Prof. Dr. Werner Solbach war 20 Jahre lang Professor an der Uni Lübeck und brachte Generationen von Studenten die Mikrobiologie näher.Annika Munko | StudentenPACK.

Prof. Dr. Werner Solbach war 20 Jahre lang Professor an der Uni Lübeck und brachte Generationen von Studenten die Mikrobiologie näher.

20 Jahre ist es her, dass er an die Uni Lübeck kam: Prof. Dr. Werner Solbach, nicht nur Generationen von Medizinstudierenden aus Mikrobiologie-Praktikum oder -Prüfung bekannt. Im September hielt er nun seine Abschiedsvorlesung. Was ihn nach dem Studium in Mainz und wissenschaftlicher Arbeit in Erlangen in den Norden gelockt hat und welche Veränderungen er an der Uni Lübeck miterlebt hat, erzählt er nun im Interview. Darüber hinaus gibt Solbach interessante Einblicke in einige der zahlreichen Ämter, die er innehatte oder weiterhin hat und verrät, womit er in Zukunft gerne noch Zeit verbringen möchte.

StudentenPACK: Sie haben die Mikrobiologie schon im Studium für sich entdeckt – was begeistert Sie daran?

Werner Solbach: Das war im Grunde Zufall: Ich habe meine Doktorarbeit in der Medizinischen Mikrobiologie geschrieben. In meiner Arbeitsgruppe wurde damals mit T-Lymphozyten gearbeitet – Ende der 70er Jahre im letzten Jahrhundert wurden die in Deutschland so gut wie gar nicht erforscht. Meine Aufgabe war es herauszufinden, wie man T-Zellfunktionen durch Antibiotika beeinflussen kann. Dadurch habe ich die Mikrobiologie kennengelernt und festgestellt, dass hinter jeder Infektion ein kranker Patient steht. Diese Schnittstelle zwischen Patient und Erreger hat mir sehr gut gefallen. Das Fachgebiet ist mit den Bakterien, Viren, Pilzen und Parasiten außerordentlich abwechslungsreich. Dies hat mich sehr gereizt. In der Facharztweiterbildung gab es die Versuchung Kinderarzt zu werden. Auch ein tolles Gebiet. Aber im Bereich der Infektionen war es am Ende doch nicht so abwechslungsreich wie die Mikrobiologie, die es ja nicht nur mit Kindern zu tun hat. Ich habe meine Entscheidung nie bereut.

PACK: Was hat Sie vor 20 Jahren nach Lübeck gelockt?

Solbach: Ich hatte irgendwann das Gefühl, es wäre an der Zeit für einen Ortswechsel. Ich erhielt dann gleichzeitig zwei verschiedene Rufe, der eine kam aus Lübeck. Von Lübeck wusste ich ehrlich gesagt nicht so ganz genau, wo es liegt und vor allem nicht, dass es so nah an der damaligen Zonengrenze lag. Ich bin dann mal hier hochgefahren und mir hat nicht nur die Stadt gefallen, sondern ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass das Umfeld hier passt. Ich hatte von den damaligen Kollegen den Eindruck, dass alle an einem Strang ziehen und gemeinsam etwas erreichen wollen. Es gab eine außergewöhnliche „Willkommenskultur“. Außerdem gab es einen Sonderforschungsbereich in Kooperation mit dem Forschungszentrum Borstel und ein Graduiertenkolleg, beide hatten mit Infektionen zu tun. Das waren sehr gute Voraussetzungen und eine starke Motivation, an einem Forschungsschwerpunkt zu Infektionen mitzuarbeiten.

PACK: Was sind die größten Veränderungen, die Sie hier an der Uni miterlebt haben?

Solbach: In der Forschung wurden damals viele Dinge in hanseatischer Tradition mit Handschlag und Vertrauen erledigt. Die Prozesse waren viel weniger formalisiert und es musste nicht alles kleinteilig dokumentiert werden. So wurde beispielsweise den verschiedenen Forschungszentren der Universität der gleiche Anteil des verfügbaren Budgets zugeteilt – das wäre heute undenkbar. Dass heute alles an Kennzahlen festgemacht wird, an deren Erhebung eine Vielzahl von Koordinatoren und Koordinatorenkoordinatoren beteiligt sind und deren Sinn teilweise niemand mehr hinterfragt, das betrachte ich als eine der größten Veränderungen. Es lohnt sich nicht, dem nachzuweinen, aber viele Dinge waren deutlich unkomplizierter.

PACK: Durch Ihr Engagement für die Themen, für die nun mit dem Z.I.E.L. ein zentrales Gebäude geschaffen wird, sind Sie selbst für eine große Veränderung mit verantwortlich. Was erhoffen Sie sich vom Z.I.E.L. für die Zukunft?

Solbach: Ich hoffe, dass das Z.I.E.L. den Forschenden eine fachwissenschaftliche Heimat geben kann. Denn diese Heimat entwickelt sich durch den ständigen persönlichen Kontakt zu Kollegen mit gemeinsamen Interessen am Erkenntnisgewinn. Zwischen CBBM und Z.I.E.L., da wird es eine Tür geben, um diesen Austausch von Wissen zu unterstützen. Wäre ich noch länger hier, dann würde ich versuchen, einen Sonderforschungsbereich für „Metaflammation“ ins Leben zu rufen – zusammengesetzt aus Metabolismus und Inflammation. Dafür haben wir alle Voraussetzungen. Die Leute im CBBM kennen sich mit Gehirn und Hormonen aus und im Z.I.E.L. sitzen die Experten für Entzündung. Lübeck hat also die idealen Voraussetzungen, an diesen Themen zu arbeiten.

PACK: Was ist Ihnen aus der Zeit in Lübeck besonders in Erinnerung geblieben?

Solbach: Unvergessen ist der „Lübeck kämpft“-Sommer. Zu der Zeit, im Mai 2010, war ich noch Dekan der Medizinischen Fakultät. Da las ich morgens in der Zeitung, die Medizin in Lübeck würde geschlossen. Der damalige Präsident, Professor Dominiak, hatte davon auch erst am Abend zuvor erfahren. Nach der anfänglichen Lähmung und einer Phase des Kopfschüttelns kam dann eine unglaubliche Bewegung in Gang, die ich nie vergessen werde. Die Studenten haben uns am Ende den Hintern gerettet: Was da von den Studierenden an Kreativität und Engagement aufgebracht wurde, was den Älteren gar nicht in den Sinn gekommen wäre, das hat allen Kraft gegeben. Der Höhepunkt war damals die große Demonstration mit 14.000 Personen in Kiel. Wir hatten Solidaritätsbekundungen von allen medizinischen Fakultäten Deutschlands und Kollegen weltweit, ausschlaggebend waren am Ende aber die Studenten und die Bevölkerung Lübecks. Einige Lübecker wussten vorher gar nicht, dass Lübeck eine Uni hatte. Wenn ich sehe, was jetzt hier gebaut wird, dann kann man die Diagnose wagen, dass dies ohne die Krise 2010 nicht so gekommen wäre. Alle hatten nach 2010 im Hinterkopf, dass solche Schließungsgedanken jederzeit wiederkommen könnten und wir uns auch deswegen wirklich anstrengen müssen. Auch das ist für mich ein Stück weit Lübeck: Da ziehen dann auf einmal alle an einem Strang.

„Die Studenten haben uns am Ende den Hintern gerettet“, sagt Solbach, der als Dekan der Medizinischen Fakultät auch bei den „Lübeck kämpft“-Aktionen mit dabei war.Thorsten Biet

„Die Studenten haben uns am Ende den Hintern gerettet“, sagt Solbach, der als Dekan der Medizinischen Fakultät auch bei den „Lübeck kämpft“-Aktionen mit dabei war.

PACK: Mit Aktionen wie dem Mibi-Quiz (Geld oder Schein?) am Semesterende haben Sie versucht, dieses für viele trockene, umfangreiche Fachgebiet lebendiger zu gestalten, was Ihnen spürbar Spaß gemacht hat…

Solbach: Ich habe immer gerne Lehre gemacht, das mache ich bis heute gern. Nach dem Physikum wollen die Studenten am liebsten Patienten sehen und möchten nichts über „stinkende“ Bakterien wissen. Aber nach der Hälfte des Semesters merkt man, dass es bei einigen „Klick“ macht, wofür man dieses Wissen doch brauchen könnte. Es hat mir immer Spaß gemacht zu sehen, wie dann plötzlich sehr kluge Fragen gestellt wurden. Ein Quiz „Geld oder Schein?“ zu veranstalten, das ist mir irgendwann mal eingefallen und hat riesigen Spaß gemacht. Es hat in der ganzen Zeit nie jemand das Geld genommen – da hätte man ohne Risiko auch 1000 Euro ausloben können.

PACK: Warum sollte ich als Medizinstudent heute Mikrobiologe werden und welche Eigenschaften sollte ich dafür mitbringen?

Solbach: Weil das Fach sehr vielfältig ist und über viele Jahre die Gelegenheit bietet, sich gemäß den eigenen Präferenzen zu spezialisieren. Ich kenne Mikrobiologen, die kriegen orgastische Gefühle, wenn sie die letzte Windung eines DNA-Schnipsels entdeckt haben, ich kenne aber auch Mikrobiologen, die sich für technische Aspekte, Mikrobiomik oder Epidemiologie interessieren. Und dann gibt es welche wie mich, die interessieren sich für die Reaktion des Patienten auf den Erreger. Das Spektrum ist ganz, ganz breit. Und, das darf man nicht vergessen: Die Freiheit in der Zeitplanung ist enorm, weil man nicht an die Patienten gebunden ist. Auch Teilzeitarbeit ist gut möglich. Wer sich vorstellen kann, nur indirekten Patientenkontakt zu haben, für den ist die Mikrobiologie ein tolles Fach. Ich kann es nur empfehlen.

PACK: Sie gehören der „Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit“ an, die Entscheidungsträger in der Politik mit fachlichen Stellungnahmen unterstützt. Wie viel lässt sich dadurch beeinflussen?

Solbach: In dieser Kommission geht es darum, wie wir gewährleisten können, dass von genveränderten Mikroorganismen keine Gefahr für Umwelt und Gesundheit ausgeht. Da kommt man sehr schnell an die Schnittstelle von Wissenschaft und Ideologie. In Deutschland sind beispielsweise gentechnisch veränderte Lebensmittel verboten, weil die Bevölkerung keine gentechnisch veränderten Pflanzen will und es infolgedessen politisch so gewollt ist. Ich kenne bis heute niemanden, der durch „Gentechnik“ krank wurde. In der Politik gibt es inzwischen große Bemühungen, die umgesetzten Maßnahmen mit Evidenz zu untermauern. Die Kommission äußert sich dann zum Beispiel zu dem Vorhaben, Lachse zu züchten, die doppelt so schnell schlachtreif werden, oder zu Studien mit Influenzaviren, die vorhersehen lassen, dass diese durch die Passage in Mäusen immer virulenter werden. Die Empfehlungen beruhen dabei auf Wissenschaft und den gesammelten Erfahrungen der Kommissionsmitglieder. In der Regel werden diese Empfehlungen angenommen. Das ist viel Arbeit, aber ich sehe es als Beitrag zur Entideologisierung der Debatte. Die Herausforderungen werden mit der Verfügbarkeit ganz neuer Technologien des Genom-editings in naher Zukunft eine ganz neue Dimension annehmen.

PACK: Sie waren der letzte Dekan der Medizinischen Fakultät und haben die Abschaffung der Fakultäten bzw. die Einführung der Sektionen an der Uni Lübeck hautnah miterlebt. Was hat sich dadurch wirklich geändert?

Solbach: Das ist eine sehr schwierige Frage. Bis 2010 war die Struktur an allen medizinischen Fakultäten in Deutschland gleich. Hier in Lübeck gab es dann eine Initiative von Seiten des Uni-Präsidiums, diese Struktur zu ändern, weil der Dekan der medizinischen Fakultät über mehr finanzielle Mittel verfügen konnte als die Universität insgesamt. Das war für das Selbstverständnis der Uni schwierig. Die Idee war dann, die Mittel zusammenzuführen, sodass die Uni das gesamte Budget verteilt. Die Fakultäten wurden aufgelöst und zu Unterausschüssen des Senats, der neue Posten des Sektionsvorsitzenden ersetzte den Dekan. Ein Sektionsvorsitzender heute ist dem Senat und gleichzeitig der Universität gegenüber verantwortlich. Das kann zu Interessenkonflikten führen. Mit dem neuen Hochschulgesetz gehen die Gelder für die medizinische Forschung nun auch nicht mehr an die Uni, sondern direkt ans Klinikum. Neu ist auch, dass der UKSH Vorstand erweitert wurde, um die Interessen von Forschung und Lehre in der Medizin zu vertreten. Dies ist zunächst begrüßenswert und versucht, Versäumnisse der Vergangenheit auszubügeln. Anderswo übernimmt diese Funktion der Dekan, doch wir in Lübeck haben keinen Dekan mehr. Deswegen musste das neue Amt des Vizepräsidenten Medizin geschaffen werden. Dieses Amt bedarf für die konstruktive Ausfüllung einer hohen Kompetenz: Der Vizepräsident Medizin ist der Universität, dem Präsidium und den Kollegen verantwortlich, andererseits ist er mitverantwortlich für das ökonomisch erfolgreiche Agieren des UKSH. Das ist eine schwierige Konstellation. Es gab und gibt zum Beispiel häufig den Wunsch in einem Klinikum, Geld für die Forschung abzuzweigen und es in die Krankenversorgung zu investieren – in diesem Punkt sind die Interessen von Universität und Klinikum sehr schwer miteinander vereinbar. Ich hoffe, dass bald ein geeigneter Kandidat gefunden wird.

PACK: Sie sind Präsidiumsbeauftragter für Forschungsangelegenheiten: Was können Sie jungen Forschenden empfehlen, um Betrug oder Plagiate in der Wissenschaft zu verhindern?

Solbach: Den Forschenden kann ich nur zu Wahrhaftigkeit, Redlichkeit und Vertrauen in der Zusammenarbeit raten, ganz einfachen Prinzipien. Wichtig ist auch Kommunikation, die vermisse ich manchmal auch hier in Lübeck. Da wird jungen Leuten von ihrem Chef „Mach mal, forsch mal!“ gesagt, ohne sie zu betreuen. Wenn dann noch ein Publikations- oder Leistungsdruck dazukommt, kann man, wenn man die entsprechende Persönlichkeit hat, schon mal in Versuchung geraten. Deswegen ist es sehr wichtig, in einer Gruppe angebunden zu sein, in der Probleme diskutiert werden können. Ich kann auch nur für das „near-incident-reporting“ werben: Ein offener Umgang mit Fehlern oder beinahe überschrittenen Grenzen ist wichtig. Für Situationen, in denen man den Verdacht hat, jemand könnte gefälscht haben, gibt es Personen wie den Ombudsmann oder den Vertrauensdozenten, sodass man sicher sein kann, nicht verpfiffen zu werden. Aber der Whistleblower zu sein ist schwierig.

„Nach dem Physikum wollen die Studenten am liebsten Patienten sehen und möchten nichts über ‚stinkende‘ Bakterien wissen“, erzählt Solbach – und auch, warum ihm die Lehre trotzdem immer viel Spaß gemacht hat.Annika Munko | StudentenPACK.

„Nach dem Physikum wollen die Studenten am liebsten Patienten sehen und möchten nichts über ‚stinkende‘ Bakterien wissen“, erzählt Solbach – und auch, warum ihm die Lehre trotzdem immer viel Spaß gemacht hat.

PACK: Sie sind DFG-Vertrauensdozent und unterstützen junge Forscher persönlich, zum Beispiel bei der Antragstellung. Was sind dabei die größten Hürden?

Solbach: Jemand, der seinen ersten Antrag stellt, ist fachlich super informiert und will das verständlicherweise auch alles hinschreiben, aber er kommt oft nicht auf den Punkt. Auch das Wording für solche Anträge muss man sich erst aneignen. Die Anleitung, wie so ein Antrag geschrieben wird, bekommt man am besten von seinen akademischen Lehrern. Holen Sie sich Anleitung aus der Arbeitsgruppe: Gute Anträge kommen aus guten Arbeitsgruppen und in guten Arbeitsgruppen wird miteinander geredet. Gerne berate ich jeden, bevor der Antrag das Haus verlässt und das Dozierenden-Service-Center bietet auch dementsprechende Veranstaltungen an.

PACK: Welche Ihrer vielen Tätigkeiten hat Ihnen am meisten Spaß gemacht und warum?

Solbach: Noch so eine schwierige Frage! Es hat mir immer Spaß gemacht, Menschen aus verschiedenen Forschungsbereichen zusammenzubringen. Und was mir immer viel Freude bereitet hat sind die Studenten. Die Diskussionen mit den Studenten haben mich immer wach gehalten, mit all den klugen Bemerkungen und Fragen. Mir war gar nicht so bewusst, wie viel Erfüllung mir der Kontakt zu den Studierenden gegeben hat das wird mir fehlen.

PACK: Was haben Sie sich für die neu gewonnene Freizeit vorgenommen, wenn Sie der Uni den Rücken kehren?

Solbach: Nun, ich bleibe der Uni noch etwas erhalten. Die Uni ermöglicht mir, für ein weiteres Jahr mein Büro im Haus 2 zu behalten. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich habe auch noch eine ganze Reihe an Ämtern inne, bis nächstes Jahr bin ich zum Beispiel noch Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für antimikrobielle Chemotherapie. Da ist viel zu tun. Eine Sache gibt es aber noch, die mich immer interessiert hat: Ich bin katholisch und frage mich schon lange, wie dieser Bestseller „Bibel“ zustande gekommen ist. Das sind teilweise super Geschichten, die auch aufeinander Bezug nehmen und wenig widersprüchlich sind. Diese Geschichten sind uralt und entstanden zu einer Zeit, in der nur wenige Menschen lesen und schreiben konnten. Wie das bis heute zusammengeht, damit möchte ich mich noch beschäftigen.

PACK: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

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