Jana Mestmäcker – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Sun, 03 Dec 2017 20:24:59 +0000 de-DE hourly 1 Best of Filmschool – Ein Abend voller Kurzfilme https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/bestoffilmschool/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/bestoffilmschool/#comments Sun, 05 Nov 2017 09:30:39 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302946 Der Kinosaal 7 des CineStars ist pickepacke voll, als wir ankommen. Regisseurinnen und Regisseure sitzen unters Publikum gemischt in den Reihen. Wir sind gespannt, denn was hier zu erwarten ist, wissen wir nicht so recht. Wir sind beim Best of film schools der 59. Nordischen Filmtage Lübeck.

Die Filmemacherinnen und Filmemacher kommen von unterschiedlichen Hochschulen aus ganz Deutschland und sie haben jeweils einen Kurzfilm mitgebracht, der im Rahmen ihres Studiums entstanden ist. Der Grad der Erfahrung rangiert vom ersten Film überhaupt bis hin zum preisgekrönten Abschlussfilm eines postgraduierten Studiums. Ebenso groß ist die inhaltliche und formale Vielfalt der Werke. Wir wollten eine gemeinsame Kritik schreiben – einigen konnten wir uns nicht.

Die Lichter gehen an. Eine unbekannte Sprache. Eine Frau, eine Blume, zwei Kinder. Ein Instrument. Ein Schicksal. – Vorhang

In diesem aufwendig produzierten Animationsfilm arbeitet Ahmed Saleh ein echtes Ereignis auf. Der Film stellt die Geschichte zweier Jungen, die im Kriegsgebiet zurückgelassene Munition für Spielzeug gehalten und sich schwer verletzt hatten, berührend dar.

Ayny – My second Eye” eine Stop-Motion-Produktion zeigt auf eindrucksvolle Weise die Geschichte zweier durch eine Miene verletzten Jungen. Nicht nur die für den Film verwendeten Puppen wirken auf den Zuschauer als Figuren mit Zielen, Gefühlen und Sehnsüchten, sondern auch die Kamerafahrten zeigen eine eindeutige Identifikation mit dem Problemgebiet im nahen Osten.

AYNY – My Second Eye (Official Trailer) from Ahmad Saleh on Vimeo.

Das Rasseln eines Filmprojektors. Bildartefakte auf der Leinwand. Eine andere Zeit. Eine Zeit der Entbehrung. Ein Aphrodisiakum. – Vorhang

In dem Kurzfilm „The Ballad of Ralf and Heike“ von Manuel Ostwald wird in den 70er Jahren in einem Jugendzimmer in Ostberlin eine Rolling-Stones-Platte gehandelt. Heike will sie unbedingt haben und bietet Ralf an, ihm dafür ihre Brüste zu zeigen. Ralf tauscht all sein Geld und die Kamera seines Vaters ein, damit Heike die Platte bekommt. Heike zeigt ihre Brüste – aber nur extrem kurz. Glaube ich. Ich habe eine Viertelsekunde nicht hingeguckt.

Ralf und Heike sitzen in einem Zimmer in Ostdeutschland. Schüchtern lernen sie russisch. Bald soll Klaus vorbeikommen und ihnen eine seiner verbotenen Rolling-Stones-Platten verkaufen. Nichts ist anregender für die beiden als der Genuss dieser verbotenen Musik zu einer Zeit der Entbehrung. Das ist es Ralf sogar wert, seine geliebte “Knipse” herzugeben. Eine Aufarbeitung der Zustände in Ostdeutschland und den Kult der Schallplatte und frühe Medien an sich – gedreht auf 16 mm Rollen.

Ein fernes Land. Ein Bus. Eine Frau. Ihre Religion. Ein Konflikt. Fanatismus oder Menschlichkeit? – Vorhang

Der Film „Watu Wote: All of us“ von Katja Benrath beruht auf einem Angriff von islamistischen Terroristen auf einen Bus, in dem Muslime als auch Christen reisten, in Kenia im Jahr 2015. Die Angreifer wollten die christlichen Menschen ermorden, doch die Muslime nahmen ihre Mitreisenden in Schutz. Sehr verstörender Film, da ich das Gefühl hatte mitten drin zu sein. Sehr berührender Film – aus dem gleichen Grund.

Islamisten schießen auf Muslime? Nur um eine Christin aufzuspüren? Eine packende Installation, die sowohl von der christlichen Kirche als auch dem Zentralrat der Muslime unterstützt wurde, die die Menschlichkeit über den Fanatismus stellt und dem ein oder anderen Zuschauer und auch meiner Mitautorin vor Schrecken, Trauer oder Rührung die Hände vor die Augen trieb.

Blau. Grau in Grau. Farbwechsel. Grün. Eine Brücke. Gelb. Verlassen, Allein. Eine Ewigkeit des Konsums. Orange. Rückkehr zur Geborgenheit. Rot. – Vorhang

Auch nach dem Gespräch mit dem Regisseur bin ich nicht schlauer, was Nicolaas Schmidt mit seinem Film „FINAL STAGE“ ausdrücken wollte. Er zeigt die gesamte Leinwand ausfüllende Farbflächen und ungewöhnlich lange Szenen ohne Handlung. Wir sehen den Protagonisten des Films quälende zwölf Minuten lang durch ein Einkaufszentrum gehen. Das Publikum wird während der 27-minütigen Filmvorstellung hörbar unruhig. Ob er solche Publikumsreaktionen gedanklich miteinbeziehe, wenn er einen Film mache, fragt die Moderatorin ihn im Anschluss. „Nein“, erwidert er freundlich lächelnd. Er mache Filme nur für sich. Die Moderatorin erwähnt, dass er sie gebeten habe, wegen der grellen Farbwechsel vorab eine Epileptikerwarnung auszusprechen, was sie jedoch vergessen habe. Ich frage mich: wenn man eine Epileptikerwarnung haben möchte, wieso setzt man dann keine Epileptikerwarnung voran? Das lässt sich für mich auf den ganzen Film übertragen: sag doch, was du sagen möchtest. Ich möchte verstehen. Wirklich. So unangenehm ich mich während der Filmvorstellung auch gefühlt habe – dieser Film hat mich im Nachhinein bei Weitem am meisten beschäftigt. Schmidt hat bei der diesjährigen Berlinale einen spontanen Sonderpreis für seinen „formalen Mut“ verliehen bekommen, das kann ich gut verstehen. Dennoch habe ich mir den Namen des Regisseurs gemerkt – um erstmal nicht ausversehen noch mal in einem Film von ihm zu sitzen.

Wurde hier das Publikum gequält, indem es 27 Minuten lang einem weinenden Teenager dabei zusah, wie er ein Einkaufzentrum durchquerte? Auf jeden Fall. Ohne Grund? Eher nicht. So zeigt der Unterschied der farblosen Welt, die sich grau in grau vor dem verlassenen Jungen erstreckt zu der abstrus farbigen und trotzdem immer gleichen “corporate Identity” Welt innerhalb des Einkaufszentrums, wie leblos Farbe wirken kann, wenn sie überdimensional auf den Menschen einwirkt. Quittiert wird das Ganze mit zurückhaltendem Applaus. Vielleicht nichts für jeden. Vielleicht eine Überinterpretation eines von Farbfeldern durchzogenen “Kurzfilms”. Vielleicht doch nicht so schlecht, dass der Regisseur seine “Drohung” nicht bewahrheiten lässt und den Film mit einem Rückweg durch das Zentrum nicht auf Spielfilmlänge erhoben hat. Zweieinhalb Stunden Kurzfilme sind dann doch genug.

FINAL STAGE [TRLR] from Nicolaas Schmidt on Vimeo.

Eine Ehe. Ein Frühstück. Stimmungsschwankungen. Ein Konflikt. Eine Verbannung. Eine Realisation. – Vorhang
„Tisch und Bett“ von Jonathan Schulz ist das Ergebnis einer studentischen Gruppenarbeit. Mir hat die Mitteilung hinter der Handlung sehr gut gefallen, die Umsetzung etwas weniger.

Diese Aufarbeitung von Trauer, Wut, Realisation und Verzweiflung wirkt anfangs wie ein Ehestreit an einem idyllischen Frühstückstisch. Doch irgendetwas fehlt.

Ein Wissenschaftler. Die Unsterblichkeit. Der Mikrokosmos. Der Makrokosmos. Eine Möglichkeit. Eine Tragödie. Ein Neuanfang! – Vorhang

Der Film „Das Bärtierchen“ von Kerstin Welther ist ein von ihr selbst gezeichneter animierter Dokumentarfilm über die weniger als einen Millimeter großen gleichnamigen Tierchen. Sie lässt einen Wissenschaftler verschiedene Experimente mit ihnen anstellen, in denen sich zwei Dinge herausstellen: Bärtierchen überleben im Prinzip alles und Bärtierchensex bringt den gesamten Saal zum Lachen.

Voller Liebe zum Detail und mit Humor und Anspielungen auf die Welt der Science Fiction nimmt der kleine Überlebenskünstler den Zuschauer für sich ein.

Mehr dazu: Kerstin Welther: Tardigrade

Ein Fest. Eine fremde Umgebung. Ein Radio. Kein Entkommen. – Vorhang
In „Merry X-Mas“ fängt Jessica Dahlke eine völlig überladene Weihnachtsfeier in Thailand ein. Dazu spricht Angela Merkel. Während des Anschauens fehlte mir die Geschichte, die die Regisseurin im Anschluss mündlich nachlieferte: sie war Weihnachten entflohen und in einem Hotel voller Weihnachtsmänner mit Jingle-Bells-Dauerschleife gelandet.

Trotz des Versuchs, dem heimatlichen Weihnachtstrubels in ein buddhistisches Land zu entfliehen findet sich die Regisseurin – in diesem Fall auch Kamerafrau – inmitten von weihnachtsbegeisterten Menschen wieder. Ein Grund mehr, die Kamera auszupacken.

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Der grüne Planet – Zwischen Eiszeit und Treibhaus https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/der-gruene-planet/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/11/der-gruene-planet/#respond Thu, 02 Nov 2017 14:47:12 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=302252
360 Grad Kino auf dem KlingenbergLukas Ruge | StudentenPACK.

360 Grad Kino auf dem Klingenberg

Aus dem Planetarium in Hamburg kommt der Animationsfilm “Der grüne Planet – Zwischen Eiszeit und Treibhaus” nach Lübeck. Dieser in Kooperation vom Hamburger Planetariumsdirektor Thomas Kraupe mit dem Leiter des Produktionsstudios Mirage in Den Haag Robin Sip produzierte Dokumentarfilm zeigt in 35 Minuten die Komplexitäten des Erdklimas – mit einem besonderen Fokus auf die pflanzliche Relevanz bei der globalen Erwärmung.

Dabei sollte der Betrachter sich vom verlinkten Trailer aus dem Jahr 2007 nicht verunsichern lassen, da die Animation seit dessen Erstellung bereits mehrere Male sichtbar überarbeitet worden zu sein scheint.

Inhaltlich beschäftigt sich der Film mit der dokumentationsartigen Aufarbeitung der pflanzlichen Photosynthese und den damit verbundenen Auswirkungen auf das Klima. Dabei wird auch auf die Notwendigkeit der Erdrotation, der Sonneneinstrahlung, der Erdlaufbahn und der atmosphärischen Veränderungen eingegangen. Zuletzt gibt der Film dem Betrachter die Erkenntnis mit auf den Weg, dass die umfassende menschliche Verstrickung in die klimatischen Vorgänge der Auslöser zukünftiger Krisen zu sein scheint – der Mensch ist zur Naturgewalt geworden.

Technisch gesehen nutzt der Grüne Planet die Möglichkeiten eines 360-Grad-Kinos fast vollkommen aus. Dabei wird die gesamte Leinwand „bespielt“. Durch spektakuläre Kamerafahrten wird der Zuschauer so sowohl in den Mikrokosmos einer einzelnen Pflanzenzelle als auch in den Makrokosmos des Universums befördert – so werden beispielsweise Ausblicke auf mögliches Leben auf Mars oder Jupiter gegeben.

Von künstlerischen Darstellungen der Jahreszeiten in schneekugelartigen Murmeln von klassischer Musik unterlegt bis hin zu wissenschaftlichen Darstellungen grönländischen Phytoplanktons konnte der Grüne Planet das Publikum im finnischen Iglu auf dem Klingenberg auf gemütlichen „Sonnenliegen“ belehren.

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“Mut, den eigenen Weg zu gehen” https://www.studentenpack.de/index.php/2017/10/mut-den-eigenen-weg-zu-gehen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2017/10/mut-den-eigenen-weg-zu-gehen/#respond Wed, 04 Oct 2017 14:52:13 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=297615
Die zukünftige Präsidentin der Uni Lübeck: Gabriele Gillessen-KaesbachJohann Mattutat | StudentenPACK.

Die zukünftige Präsidentin der Uni Lübeck: Gabriele Gillessen-Kaesbach.

Der Akademische Senat der Universität hat gewählt: Professor Dr. Gabriele Gillessen-Kaesbach wird neue Uni-Präsidentin. Damit tritt sie in der ersten Jahreshälfte 2018 die Nachfolge von Professor Dr. Hendrik Lehnert an, der sein Amt vorzeitig niederlegt. Im Interview spricht die erste Frau an der Spitze der Universität nicht nur über die Zukunft der Uni, sondern auch über Mut, Kommunikation und ihren Lieblingslärm. Einen Überblick über ihren bisherigen Werdegang gibt dieser Artikel.

StudentenPACK: Warum sind gerade Sie die richtige Präsidentin für unsere Uni?

Gabriele Gillessen-Kaesbach: Das sollen die beurteilen, die mich gewählt haben. Ich habe mich zur Wahl gestellt, weil wir momentan eine besondere Situation vor uns haben: Es bestand theoretisch die Möglichkeit, dass drei externe Kandidaten unsere Universität leiten werden. Der Präsident hat frühzeitig sein Amt zur Verfügung gestellt. Der Kanzler ist zum Staatssekretär berufen worden. Und das Hochschulgesetz sieht einen neuen Posten des Vizepräsidenten Medizin vor. Also habe ich meinen Hut als interne Kandidatin in den Ring geworfen.

StudentenPACK: Wie wichtig ist es – oder ist es überhaupt wichtig –, dass zum ersten Mal eine Frau diese Uni leitet?

Gillessen-Kaesbach: Nicht so wichtig, wie viele meinen. Am Ende muss er oder sie sich durch gute Arbeit beweisen. Dass ich nun die erste Präsidentin dieser Uni bin, erfüllt mich weniger mit Stolz als vielmehr mit Freude.

StudentenPACK: Die erste Frau waren Sie ja schon an mehreren Stellen.

Gillessen-Kaesbach: Stimmt. Als ich mich damals an der Universität in Essen habilitiert habe, war ich auch da die erste Frau. Jetzt ist das glücklicherweise nichts Besonderes mehr. Dennoch besteht immer noch ein Missverhältnis bei Habilitationen zwischen Frauen und Männern.

StudentenPACK: Was können Sie als doch sehr erfolgreiche Frau anderen Frauen mit auf den Weg geben?

Gillessen-Kaesbach: Mut, den eigenen Weg zu gehen. Ich bin Mutter von zwei Kindern und meinen ersten Sohn habe ich bekommen, als ich in der Kinderklinik gearbeitet habe – mit Nachtdiensten und allem. Das war am Anfang ganz schön schwer. Aber: Wenn man an sich glaubt und eine Vision hat, dann sollte man sich nicht davon abbringen lassen, diesen Weg zu gehen. Diesen Mut wünsche ich allen, die sich vorstellen können, eine wissenschaftliche Karriere zu machen.

StudentenPACK: Sie kommen aus der Sektion Medizin, es kennt Sie folglich nicht jeder auf dem Campus aus der Vorlesung. Würden Sie sich für die anderen Leser kurz vorstellen – was Sie so machen, wo Sie herkommen?

Gillessen-Kaesbach: Ich komme – wie so viele Mediziner – aus einem Ärztehaushalt. Mein Vater war Landarzt und ich habe mich als Kind schon immer dafür interessiert, was er macht. Ich bin oft mit ihm auf die Besuchstouren durch die Dörfer gefahren, zu Bauern, bei denen es auch behinderte Familienmitglieder gab. Die seltenen Erkrankungen haben mich immer fasziniert. Ich habe mich damals aber zunächst entschlossen, eine pädiatrische Ausbildung zu machen. Mein Interesse für seltene Erkrankungen und die Entstehung von Krankheiten hat mich schließlich zur Humangenetik geführt. Mit Herz und Seele. Damals wurde das erste Gen identifiziert – für zystische Fibrose, für Muskeldystrophie Duchenne. Es herrschte Aufbruchsstimmung in der Humangenetik, eine spannende Zeit und es ging Schlag auf Schlag. Lange war es so, dass der klinische Blick wichtig war, um die entsprechende Diagnostik in die Wege leiten zu können. Heute ist es im Prinzip andersherum: Man macht ein Exom, ein Genom oder Panel-Diagnostik, analysiert und vermittelt es dann den Menschen in der genetischen Beratung. Diese Pionierarbeit im Bereich Diagnose hat sich deutlich verändert.
Es ist für mich nach vielen Jahren klinischer Tätigkeit ein guter Zeitpunkt, noch einmal eine andere Vision vor mir zu haben. Drei Jahre war ich Vizepräsidentin gewesen. Wenige Monate nachdem ich dieses Amt aufgegeben hatte, bin ich an Brustkrebs erkrankt. Ich habe versucht, am Institut zu arbeiten, hatte aber im Grunde ganz andere Dinge im Kopf. Als ich wieder genesen war, habe ich die Flucht nach vorne angetreten. Ich habe mich dann im SAM engagiert, bin Stellvertreterin von Professsor Thomas Münte geworden und auch in anderen Gremien aktiv gewesen. Ich habe viele Universitäten kennengelernt, die Universität zu Lübeck ist mir ans Herz gewachsen. Sie ist sehr besonders und ich schätze den persönlichen Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen und zu den Studierenden sehr.

Gabriele Gillessen-Kaesbach bei der Vorstellung im Senat.Johann Mattutat | StudentenPACK.

Gabriele Gillessen-Kaesbach bei der Vorstellung im Senat.

PACK: Man könnte den Eindruck bekommen, dass Sie eine Frau der klaren Worte sind. Was können wir in der Hinsicht von Ihnen erwarten?

Gillessen-Kaesbach: Ich wünsche mir bottom-up-Prozesse, keine top-down-Prozesse. Mir ist wichtig, eine Kommunikatorin zu sein und konkrete Strategien gemeinsam zu erarbeiten, bevor ich sie zur Abstimmung stelle. Auch die Kommunikation mit den Studierenden ist mir wichtig. Ich wünsche mir, dass man nicht erst miteinander spricht, wenn es Probleme gibt. Ich stelle mir da Round-Table-Gespräche vor. Das wäre eine richtig gute Sache, die mir Spaß machen würde. Wir könnten besprechen, was gerade gut läuft und wo es Schwierigkeiten gibt.

PACK: Eine Umbenennung wird von Ihnen also nicht wieder auf die Tagesordnung gesetzt?

Gillessen-Kaesbach: Nein. Diese Uni hat in kurzer Zeit schon fünf Namen gehabt. Ich finde, ‚Universität zu Lübeck‘ ist eine Marke. Die würde ich nicht verändern.

PACK: Sie haben in Lübeck beispielsweise im Bereich der Präimplantationsdiagnostik erhebliche Forschungserfolge erzielt. Werden Sie weiter am Institut forschen können oder wird die Forschung nun hinter der Arbeit als Präsidentin zurückstecken müssen?

Gillessen-Kaesbach: Ich werde nicht so weiter forschen können wie bisher und versuchen, die Institutsleitung zum ersten Januar zu übergeben. Den Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen und Patientinnen und Patienten möchte ich aber halten. Wie genau müssen wir sehen. Ich bin in der glücklichen Situation, dass Professor Frank Kaiser, ein Naturwissenschaftler aus Essen, im Institut eine W3-Professur hat. Da wird die kommissarische Leitung gut geregelt sein. Mit der MVZ und Dr. Yorck Hellenbroich als ärztlichem Leiter lag die Führung des Instituts schon immer auf mehreren Schultern. Meine Stelle muss dann zeitnah ausgeschrieben werden. Ich werde kommendes Jahr 65, im nächsten Jahr wäre die Entscheidung, wer meine Position in Zukunft besetzen soll, ohnehin auf meine Mitarbeiter zugekommen. Es ist jetzt also lediglich das Vorziehen einer Entscheidung, die ohnehin im Raum stand.

PACK: Sie arbeiten seit 2006 auf dem Campus, kennen seitdem die Uni und das UKSH. Haben Sie Veränderungen erlebt, die Sie besonders gefreut haben oder welche, die Sie am liebsten rückgängig machen würden?

Gillessen-Kaesbach: Vieles hat sich zum Guten entwickelt. Vor der Änderung der Verfassung gab es beispielsweise keine optimale Struktur für das Präsidium oder die Verwaltung. Der erfolgreiche Kampf für den Erhalt der Lübecker Uni hat mich natürlich gefreut und die positive Beurteilung durch den Wissenschaftsrat. Mit Blick auf das UKSH wächst der Druck in Geld-, Raum- und Stellenfragen. Ich werde in die Gespräche gehen und mich bestmöglich für die Universität einsetzen.

Proteste zum Erhalt der Uni Lübeck 2010Eva Jehle

Proteste zum Erhalt der Uni Lübeck 2010.

PACK: Es gab in den letzten Jahren viele neue Studiengänge. Wie ist Ihre Position dazu, soll die Universität eine Volluniversität werden? Sollen noch mehr Studiengänge geschaffen werden?

Gillessen-Kaesbach: Ich glaube, wir haben ein Limit erreicht, was die Kapazitäten und Möglichkeiten betrifft, um alle Studierenden vernünftig arbeiten zu lassen. Ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt für Konsolidierung gekommen ist. Die Mittel als Stiftungsuniversität sind beschränkt. Wir haben durch die Bund-Länder-Finanzierung eine ganze Menge Geld bekommen, und es dadurch geschafft, die Gesundheitswissenschaften- und Psychologie-Studiengänge aufzubauen. Dort müssen jetzt die Professuren verstetigt und neue Professuren geschaffen werden. Ich möchte nicht sagen, dass es gar keine neuen Studiengänge geben wird, aber meiner Meinung nach sind wir am Limit.

PACK: Das wird sicher manch einen hier freuen. Gerade das Platzproblem auf dem Campus, in der Bibliothek und bei der Suche nach Seminarräumen wird von den Studierenden ja immer wieder thematisiert…

Gillessen-Kaesbach: … Ja, wir müssen die Möglichkeiten der Stiftungsuniversität nutzen und Gelder einwerben. Das Geld vom Land allein reicht nicht. Containerlösungen sind besser als gar keine Lösungen, aber keine Dauerlösungen. Ich kann jetzt nicht versprechen, dass ab 2018 ein neues Lehrgebäude oder eines für Studierende errichtet wird. Wir müssen uns zum Ziel setzen, zusätzliche Gelder einzuwerben, sodass wir Strukturen schaffen, die für die Studierenden ein besseres Arbeiten ermöglichen.

PACK: Die Uni ist jetzt schon im dritten Jahr Stiftungsuniversität, in den ersten beiden Jahren wurden 5,8 Millionen Euro an Stiftungsgeldern eingeworben. Strategisches Entwicklungsziel für das Jahr 2025 sind 50 Millionen Euro, das ist ambitioniert. Wie möchten Sie das erreichen?

Gillessen-Kaesbach: Wir müssen das Fundraising stärken. Die Stabsstelle hat bisher primär Transferprojekte auf den Weg gebracht. Kooperationen wie die mit Cisco sind wunderbar. Wir brauchen eine Strategie, mehr Förderer zu finden, die sich mit der Universität identifizieren. Ich möchte die Alumni und die Lübecker Bürgerinnen und Bürger viel stärker einbeziehen, als wir es bisher gemacht haben. Es zählt jeder Euro. Ich bin überzeugt, dass man diese Identifizierung mit der Uni erreichen kann, wenn wir attraktive Projekte und Ideen entwickeln.

Gabriele Gillessen-Kaesbach und ihr Vorgänger Hendrik LehnertJohann Mattutat | StudentenPACK.

Gabriele Gillessen-Kaesbach und ihr Vorgänger Hendrik Lehnert.

PACK: Sie treten die Nachfolge von Professor Lehnert an. Wo möchten Sie seinen Weg weitergehen und wo möchten Sie neue Akzente setzen?

Gillessen-Kaesbach: Professor Hendrik Lehnert hat für diese Universität sehr viel getan und erreicht. Vor allem im Forschungsbereich, man denke nur an das CBBM. Ich will dort ansetzen und werde mich für ein Haus der Medizintechnik einsetzen, genauso wie ich mich für eine Verbesserung der Lern- und Wohnsituation der Studierenden einsetzen werde. Ich möchte die Kommunikation unserer Universität stärken. Vor allem mit der Hansestadt und dem Land. Wir sind Partner der anderen Hochschulen im Land, aber auch Konkurrenten. Die Kieler Hochschulen genießen den örtlichen Vorteil, näher dran zu sein. Ich werde auf einen regelmäßigen Austausch setzen und sehr schnell das Gespräch mit dem neuen Ministerpräsidenten Daniel Günther sowie seinem Staatssekretär suchen.

PACK: Sie hatten in Ihrer Bewerbungsrede angesprochen, dass auch die MINT mit der Informatik einen weiteren Forschungsschwerpunkt bekommen solle. Haben Sie da schon eine Vision?

Gillessen-Kaesbach: Wir haben ganz viele Forschungsprojekte, die mit Digitalisierung zu tun haben. Ich möchte meine Kolleginnen und Kollegen ermutigen, ihre Projekte auf den Weg zu bringen und helfen, Geld für die Umsetzung einzuwerben. Wir haben vier Lehrstühle für Informatik – da gibt’s natürlich einige Projekte, die auch mit der Medizin im Bereich der Bildgebung zusammenarbeiten. Ich bin sehr dafür, die Sichtbarkeit der MINT-Fächer zu erhöhen.

PACK: Zum Abschluss: Ihr Vorvorgänger, Professor Dominiak, hat einst Baulärm als den schönsten Lärm bezeichnet…

Gillessen-Kaesbach: … Daran habe ich heute Morgen noch gedacht, weil seit sieben Monaten ein benachbartes Haus renoviert wird und ich seitdem jeden Morgen um sechs Uhr von irgendwelchen Bohrmaschinen geweckt werde. Herr Dominiak bezog es aber auf die Campus-Baustellen und das kann ich voll und ganz unterstreichen. Wenn ich auf 2006 zurückblicke und heute über den Campus gehe, stimmt es mich froh, all das Neue zu sehen. Also, das Zitat von Herrn Dominiak kann ich nur unterstützen.

PACK: Was ist denn – abseits von Baustellen – Ihr Lieblingslärm?

Gillessen-Kaesbach: Musik! Ich spiele Akkordeon und das ist meine Leidenschaft. Ich habe – und das werde ich auch beibehalten – jeden Montagmorgen um acht Uhr Unterricht. Tango und Musette machen mich sehr froh.

PACK: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben!

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