Bildunterschrift: Die Medizinische Hochschule Brandenburg ist nach einem Neuruppiner Apotheker benannt, der seinen Geburtsort im Alter von sieben Jahren für immer verließ und überregionale Bekanntheit mit einem Gedicht über Birnen erlangte. Quelle: Florian Schäffer (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Neuruppin_Am_Alten_Gymnasium_1-3_Altes_Gymnasium.JPG) unter Creative Commons (CC BY-SA 3.0) https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.enFlorian Schäffer

Bildunterschrift: Die Medizinische Hochschule Brandenburg ist nach einem Neuruppiner Apotheker benannt, der seinen Geburtsort im Alter von sieben Jahren für immer verließ und überregionale Bekanntheit mit einem Gedicht über Birnen erlangte. Quelle: Florian Schäffer  unter Creative Commons CC BY-SA 3.0

Seit ich vor fünf Jahren anfing, in Lübeck zu studieren, sind in Deutschland vier neue Studienorte wie Pilze aus dem Boden geschossen, weitere sind in Planung. So wird ab 2018 auch Augsburg eine medizinische Fakultät beherbergen. An keinem dieser Orte kann man jedoch „normal“ Medizin studieren, sondern es werden reformierte Formen und neue Modelle des althergebrachten Studiums ausprobiert. Grund genug mal einen kleinen Blick über den Tellerrand zu werfen.

Medizin studieren kann man – klar – in Lübeck. Daneben ist das in Deutschland aber noch an 39 anderen medizinischen Fakultäten möglich. Um eine möglichst vergleichbare Ausbildung zu gewährleisten, regelt die Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) bundeseinheitlich fast alles, was mit der Ausbildung zu den akademischen Heilberufen zu tun hat. Ihre Vorgänger entstanden bereits im vorletzten Jahrhundert, ihre aktuelle Version wird im nächsten Jahr immerhin 15 Jahre alt. Falls ihr euch mal gefragt habt, warum es für das Chirurgie-Praktikum inklusive zwei Semester Vorlesung nur einen, für das zweiwöchige Sozialmedizinpraktikum aber ganze fünf einzeln benotete Scheine gibt, wisst ihr jetzt, wo ihr das nachlesen könnt.

Es wäre aber falsch zu denken, dass deshalb das Medizinstudium in Deutschland überall gleich abläuft. 16 der 40 Ausbildungsstandorte bieten sogenannte Modell- oder Reformstudiengänge an, die – meist zeitlich befristet – von dem üblichen Ausbildungsmodell abweichen. Hierbei wird zum Beispiel versucht, das Studium praxisorientierter auszulegen oder das Lehrsystem weg vom Frontalunterricht zu orientieren. Hier bietet zum Beispiel die private medizinische Fakultät der Uni in Witten/Herdecke einen Modellstudiengang an, der den Fokus auf das Problemorientierte Lernen (POL) legt, ein zentrales Element vieler Modell- und Reformstudiengänge, das Lübecker Medizinstudenten aus dem Fach „Klinische Umweltmedizin“ kennen. Die Idee klingt sinnvoll: Anhand beschriebener Symptome können in Kleingruppen Patientenfälle mit Differentialdiagnosen verschiedener Fachrichtungen erarbeitet werden. Also so, wie es im klinischen Alltag auch passiert. Ein weiterer Schwerpunkt wird hier auf das „Bedside-Teaching“ gelegt, also den Unterricht direkt am Krankenbett, der längst auch in Regelstudiengängen wie in Lübeck Einzug gehalten hat.

Auch die vorklinische Ausbildung ist Teil ständiger Reformen, wobei hier auch staatliche Fakultäten wie Aachen, Köln oder Hannover so weit gehen, gänzlich auf die Teilnahme am zentral geprüften Physikum zu verzichten und stattdessen äquivalente Einzelprüfungen anbieten. Oft werden statt einzelner Fächer wie Anatomie, Biochemie, oder Physiologie Module unterrichtet, in denen beispielsweise alle Aspekte eines Organs von der makroskopischen bis zur molekularen Ebene zusammenhängend betrachtet werden. Solche Abweichungen zu den Regelstudiengängen sorgen dafür, dass die Entscheidung für einen Reform- oder Modellstudiengang meist eine endgültige ist. Die verschiedenen Curricula erschweren die Anrechnung von Scheinen anderer Unis oder aus dem Ausland und damit einen Wechsel des Studienortes.

Ein verhältnismäßig junges Phänomen ist die Gründung privater medizinischer Fakultäten in Deutschland zum Teil als Tochteruniversitäten europäischer Institutionen. So studieren seit 2013 pro Semester 24 Studenten, die eigentlich an der University of Southampton immatrikuliert sind, an der Kassel School of Medicine. Der Unterricht ist bilingual und findet teils in England, teils in Kassel statt, als Abschluss dient nicht etwa das Staatsexamen, sondern der britische Bachelor of Medicine/Bachelor of Surgery, der EU-weit anerkannt wird und nach einem Anerkennungsjahr die deutsche Approbation (die Erlaubnis, einen Heilberuf ausüben zu dürfen) ermöglicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Asklepios Campus Hamburg, der seit 2008 Studenten der Semmelweis Universität Budapest und weiterer ungarischer Fakultäten ausbildet, und der erst zwei Jahre alten Paracelsus Medizinischen Universität Nürnberg, einer Tochter der gleichnamigen Salzburger Universität. Beide verleihen ihren Absolventen ein sogenanntes Berufsdoktorat. Das bedeutet, der Abschluss des Studiums berechtigt direkt zum Führen des Titels „Dr. med. univ.“ ohne dass eine gesonderte Promotion erforderlich ist. Letztere prüft ihre Studenten mit der amerikanischen Zulassungsprüfung für Ärzte, deren erster Teil neben den Physikumsinhalten außerdem noch Mikrobiologie, Pathologie und Pharmakologie abprüft. Geschenkt gibt’s dort also auch nichts, auch nicht in finanzieller Hinsicht. Ein Studium an einer privaten medizinischen Universität in Deutschland kostet mindestens 50.000 Euro, oftmals werden Finanzierungsmodelle oder Stipendien angeboten, sollte man sich verpflichten, nach erfolgreicher Ausbildung auf bestimmte Zeit an den angebundenen Kliniken in der Region zu bleiben.

Zum Sommersemester 2015 immatrikulierten sich 48 Studierende an der bisher jüngsten Medizinischen Hochschule Brandenburg Theodor Fontane in Neuruppin, die gleichzeitig die erste medizinische Universität des Bundeslandes darstellt. Ihre Gründung soll den lokalen Ärztemangel verringern, die Studiengebühren liegen für die Mindeststudienzeit bei über 100.000 Euro.

Mittlerweile verschwimmen die Grenzen zwischen Regel- und Modellstudiengängen. So gibt es in Lübeck beispielsweise mit dem tüftl ebenfalls ein Trainingszentrum für praktische Fertigkeiten, Kleingruppenunterricht, Problemorientiertes Lernen und Seminare über Gesprächsführung. Ist die Ausbildung in Modellstudiengängen trotzdem besser? Die Ergebnisse im Staatsexamen sind zumindest ähnlich. Werden aus Studierenden neuer Studiengänge bessere Ärztinnen und Ärzte? Diese Frage wird sich kaum beantworten lassen, schon weil jeder eine etwas andere Vorstellung davon haben dürfte. Auch die Regelstudiengänge gehen mit der Zeit und entwickeln sich weiter, punkten aber gleichzeitig mit Erfahrung. Nichtsdestotrotz sind derartige Experimente meiner Meinung nach zwingend notwendig, um die Ausbildung stetig zu verbessern und den rasanten Entwicklungen in der Medizin gerecht zu werden.

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