Constanze Stahr – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Thu, 07 Mar 2013 13:04:36 +0000 de-DE hourly 1 2009: Die Uni brennt in Wien https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/ https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/#respond Mon, 07 Dec 2009 11:00:19 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=110143
Besetzter Hörsaal in Wien

[media-credit id=126 align="aligncenter" width="645"] Besetzter Hörsaal in Wien

Die Proteste in Wien haben weltweit ein Medienecho ausgelöst. Genauso Besetzungen von Hörsälen in Österreich, Deutschland, der Schweiz, aber auch Proteste in England und den USA sowie Solidarisierungen von Studenten aus aller Welt. Auch das StudentenPACK hat sich in dieser Ausgabe dem Thema verschrieben. Aus Wien berichtet für uns Constanze Stahr, die an der besetzten Hauptuni Kunstgeschichte studiert.

Am 22. Oktober 2009 begann der Protest gegen die schlechten bildungspolitischen Verhältnisse in der österreichischen Hauptstadt Wien. Eine Gruppe von 400 fraktionslosen und unabhängigen Studierenden der Hauptuni und der „Akademie der Bildenden Künste“ zieht vom benachbarten Votivpark zum Hauptgebäude der Universität. Dort wird nach einer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit gegen 12:30 Uhr das Audimax besetzt. Plakate und Transparente werden angebracht, erste Forderungen formuliert und kurze spontane Reden gehalten. Die Stimmung ist sehr aufgeheizt und Sprechchöre ertönen.

Die Nachricht über die Besetzung verbreitet sich in Windeseile und es strömen immer mehr Unterstützende ins Audimax. Rasch bilden sich Arbeitsgruppen, die die aktuelle Misslage untersuchen und diskutieren sollen und Konzepte mit Lösungen erarbeiten. Der Sicherheitsdienst der Uni Wien versucht das Audimax zu räumen, scheitert aber an einer friedlichen Sitzblockade. Nachmittags versuchen Polizisten den Zugang zum Audimax abzusperren, werden jedoch nach etwa zwei Stunden wieder abgezogen, da sich die Studierenden nicht zum Verlassen des Hörsaales bewegen lassen. Bei einem mehrstündigen Plenum am Abend werden die offiziellen Forderungen formuliert. Danach findet eine spontane Party statt, DJs legen auf und eine Punkband gibt ein Konzert.

Die Forderungen der Protestierenden sind auf einige wenige Thesen zu beschränken: Es wird Gleichberechtigung gefordert, das heißt jeder und jede, egal aus welchem Teil der Welt, aus welcher Bevölkerungsschicht und egal welchen Geschlechts oder sexueller Orientierung muss studieren dürfen. Lehre und Forschung sollen als verknüpfte und gleichwertige Bereiche gesehen werden, dabei soll eine Redemokratisierung des universitären Betriebs erreicht werden. Weiter soll das modularisierte System des Studiums gelockert und Voraussetzungsketten bei Lehrveranstaltungen abgeschafft werden, damit die Studiumsgestaltung frei bei den Studierenden liegt. Ebenfalls kritisiert wird die Zugangsbeschränkung im Allgemeinen und solche, die durch intransparente Anmeldesysteme oder Knock-Out-Prüfungen innerhalb des Studiums hervorgerufen werden, und besonders die bei Master- und PhD-Studiengängen. Für alle diese Vorhaben muss natürlich auch das Budget erhöht werden. Dieser Teil der Forderungen richtet sich vor allem an die Politik. Der Rücktritt des Wissenschaftsministers Johannes Hahn wird gefordert, der sich in den Wochen vor dem Protest für eine Wiedereinführung der Studiengebühren ausgesprochen hatte.

Am darauf folgenden Freitag findet ein Aufmarsch auf der benachbarten Ringstraße statt und am Abend wird die erste Pressekonferenz abgehalten. Bereits hier stellt sich heraus, dass eine baldige Beendigung der Besetzung nicht abzusehen ist. Erste Anflüge von Vandalismus werden auch von den Protestierenden abgelehnt und sollen durch eine AG Krisenmanagement bekämpft werden. Auch sexistische Übergriffe aus der ersten Nacht werden thematisiert. Ausgehend von diesen auftretenden Problemen bilden sich bald sehr viele Arbeitsgruppen, die die unterschiedlichsten Bereiche diskutieren, so auch Feminismus- und Genderfragen, Diskriminierungsprobleme, den Presseauftritt organisieren und die Forderungen immer weiter aktualisieren und konkretisieren. Vor allem die Demokratisierung der Proteste und ernsthafte Inhalte sollen nach außen vermittelt werden.

Der Protest greift innerhalb kürzester Zeit um sich, nachdem an der Uni Wien auch noch weitere Hörsäle (so auch das C1, der zweitgrößte Hörsaal, auf dem Campus gelegen) besetzt wurden. Hier haben es sich die Protestierenden mit Hängematten und Sofas in der Vorhalle richtig gemütlich gemacht. In ganz Europa, aber vor allem auch in Deutschland, beginnen immer mehr Studierende Hörsäle zu besetzen und die Bildungspolitik anzuprangern. Bis zum heutigen Tag „brennen“ in allen fünf großen Universitätsstädten Österreichs die Unis (Wien, Graz, Innsbruck, Linz, Salzburg). In Deutschland sind schon weit über fünfzig Universitäten, Oberschulen und Fachhochschulen aller Art besetzt und es werden täglich mehr, einige mussten die Hörsäle jedoch wieder freigeben oder durch Räumungen weichen. Als erste deutsche Uni zog die Universität Heidelberg am 3. November nach. Auch in der Schweiz sind in Bern, Basel und Zürich die Unis besetzt.

Gegenüber des Wiener Audimax’ wurde schnell und provisorisch die „Volxküche“ eingerichtet, die die Protestierenden mit Lebensmitteln versorgt und sich aus Spenden finanziert. Sofort haben sich die Studierenden auch online organisiert, es gibt eine Onlinepräsentation (zuerst freiebildung.at, dann unsereuni.at und unibrennt.at), Gruppen in sämtlichen sozialen Netzwerken und zahlreiche Twittermeldungen, die die abwesenden Studierenden über den aktuellen Stand informieren. Es gibt einen Live-Stream aus dem Audimax, der es theoretisch der ganzen Welt ermöglicht, den Diskussionen und Vorträgen zu folgen. Bis heute werden regelmäßig Solidarisierungsaufrufe veröffentlicht und Solidarisierungserklärungen an andere Protestanten versendet. Der Studierendenprotest begreift sich als Teil einer weltweiten Bewegung gegen Neoliberalismus und Kapitalismus, die alle Bereiche des Lebens betrifft. Es soll nicht nur eine bildungspolitische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Debatte ausgelöst werden.
Bereits am Abend des dritten Tages spricht sich der österreichische Bundeskanzler Faymann gegen eine vollständige Wiedereinführung der Studiengebühren aus und liefert damit eine der ersten Aussagen aus dem Regierungssektor. Viele Lehrende haben sich mit der Bewegung solidarisiert und unterstützen teilweise sogar aktiv die Forderungen, indem sie Plenumssitzungen initiieren, leiten oder selbst über die Themen sprechen.

In der Presse wird die Protestbewegung teilweise kritisch aufgenommen, vor allem hohe Kosten (erste Schätzungen besagen 50.000 Euro) durch Sachschäden werden angeprangert. Diese Kosten begründen sich jedoch nicht ausschließlich aus tatsächlichen Sachschäden, sondern auch dadurch, dass Vorlesungsräume ausfallen und neue Räume angemietet werden müssen, sich Bauarbeiten verzögerten und Sicherheitsdienste verlängert im Einsatz sein mussten. Jedoch veröffentlichen einige Medien auch positiv gestimmte Meldungen. So war zum Beispiel in einem Kommentar des Chefradakteurs Richard Schmitt in der „Heute“ von „Jungspießern“ die Rede, die den Tränen nahe vor dem Hörsaal gewartet und sich über diese Lernbeeinträchtigung beschwert haben.

Dieses zeigt, dass es ebenfalls von Seiten der Studierenden Kritik gibt. Die Forderungen wer- den von einigen als unrealistisch empfunden. Es herrscht die Befürchtung, Grundlagenvorlesungen würden eliminiert, was dem Studium nicht dienlich sei. Außerdem kritisieren einige die ganze Protestwelle als einzige große Party und zweifeln daran, dass alle Teilnehmenden es ernst mit den Protesten meinen. Viele sind genervt, weil sie für ihre Vorlesungen in neuen angemieteten Räumen (zum Beispiel in Messegebäuden) häufig eine Stunde Anfahrtszeit einplanen müssen. Gerade für Studienanfänger sind es jetzt unwegsame Bedingungen, da häufige Raumänderungen und Terminschwierigkeiten für Verwirrung sorgen.

Viele vor allem österreichische Studierende der Uni Wien schieben die Probleme auf die sehr vielen Deutschen, die aus verschiedensten Gründen hier sind, manche als „NC-Flüchtlinge“, einige als Studiengebühren-Meidende und – ja, man sollte es nicht glauben – einige sogar, weil sie Land und Stadt lieben und sich ohne Zwang durch äußere Umstände für Wien entschieden haben. Teilweise werden von Deutschen Studiengebühren verlangt, eine andere Alternative seien Ausgleichszahlungen aus Deutschland. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass es jedem Österreicher mit einer guten Matura (gleichbedeutend dem Abitur) freisteht, an eine renommierte deutsche Uni (oder irgendwo anders in der EU) zu gehen und dort einen Abschluss zu machen. Diese Möglichkeit ist nun mal mit der EU entstanden und wäre nicht eine Nutzung beider Seiten wünschenswert?
Bis heute gibt es regelmäßige Plena und AG- Treffen. Jedoch ist die Besetzung vor allem tagsüber und außerhalb der Treffen und Plena recht abgeflacht. Es sitzen nur noch vereinzelt Personen in den Sitzreihen, die Anzahl der Plakate hat sich ein wenig reduziert und auch abends ist nicht mehr so viel los. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich der Streik noch hinzieht. Die Protestierenden wollen ihn wohl bis zur Durchsetzung ihrer Forderungen durchhalten. Am 20. November fand erstmals ein Treffen zwischen den Audimax-Besetzenden und dem Rektorat der Universität statt. Zu einer Einigung konnte es hier jedoch nur in dem Punkt kommen, dass das Budget erhöht werden muss. Rektor Georg Winckler beharrte auf der Frage, wann die Besetzung möglicherweise enden könnte. Diese Möglichkeit schien jedoch von allen anderen ausgeklammert zu werden. Die Kommunikation geht jedoch weiter, so ist der „Hochschuldialog“ geplant, an dem Studierende, das Rektorat und der Wissenschaftsminister Hahn zusammentreffen, um nach Lösungsansätzen zu suchen.

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