Lübeck, Anfang April 2014. Wieder einmal ist Jahresempfang der Universität, mit grauem Himmel, Reden und Häppchen. Doch dieses Jahr ist alles anders. Vor dem Audimax steht eine NDR-Reporterin für eine Live-Übertragung auf einer Fußbank. Ein Baum wird gepflanzt. Eine Katze läuft durch’s Bild. Ein Polizeiwagen hat gut sichtbar auf dem Platz neben dem Audimax geparkt. Ob es hier heute gefährlich würde? Der Beamte verneint, man sei gebeten worden, heute hier zu sein. Hat diese Bitte womöglich mit dem Schild „Dr. h.c. Annette Schavan“ auf einem Platz in der ersten Reihe zu tun? Wahrscheinlich schon. Wir haben uns anlässlich dieser sehr umstrittenen Verleihung der Ehrendoktorwürde jedenfalls mit ins Getümmel aus ARD, ZDF und Spiegel TV gestürzt und auch mit Annette Schavan gesprochen. Hier nun das von ihr autorisierte Interview.

„Wenn ich getäuscht hätte, dann hätte ich heute keinen Ehrendoktor entgegengenommen.“ Annette Schavan nach der Verleihung.

“Wenn ich getäuscht hätte, dann hätte ich heute keinen Ehrendoktor entgegengenommen.” Annette Schavan nach der Verleihung.[media-credit id=51 align="aligncenter" width="625"]

StudentenPACK: Wenn es um die Uni-Rettung geht, fällt meist im gleichen Atemzug Ihr Name. Haben Sie die Uni gerettet?

ANNETTE SCHAVAN: Ich war jedenfalls dabei. Eigentlich darf sich eine Bundesministerin darum ja gar nicht kümmern, weil der Föderalismus vorsieht, dass es allein Sache des Landes ist. Es gab einen so beeindruckenden Einsatz aller hier in Lübeck, dass ich aber fand, wir müssen gemeinsam einen unkonventionellen Weg finden. Das haben wir geschafft.

PACK: Wir haben gerade in der Laudatio gehört, wofür Ihnen die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Welche dieser Punkte würden Sie besonders hervorheben, welche sind Ihnen besonders wichtig?

SCHAVAN: Der Punkt, der mir am wichtigsten ist, war die Stärkung der medizinischen Forschung in Deutschland: Die Gründung der Gesundheitsforschungszentren zu den sogenannten Volkskrankheiten. Wir sind eine Gesellschaft des langen Lebens. Das fordert die Medizin mehr denn je. Deshalb war mir wichtig in der medizinischen Forschung die Kräfte zu bündeln, die Finanzinvestitionen deutlich zu steigern und mit den Zentren die internationale Präsenz der medizinischen Forschung zu stärken. Deshalb fand ich auch, dass es nicht in die Zeit passt, wenn dann an einer Stelle Studienplätze wegfallen. Denn vor der medizinischen Forschung steht das Interesse am Studium der Medizin.

PACK: Wo Sie gerade die Forschungszentren so betonen: War es dann Zufall, dass Ihnen gerade von der Uni, in deren Rettung Sie involviert waren, die Ehrendoktorwürde verliehen wurde?

SCHAVAN: Das ist sicher kein Zufall. Diese Universität ist an den Gesundheitsforschungszentren beteiligt. Sie ist ein leistungsfähiger Standort. Sie setzt mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde ein öffentliches Zeichen für die medizinische Forschung.

PACK: Nicht alle waren damals schon hier an der Uni. Würden Sie bitte noch einmal kurz zusammenfassen, was 2010 passiert ist, das dazu beigetragen hat, dass wieder Geld für die Uni zur Verfügung stand?

SCHAVAN: Der Bund darf kein Geld an eine Universität geben. Der Bund darf auch nicht einfach Geld für eine Universität an das Land geben. Deshalb brauchten wir ein kreatives Konzept. Es gab ein Institut, das Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung, das bereits in der Helmholtz-Gemeinschaft war. Also haben wir überlegt, ein anderes Institut für die Ozeanforschung, GEOMAR, auch in die Hände der Helmholtz-Gesellschaft zu geben. Und damit hat sich die Kostenaufteilung zwischen Schleswig-Holstein und dem Bund zugunsten des Landes verändert. Das schöne ist: Der Steuerzahler muss nicht mehr zahlen, sondern das Budget ist anders verteilt. Und das Geld ist nicht vom Bund hierher gekommen, sondern es hat innerhalb von Schleswig-Holstein dann Freiräume gegeben. In solchen Situationen muss man unkonventionell reagieren, man braucht kreative Konzepte und sollte nicht einfach Geld hin- und herschieben. Dafür gibt es noch andere Beispiele, aber das hier ist ein besonders bekanntes.

PACK: Sie finden also eigentlich nicht, dass es Aufgabe einer Bundesbildungs- und Forschungsministerin ist, sich für eine Landessache so einzusetzen?

SCHAVAN: Doch. Ich persönlich finde, dass es eine Sache der Bundesministerin ist. Deswegen habe ich mich auch darum bemüht, eine Lockerung des Föderalismus zu schaffen, damit so etwas künftig immer möglich ist. Darüber gibt es bisher aber keinen politischen Konsens.

PACK: Es wurde acht „Kämpferwochen“ lang demonstriert. Wenn Sie schon damals meinten, dass die Uni Lübeck definitiv rettenswert ist – warum hat das dann so lange gedauert?

SCHAVAN: In meinen Augen sind wir, als der Bund eingeschaltet war, schnell zu einer Lösung gekommen. Aber die Voraussetzung ist natürlich, dass sich jemand an mich wendet. Im Nachhinein zählt nicht, wie lange es gedauert hat, sondern ob die Lösung, die gefunden wurde, tragfähig ist.

PACK: Hat es denn sehr lange gedauert, bis bei Ihnen in Berlin angekommen war, dass die Rettung der Universität wirklich nötig ist?

SCHAVAN: Die zeitlichen Abläufe habe ich so gar nicht mehr im Kopf, das ist jetzt irgendwie zu lange her. Ich weiß nur: nachdem der Präsident mich angerufen hat, haben wir zügig ein Konzept erarbeitet. Letztlich wäre das ohne die damalige Landesregierung und ohne die Uni nicht möglich gewesen. Das hat dazu geführt, dass wir wirklich ein Konzept gefunden haben, das nicht nur ein oder zwei Jahre hält, sondern einen dauerhaften Erhalt der Universität ermöglicht.

PACK: Es geht ja nicht nur um 2010. Momentan wird auch Ihre Doktorarbeit diskutiert. Was ist da schiefgelaufen?

SCHAVAN: Wenn ich getäuscht hätte, dann hätte ich heute keinen Ehrendoktor entgegengenommen. Zu dieser Dissertation gibt es diametral entgegengesetzte Bewertungen in der Wissenschaft. Die zuständige Fakultät sagt, nach 34 Jahren übrigens, die Arbeit sei eine Täuschung. Andere Wissenschaftler, deren Gutachten ich vorgelegt habe, sagen die Angabe der Quellen ist angemessen. Damit muss ich jetzt leben. Ich sage aber auch mit Blick auf diese Zeit damals: Das war für mich eine wichtige Zeit. Ich habe aus dieser Arbeit viel gelernt, ich habe mich mit Gewissen beschäftigt, und ich habe mich in meinem ganzen beruflichen und öffentlichen Leben immer um Gewissenhaftigkeit bemüht und werde das auch in Zukunft tun. Ich bin davon überzeugt, dass es in Deutschland eine wissenschaftsethische Diskussion geben wird: Was sind die Regeln der wissenschaftlichen Redlichkeit im Umgang mit Plagiatsvorwürfen? Wie kann erreicht werden, dass die Verfahren an allen Universitäten vergleichbar sind?

PACK: Können Sie momentan Promovierenden irgendeinen Tipp geben, worauf man ganz besonders achten sollte, um nicht irgendwann vor Gericht zu stehen und zu hoffen, dass man seinen Doktortitel nicht verliert?

SCHAVAN: Schreiben sie ihre Dissertation nach bestem Wissen und Gewissen und mit Freude an der Sache. Ich bin davon überzeugt, dass die Debatten der nächsten Jahre zur Vergleichbarkeit der Verfahren an den Unis führen werden.

PACK: Können Sie die Kritiker verstehen, die Ihnen nach dem Entzug Ihres wissenschaftlichen Doktortitels eine gewisse Vorbildfunktion absprechen und Ihnen deswegen heute diesen Titel nicht gegeben hätten?

SCHAVAN: Hätte ich getäuscht wäre ich heute nicht hier. Wer lange im öffentlichen Leben steht lernt mit Kritik umzugehen. Viele Glückwünsche zeigen mir, dass es, wie so oft im Leben, unterschiedliche Meinungen gibt.

PACK: Werden Sie den Dr. h.c. der Universität zu Lübeck in Zukunft führen?

SCHAVAN: Der Lübecker Ehrendoktortitel gehört zu meiner Vita, aber ich habe mir noch überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob ich künftig Titel vor meinem Namen trage – ich vermute eher nicht.

PACK: Vielen Dank für das Gespräch!

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