Am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung wird das Studienprogramm Weiterdenken entwickelt.Birgit Stammberger

Am Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung wird das Studienprogramm Weiterdenken entwickelt.

Ein Gymnasium in Bad Schwartau im Frühjahr 2017. Ein Schüler im Oberstufenkurs Philosophie erzählt, dass er die Türklinke zu seinem Zimmer abmontiert, wenn er seine Ruhe haben will – der Schlüssel sei verloren. Der ganze Kurs lacht laut auf. Aber bald ist es wieder ruhig und alle diskutieren unter der Anleitung von fünf Studierenden der Medieninformatik an der Uni Lübeck konzentriert weiter über den Sinn und Wert von Privatsphäre.

Medieninformatik und Philosophie? Uni Lübeck am Gymnasium? Nein, ein Lehramtsstudiengang wurde nicht eingeführt. Stattdessen wird ein neues Studienprogramm für alle Studierenden der Uni Lübeck aufgebaut: „Studieren in Lübeck heißt Weiterdenken“. Jeder, der an der Uni Lübeck einen Abschluss macht, soll die Chance bekommen, eigene Projekte auf die Beine zu stellen und über den Tellerrand seines Fachs und der Uni insgesamt hinauszuschauen. Doch der Reihe nach.

Die Uni Lübeck steht für Gesundheits-, Lebens-, Technikwissenschaften und Mathematik. Dass diese Themen jetzt bereits enormen Einfluss auf unseren Alltag haben und in Zukunft wohl noch stärker unser Leben bestimmen werden, ist schwer zu bezweifeln. An unserer Uni werden also Expertinnen und Experten von zentralen Zukunftsthemen ausgebildet. Ob mit all den technischen und medizinischen Möglichkeiten in Zukunft verantwortungsbewusst umgegangen wird, werden zum Teil diejenigen entscheiden, die jetzt hier studieren. Das Studienprogramm Weiterdenken hat das Ziel, den Studierenden die Möglichkeit zu geben, sich kritisch, eigenständig und auf hohem wissenschaftlichen Niveau dieser Verantwortung bewusst zu werden. Seminare zu ethischen, erkenntnistheoretischen und – wahrscheinlich – demnächst auch ökonomischen Themen werden für alle Studiengänge angeboten.

Neben der theoretischen Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Themen wird das Studienprogramm Weiterdenken außerdem die Möglichkeit eröffnen, ganz praktisch eigene Projekte auf die Beine zu stellen. Die Gruppe aus der Medieninformatik hat ihre Leistungspunkte für das Seminar „Privatsphäre und digitale Technologien“ zum Beispiel nicht für einen Essay oder eine Klausur bekommen, sondern dafür, einen Workshop an einem Gymnasium durchzuführen. Es war ihre Idee, die sie eigenständig umgesetzt haben – und es hat wunderbar funktioniert. Im Seminar „Ethik innovativer Technologien“ aus dem Bachelorstudiengang „Robotik und autonome Systeme“ haben Studierende eine Podiumsdiskussion zu Robotern in der Pflege organisiert. In Zukunft lässt sich auch an Kooperationen mit den Lübecker Museen, Theatern oder Kinos denken – den Ideen der Studierenden sollen wenig Grenzen gesetzt werden. Größere Projekte sind natürlich finanziell kostspielig. Mit etwas Glück können sie aber in Zukunft aus Mitteln der bundesweiten Förderlinie „Innovative Hochschule“ finanziert werden. Im aktuellen Antrag der Lübecker Hochschulen für dieses Förderprogramm spielt die projektorientierte Lehre eine wichtige Rolle.

Und schließlich soll mittelfristig den Studierenden die Chance gegeben werden, sich im Bereich der Wissenschaftsphilosophie zu spezialisieren. So könnte demnächst ein Masterstudiengang zur Philosophie der Medizin und Lebenswissenschaften eingerichtet werden, oder ein Promotionskolleg lockt den wissenschaftlichen Nachwuchs in diesem Bereich nach Lübeck.

Zunächst einmal geht es aber um die Ausweitung und Vertiefung der vorhandenen Lehre. Ausgehend von dem bereits gut etablierten Angebot des Instituts für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung werden in diesem Sommersemester zum Beispiel Seminare zur Erkenntnistheorie der Big Data Forschung, zur Privatsphäre in Medizin und Lebenswissenschaften und zur Ethik der Forschung angeboten. Das Lehrangebot soll in den kommenden Semestern stetig ausgeweitet werden. Doch schon jetzt können sich Studierende der meisten Studiengänge diese Seminare im Wahlpflichtbereich anerkennen lassen.

Und die Studierendengruppe am Gymnasium in Bad Schwartau? Am Ende waren sie wohl ganz froh, wieder aus der Schule herauszukommen. Aber Spaß gemacht hat es ihnen mit Sicherheit. Außerdem haben sie sich viel intensiver mit dem wichtigen Thema Privatsphäre auseinandergesetzt, als man es wohl für eine Klausur tun würde. Und davon haben nicht nur sie selbst sondern auch noch eine Schulklasse profitiert. Allen Studierenden der Uni Lübeck Lernerfahrungen dieser Art zu ermöglichen, das ist eines der zentralen Ziele des Studienprogramms Weiterdenken.

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