Ich stehe an einer Bushaltestelle. Vor mir hängt in bedrohlicher Manier der Busfahrplan. Ich schaue mich um – Leere. Doch der Plan mit seinen Zeichen, Zeiten, Linien und das Bushäuschen mit seinen Menschen, Gesprächen und vor Allem der feindseligen Stimmung, die ach so häufig vom Stadtverkehr erzeugt wird, sind an sich von keiner Abwesenheit geprägt. Sobald man die Kulisse jedoch in gewohnter bürgerlicher Manier betrachtet, wird die Umgebung plötzlich nach den eigenen Maßstäben geordnet und nach persönlichen Bedürfnissen sortiert. In dieser geordneten Form sollte sich eigentlich die gewohnte Silhouette des maßgeblichen und essentiellen Beförderungsobjektes abzeichnen. Doch der Bus fehlt. Die Zeit vergeht. Die Welt um mich scheint sich zu verlangsamen – Eine Zwei.

Ich versuche den Gedanken an Schlemihl aus der Sesamstraße zu verdrängen, der mir eine Zwei aus dem Inneren seines Mantels verkaufen will. Erleichtert steige ich als Einziger in den fast leeren Bus. Die Masse an Studenten und Schülern hinter schaut mir sehnsüchtig nach. Nach einiger Zeit sehe ich die Altstadt an mir vorbeiziehen. Wieder einmal frage ich mich, wer die Verkehrsführung, das Liniennetz und vor allem die Zeiten, in denen die Busse entweder schon abgefahren oder noch ewig im unerkennbaren und undurchschaubaren Limbo der vorherigen Stationen verweilen, erdacht hat. Die einzige logische Erklärung scheint ein Goldfischbecken zu sein, aus dem die Vorsitzenden des Stadtverkehrs mit Zahlen und Haltestellen beschriftete Fische ziehen. „Bus Nummer Zwei. 13:27 Uhr fährt zum Bornkamp, aber jede Stunde auch einmal in die Sudetenstraße und kehrt dort sofort wieder um!“. Ich beschließe meine Theorie dem Stadtverkehr zukommen zu lassen und plane mich anzubieten die Fische selbst zu beschriften.

Eine Weile später sehe ich wieder die Türme der Altstadt. Diesmal vor mir. Ich verlasse den Bus an der nächsten Haltestelle. Wieder stehe ich vor einem Fahrplan. Wahrscheinlich bin ich einer großen Verschwörung auf der Spur. Wahrscheinlich ein kapitalistischer Plan der Verkehrsbetriebe den Kunden von jedmöglichem Komfort oder Ruhe zu befreien. Möglicherweise ist es nicht einmal der Plan des Stadtverkehrs selbst, sondern ein Plan von ganz oben. Eine Organisation, die alle Verkehrsmittel steuert. Der Berliner Flughafen erscheint vor meinem geistigen Auge – ein Netz aus labyrinthartigen Gängen, in die Luft zeigenden Notausgangsschildern, und Rauchmelder im Boden. „So schön wie ein Flughafen“ würde Douglas Adams sagen. Wir werden uns nicht mehr frei bewegen, sondern ständig nur noch auf den Bus warten.

Ich halte mich selbst für verrückt. Ich drehe mich wieder um und blicke auf die Straße. Der Bus hat hinter mir gehalten und ist weitergefahren. Ich sehe ihn am Horizont verschwinden. Ein Mann im grauen Anzug und Schlapphut dreht sich zu mir. Er kramt in seinem Aktenkoffer. Der Bus ist nicht mehr zu sehen. Vor mir stürmt eine Horde bemalter Goldfische über die Straße. Ich falle zu Boden. Lächelnd blickt der Anzugmann zu mir herab: „Darf ich ihnen einen Gutschein für den BER anbieten?“

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