„Eine Stadt sieht gelb“ – überall steht es: auf Plakaten in und vor den Hörsälen, aufgeklebt auf Laptops älterer Studenten, im Klinikum an der Tür und man kann sogar eine Vitrine im Vorklinikum entdecken, die ganz in Gelb gestaltet ist. Schaut man genauer hin, entdeckt man immer wieder den Slogan „Lübeck kämpft für seine Uni“. Scheinbar jeder hier auf dem Campus weiß darüber Bescheid – na ja, nicht ganz. Wir „Erstis“ haben davon eher weniger Ahnung.

Tausende Protestanten durchziehen die Kieler Innenstadt

“Tausende Protestanten durchziehen die Kieler Innenstadt”[media-credit name="Thorsten Biet" align="aligncenter" width="640"]


Gerade neu angekommen an der Universität zu Lübeck und in der Stadt Lübeck selber, kenne ich zwar Lübeck nach ein paar Wochen schon relativ gut und finde mich in der Uni schon erstaunlich gut zurecht, aber mit der Geschichte der Uni habe ich mich natürlich noch nicht detailliert befassen können.

Diese Sache macht mich neugierig. Schon in unserer Vorwoche erzählen immer wieder Professoren und Studenten höherer Semester davon, wie toll Lübecks Uni ist und dass wir Glück haben, dass sie 2010 nicht geschlossen wurde. Wenn ich Studenten danach frage, was die Plakate denn zu bedeuten haben, erlebe ich die unterschiedlichsten Reaktionen. Die einen sind total genervt – „Nicht schon wieder. Langsam hängt mir das Thema echt zum Halse raus“ – und andere erzählen mir, dass die Uni Lübeck von der Regierung geschlossen werden sollte und Studenten, Professoren, Ärzte und sogar viele Bewohner Lübecks demonstriert hätten. Es scheint wohl eine große Aktion gewesen zu sein, aber so ganz genau kann ich mir immer noch nicht vorstellen, was da passiert ist.

Als ich das nächste Mal an der Vitrine vor V1 vorbeikomme, werfe ich mal einen Blick hinein. Ich muss schon zugeben, die Fotos beeindrucken mich. Studenten, so weit das Auge reicht, alle in gelb, alle haben T-Shirts an mit der Aufschrift „Ich kämpfe für die Uni Lübeck“. Plakate werden in die Höhe gehalten, große Banner und Luftballons. Die Atmosphäre ist sogar allein anhand der Fotos zu spüren, die Gemeinschaft, die von diesen Menschen ausgestrahlt wird.

Im Internet werde ich weiter fündig. Nicht nur bei Facebook finde ich die Gruppe „Lübeck kämpft für seine Uni“, sondern stoße bei Google sogar auf eine eigene Webseite: www.luebeck-kaempft.de. Die schaue ich mir erstmal genauer an und werde mit Informationen überhäuft. Im Mai 2010 verkündete die damalige Landesregierung in Kiel die Schließung des Medizinstudiengangs an der Universität zu Lübeck. Ohne den Medizinstudiengang hätte aber wohl die ganze Universität schließen müssen.

Bereits fünf Jahre zuvor war der Regierung die Idee gekommen, die Universitäten Kiel, Lübeck und Flensburg aus finanziellen Gründen zusammenzulegen, woraufhin Univorsitzende, Bürgermeister und viele mehr Widerstand ankündigten und die Studenten der Fachhochschule, Musikhochschule und der Uni einen Demonstrationszug durch die Stadt machten. Zu diesem Anlass entstand auch die eigene Webseite luebeck-kaempft.de. Kurze Zeit später wurden die Pläne der Zusammenlegung damals jedoch niedergelegt und es wurde versichert, dass die Universitäten selbstständig bleiben würden.

Am 25. Mai 2010 wurde die Uni dann erneut bedroht. Aus finanziellen Gründen sollten der Medizinstudiengang geschlossen und dafür der mathematisch-naturwissenschaftliche Zweig der Universität gestärkt werden. Es hieß, schon ab dem Wintersemester 2011/12 würden keine Medizinstudenten im ersten Semester mehr in Lübeck immatrikuliert werden.

Nachdem der erste Schock für die Studenten und Professoren der Uni überwunden war, wurde sofort gehandelt. Der AStA organisierte Versammlungen und die Widerstandsbewegung wurde immer weiter ins Rollen gebracht. Plakate wurden überall in der Stadt verteilt, Professoren hielten ihre Vorlesungen außerhalb Lübecks ab, um das Zeichen zu setzen: Wenn ihr uns nicht haben wollt, gehen wir eben woanders hin. Weitere Protestveranstaltungen aller Art – ob Sommerfest, Blutspenden oder Mediziner-Party, alles stand unter dem Motto: Lübeck kämpft für seine Uni. Wir kämpfen für unsere Uni.

Zitate aus Interviews über "Lübeck kämpft"

Zitate aus Interviews über “Lübeck kämpft”[media-credit id=155 align="aligncenter" width="640"]


Der Höhepunkt der Protestbewegung war die Demonstration in Kiel, von der auch die meisten Bilder zu finden sind. Am 16. Juni kamen geschätzt 14.000 Menschen vor das Kieler Landeshaus, um gegen die Schließung der Uni zu demonstrieren. Ein Sonderzug aus Lübeck brachte Studenten, Professoren, Beschäftigte der Universität und viele Bewohner Lübecks nach Kiel. Auch aus den umliegenden Regionen wie Hamburg, Flensburg und Lüneburg kamen Demonstranten um gemeinsam friedlich zu protestieren und den Reden zuzuhören, die dort gehalten wurden.

Daraufhin gab es in den folgenden Tagen immer wieder Konferenzen beispielsweise mit dem damaligen Wirtschaftsminister Jost de Jager und Podiumsdiskussionen zwischen dem Univorsitz und der Regierung. Viele Politiker und Bürger sprachen sich offen gegen die Schließung des Medizinstudiengangs aus und auch Unternehmen aus Lübeck und Umgebung warnten vor der Schwächung ihrer finanziellen Lage durch die Schließung. Am 25. Juni 2010 legte die Universität der Landesregierung ein alternatives Sparkonzept vor, das daraufhin auch bei einer Pressekonferenz besprochen wurde.

Die Proteste wurden mit der Zeit auch über die Region Schleswig-Holsteins hinaus bekannt – so etwas wie hier gab es bisher wahrscheinlich in keiner deutschen Stadt. So gelangte die Nachricht auch bis nach Berlin, wo zuvor auch schon eine Vorlesung abgehalten worden war. Und aus Berlin kam schließlich die Rettung: Bundesforschungsministerin Anette Schavan, die sich schon früher gegen die Schließung der Uni Lübeck ausgesprochen hatte, ermöglichte es, dass das damalige Kieler Meeresforschungsinstitut Geomar, heute ein Helmholtz-Institut, bundesfinanziert wurde. Dadurch hat das Land Schleswig-Holstein eine Menge Geld gespart, das dann nach Lübeck in die Universität fließen konnte. Mit dieser Lösung umging man legal und einfach das Finanzierungsprogramm und die Universität wurde nicht geschlossen oder privatisiert – die Universität zu Lübeck behielt ihre Selbstständigkeit.

Nachdem ich jetzt so viel darüber erfahren habe, aus dem Internet, alten Zeitungsartikeln, von Fotos und nicht zu vergessen dem Buch „Eine Stadt sieht Gelb – Wie Lübeck seine Uni rettet“ kann ich nur sagen: Wir Erstis haben, ohne es gewusst zu haben, Glück gehabt, dass wir heute an dieser wunderbaren Uni Medizin studieren dürfen. Nachdem ich die Bedeutung der gelben Plakate und Erinnerungsbilder so genau kenne, weiß ich es umso mehr zu schätzen und kann verstehen, dass auch jetzt noch so viel davon berichtet wird.

Noch keine Kommentare, sei der Erste!