Anja Pawlowski – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Tue, 15 Nov 2016 12:10:34 +0000 de-DE hourly 1 Mathematik in der Medizin https://www.studentenpack.de/index.php/2016/11/mathematik-in-der-medizin/ https://www.studentenpack.de/index.php/2016/11/mathematik-in-der-medizin/#respond Mon, 14 Nov 2016 11:25:59 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=249460
Am Carlebach-Park gelegen: Das Institute of Mathematics and Image Computing - kurz MIC. Jan Lellmann

Am Carlebach-Park gelegen: Das Institute of Mathematics and Image Computing – kurz MIC.

Das Institute of Mathematics and Image Computing – kurz MIC – arbeitet im MFC2 in der Maria-Goeppert-Straße 3, dem Audimax direkt gegenüber. Unsere Wurzeln liegen im Jahr 1999, als es um die Lösung eines anatomischen Problems bei der Kartographierung des menschlichen Gehirns ging. Bildregistrierung konnte eine Lösung bieten, die es zuvor noch nicht gab. Aus dieser ersten Anfrage etablierte sich nach und nach eine Forschungsgruppe am Institut für Mathematik, die unter dem Namen SAFIR („Solutions and Algorithms for Image Registration“) in der wissenschaftlichen Gemeinschaft bekannt wurde. Der Gruppe um Bernd Fischer und Jan Modersitzki gelang es, ein neues Modell zur Bildregistrierung international erfolgreich zu etablieren. Aus dieser Forschungsgruppe ging das MIC hervor, gegründet zeitgleich mit der Fraunhofer MEVIS Projektgruppe Bildregistrierung zum 1. April 2010.

Diese Konstellation aus Universitätsinstitut und Fraunhofer-Institut ist sehr nützlich: Einerseits können wir in der universitären Forschung und Lehre aktiv sein, andererseits stellt die Fraunhofer-Gruppe ein wichtiges Bindeglied zwischen Theorie und Praxis dar – unsere Verfahren kommen in der Industrie zum Einsatz und nutzen dadurch vielen Patienten. Bildverarbeitung ist mathematisch sehr anspruchsvoll, ist klinisch relevant und man kann sie dem “Mann auf der Straße” erklären. Also ist das doch ganz einfach?

Leider nein. Der Mensch ist für die Bildverarbeitung geschaffen: Für uns ist es kein Problem, in einem Bild einen Bekannten wiederzufinden oder uns die dreidimensionale Form eines Objekts anhand eines zweidimensionalen Fotos vorzustellen. Dazu greifen wir auf jahrzehntelange Erfahrung über unsere Umgebung zurück. Hierdurch können wir abwägen, welche der vielen möglichen Erklärungen für ein zweidimensionales Bild wahrscheinlich und welche weniger wahrscheinlich sind.

Links CT (Bestrahlungsplan), rechts CBCT-Aufnahme kurz vor der Bestrahlung; nach der Registrierung können Objekte des Bestrahlungsplans automatisch im CBCT erkannt werden.Copyright of Fraunhofer MEVIS

Links CT (Bestrahlungsplan), rechts CBCT-Aufnahme kurz vor der Bestrahlung; nach der Registrierung können Objekte des Bestrahlungsplans automatisch im CBCT erkannt werden.

Solche Aufgaben, die wir vollkommen intuitiv lösen können, sind für Computer sehr schwierig, da ihnen dieses Vorwissen vollständig fehlt. Eine spannende (und hochaktuelle!) Frage ist deshalb, wie sich solches Vorwissen mathematisch formulieren lässt, sodass am Ende ein – beweisbar! – funktionierendes Verfahren steht.

Das MIC hat sich auf sogenannte Variationsmethoden spezialisiert. Dabei formuliert man Vorwissen als mathematische Funktion und löst ein darauf basierendes Minimierungsproblem. Die Schwierigkeit dabei ist, einen Kompromiss zwischen Qualität und Rechenzeit zu finden, deshalb kommen Methoden aus vielen Gebieten der Mathematik, Informatik und Statistik zum Einsatz.

Am Ende stehen Verfahren zur Bildregistrierung (wie findet man korrespondierende Strukturen in zwei unterschiedlichen Aufnahmen), zur Bildverbesserung (wie korrigiert man ein verrauschtes oder verwackeltes Bild?), zur Segmentierung (finde den Zellkern im Mikroskopbild), zur Detektion (lokalisiere alle Baumkronen und bestimme deren Typ anhand eines Luftbilds) oder auch zur 3D-Rekonstruktion (bestimme die dreidimensionale Form eines Motorrads anhand zweier Bilder). Zur Illustration zwei Beispiele aus dem klinischen Alltag:

Frühzeitige Diagnose von Lungenkrankheiten

Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) ist eine weit verbreitete Krankheit, weil Rauchen früher „cool“ war: Jährlich sterben mehr als drei Millionen Menschen daran. Bei Erkrankten werden Teile der Lunge nicht mehr richtig belüftet, wodurch die Leistungsfähigkeit stark beeinträchtigt werden kann. Je früher die Krankheit diagnostiziert wird, desto besser sind die Behandlungsmöglichkeiten.

Der aktuelle Diagnosestandard ist die Funktionsmessung der gesamten Lunge durch eine Spirometrie und die Auswertung des ausgeatmeten Volumens. Bei COPD-Patienten sind jedoch häufig nur Teile der Lunge betroffen. Beispielsweise kann dort Luft „gefangen” werden („air trapping“). Andere Bereiche der Lunge können die fehlende Funktion dieser Bereiche kompensieren, so dass ein frühes Stadium der COPD bei einer Gesamtmessung leicht übersehen werden kann. Deshalb ist die Lokalisierung und frühzeitige Diagnose der betroffenen Regionen von großer Bedeutung.

Hier kann die automatische Bildregistrierung eingesetzt werden: Zunächst wird jeweils ein CT-Bild im eingeatmeten und ausgeatmeten Zustand gemacht. Die Aufgabe der Bildregistrierung ist es, eine Transformation zu finden, die die Unterschiede zwischen den Bildern beschreibt. Daraus kann dann die Volumenänderung der Lunge in jedem einzelnen Punkt bestimmt werden und schlecht belüftete Bereiche lassen sich früh erkennen und lokalisieren.

Präzisere Bestrahlung durch Bildregistrierung

Ein weiteres Themenfeld ist die Anwendung von Bildregistrierungsverfahren in der Strahlentherapie. Dieses medizinische Fachgebiet beschäftigt sich hauptsächlich mit der Behandlung von Krebspatienten. Das Ziel der Therapie ist es, das vom Krebs befallene Gewebe mit Strahlung zu beschießen und dadurch abzutöten. Unser Beitrag dabei ist, dass die Therapie gezielter stattfindet: Es soll das gesamte Tumorgewebe und möglichst kein gesundes Gewebe bestrahlt werden.

Der klinische Alltag eines Strahlentherapeuten sieht ungefähr so aus: Er nimmt zunächst ein CT-Bild des Patienten auf, auf welchem er festlegt, welches Gewebe wieviel Dosis im Laufe der Therapie erhalten soll. Über einen Zeitraum von vielen Wochen und in mehreren Bestrahlungsanwendungen wird der Patient so wie im Plan vorgesehen bestrahlt.

Da der Patient jedoch bei jeder Sitzung ein wenig anders im Strahlentherapiegerät liegt als zu Beginn im CT, passt der anfangs erstellte Strahlentherapieplan nicht mehr und muss neu erstellt werden. Um dieses Problem zu umgehen, kann an jedem neuen Behandlungstag ein CT-artiges Bild (Cone Beam Computed Tomography) aufgenommen werden, während der Patient bereits im Strahlentherapiegerät liegt. Mit Hilfe unserer Algorithmen registrieren wir das CT-Bild (mit dem der Plan erstellt wurde) auf das aktuelle Bild des Patienten im Strahlentherapiegerät (siehe Bild). Dies ermöglicht es dem Arzt, einen neuen Strahlentherapieplan zu erstellen, der an die aktuelle Körperlage des Patienten im Gerät angepasst ist. Unsere Verfahren erlauben damit eine gezieltere Therapie des Patienten, und gesundes Gewebe wird weniger belastet.

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