Nachdem in Lübeck fast 30 Jahre lang nur die Medizin gelehrt wurde, wurde an der Medizinischen Universität zu Lübeck ein weiteres Fachgebiet in die Hochschullehre integriert, welches vor einem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiern konnte. Mit der Informatik begann der Aufbau eines neuen, naturwissenschaftlichen Studienbereichs in Lübeck, der sich als Muster für viele weitere Studiengänge etablieren konnte. Wie alles andere in der Welt geschieht eine solche Entwicklung aber nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt.

Die Gründung

Den ersten Schritt tat Professor Pöppl, als er den Diplomstudiengang Informatik mit Nebenfach Medizinische Informatik zum Wintersemester 1993/1994 ins Leben rief. Prof. Volker Linnemann, der bis zum April dieses Jahres Leiter des Instituts für Informationssysteme war, erinnert sich: „Ich war damals der einzige Rufinhaber, der bereits im Wintersemester 1993/1994 seine Tätigkeit an der Universität in Lübeck begonnen hat, zeitgleich mit den ersten Informatik-Studierenden.“ Als Student hatte er bereits 1972 die Einführung eines neuen Studienganges direkt miterlebt. „Jetzt hatte ich die Möglichkeit, den Start eines Informatikstudienganges aus Professorensicht zu erleben. Deshalb war es mir wichtig, von Anfang an dabei zu sein.“. Trotz anfänglicher Provisorien wie der Unterbringung in der alten Seefahrtsschule gelang es, einen Vorlesungsplan mit Linearer Algebra, Analysis und medizinischen Transferbereichen auf die Beine zu stellen. Um sich untereinander abzusprechen, gab es monatliche Professorentreffen: „Diese Treffen fanden zunächst immer in einem China-Restaurant in der Nähe des damaligen Informatik- und Mathematikstandortes ehemalige Seefahrtschule statt. Da es manchmal etwas hoch herging, wurden die Treffen dann in die Universität verlegt.“.

Mit der Vorlesung „Einführung Informatik I“ begann schließlich an einem Donnerstag die erste Informatik-Veranstaltung. Im Beamer-losen Hörsaal H1 traten sich Linnemann und etwa 20 Studenten gegenüber. Doch auch ohne solche Präsentationsmittel lassen sich gute Vorlesungen halten: „Die Vorlesungen selbst waren sehr gut und genau auf uns Informatikstudierende abgestimmt“, erinnert sich Helge Illig, der damals als erster Informatikstudent im Hörsaal saß und bis heute die Universität als Betriebsleiter des IT-Service Centers begleitet. „Wenn wir etwas nicht verstanden haben, wurde das in der Vorlesung sofort geändert.“

Nicht zuletzt von den Studenten gab es in diesen ersten Jahren eine Menge zu tun. „Als ich anfing war das Meiste Aufbauarbeit.“, so Illig. Er gründete mit einigen Kommilitonen die erste Informatik-Fachschaft und engagierte sich im Konvent und den Berufungskommissionen. „Es war nicht zuletzt auch recht lustig, mal nicht von den Professoren bewertet zu werden, sondern stattdessen ihre Bewerbungen an der Universität entgegen zu nehmen. Zur Abwechslung wollten die dann einmal was von uns!“ Auch an die Reaktion der Medizinstudenten auf „die Neuen“ erinnert er sich: „Die Reaktion war eher: Was sind denn das für komische Leute, die nur am Computer sitzen?“ Da auch die Seefahrtsschule nur einen begrenzten Raum für die wachsende Anzahl an Instituten bieten konnte, war sie bereits durch das Institut für Informationssysteme, das Institut für Mathematik und das Institut für Theoretische Informatik unter der Leitung von Herrn Professor Reischuk gut gefüllt, woraufhin sich die Uni noch weiter verteilte. So siedelten sich die Softwaretechnik und das Institut für Multimediale und Interaktive Systeme im Technikzentrum auch fernab des Campus an, während andere Institute hinter der damals noch vorhandenen Herrenbrücke angesiedelt waren. Für alle Beteiligten bedeutete dies jedes Mal einen zusätzlichen Aufwand, um zu einem der insgesamt vier verschiedenen Standorte der Mathematik und Informatik zu gelangen. Ein Gebäude für alle auf dem Campus musste her.

Ein neues Heim

Die Planung für diesen ersten großen Meilenstein der Informatik in Lübeck, den Bau des Informatik-Gebäudes 64, begann tatsächlich schon weitaus früher. „Als ich 1993 angefangen habe, hieß es vom Kanzler noch: ‚Das dauert ein Jahr, dann wird gebaut.‘ Es hat dann mehr als sechs Jahre gedauert, bis im Februar 2000 der erste Spatenstich für das Gebäude vollzogen werden konnte.“ Schon zu seiner Berufung habe Linnemann Unterlagen über die Gebäudefläche erhalten. „Endlich einziehen konnten wir dann aber erst im März 2004“. Helge Illig, der für die Universität bei der Planung der Infrastruktur und des Datennetzes im Neubau mitwirkte, musste nach der Errichtung feststellen, dass bei der Planung der Neubau als Bürogebäude entworfen wurde und damit kein Platz für raumergreifende Server angedacht war. „Es ist sehr verwunderlich, wie so etwas bei der Planung einfach vergessen werden konnte.“, so Illig. Um die Infrastruktur dennoch unterbringen zu können, sind bis heute mehrere Büroräume durch Server besetzt und können nicht genutzt werden.

Ein Meilenstein der Informatik: Das Gebäude 64.Lukas Ruge | StudentenPACK.

Ein Meilenstein der Informatik: Das Gebäude 64.

2009 mussten sich die Bewohner des Neubaus dann mit einem weiteren Problem auseinandersetzen. Schon bei der Entwicklung war geplant gewesen, das Gebäude aufzustocken, wenn es einmal zu klein werden würde. Linnemann sagt über die Zeit der Baumaßnahmen für das dritte Stockwerk: „Die Zeit dieser Erweiterung war für die Mitarbeiter im Gebäude 64 alles andere als schön.“ Insbesondere der Baulärm war eine Belastung, der sich die Mitarbeiter fast täglich aussetzen mussten. „Man konnte nicht telefonieren, man konnte keine Besprechungen machen, man konnte bei dem Lärm auch keine Klausuren schreiben, weil es bei dem Baulärm fast unmöglich war sein eigenes Wort zu verstehen, geschweige denn sich zu konzentrieren.“, so Illig. Entsprechend fielen die Reaktionen der Mitarbeiter im Neubau auf Präsident Dominiaks vielzitierte Aussage „Baulärm ist der schönste Lärm“ eher verhalten aus, wie Illig berichtet: „Ich habe den Spruch gehasst und da war ich auch nicht der einzige. Man kann das gut sagen, wenn man weit weg sitzt. Herr Dominiak war zuerst als Lehrstuhlinhaber in der Pharmakologie und später als Präsident im Herrenhaus oder im Haus 1 und 2 schließlich immer weit weg von der Baustelle. Ich glaube er hätte den Spruch nicht gesagt, wenn er hier im Gebäude gesessen hätte.“ Allen Widrigkeiten zum Trotz steht seit September 2011 ein Gebäude, in dem die Informatik ihren Platz gefunden hat. Und die Tatsache, dass dieses Gebäude nun steht, ist alles andere als negativ: „Es ist natürlich schön, wenn man neue Gebäude bekommt.“ Alte Gebäude besäßen zwar ihren Charme, aber wenn man einen Blick auf die Kieler Universität werfe, fiele einem schnell auf, dass neue Gebäude doch besser genutzt werden können, so Illig.

Es wird weiter wachsen

Mittlerweile zieren erneut Baustellen an vielen Stellen den Campus. Eine Entwicklung, die sich nach Ansicht Illigs fortsetzen wird: „Die Schritte für diese Erweiterungen insbesondere im Life Science Sektor werden durch die bereits vorgenommene Gründung des BioMedTec-Campus und die Kooperation mit der Fachhochschule weiter voran getrieben. Die Uni wird damit noch weiter aufblühen. Nicht zuletzt unterstützt auch die Stiftungsuni diesen Weg, indem von außen Stifter hinzukommen und Förderungsmaßnahmen durchgeführt werden können. Ich denke, dass wir in Zukunft gestärkter und besser dastehen werden als heute.“ Eine Perspektive, die sich auch in den Studiengängen niederschlagen wird. So könne laut Prof. Linnemann davon ausgegangen werden, dass sich die bereits in den letzten Jahren durchgeführte Aufspaltung der Informatik in immer mehr Teildisziplinen wie die Medizinische Informatik, die Medieninformatik oder den Masterstudiengang Entrepreneurship in Digitalen Technologien fortsetzen wird: „Heute umfasst die Informatik wesentlich mehr, sodass man das nicht mehr alles in einen Studiengang packen kann. Deshalb wird diese Spezialisierung so weitergehen. Es kann sogar gut sein, dass es irgendwann keinen Kerninformatik-Studiengang sondern nur noch spezialisierte Informatikstudiengänge gibt. Das ist eine Konsequenz der immer größer werdenden Stofffülle.“

Und noch etwas konnten wir über die Uni in Erfahrung bringen: Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass das Gebäude 64 um 90 Grad gedreht gebaut werden sollte. Dieses Gerücht wurde vor allem durch die Sonnenschutzrollläden an der Außenseite genährt, die aus irgendeinem Grund Richtung Norden ausgerichtet sind. Tatsächlich steht das Gebäude aber richtig so, wie es steht. Und das Anbringen der Rollläden wurde nur nicht ganz genau durchdacht.

Man kann auf die nächsten 20 Jahre also nur gespannt sein.

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