Als beliebter Vorleser füllte Dr. Eggers mit seiner Märchenlesung auch bei der Lesewoche 2014 den Saal.Eva Westermann

Als beliebter Vorleser füllte Dr. Eggers mit seiner Märchenlesung auch bei der Lesewoche 2014 den Saal.

Generationen von Medizinstudierenden kennen ihn inzwischen als den Dozenten, der sie bei ihrem ersten Gang in den Präpariersaal begleitet hat, dort barfuß in Birkenstock-Sandalen herumläuft und in der Neuroanatomie-Vorlesung aus „Das Parfum“ vorliest. Vor mittlerweile einem Jahr ist Dr. Reinhard Eggers in Rente gegangen, nachdem er der Universität jahrzehntelang die Treue gehalten hat – 1974 kam er als Student nach Lübeck, seit 1979 war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Anatomie tätig.

Was ist den Studierenden aus dieser Zeit im Gedächtnis geblieben, was fällt ihnen ein, wenn sie auf ihren ehemaligen Anatomiedozenten angesprochen werden? Ein paar dieser Erinnerungen haben wir zusammengetragen und möchten sie Dr. Eggers – und allen, die manchmal voller Sehnsucht zurück an die Vorklinik denken – nicht vorenthalten.

„Unvergesslich, wie er aus dem Parfum vorgelesen hat! Ich wollte ihn damals adoptieren, als Vorlesegroßvater für meine noch nicht existenten Kinder“, erinnert sich Susi an die Neuroanatomie-Vorlesung zurück. Sie ist nicht die einzige, die sich von Dr. Eggers gerne hat vorlesen lassen: Etliche Anatomie-Tutoren und Demopräparatoren schwärmen davon, wie er bei der Weihnachtsfeier in der Anatomie aus der Feuerzangenbowle vorgelesen hat, mit Zylinder und weißem Schal, bevor er im Anschluss daran die Zubereitung des gleichnamigen Getränks zelebrierte. Und auch als er im Rahmen der Lesewoche 2014 bei Rotwein und Kerzenlicht Märchen vorlas, fanden sich zahlreiche begeisterte Zuhörer.

Denkwürdige Testate

Doch nicht nur fürs Vorlesen ist Dr. Eggers unter den Studierenden bekannt geworden. Berühmt-berüchtigt war er auch für seine Testate, die regelmäßig länger dauerten als an den von anderen Dozenten geprüften Tischen, was sicher nicht nur an der Vorbereitung der Prüflinge lag. Vom ersten Testat an stellte er Fragen, mit denen keiner gerechnet hatte: „Seine scheinbar banalen Fragen wie ‚Was ist ein Muskel?‘ haben uns beim ersten Testat zunächst völlig aus dem Konzept gebracht. Wir hatten uns auf viel speziellere Fragen vorbereitet…“, erinnert sich eine Studentin und einer anderen blieb die Frage “Sagen Sie mal, warum heißt der Atlas eigentlich Atlas?” im Gedächtnis. Auf die Frage folgte die für Eggers‘ Testate nicht unübliche „Stille von gefühlt kosmischer Länge“ vonseiten der Gefragten, bevor sie fragend antwortete, ob das vielleicht mit der griechischen Mythologie zu tun habe. – „Ja aber natürlich!” Auch ich selbst erinnere mich noch gut an mein erstes Testat und die Frage „Kennen Sie einen Bruch, der keine Fraktur ist?“ Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass er auf den Genickbruch hinauswollte, darauf, dass dabei „nur“ die Bänder, die den Dens axis an Ort und Stelle halten, reißen und so zu einer Dislokation führen. Fragen wie diese haben sicherlich viele Studierende verflucht und sich darüber geärgert, nicht das gefragt zu werden, was sie eine ganze Woche lang gelernt hatten – aber durch die um die Ecke gestellten Fragen und die Geduld, die Dr. Eggers im Testat hatte, hatte man nach dem Testat meist noch etwas dazugelernt, worüber man sich sonst keine Gedanken gemacht hätte. Auch aus Anatomie am Lebenden gibt es solche Geschichten. So erzählt Martti von einer dreiviertelstündigen Diskussion darüber, was bei einem Motoneuron im Rückenmark Axon und was Dendrit ist, was ein dendritisches Axon ist und warum es keine axonischen Dendriten gibt. Sein Fazit? „Herrlich war das. Das war noch Philosophie!“

Große und kleine Hilfen

Nicht immer empfanden die Studierenden dabei die Eggers’schen Hilfestellungen als für den Moment hilfreich, wie sich Christopher erinnert: Nach seinen recht bescheidenen Bemühungen, den vestibulookulären Reflex zu erklären, versuchte Eggers, ihn mit dem Hinweis “Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Jäger in der Steinzeit und wollen einen Hirsch jagen, der auf einer Wiese steht” auf die richtige Fährte zu locken. Auch wenn dieser Tipp Christopher im Testat nicht weitergeholfen hat: Jahre später, gefragt nach seinen Erinnerungen an Erlebnisse mit Eggers, wusste er doch noch immer, dass es in dem Zusammenhang um die Blickstabilisierung beim Anpirschen ging.

Für einen im heutigen, alltäglichen Leben nützlichen Hinweis ist eine Studentin, die zum dritten Semester aus Süddeutschland nach Lübeck wechselte Dr. Eggers dankbar: „[Ich hatte] einen Termin bei ihm zwecks Erstellung eines Stundenplans. Er hat mir einen Stundenplan erstellt, der es mir möglich machte, trotz der zwischen den Unis unterschiedlichen Reihenfolge der Fächer alle mir fehlenden Vorklinik-Fächer in einem Jahr zu absolvieren. An anderen Unis ist man da nicht so entgegenkommend. Was mir aber vor allem in Erinnerung blieb, ist, dass ich von ihm erfuhr, dass man mit dem Studentenausweis kostenlos nach Travemünde fahren kann, weil Travemünde ein Stadtteil von Lübeck ist. Vorher kannte ich mich ‚hier oben‘ eigentlich gar nicht aus, er hat sich da sehr väterlich gekümmert.“

Noch schwieriger als der Einstieg ins Studentenleben in einer neuen Stadt sind Prüfungssituationen wie das Physikum, ganz besonders, wenn nicht alles nach Plan läuft: Ein Student, dessen Prüfungsgruppe eigentlich ein anderer Anatomie-Prüfer zugeteilt war, erinnert sich noch lebhaft an den Schreck, den er bekam, als sich herausstellte, dass ebendieser Prüfer kurzfristig ausfiel und durch Dr. Eggers vertreten werden sollte – bei wem, wenn nicht bei ihm, war mit Fragen zur Neuroanatomie zu rechnen, die beim Lernen dummerweise ein bisschen zu kurz gekommen war? Doch auch Eggers schien klar zu sein, dass ein kurzfristiger Prüferwechsel die Studierenden verunsicherte und verschonte sie nicht nur vor speziellen neuroanatomischen Fragen, sondern brachte darüber hinaus Kuchen für alle mit.

Alles für die Lehre

Ob mit Handschuh, Bettlaken oder Papierhandtüchern: Anschauliche Lehre machen, das kann Dr. Eggers. Für das Studienjahr 2005 wurde er mit dem Lehrpreis ausgezeichnetUniversität zu Lübeck

Ob mit Handschuh, Bettlaken oder Papierhandtüchern: Anschauliche Lehre machen, das kann Dr. Eggers. Für das Studienjahr 2005 wurde er mit dem Lehrpreis ausgezeichnet

Immer wieder verwiesen Studierende auch auf die besonders anschaulichen Vorlesungen von Eggers: „Man kann alles mit einem Handschuh erklären, egal ob Hirnhäute oder Muskelbewegungen!“, schreibt uns eine Studentin und etliche andere liefern eine Vielzahl an Beispielen: Wie Eggers mit einem Stock und einem Handschuh die Funktion des Musculus psoas erklärte. Wie er die Magendrehung vorführte, bis der Handschuh zerriss. Wie er den Studierenden mit Papierhandtüchern das Darmgekröse näher brachte. Einmal, so hört man, sei sogar ein Duschkopf mit Brauseschlauch in seine Erklärungen einbezogen worden und Josephine beschreibt, wie er in der Vorlesung mit einem Bettlaken Embryologie erklärte: Er zog es sich über den Kopf und spielte mit seinen Bewegungen die Bildung der drei Keimblätter nach. „Er ist ein fantastischer Dozent und wird mit seinen Birkenstock-Sandalen im Anatomiesaal fehlen!“ Wenig überraschend also, dass Dr. Eggers für das Studienjahr 2005 mit dem Lehrpreis ausgezeichnet wurde.

Nur kurz erwähnt seien an dieser Stelle auch die von den Studierenden immer wieder genannten Bemühungen und Verdienste Eggers‘ um die behutsame Einführung in die Themen Präparierkurs, Körperspende und Tod, die nicht nur schnell Berührungsängste abbaut, sondern auch eine besondere Wertschätzung und Dankbarkeit lehrt: Von seinen einleitenden Worten vor der Präpariersaal-Führung in der Ersti-Woche bis zur Gedenkfeier im vierten Semester begleiten diese Themen die Lübecker Studierenden mit einer Selbstverständlichkeit, die sich nicht nebenbei erklären lässt.

Fest steht: Die Jahrzehnte, die Dr. Eggers an der Universität verbracht hat, haben ihre Spuren hinterlassen – ganz besonders bei den Studierenden.

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