„Sagen wir’s mal so…“ Gerrit Koch holt Luft und schmunzelt ein wenig. „Ich hab Schwierigkeiten damit, wenn jemand, der in der Exekutive tätig ist, für das, wofür er sehr gut bezahlt wird, auch noch eine Belohnung bekommt.“ Das Thema ist die frisch gebackene Ehrendoktorin der Uni Lübeck, Annette Schavan. „Zudem hatte Frau Schavan sicherlich nicht über Nacht einen Geistesblitz wie man die Uni retten könnte, sondern sie hat sehr schlaue Beamte in ihrem Haus, die sie darüber informiert haben, wie man das machen könnte.“

„Sagt nein. Gerrit Koch am 1. Juli 2010.“

Sagt nein. Gerrit Koch am 1. Juli 2010. [media-credit id=14 align="aligncenter" width="625"]

Gerrit Koch sitzt im obersten Stockwerk des Klingenberg-Hochhauses an seinem gläsernen Schreibtisch. Aus seinem Büro blickt man auf das Rathaus hinab, seinen ehemaligen Arbeitsplatz. Von 2008 bis 2010 war er Mitglied der Bürgerschaft. Im Herbst 2009 zog er dann als FDP-Abgeordneter in den Landtag ein, er war in der Koalition aus FDP und CDU der einzige Abgeordnete aus Lübeck. Am 25. Mai war er dabei, als im großen Sitzungssaal des Landtages die Sparkommission seiner Regierung ihre Ergebnisse vortrug: Auf der Sparliste stand auch der Lübecker Medizinstudiengang. Koch erhielt Unmengen von E-Mails aus Lübeck, viele, die ihre Hoffnung darüber zum Ausdruck bringen, dass Koch sich für die Uni einsetzen würde. Manche sind weniger höflich: Professor Hilgenfeld schrieb „Wann treten Sie zurück?“ Koch antwortete trocken, dass bei seinem Rücktritt eine Kieler Abgeordnete nachrücken würde. Würde das Lübeck helfen? Die nächsten Wochen sind in Lübeck der heiße Demo-Sommer 2010, auch Koch hat ihn intensiv in Erinnerung: „Wenn kurz nach Amtsantritt so etwas kommt, mit so einer Wucht, und man merkt, dass es auf einen ankommt, dann ist das nicht nur ein vergnügungssteuerpflichtiges Gefühl.“ Zumal die Koalition nur eine Stimme Mehrheit hat, ohne Koch kann der Sparhaushalt nicht durchs Parlament. „Man muss sich die Situation nur mal vorstellen. Sie wollen die Lübecker bestmöglich vertreten und andererseits sind Sie in Kiel gefordert, weil Sie der Mehrheitsbeschaffer sind. Viele Nächte waren sehr kurz.“

Während der öffentliche Druck wuchs blieb der interne Druck aus der FDP-Fraktion klein. „Ich war kein Aussätziger dort“, betont Koch. Wenige Tage nach dem 25. Mai habe er das Gespräch mit Wolfgang Kubicki gesucht und gesagt: „Ich kann das nicht mitmachen.“ Kubicki habe das akzeptiert. „Er sagte: ’Wir arbeiten noch an der Sache’. Aber vielleicht hat er auch nur gedacht, wenn’s drauf ankommt, stimme ich trotzdem zu.”

„Die Demo mit 14.000 Demonstranten vor dem Kieler Landtag machte machte mich stolz auf Lübeck. Nie zuvor gab es eine so große Demo vor dem Landeshaus. Der Lärm war ohrenbetäubend, aber die Botschaft kam an“, erinnerte sich Koch an den 17. Juni.

Das zentrale Datum für Gerrit Kochs Rolle in der Lübeck-kämpft-Geschichte ist der 1. Juli 2010. Die zweite Großdemo, verbunden mit einem Diskussionsforum in St. Petri ist für den Tag angesetzt. Etwa 8000 Menschen laufen im Sternmarsch durch Lübeck. Mit dabei: Gerrit Koch. Auf dem Marktplatz steht Koch dann auf der Bühne, Mikrofon in der Hand. Die Frage: „Heißt das, dass Sie gegen dieses Sparpaket stimmen werden, wenn die Uni auf der Liste ist?“, die Antwort: „Wenn die Uni in dieser Form auf der Liste ist, werde ich dagegen stimmen.“ Applaus. Nach einigen Wochen des Drucks hatte er sich eindeutig entschieden und bereits in den Lübecker Nachrichten erklärt, dass er nicht für das Sparpaket abstimmen könne.

Warum er solange gewartet hat, bis er sich öffentlich zur Entscheidung durchringen konnte, begründet Koch heute so: „Mein Ansatz war immer: Man kann einfach nur Nein sagen, aber man kann auch versuchen etwas mehr zu liefern, sicherstellen, dass es einen Gegenvorschlag gibt. Ich war unter anderem ja auch beim AStA und bei Frau Menken von der Possehl-Stiftung und habe über das Thema gesprochen. Und dann gab es ja auch einen Gegenvorschlag, den die Uni selber gemacht hat.“ Wissend, dass es einen Gegenvorschlag gab, konnte Koch am 1. Juli „Nein“ sagen. Ein CDU-Abgeordneter aus Stockelsdorf, Hartmut Hamerich, tat es ihm gleich. Die Mehrheit im Landtag war verschwunden.

Es würde noch eine Woche dauern, bis Annette Schavan aus Berlin eine Lösung vorschlägt, die es der Landesregierung ermöglicht einen Haushalt mit dem angestrebten Sparvolumen zu präsentieren ohne die Uni Lübeck zu schließen.

„Im Ergebnis hat die Uni gewonnen“, resümiert Koch heute. „Es kommt die Stiftungs-Uni, ein weiterer Angriff auf die Uni ist nicht zu erwarten, die Verankerung in der Bevölkerung ist viel besser.“

Koch ist kein Abgeordneter mehr. Vielleicht auch wegen der Ereignisse des Jahres 2010. In Lübeck hatten bei der Wahl im Jahr 2012 CDU und FDP unterdurchschnittlich abgeschnitten. Die FDP zog mit sechs Abgeordneten in den Landtag ein, Koch hatte Listenplatz 8 erhalten. Er arbeitet nun als Anwalt mit Spezialisierung für Bau- und Architektenrecht. Ist er lieber Anwalt oder Politiker? Koch muss lachen. „Beides. Jetzt mag ich die Anwaltsrolle, also nur Anwalt zu sein, sehr gerne. Ich hätte es aber auch gern weiter gemacht im Landtag. Ich bin immer Anwalt geblieben, weil ich weiß, jedes politische Amt ist ein Amt auf Zeit.“

Zum Jahresempfang der Uni Lübeck, bei dem Annette Schavan unter anderem für ihre Rolle im Jahr 2010 geehrt wurde, wurde Gerrit Koch nicht eingeladen.

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