannt werden, in den Jahren zuvor geebnet haben.

Jungius in die Liste der größten Namen der Wissenschaftsgeschichte einzureihen, verfehlt seine Bedeutung. Denn neben den Newtons und Einsteins der Wissenschaftsgeschichte wird Forschung zum großen Teil von Jenen betrieben, die sich, Stück für Stück, Entdeckung für Entdeckung, Publikation für Publikation, einem Thema nähern, es langsam verstehen und verständlich machen.

Jungius gehörte in einer Zeit, in der die Wissenschaft nicht nur enorme Fortschritte machte, sondern sich auch änderte, was Wissenschaft überhaupt bedeutet, zu jenen, die erkannten und verstanden, wohin es gehen würde. Jene, die in kleinen Schritten dieses Verständnis in die Welt getragen haben und die damit ein neues Zeitalter, wir sprechen heute von der Neuzeit, möglich machten.

Ist unsere Zeit geprägt von der Entdeckung der Elektronik, so ist die zentrale Entdeckung im Umbruch zur Neuzeit die Entdeckung wissenschaftlicher Methodik selbst, die Empirie. Galilei soll gesagt haben, es ginge darum, zu messen, was man messen könne, und messbar zu machen, was man noch nicht messen könne. Es geht also darum, die Natur zu verstehen, indem man sie beobachtet, mit Hilfe der Mathematik ihrer Gesetzmäßigkeit nahe zu kommen, Theorien zu formulieren und diese anhand von Beobachtungen zu verifizieren.

Damit eine solche grundlegende Revolution des Denkens gelingen konnte, brauchte es nicht nur jene, die sie zu formulieren wussten, wie es Descartes und Bacon gelang, und nicht nur jene, die mit ihr exemplarisch große Erkenntnisse zu Tage förderten, wie William Harvey oder Galilei. Es brauchte auch jene, die sie in die Schulen und Universitäten trugen, sie gegen den Mief der Zeit durchzusetzen vermochten und aus einer Denkweise einen Lehrplan machten.

Jungius’ Schüler gingen nach ihrer Ausbildung in Hamburg an Universitäten im ganzen Land, wo sie ihre Erkenntnis weiter verbreiteten, in Referenz auf ihren Rektor als Jungianer bekannt. Das Vermächtnis des Lübeckers ist eine Universitätslandschaft, welche sich bis heute dieser wissenschaftlichen Revolution verpflichtet fühlt.

Es sei erwähnt, dass diese pro-wissenschaftliche, diese moderne, tolerante Interpretation Jungius’ Schaffens nicht die einzig mögliche ist. Der Jungius-Wissenschaftler Adolf Meyer-Albich versuchte sich 1937 an einer nationalsozialistischen Deutung des Lebenswerks, allerdings mit wenig Erfolg.

Jungius blieb Förderer und Antreiber des wissenschaftlichen Fortschritts bis über seinem Tod hinaus. In seinem Testament stiftete Jungius ein Stipendium für Nachwuchswissenschaftler.

„Meine ubrige Güter belangendt, so Ich durch Gottes gnade und segen erworben, als da seind, Haus, Hausgerath, Gold und Silber, Kleider, Betten, alle beweg- und unbewegliche Güter, item Seiden, Leinen und Wollen, selbige sollen und denen hirunten von mir ernenneten Hern Testamentarien bestmöglich verkaufft und zu Gelde gemacht, die gelder in Gewißheit gebracht, auff Zinse beleget und Vier oder Sechs Stipendiaten, nachdem es die Vires der Verlassenschaft künfftig werden ertragen können, von den Jahrlichen Zinsen […] gegeben werden.“

Das Jungius-Stipendium wird noch heute vergeben. Der verbleibende Teil des Nachlasses ist in den vergangenen Jahren in Hamburg digitalisiert worden.

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Ein herrlicher Kater! https://www.studentenpack.de/index.php/2016/12/ein-herrlicher-kater/ https://www.studentenpack.de/index.php/2016/12/ein-herrlicher-kater/#comments Mon, 12 Dec 2016 07:44:41 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=252550
Ein Teufelszeug, kann ich Ihnen sagen! Geht scheußlich aufs Gemüt.Albert Piek | StudentenPACK.

Ein Teufelszeug, kann ich Ihnen sagen! Geht scheußlich aufs Gemüt.

Über 70 Jahre ist „Die Feuerzangenbowle“ schon alt und trotzdem wird der Film nie alt. Jedes Jahr aufs Neue versammeln sich überall Studenten, um diesen Filmklassiker zusammen zu genießen und zu feiern. Vor knapp 72 Jahren musste Heinz Rühmann sich noch persönlich in der Wolfsschanze darum bemühen, dass dieser Film für die Öffentlichkeit freigegeben wird. Damals war der Reichserziehungsminister Bernhard Rust der Meinung, der Film würde die Autorität der Schule und der Lehrer gefährden.

Doch bildet euch eure eigene Meinung darüber und schaut den Film selbst bei uns in der Mensa am 20.12.2016 um 19:30 Uhr!

Zu guter Letzt noch eine wichtige Frage: Wie schau ich den Film nach studentischer Tradition richtig?

Habt was zum Anstoßen dabei!

Wenn die Damen und Herren im Film ihre Gläser erheben, dann tut dasselbe! Füllt eure Gläser dem Filmnamen entsprechend, wenn ihr wollt, mit hochprozentigem Alkohol. „Aber jeder nor een wönzgen Schluck!”

Hört genau hin!

Sobald im Film der Name des „Klassenstrebers“ Ackermann fällt, antwortet, in dem ihr seinen Namen im Chor wiederholt und anschließend mit eurem Nachbarn anstoßt.

Bringt einen alten Wecker oder eine Fahrradklingel mit!

Dadurch, dass der Film nun schon ein wenig älter ist, braucht die Tonspur eure Hilfe. Wenn im Film ein Wecker klingelt, eine Schulglocke schlägt oder ein Fahrradfahrer vorbeikommt, unterstützt sie mit eurem Klingeln!

Bringt eine Taschenlampe mit!

Unterstützt Johannes Pfeiffer (mit drei f) dabei, wenn er mit seinem Spiegel seinem Mitschüler bei der Leistungskontrolle hilft.

Bringt Wunderkerzen mit!

Ich würde euch abraten zu versuchen, Radium herzustellen. Zündet stattdessen einfach eure Wunderkerzen an. Optisch scheinbar dasselbe Ergebnis wie im Film. Leider erlaubt die Brandschutzordnung in Lübeck keine Wunderkerzen in der Mensa – nehmt also einfach wieder eure Taschenlampen.

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Vom Symptom zur Diagnose!? https://www.studentenpack.de/index.php/2016/07/vom-symptom-zur-diagnose/ https://www.studentenpack.de/index.php/2016/07/vom-symptom-zur-diagnose/#respond Mon, 11 Jul 2016 06:32:39 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=235047
"Knapp bestanden:"Leitsymptome" im Kitteltest" Foto: Lukas RugeLukas Ruge | StudentenPACK.

“Knapp bestanden:”Leitsymptome” im Kitteltest” Foto: Lukas Ruge

Wer auch nur eine Folge von “Dr. House” gesehen hat, kennt die Szenen: Nachdem ein unbekannter Patient mit dramatischer Symptomatik (starke Schmerzen, noch stärkere Blutung…) eingeliefert wurde, brüllt Dr. House seinem Team das Wort “Differentialdiagnose” entgegen. Zwei bis vier hochbezahlte Ärzte antworten mit verschiedenen mehr oder minder zum Leitsymptom passenden Diagnosen. Trotz dieser Dramatik muss aber die Frage erlaubt sein, ob das Princeton-Plainsboro Teaching Hospital zur Einsparung von Personalkosten nicht einfach in eine Ausgabe von “Leitsymptome” von Annemarie Hehlmann hätte investieren können?

Denn genau das will dieses Buch bieten: Vom Symptom zur richtigen Diagnose führen. Dabei nennt es sich selbst den “optimalen Leitfaden für die effiziente Prüfungsvorbereitung und das unverzichtbare Nachschlagewerk in Famulatur und PJ”. Es richtet sich also klar an Studenten, möchte aber auch Ärzte ansprechen.

Passend dazu passt es gerade so in eine Kitteltasche. Auf 443 Seiten finden sich die häufigsten Leitsymptome in alphabetischer Ordnung von Adynämie bis Zyanose, wobei auch auf den ersten Blick alltäglich erscheinende Krankheitszeichen wie Durst und Mundgeruch ihren Platz finden. Jedes dieser Kapitel beginnt mit einer Definition des Leitsymptoms gefolgt von einer Auflistung möglicher Ursachen. Das ist erstmal ein sehr praktischer Ansatz, schließlich kommen nicht alle Patienten vordiagnostiziert zum Arzt. Nach der Auflistung der Ursachen folgen häufige Begleitsymptome, Vorschläge für Anamnesefragen und mögliche Untersuchungen sowie Anhaltspunkte, auf die in der klinischen Untersuchung zu achten ist.

Hilfreich bei der Diagnosefindung finde ich den Abschnitt “Diagnoseweisende Symptome” und die ab und zu anzutreffenden Tabellen, in denen verschiedenen Befunden die wahrscheinlichste Krankheitsursache zugeordnet wird. Beides findet sich jedoch längst nicht in jedem Kapitel. Außerdem nur manchmal finden sich “Hintergrund”-Abschnitte, die auf die Pathophysiologie einzelner Erkrankungen eingehen. Darüber hinaus werden einige geläufige Blutwerte erläutert und Ursachen für deren Veränderungen genannt. Am Ende des Buches findet sich eine Übersicht der häufigsten Labor-Normwerte.

Die „Diagnoseweisenden Symptome“ weisen zwar meist nicht direkt auf eine Diagnose hin, helfen aber, das Problem einzugrenzen beziehungsweise den Fokus besser setzen zu können. „Leitsymptome“ liefert nicht etwa wie beschrieben die Diagnose zur vorgetragenen Symptomatik, sondern vielmehr die Struktur und den Inhalt eines umfassenden, symptombezogenen Anamnesegesprächs sowie der nachfolgenden Untersuchungen. Meiner Meinung nach kann es im klinischen Alltag daher durchaus angewandt werden, eignet sich aber nicht zur Vorbereitung auf Prüfungen – es sei denn, es wird gezielt nach einer Auflistung von Differentialdiagnosen zu einem bestimmten Symptom gesucht. Meiner Einschätzung nach setzt dieses Buch so viel Wissen voraus, dass es erst nach bestandener Prüfung lohnend aufgeschlagen werden kann.

Dies liegt zum Beispiel daran, dass die Mehrzahl der Tipps nicht auf die Diagnosefindung, sondern eher auf die genaue Beschreibung des Symptoms und der Begleitsymptome hinausläuft. So werden zwar einige Anamnesefragen wie „Sind die Brustschmerzen atemabhängig? Werden sie im Liegen schlimmer?“ vorgeschlagen, mit der Interpretation der Antworten bleibt der Leser jedoch allein. Auch die Liste der Ursachen dient eher der Kontrolle, ob man an alles gedacht hat, als der wirklichen Diagnostik, da sie keine Hinweise auf die Häufigkeit der einzelnen Pathologien liefert.

Zugunsten der Kompaktheit geht außerdem die Übersichtlichkeit verloren. Kapitel beginnen mitten auf einer Seite und durch die zweifarbige Gestaltung ist schon etwas Konzentration gefragt um zu behalten, was wohin gehört. Die Nomenklatur ist nicht einheitlich gegliedert: Manche Symptome finden sich nur unter der deutschen „Laienbezeichnung“, während andere ausschließlich unter ihrer Fachbezeichnung zu finden sind. Querverweise fehlen teilweise, genauso ein Glossar.

Gerade bei Leitsymptomen, die häufig mit Notfallsituationen einhergehen wie zum Beispiel „Thoraxschmerz“, zeigt das Buch deutliche Schwächen. Zwar wird auch hier erwähnt, dass schnellstmöglich lebensbedrohliche Krankheitsursachen wie Herzinfarkt, Lungenembolie und Aortendissektion ausgeschlossen werden müssen, diese Information findet sich jedoch erst ganz am Ende des Kapitels. Ähnliches gilt beispielsweise für die Kapitel „Bewusstlosigkeit“, „Akutes Abdomen“ und „Apnoe“.

Abschließend kann ich sagen, dass „Leitsymptome“ von Annemarie Hehlmann zwar einen sinnvollen Ansatz wählt, um zu einer Diagnose zu finden, jedoch eher in seltenen Fällen tatsächlich wie versprochen vom Symptom zur Diagnose führt. Meiner Meinung nach ist es nicht so sehr zur Prüfungsvorbereitung und schon gar nicht in Akutsituationen zu gebrauchen, sondern eher zur Vorbereitung auf geplante Aufnahmegespräche und zur Kontrolle, ob man auch an alles gedacht hat. Das Augenmerk wird hierbei nicht auf die Diagnose selbst, sondern eher auf die Strukturierung der Diagnostik gelegt, wobei vom Leser eine Menge Vorwissen erwartet wird.

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Granny’s Dancing on the Table https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/grannys-dancing-on-the-table-2/ https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/grannys-dancing-on-the-table-2/#respond Sat, 07 Nov 2015 15:34:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=233952

Bei der Regisseurin Hanna Sköld fängt die Außergewöhnlichkeit schon ganz zu Anfang an. Ihr erster Film “Nasty Old People” hatte 2009 Schwierigkeiten Vertriebe zu finden. Kurzerhand entschloss sie sich für eine unkonventionelle Methode des Filmvertriebs: Sie bot den Film über die Filesharing-Seite “The Pirate Bay” via BitTorrent zur kostenlosen Verteilung an, Creative Commons-Lizenz inklusive. Dort fand der Film schnell viele Fans und wurde von diesen unter anderem in über zehn Sprachen untertitelt. Mit ihrem zweiten Film “Granny’s Dancing on the Table” setzte sie die unkonventionelle Herangehensweise fort, indem sie ihn erfolgreich kickstarterte und dabei über 50.000$ einsammeln konnte. Neben einigen Förderungen von Filmgesellschaften bleibt der Film damit jedoch immer noch ein starker Low-Budget-Film. Dass dies nicht immer auch schlechte Qualität bedeutet, zeigt dieser Film.

Die 13-jährige Eini (Blanca Engström) lebt allein mit ihrem Vater (Lennart Jähkel) weit von jeglicher Zivilisation abgeschieden im Wald. Sie leidet unter der strengen und gewalttätigen Herrschaft ihres Vaters und der harten Arbeit, zu der er sie zwingt. In seiner weltabgewandten Vorstellung ist das einzig erstrebenswerte Ziel das Erlangen von Wissen und setzt die für ihn essentielle Stille rigoros durch. Der einzige Ort, an dem sich die in die Pubertät kommende Eini ausleben kann, sind ihre Gedanken. So konstruiert sie sich eine Familiengeschichte, die bei der Geburt ihrer Großmutter und ihrer Zwillingsschwester beginnt. Die in aufwändigem Stop-Motion-Verfahren eingeschobenen Erzählungen bilden ihre Erklärung für die trostlose Lage, in der sie sich befindet. Sie deutet die herrschende Gewalttätigkeit und dominierende sprachlose Stille als weitergegebene Psychosen innerhalb der Familie. Dabei ist ihre Großmutter die einzige, die aus dem Wald fliehen konnte und sich in den USA ein neues Leben aufbauen konnte und bildet den sprachvollen, lebendigen Gegenpol zu ihrem Leben.

Insbesondere die Stop-Motion-Szenen sind mit so viel Liebe zum Detail gestaltet, dass die harten Szenen mit echten Schauspielern nicht ansatzweise so eindrücklich hätten gespielt werden können. Der stete Wechsel zwischen Einis Realität und Vorstellung lässt beide Welten verschwimmen. Erst mit der Zeit wird der Unterschied deutlicher, obwohl sich beide Welten immer mehr verzahnen. Sie werden durch die Gegenüberstellung von Sprachlosigkeit, Stille auf der einen Seite und dem bunten, redseligen Leben der Großmutter andererseits besonders in Szene gesetzt.

Auch dieser Film hat eine Creative Commons-Lizenz und wird deshalb bald frei zu sehen sein. Bei den Nordischen Filmtagen läuft er noch einmal am 8. November um 10:45 (CineStar, Kino 2) auf Schwedisch mit englischen Untertiteln.

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Virgin Mountain – die Geschichte zweier Außenseiter. https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/virgin-mountain-die-geschichte-zweier-aussenseiter/ https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/virgin-mountain-die-geschichte-zweier-aussenseiter/#respond Sat, 07 Nov 2015 06:34:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=233944

Fúsi (Gunnar Jónsson) erfüllt wohl fast jedes Klischee, das ein Außenseiter haben kann. 40 Jahre alt, massiv übergewichtig, Neckbeard, Nerd wohnt noch bei seiner Mutter, spielt mit Miniaturfiguren Weltkriegsschlachten nach, ist Jungfrau. Obwohl generell mit seinem Leben nicht unzufrieden, wird der scheue und schüchterne Fúsi Opfer von Mobbing durch seine Arbeitskollegen, die ihn insbesondere wegen seiner Jungfräulichkeit drangsalieren. Er findet zwar die Freundschaft zu einem kleinen Mädchen, das frisch eingezogen ist und ihn als gefühlt einzige nicht für einen Freak hält. Doch die Nachbarschaft sieht die Freundschaft alles andere als unproblematisch und grenzt ihn weiter aus. Sein Leben ändert sich als seine Mutter und ihr Freund ihm zum Geburtstag einen Tanzkurs schenken, und er dort die sympathische Sjöfn (Ilmur Kristjánsdóttir) kennenlernt, die ihn trotz seiner Eigenheiten ins Herz schließt. Doch auch sie stellt sich als Außenseiter der Gesellschaft heraus…

Der auf den Nordischen Filmtagen schon bekannte isländische Regisseur Dagur Kári nimmt sich für den melancholischen, aber dennoch lustigen Film viel Zeit für die Darstellung der Emotionen. Obwohl Gunnar Jónsson nach eigenen Angaben wenig aus Fúsis Leben mit seinem eigenen assoziieren kann, schafft er es den Charakter des liebenswerten Außenseiters mit viel Leben zu füllen. Detaillierte Nahaufnahmen und viele stille Einstellungen tragen sehr dazu bei.

Der Film schafft es in verschiederer Hinsicht zu berühren und zum Nachdenken anzuregen: Die schlimmen Erfahrungen eines Außenseiters in der Gesellschaft, vernachlässigte Menschlichkeit, aber auch der schnelle Sturz in die Außenseiterrolle. Nutzt noch die letzten Gelegenheiten den Film zu sehen! Und wer es nicht schafft: Der Film kommt in deutscher Tonfassung am 12.11. in die Kinos!

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Die Herde https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/die-herde/ https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/die-herde/#respond Thu, 05 Nov 2015 20:30:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=233846 Manchmal hat man das Gefühl, die Menschheit ist kacke. Genau dieses Gefühl hat man, nachdem man den Film gesehen hat. Es fällt sehr schwer, diese Rezension zu schreiben. Es ist ein Film, der nicht Spaß macht gesehen zu werden, den man am liebsten nicht sehen möchte, aber gerade deswegen sehen sollte. Er behandelt ein Thema, das immer noch zu stark tabuisiert ist, und gerade deswegen ist die Beschäftigung damit wichtig.

Die 15-jährige Jennifer (Fatime Azemi) lebt in einem kleinen Dörfchen in Nordschweden, in dem jeder jeden kennt, und führte eigentlich ein normales Leben. Ein Ereignis erschüttert jedoch die Dorfharmonie. Sie behauptet von Alexander (John Risto) vergewaltigt worden zu sein, wodurch die Harmonie ins Wanken gerät. Statt Trost und Betreuung zu erfahren, wird das Täter-Opfer-Verhältnis durch die Bewohner umgekehrt. Sie sei eine Hure, sie denke sich alles aus, weil sie in Alexander verliebt sei. Bis auf ihre Familie hält niemand mehr zu ihr, nicht der Pastor, nicht ihre besten Freundinnen. Auch ein Prozess, der Alex verurteilt, ändert nichts an der Situation. Die Herde der Dorfbewohner schaukelt ihren Hass immer mehr hoch, bis es endgültig eskaliert…

Der Film schafft es packend die immer schlimmer werdende Eskalation darzustellen. Die Blicke der Bewohner auf Jennifer und ihre Familie sind drückend und man muss fassungslos zusehen, wie sich selbst ihre engsten Freunde von ihr abwenden. Immer wieder werden Ausschnitte aus einem Chat zitiert, der die radikalisierten Gedanken der Dorfbewohner von “einfachen” Beleidigungen zu Todeswünschen einfängt. Auch die wichtige, komplexe Entwicklung Alexanders, der insbesondere von seiner Mutter immer mehr dazu gedrängt wird sich linienkonform zu verhalten wird portraitiert und nimmt einen großen Teil des Films ein.

Will man sich auf den harten Stoff und das schwierige Thema einlassen, ist es dieser Film auf jeden Fall wert.

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Here is Harold – ein etwas anderer Kampf von David gegen Goliath https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/here-is-harold-ein-etwas-anderer-kampf-von-david-gegen-goliath/ https://www.studentenpack.de/index.php/2015/11/here-is-harold-ein-etwas-anderer-kampf-von-david-gegen-goliath/#respond Thu, 05 Nov 2015 18:40:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=233838

“Tante Emma”-Läden, kleine Imbisse und die Modeläden von nebenan. Alle haben sie eins gemein: Die stete Bedrohung durch Großkonzerne und Ketten. Auch Harold (Bjørn Sundquist) und seine Frau Marny (Grethe Selius) stehen vor dem Ruin ihres über 40 Jahre währenden Möbelgeschäfts – denn genau gegenüber wurde ein Ikea-Möbelhaus gebaut. Binnen kurzer Zeit müssen sie ihren Laden schließen und auch Marnys Gesundheitszustand geht rapide bergab. Als sie schließlich stirbt und auch die Oberflächlichkeit der Familie seines Sohnes seine Wut weiter erhöht entscheidet er sich Rache zu nehmen an demjenigen, der Schuld an der Misere ist: Ingvar Kamprad (Bjørn Granath), Gründer von IKEA. Der Plan steht fest, Kamprad soll entführt werden. Doch die Begegnung mit der einsamen sechzehnjährigen Edda (Fanny Ketter), die spontan zu seiner Komplizin wird, und ein Kamprad, der mehr belustigt als beängstigt von der Entführung ist, sorgen für unvorhergesehenes Chaos.

Trotz der an sich ernsten Problematik der durch die Expansionspolitik großer Konzerne zerstörten Existenzen kleinerer Betriebe schafft es der Regisseur Gunnar Vikene die verworrene Geschichte zu einer humorvollen Erzählung zu machen. Die naiv-verspielte Verhaltensweise Kamprads sorgt für reihenweise Lacher, wenn es nicht gerade der in ploppende Luftpolsterfolie eingewickelte Harrold tut. So macht der Film viel Spaß, leider überzeugt gerade gegen Ende des Films der Handlungsstrang nicht so ganz und auch die Geschichte um Edda und ihre depressive, sorglose Mutter konnte sich kaum entfalten. Das macht der großartige, teilweise bissige Humor aber gut wett!

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