Im Jahre 1241 schloss die Hafenstadt Hamburg mit einem ihrer Handelspartner einen neuen Bund, die Hanse. Er sollte der wirtschaftlichen Stabilität des Handels und der militärischen Sicherung der Interessen dieser beiden Städte dienen. Als Mittelpunkt der Nord-Süd-Handelsrouten zwischen Lüneburg und Bergen sowie der West-Ost-Handelsachse zwischen London, Brügge und St. Petersburg lag von da an mehrere hundert Jahre der Mittelpunkt der Welt: Lübeck. Bis zur Entdeckung Amerikas sonnte sich die Stadt in Reichtum und Wohlstand, bewundert und geschätzt von der gesamten damals bekannten Welt als „Königin der Hanse“. In ihrer Blütezeit umfasste die Hanse über 200 Städte im gesamten baltischen Raum sowie in den Niederlanden und Großbritannien, die sich regelmäßig zum Hansetag in verschiedenen Städten trafen, um zukunftsweisende Entscheidungen für das Bündnis zu fällen. Nach der Entdeckung Amerikas verschoben sich die Handelsinteressen nach und nach Richtung Westen, die Hanse geriet in Vergessenheit. Zu schade, dachte sich die Hansestadt Zwolle 1980 und lud die Hansestädte der Welt ein, gemeinsam mit einem Fest an diese Zeit zu erinnern – die Geburtsstunde des Hansetags der Neuzeit.

Vom 22. bis zum 25. Mai lud nun Lübeck zum 34. Internationalen Hansetag der Neuzeit ein. Recht gutes norddeutsches Wetter begleitete diese vier Tage und gab den erwarteten 400.000 Besuchern einen Eindruck dieses längst vergangenen Bündnisses. Auch uns vom StudentenPACK hat interessiert, was die „Königin“ nach über 750 Jahren noch zu bieten hat, sodass wir uns für euch umgeschaut haben. Neben den zahlreichen Buden der Hansestädte in der Innenstadt, dem mittelalterlichen Dorf rund um den Dom, Band-Auftritten und interessanten Stadtführungen war nämlich noch einiges mehr los…

Auf dem Seeweg nach Lübeck

Wie zur Blütezeit der Hanse fahren zahlreiche Koggen und weitere historische Schiffe nach Lübeck, im Mai jedoch nicht um Waren zu liefern, sondern um im Rahmen einer großen Festveranstaltung vor der offiziellen Eröffnung des Hansetags gemeinsam in den Hafen einzulaufen.

Weil die „Lisa von Lübeck“ bereits ausgebucht war, gehen zwei von uns in Travemünde an Bord der Kieler Hansekogge. Bei völliger Flaute fahren wir der Lisa hinterher die Trave herauf. Alles an Bord, bis auf die Steuerung des Elektromotors, sieht aus wie im Geschichtsbuch. „Es ist einfach ganz anders als andere Schiffe“, erzählt Kapitän Michael Oorgzey. „Und Aktionen wie der Hansetag sind für mich einfach reizvoll.“ Dann wendet er sich ab und gibt Befehl zum Umbrasten, also zum Umschwenken des Segels um den Mast. Seit 2001 fährt der gebürtige Kieler das nach historischen Funden gebaute Schiff. Als Berufssegler und Bootsbauer sei es für ihn sehr viel schöner an Bord der Kogge zu fahren als mit einem modernen Schiff.

Auf dem Weg entlang der Trave gibt es nur wenig Ansehnliches, verfallene Fabrikhallen, Kies- und Verladehäfen großer Frachtschiffe dominieren die Szenerie. Und dennoch: In immer kleiner werdenden Etappen stehen lachende und winkende Menschen am Ufer. Einige haben Banner bei sich, auf denen „Schlutup grüßt das Hansevolk“ steht. Ich bin beeindruckt, wie sehr die Menschen an diesem Ereignis teilhaben und den Gästen einen unvergesslichen Empfang bereiten wollen. Etwa drei Stunden nach der Abfahrt passieren wir dann die Eric-Warburg-Brücke. Am Strandsalon und gegenüber an der Hafenstraße stehen bereits unzählige Menschen und jubeln den einfahrenden Schiffen zu. Als die Lisa angekündigt wird brandet Applaus auf: Die Königin der Hanse empfängt ihr Schiff.

Maritimes ohne Ende

Auch die „Maritime Meile“ hat neben Fressbuden einiges zu bieten: Im Museums- und im Hansahafen haben sich Schiffe aller Art versammelt. Neben den Hansekoggen ist die „Alexander von Humboldt II“ der Star am Anleger. Die meisten Schiffe können besichtigt werden und es finden sich überall hilfsbereite Besatzungsmitglieder, die gern das ein oder andere erklären. Irgendwo vor mir singt ein Shantychor Seemannslieder. Meine Anwesenheit an der Promenade senkt das Durchschnittsalter um ungefähr fünf Jahre. Herrlich.

Auch Traditionsschiffe wie die schon 60 Jahre alte „Roald Amundsen“ laden zur Besichtigung ein. Gebaut wurde sie 1952 in der DDR. „Damals trug das Schiff noch keine Masten“, erzählt mir ein junges Crewmitglied und ergänzt als ich etwas verwirrt gucke, dass das Schiff damals als Tank- und Versorgungsschiff der Nationalen Volksarmee verwendet worden sei. Nach dem Zerfall der DDR wurde das Schiff verkauft und von den neuen Eignern zur Brigg umgebaut – es bekam also endlich seine zwei Masten.

Mittlerweile hält der Verein „LebenLernen auf Segelschiffen e.V.“ das Schiff in Schuss und bietet auch für Segelunerfahrene vier bis 20 Tage lange Törns an. Die „Trainees“, wie die segelunerfahrenen Mitreisenden genannt werden, sind dabei in die Abläufe an Bord mit eingebunden. Neben Nord- und Ostsee werden auch entferntere Ziele wie die Karibik oder das Mittelmeer besegelt. Nähere Informationen gibt es auf www.sailtraining.de.

Im Rahmen des Programms „Hanse trifft Humboldt“ finden auf den Schiffen Kurzvorträge zu verschiedensten wissenschaftlichen Themen statt – auf der „Roald Amundsen“ informiert beispielsweise Dr. Wolfgang Baumeister aus der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des UKSH darüber, wie man bei einem Schiffsunglück möglichst lange überlebt. Innerhalb von 15 Minuten erklärt er das richtige Verhalten im Wasser: Wusstet Ihr, dass man seine Kleidung möglichst dicht verschließen und sich möglichst wenig bewegen sollte?

Bei der Seeschlacht am Samstag hätte es durchaus dazu kommen können, dass dieses Wissen nützlich wird: Während Zuschauer aller Generationen dicht gedrängt am Ufer stehen, setzen sich verschiedene Hansekoggen mit ihren mittelalterlich gekleideten Besatzungen in Bewegung. Die „Wissemara“ aus Wismar, die „Ubena von Bremen“, die Kieler Hansekogge und natürlich die „Lisa von Lübeck“ ziehen alle Blicke auf sich. Ritter, Kaufleute und auch einige junge Frauen sind an Deck, teilweise wird sogar musiziert. Vollständig korrekt mittelalterlich wirkt die Szene jedoch nicht: Die Lisa trägt ein Radar oben im Ausguck und die Ritter auf den Schiffen fotografieren sich gegenseitig mit ihren Smartphones.

Die Seeschlacht im Lübecker Hafen - ein Highlight des Hansetags.

Die Seeschlacht im Lübecker Hafen – ein Highlight des Hansetags.[media-credit id=151 align="aligncenter" width="640"]

Plötzlich gibt es einen lauten Knall. Die Lisa hat das Feuer auf die Wissemara eröffnet. Es sind zwar nur Platzpatronen, doch die Lautstärke und der Rauch vermitteln ein gewisses Echtheitsgefühl – meine Güte, war das laut! Kein Wunder, dass auch die mittelalterlichen Kanonenmeister auf den altehrwürdigen Koggen moderne Ohrenschützer tragen. Zusätzlich tragen noch die Besatzungen zum Lautstärkepegel bei: „Bringt mir die Huren!“ wird von der Kieler Kogge aus geschrien.

Nach einer Stunde mit Horn blasen, Kanonen abfeuern und laut brüllenden Besatzungen ist die Seeschlacht beendet. Die Koggen kehren wieder in den Hafen zurück. Wer letztendlich als Sieger aus der Schlacht hervorgeht, ist für mich nicht ganz ersichtlich. Vielleicht bin ich dafür nicht seeschlachterfahren genug. An Bord aller Schiffe und unter den Zuschauern wird jedenfalls kräftig gejubelt. So eine Seeschlacht bekommt man hier schließlich nicht täglich zu sehen.

Klönschnack im Aegidienhof

Doch neben den sicher häufig geprobten Schiffsmanövern, Vorträgen und Auftritten von teils bekannten Bands wie Tonbandgerät bietet der Hansetag auch die Möglichkeit, ganz direkt und ohne Generalprobe mit Lübeckern in Kontakt zu kommen. 220 Haushalte stellen am Sonntagnachmittag einen roten Stuhl vor die Tür und empfangen Gäste. Während ein Redaktionsmitglied bei einer Familie zu Besuch ist, deren unter dem Tisch liegender Hund Blähungen hat, haben wir mehr Glück.

Schwierig war für uns schon die Wahl des besten Gastgebers, denn offenbar halten sich allerlei Einwohner Lübecks für waschechte Hanseaten. Sowohl das vor einem Jahr aus Polen zugezogene junge Pärchen als auch die sympathische Patchwork-Familie aus Hamburg – sie alle versprachen gemütliche Stunden beim „Klönschnack“. Natürlich glauben wir gern, dass auch der polnische Streuselkuchen „der Hammer“ ist, wie seine Hobby-Bäckerin im Internet im Vorstellungstext beteuert, aber bei aller Neugierde – wir waren anspruchsvoll und wollten Plattdeutsch und Marzipan und das am besten noch in einem historischen Altstadthäuschen.

Genau dieser Wunsch geht letzten Endes tatsächlich in Erfüllung: Pünktlich um 14 Uhr klingeln wir am Aegidienhof, einem Gebäudekomplex aus dem Mittelalter, der ein Mehrgenerationenprojekt beherbergt. Uns wird klar, dass wir wirklich gar nichts über unsere Gastgeber wissen , abgesehen davon, dass sie ein Ehepaar Anfang 60 sind und gerne fremde Menschen zum Kaffeetrinken einladen. Auf den herzlichen Empfang in einer wunderschönen Wohnung folgen Stunden, die unsere Erwartungen bei Weitem übertreffen. Neben spannenden Details über die Geschichte des Aegidienviertels und seiner Synagoge, die übrigens die einzige Synagoge Norddeutschlands ist, deren Fassade in der Reichspogromnacht erhalten blieb, und unterhaltsamen Anekdoten aus der Kindheit auf Plattdeutsch, gibt es vor allem viel über die 68er-Vergangenheit der Gastgeber zu hören. Vom Studentenleben zu dieser Zeit aus erster Hand zu erfahren und dabei ganz entspannt das beste, nicht von Niederegger stammende Lübecker Marzipan zu genießen, ist wirklich einmalig.

Allein diese Idee des ungezwungenen „Salonierens“, bei dem die unterschiedlichsten Menschen, die sich sonst vermutlich nie begegnen würden, aufeinandertreffen, verleiht dem Hansetag einen ganz besonderen, weltoffeneren Charakter als alle namhaften Redner und Cover-Bands vor dem herausgeputzten Holstentor zusammen. Ein solches Konzept, das, anders als Rudi rockt, auch in der Praxis alle Altersklassen umfasst, sollte unbedingt über den Hansetag hinaus Bestand haben und regelmäßig stattfinden!

Eindrucksvolle Performance: Die "Erdgeister" am Walli-Ufer.

Eindrucksvolle Performance: Die “Erdgeister” am Walli-Ufer.[media-credit name="Christoph Krüger" align="aligncenter" width="640"]

Lübeck als Bildermärchen

Tanzende Kobolde, Erdgeister, als Frösche verkleidete, quakend umherspringende Familien und Gitarristen in Bauarbeitermontur hoch oben auf Hafenkränen. Was das alles mit der Hansestadt Lübeck zu tun haben soll, erschließt sich nicht auf den ersten Blick – und leider auch nicht auf den zweiten. Die Idee hinter dem vom Theater Combinale produzierten „Bilderfluss“: Die Zuschauer bewegen sich auf einem kleinen Touristendampfer auf der Trave durch das Spektakel rund ums Thema Wasser, das wahlweise am Ufer oder auf Brücken stattfindet und im Wesentlichen eine Aneinanderreihung getanzter, gesungener und geturnter Szenen ist. Gewissermaßen ein nicht abreißender Fluss an Bildern und Eindrücken auf dem Fluss. Klingt skurril, macht aber unglaublich Spaß. Nicht nur, dass der Zuschauer das Gefühl hat, mitten durch ein magisches Lübeck aus einer anderen Zeit zu schippern – es ist die ungewohnte Rasanz, mit der die Szenen aufeinanderfolgen. Kaum hat der Feuerschlucker am Ufer der „Walli“ die letzte Fackel gelöscht, erklingt schon die „Wassermusik“ am gegenüberliegenden Kanalrand. Unzählige Lübecker aus Musik- und Hochschule, von Tanzschulen, Theater und Feuerwehr sowie die Anwohner der Obertrave und eine Blaskapelle aus Bremen haben ihren Beitrag zu den 21 Szenen geleistet und auf unvergleichliche Weise gezeigt, wie schön Lübecks Wasserwege sind.

„Haben Sie Fragen? Just ask me!“

Damit ein solcher Hansetag stattfinden kann, bedarf es jedoch mehr als nur begeisterter Hanseaten und Schiffe. Von Donnerstag bis Sonntag sind überall Helfer in roten T-Shirts unterwegs, immer einen Stadt- oder Veranstaltungsplan in der Hand. Das Dasein als „Lübeck-Lotse“ erfordert neben einem Lächeln im Gesicht vor allem eine gute Kondition, denn die meiste Zeit verbringt man stehend oder laufend in der Nähe einer roten Info-Hütte.

Die Idee, aktiv am Gelingen des Hansetags teilzuhaben, ein T-Shirt zu bekommen und exklusiv zur Hanseparty eingeladen zu werden gefiel mir – und so meldete ich mich als einer von mehr als 250 Lotsen. Auch meine Lotsen-Kollegen haben Lust auf diese Art von Engagement: „Ich bin Hanseatin und möchte diese Geschichte gegenwärtig halten“, sagt Sabine Gieratz zu mir. Sie erzählt von der Geschichte der Hanse, von Störtebeker und der Hansestadt Nürnberg.

Lübeck-Lotsen helfen Gästen und Lübeckern gerne weiter.

Lübeck-Lotsen helfen Gästen und Lübeckern gerne weiter.[media-credit id=14 align="aligncenter" width="640"]

Bis Mitternacht helfen wir einer Frau beim Einparken, verteilen Wimpel an Kinder, unterhalten uns mit gesprächslustigen Lübeckern und Gästen und lauschen dem nahegelegenen Konzert der Rocklegendenband „Rattles“. Anstrengend aber gelungen.

Am Samstag ist dann endlich die langersehnte Helferparty in der MUK. Die Location ist unübertroffen und nette Leute verschiedenster Altersstufen tanzen und feiern zu moderner Pop- und Rockmusik. Der Wehrmutstropfen findet sich nur an der Getränketheke, an der für einen Becher Orangensaft drei und für den Fünftelliter Wein vier Euro verlangt werden – das hätte nicht unbedingt sein müssen. Doch davon abgesehen kann man den 34. Internationalen Hansetag als gelungen betrachten – wer nicht da war, hat definitiv etwas verpasst!

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