Der Mediziner Professor Dr. Hendrik Lehnert wurde vom Senat am 9. April zum neuen Präsidenten gewählt. Lehnert übernimmt damit am 3. November das Präsidium von seinem Vorgänger Prof. Dr. Peter Dominiak. Das StudentenPACK hat nachgefragt, was man über den „Neuen“ wissen muss und wie es mit der Uni in den nächsten Jahren weitergehen wird.

Hendrik Lehnert an seinem Arbeitsplatz

Hendrik Lehnert an seinem Arbeitsplatz. [media-credit id=80 align="aligncenter" width="640"]

StudentenPACK: Warum sind Sie genau der richtige Präsident für unsere Uni?

Hendrik Lehnert: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass die Universität zu Lübeck im Moment ganz spannende Zeiten und große Aufgaben vor sich hat. Da ist zum einen die Stiftungsuniversität, die uns helfen wird, die Universität wieder ein bisschen autarker zu machen. Das ist sicher eine der größten Aufgaben. Auf der anderen Seite ist es ganz wichtig, dass wir alles dafür tun, dass das Profil der Universität nicht nur in dieser Form erhalten bleibt, sondern weiter geschärft wird und dass man zwischen der Medizin, den Naturwissenschaften und der Informatik viele Brücken schlägt. Und dafür glaube ich, dass man jemanden benötigt, der relativ viel Erfahrung im universitären Leben hat. Jemand, der sich in der Forschung bewährt hat, in der Lehre hoffe ich auch und der mit diesen Erfahrungen und gewonnenen Kompetenzen für die Universität genau diese Ziele erreichen kann.

PACK: Sie sind eher in der Medizin präsent, sodass die Informatikstudenten bisher vermutlich nicht wissen, wer Sie sind. Die möchten Sie natürlich kennenlernen, deswegen fangen wir am besten am Anfang an: Wo kommen Sie her, was machen Ihre Eltern?

Lehnert: Ich stamme ursprünglich aus Westfalen. Mein Vater war Diplom-Ingenieur und hat lange in Schweden gearbeitet. Dann bin ich in Schweden geboren worden und wir sind wieder nach Westfalen zurückgegangen, wo ich meine Schulausbildung gemacht habe und anschließend auch mein Studium, in Münster.

PACK: Studiert haben Sie in Münster zunächst Psychologie. Was hat Sie daran so gereizt?

Lehnert: An der Psychologie, oder besser von Vornherein an der Kombination aus Medizin und Psychologie, hat mich gereizt, den Menschen  noch ganzheitlicher zu verstehen und mit der Psychologie ein viel größeres Spektrum an Methoden zu erlernen, die ich in der Medizin nicht erlernen konnte – angefangen von sozialwissenschaftlichen bis hin zu psychophysiologischen Ebenen der Erkenntnisgewinnung.

Als ich studiert habe, hatten wir noch die glückliche Zeit, dass man zwei Numerus Clausus-Fächer gleichzeitig studieren konnte, und daher kam der Berufswunsch, Psychologie und Medizin von Vornherein – mit einem Semester etwas zeitversetzt natürlich, aber doch primär gleichzeitig zu studieren.

PACK: Das war also schon lange geplant? Das klingt schon nach einer großen Aufgabe, die Sie sich da vorgenommen haben…

Lehnert: Eigentlich war das relativ spontan. Als ich Abitur gemacht habe, wollte ich zunächst philologische Fächer studieren, Germanistik und Philosophie. Damals machte man vorher noch Zivildienst oder ging zum Bund. Ich habe mich für den Zivildienst entschieden und damit auch für die Möglichkeit, in sozialen Bereichen zu arbeiten. Allein die Auseinandersetzung mit dieser Entscheidungsmöglichkeit hat mich dann dazu geführt, den Weg zur Psychologie und Medizin einzuschlagen.

PACK: Haben Sie Ihren Zivildienst direkt in einer medizinischen Einrichtung abgeleistet?

Lehnert: Ja, den Zivildienst habe ich in einer orthopädischen Klinik gemacht.

PACK: Wahrscheinlich haben nicht viele Studenten zwei anspruchsvolle Fächer parallel studiert. Waren Sie einfach so gut, dass das alles auch geklappt hat oder machen Sie dafür auch die damals anderen Bedingungen verantwortlich?

Lehnert: Vielleicht eine Mischung aus beidem. Die Bedingungen und das Studium waren damals definitiv anders, gerade das Medizinstudium war ein Studium mit viel weniger Präsenz als heute. Man darf eigentlich gar nicht laut sagen, wie wenig wir damals da waren, da wäre ich ein ganz schlechtes Vorbild. Damals gab es keine gut organisierte studentische Lehre, das fing erst langsam an. Es gab Vorlesungen und Seminare, zu denen man gehen konnte oder auch nicht. Präsenzpflicht bestand eigentlich nur im Präparierkurs, sodass wir alle, die ganze Generation, damals im Grunde sehr selbstständig gelernt haben. Auch die Praktika im Ausland hat jeder selber organisiert.

PACK: Dann ist das also alles eine Motivationsfrage?

Lehnert: Ja, für viele von uns war es wirklich überwiegend eine Motivationsfrage.

PACK: Als Sie mit dem Studium fertig waren, sind Sie in die Innere Medizin gegangen und haben sich auf die Endokrinologie spezialisiert. Weswegen das?

Lehnert: Die Entscheidungen kamen nacheinander. Nach dem Studium bin ich erstmal in die USA gegangen, war dann am MIT (Anmerkung der Redaktion: Massachusetts Institute of Technology) und in Harvard. Ich bin bewusst ins Labor gegangen, um dort wirklich nochmal in Ruhe auch Zeit zu haben zu forschen, vor der klinischen Ausbildung. Heute raten wir meist dazu, erstmal drei, vier Jahre lang in die Klinik zu gehen und danach denken wir über einen Auslandsaufenthalt nach. Es hat sich damals so ergeben, dass es für mich andersrum möglich war.

PACK: Auf welchem Gebiet haben Sie dort geforscht?

Lehnert: Ich habe mir als „wissenschaftliches Spielfeld“ damals die Neuroendokrinologie ausgesucht, weil ich an der Schnittstelle zwischen Innerer Medizin und Neurowissenschaften arbeiten wollte. Das habe ich dann auch zwei Jahre lang gemacht. Das hat mich darin bestärkt, bei der Inneren zu bleiben, weil sie ein sehr großes Fach ist und man lernt, sehr „weiträumig“ zu denken und vieles zu berücksichtigen. Sich dann in der Inneren Medizin nochmal zu spezialisieren ist sicher sinnvoll und die Endokrinologie ist da ein Fach, das alle Systeme, Organe und Funktionen betrifft.

PACK: Würden Sie für Medizinstudenten an der Uni Lübeck eine besondere Zukunftsfähigkeit in der Endokrinologie sehen, sodass man beispielsweise bei der Doktorarbeit über ein endokrinologisches Thema nachdenken sollte?

Lehnert: Ja, unbedingt. Ich könnte und dürfte hier ja nicht Nein sagen! Sie wissen bestimmt auch, dass wir hier um die ganze Endokrinologie- und Stoffwechselforschung herum ganz viel aufgebaut haben, wie mit dem CBBM (Anmerkung der Redaktion: Center of Brain, Behavior and Metabolism), das ja bald fertig ist. Mit einem Sonderforschungsbereich und dem Graduiertenkolleg, auch mit vielen Ausbildungsmöglichkeiten, speziell auch für Doktoranden. Von daher: Ja, unbedingt!

PACK: Was sind Ihrer Meinung nach für angehende Mediziner noch richtig spannende Themen mit Zukunft?

Lehnert: Wir haben hier wirklich sehr viele spannende Themen mit Zukunft. Man ist natürlich gut aufgehoben in einem Bereich, der auch in einem größeren Kontext steht. Sprich Fächer, die in der Verbundforschung hier bei uns gefördert werden – Entzündung zum Beispiel, Infektion, Immunologie, auch die Genetik. Das deswegen, weil man viele sehr große Arbeitsgruppen hat und sich an vielen orientieren, von ihnen lernen und mit ihnen arbeiten kann.

PACK: Als Präsident vertreten Sie auch die anderen Studiengänge. Wo sehen Sie für diese die Bereiche, in denen die Zukunft steckt, beispielsweise für Informatik oder MIW?

Lehnert: Da gibt es sehr, sehr viele. Gerade für die Informatik sehe ich eine Zukunft im Bereich der Robotik und anwendungsorientierten Softwareentwicklung. Das halte ich für extrem spannende Gebiete, sowohl für diagnostische wie für therapeutische Zwecke. Da ist eine hohe Schnittstelle gegeben, zum Beispiel mit den chirurgischen Fächern. Dort sehe ich eine ganz tolle Möglichkeit für Informatik und Chirurgie, zusammenzuarbeiten, wie das bisher auch schon gelebt wird. Für die medizinischen Ingenieurswissenschaften sehe ich eine riesige Stärke in den unterschiedlichen Methoden der Bildgebung und der Entwicklung neuer Bildgebungsverfahren. Das ist auch ein großes Thema in der Biomedizintechnik, zum Beispiel bei Prof. Buzug oder auch in vielen Kliniken und Instituten, unter anderem in der Radiologie und Kardiologie.

PACK: Die Zukunft der naturwissenschaftlichen Fächer sehen Sie in Lübeck also vorrangig in medizinischer Richtung?

Lehnert: Ja, und genauso auch umgekehrt. Jeder muss sich aufeinander zu bewegen und es gibt viele Fragestellungen, die ich als Mediziner überhaupt nicht alleine bearbeiten oder beantworten kann, zum Beispiel die Bildgebung, speziell auch die molekulare Bildgebung oder neue Diagnoseverfahren wie zum Beispiel Metabolomics. Hier muss sich der Mediziner hinbegeben zu den anderen Einrichtungen, ganz eindeutig. Dazu gehört beispielsweise auch das Fraunhofer-Institut, das für uns ein ganz hilfreicher und wichtiger Partner ist.

PACK: Ihren Facharzt haben Sie in Mainz gemacht und sind anschließend auch in der Lehre tätig geworden. Warum jetzt Lehre statt Forschung?

Lehnert: Die Lehre und die Arbeit mit Studenten hat mir immer irrsinnig viel Spaß gemacht. Wenn man es schafft, ein wenig der eigenen Begeisterung für sein Fach zu vermitteln, dann schafft man die Begeisterung auch bei anderen. Und man rekrutiert natürlich auch junge Leute, mit denen man wissenschaftlich arbeiten kann. Aber primär war es wirklich die große Freude an der Wissensvermittlung und der Wissensweitergabe.

PACK: Es hatte also nichts damit zu tun, dass Sie ein bisschen mehr Struktur ins Medizinstudium bringen wollten, die während Ihres Studiums noch fehlte?

Lehnert: Auch, natürlich. Aber ich habe mich  nie so sehr, wie das zum Beispiel wirklich sehr gut Prof. Westermann hier macht, mit Organisationsformen der Lehre beschäftigt, sondern habe meine primäre Aufgabe immer darin gesehen, Begeisterung für ein Fach zu vermitteln. Die Lehrstruktur habe ich unterstützt, diese ist schließlich auch sehr wichtig und ich bin extrem glücklich darüber, wie es hier in Lübeck läuft, doch ich habe andere Schwerpunkte gehabt – man kann ja auch nicht alles gleichzeitig machen.

PACK: Irgendwie hat es Sie dann nach Lübeck verschlagen. Wie ist das passiert, auf Ihren vorherigen Stationen, in Mainz beispielsweise, ging es Ihnen doch gut?

Lehnert: Ich bin damals von Mainz nach Magdeburg gegangen, habe eine Klinik in Magdeburg und danach eine große Universitätsklinik in Coventry / England geleitet und da ging‘s mir eigentlich überall gut, ja. Aber Lübeck war für mich zu dem Zeitpunkt, als die Stelle ausgeschrieben wurde und ich den Ruf bekam, perfekt. Das ist eine kleine Universität in einer tollen Stadt. Als Westfale hat man, wenn man dazu noch aus Schweden kommt, keine großen Schwierigkeiten, sich in Norddeutschland, in Schleswig-Holstein, wohlzufühlen. Lübeck hatte außerdem für mich den großen Vorteil, dass es zum einen eine sehr große Klinik ist, die ich hier leiten konnte, in einer Größe, wie es sie in Deutschland selten noch gibt, und zum anderen, dass meine Forschungsschwerpunkte hier exzellent vertreten waren. Das war wirklich eine sehr gute Passform.

PACK: Da mussten Sie dann ja nur noch an das Werk Ihrer Vorgänger anknüpfen und mit einsteigen…

Lehnert: Ja, ich konnte da natürlich anknüpfen, aber einiges auch ganz wesentlich weiterentwickeln. Was zu dem Zeitpunkt bestand, und das war ganz großes Verdienst meines Vorgängers, war, dass wir hier eine klinische Forschergruppe zu unserem „Leib- und Magen-Thema“ im wahrsten Sinne des Wortes haben, nämlich zur Kontrolle des Essverhaltens durch das Gehirn. Aber eine Forschergruppe ist erst der erste Schritt zu dem Erfolg, den man gerne möchte, und dann kommen die nächsten Stufen, die wir hier mit einer ganz tollen Mannschaft gemeistert haben. Die Forschung an diesem Thema wird auch nicht aufhören, da werden hoffentlich noch die nächsten 20, 30 Jahre Doktorarbeiten zu angeboten werden, auch hier in Lübeck.

Der ehemalige und der neue Präsident der Uni

Der alte und der neue Präsident der Uni Lübeck. [media-credit name=51 align="aligncenter" width="2800"]

PACK: Als Präsident der Universität treten Sie nun die Nachfolge von Peter Dominiak an. Inwiefern wollen Sie seinen Weg weitergehen und wo möchten Sie neue Akzente setzen?

Lehnert: Zuerst einmal muss man sagen, dass Prof. Dominiak ein exzellenter Präsident ist, ein exzellenter Repräsentant unserer Universität, der sehr große Verdienste besitzt. Ich denke da gerade an seinen Einsatz vor vier Jahren, als die Medizinerausbildung hier in Lübeck wirklich auf der Kippe stand. Das war extrem problematisch und er hat das wirklich fantastisch gemacht. Der nächste Schritt, den er gegangen ist, nämlich hin zum Gesetzentwurf für die Stiftungsuniversität, bedeutet einen sehr wichtigen perspektivischen Entwurf für unsere Universität. Wir hoffen, dass in der Hinsicht bald alles ratifiziert wird, im kommenden Januar. Da werde ich mit Sicherheit anknüpfen und auch mit aller Kraft versuchen, die Stiftungsuniversität zum Erfolg zu bringen.

PACK: Und was verändert sich mit Ihnen?

Lehnert: Was sicher neue, zusätzliche Aspekte sein werden, ist die ganz klare, forschungsorientierte Brückenbildung zwischen Medizin, Naturwissenschaften und Informatik. Da haben wir noch sehr viel vor uns. Wir haben große Aufgaben vor uns, was die Definition der Forschungsschwerpunkte angeht, die verbindend sein sollen, das wird sehr viel Arbeit sein. Wir werden neue Forschungsgebäude benötigen, idealerweise werden wir auch die großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen wie Leibniz auf den Campus holen. Denn Lübeck ist ein kleiner Standort und nicht nur das Überleben, sondern das richtig gute Überleben sichert man hier nur durch exzellente Forschung. Dass wir eine gute Klinik machen, dass wir gute Informatiker sind, gute Physiker und Mathematiker, das ist selbstverständlich. Aber was dazukommen muss und wird, das sind große Forschungsverbünde, die hier nochmal alles stabilisieren.

PACK: In welche Richtung denken Sie am ehesten wenn Sie in die Richtung neuer Brücken denken, um Mediziner und die anderen zu verbinden?

Lehnert: Wie ich vorhin bereits sagte, werden wir diese Brücken zum Beispiel im Bereich der Biomedizintechnik bauen. In den Bereichen gibt es auch sehr konkrete Vorschläge, was wir gemeinsam machen können und Stichworte wie beispielsweise Robotik und Nanotechnologien, alles exzellente Brückenbilder.

16. Juni 2010: In Kiel demonstrieren 14.000 gegen die Schließung der medizinischen Fakultät.

Auch Prof. Lehnert stand zu “Lübeck kämpft”-Zeiten mit auf der Straße. [media-credit name="Thorsten Biet" align="aligncenter" width="640"]

PACK: Was haben Sie von der „Lübeck kämpft“-Zeit hier in Lübeck mitbekommen?

Lehnert: Da war ich schon hier und wir haben ein paar Monate wirklich nichts anderes gemacht als für Lübeck zu kämpfen, in der Stadt selber und mit der Demonstration in Kiel, die uns allen unvergesslich geblieben ist.

PACK: Dort waren Sie auch?

Lehnert: Da war ich auch, klar. Wir sind auch mit der Delegation nach Berlin gefahren, um mit den politischen Verantwortlichen in Berlin, mit der Landesvertretung Schleswig-Holsteins zu diskutieren. Den ganzen Tag waren wir für „Lübeck kämpft“ unterwegs.

PACK: Letztlich hat es mit der Uni-Rettung geklappt, alles wächst und es wird viel gebaut. Prof. Dominiak ist fast schon berühmt für seinen Ausspruch „Baulärm ist der schönste Lärm“, was ist Ihr Lieblingslärm?

Lehnert: Mein Lieblingslärm? Hier auf dem Gelände ist auch für mich Baulärm der schönste Lärm, und wenn ich nicht den Baulärm suche, dann bin ich im Sommer auf den Musik-Festspielen Schleswig-Holsteins und Mecklenburg-Vorpommerns, dieser „Lärm“ ist mir dann genauso lieb.

PACK: Wir sprachen vorhin auch schon darüber, dass noch mehr gebaut werden soll. Was soll neben den bestehenden Baustellen noch gebaut werden?

Lehnert: Wir haben den Neubau des Klinikums vor uns und gehen fest davon aus, dass von jetzt an in bis zu fünf Jahren das neue Klinikum steht. Ein weiteres neues Forschungsgebäude werden wir bekommen, das neben dem CBBM stehen wird. Auch der Umbau der vorklinischen Institute ist dringend notwendig. Das werden die Dinge, die wir hier in den nächsten Jahren vor uns haben und ich freue mich auch weiterhin auf Baulärm, auf Richtfeste und Gebäudeeröffnungen.

PACK: 2020 haben Sie Ihre erste Amtszeit hinter sich, wie viele Studiengänge wird die Uni dann haben? In den letzten Jahren könnte man fast von einem exponentiellen Anstieg sprechen…

Lehnert: Das ist ein ganz wichtiges Thema. Wir brauchen noch neue Studiengänge, ja, aber wir brauchen keine Inflation oder Auswucherung von Studiengängen. Wir müssen das, was wir haben, stabilisieren, aber wir müssen sorgsam mit neuen Studiengängen umgehen: diese müssen in das Spektrum der Lebenswissenschaften passen, denn ich sehe diesen Campus als einen Campus der Lebenswissenschaften mit den beiden großen Sektionen, die wir haben und mit den dazugehörigen Studiengängen und da können wir uns nicht alles leisten. Wir müssen auch aufpassen, dass wir uns nicht gegenseitig kannibalisieren und von anderen Studiengängen Studenten wegnehmen, es gibt ja unterschiedlich viele Bewerber für die einzelnen Studiengänge und da muss man sehr sorgsam schauen, dass man Studiengänge wählt, die zu den bestehenden passen. Mit der Psychologie bin ich sehr glücklich. Wir brauchen mehr Basisstudiengänge, weil für solche Studiengänge die Studenten da sind und für uns die Köpfe der Studenten zum Beispiel in der Pflege oder Physiotherapie auch zählen. In der Pipeline gibt es bereits den neuen Studiengang Biophysik, ich hoffe, dass wir den in einem oder eineinhalb Jahren schon haben. Für diesen zeichnet Prof. Hübner aus der Physik verantwortlich, das wäre ein gut passender Studiengang. Wir denken noch über zwei andere Studiengänge nach, der eine setzt sich mit Molecular-Metabolism auseinander. Das würde gut zu den Forschungsschwerpunkten passen und da besteht ein hoher Bedarf an Ausbildung. Der zweite wäre denkbar im Bereich der Neurowissenschaften, bis jetzt ist das ein Teilangebot im MLS-Studiengang.

Viel mehr  als die habe ich aber nicht auf dem Bildschirm. Ich glaube, dass wir die anderen neuen erstmal konsolidieren müssen. Wir wollen richtig gute Master und keine Mikro-Master-Studiengänge.

PACK: Das bedeutet, wir werden nicht so bald Germanistik, VWL und Co. auf dem Campus haben?

Lehnert: Nein. So schön es wäre, eine Volluniversität zu sein, das wird uns nicht in den nächsten sechs Jahren passieren. Der Charme von Lübeck ist auch ganz klar der einer Profiluniversität.

PACK: Wie meinen Sie sieht die Uni darüber hinaus 2020 aus, abgesehen von neuen Studiengängen und hoffentlich fertigen Baustellen?

Lehnert: Ich hoffe, dass wir bis dahin auch wieder neue Baustellen haben, nichts ist schlimmer als Stillstand. Ich wünsche mir auch für das Jahr 2020 Pläne und viele begeisterte Studenten. Ich wünsche mir mehr Einwerbung von großen Forschungsverbünden und dass die Universität zu Lübeck 2020 ein internationales Standing hat, mehr internationale Studenten und für die Studenten von hier eine höhere Mobilität, als wir sie jetzt haben.

PACK: Und hoffentlich entwickelt sich bis 2020 mit der Stiftungsuni alles so, dass man sich darum keine Sorgen machen muss. Meinen Sie das klappt so, wie es bis jetzt auf den Weg gebracht ist?

Lehnert: Das klappt nur, wenn alle dahinterstehen und mitziehen, das macht der Präsident nicht alleine. Wir sind sehr optimistisch. Lübeck ist eine Stadt mit großer Stifterkultur und Bildungsbürgertum, da ist glaube ich viel zu machen. Wichtig ist hierbei natürlich, nicht nur Stifter in Lübeck zu finden, sondern auch darüber hinaus in der Region. Man soll sehen: Das ist eine Uni mit einem klaren Ziel, einem klaren Bild von sich selbst, das ist wichtig. Ich glaube, dann kann das funktionieren.

PACK: Sie sagten bereits, dass dieses Projekt nicht allein Aufgabe des Präsidenten ist. Gerade im Zusammenhang mit der Stiftungsuni wurde auch die Arbeit mit den studentischen Gremien sehr gelobt. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit mit AStA und Co. für sich?

Lehnert: Die ist extrem wichtig. Ich war damals auch im AStA aktiv und in den Gremien unterwegs. Die Studenten sind genauso wichtig wie jede andere Statusgruppe auch und ohne Studenten wären wir keine Universität. Jeder hat unterschiedliche Perspektiven, aber für uns ist die studentische Perspektive eine extrem wichtige, weil wir nur dadurch wirklich mitbekommen, was die Bedürfnisse und Ansprüche derer sind, für die wir das hier tun.

Ein Prozess, bei dem man sich ständig zusammensetzen muss, ist die Qualität der Lehre. Auch bei Patenschafts- und Partnerprogrammen zu anderen Universitäten muss man sich definitiv mit den Studenten hinsetzen, das sind zwei ganz wichtige Punkte.

PACK: Was die Studierenden freut, ist, dass in dem Gesetz zur Stiftungsuni ein klares „Nein“ zu Studiengebühren steht. Wie stehen Sie persönlich dazu?

Lehnert: Grundsätzlich  müssen wir in einer Universität, die ja auch eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, ohne Studiengebühren auskommen, weil Bildung und Bildungsvermittlung eine öffentliche Aufgabe sind. Das ist ganz klar. Es gibt Situationen an anderen Universitäten, dass die finanzielle Situation so ist, dass mit einer kleinen, zweckgebundenen Beteiligung die Qualität der Lehre verbessert wird. Dies ist zum Beispiel in England fast die Regel. Grundsätzlich sollten wir aber definitiv ohne Studiengebühren auskommen, und im Gesetz zur Stiftungsuniversität ist dies gottseidank so festgeschrieben. Viele Universitäten, die heute als Privatuniversitäten, insbesondere im Bereich der Medizin entstehen, sehe ich als sehr kritisch, weil für relativ viel Geld studiert wird, damit eine soziale Ungleichheit geschaffen wird und zudem die Ausbildungsgänge nicht wirklich qualitätskontrolliert sind.

PACK: Auch ohne Studiengebühren muss das Stiftungskapital irgendwo herkommen. Nach allem was wir gehört haben, wäre es nicht gelogen zu sagen, dass Sie selbst recht wohlhabend sind…

Lehnert: Ich glaube, „recht wohlhabend“ ist jetzt relativ und jeder von uns, der etwas angespart hat, ist aufgefordert, etwas dazu beizutragen. Das würde ich auch tun.

PACK: Aus aktuellem Anlass noch eine letzte Frage zu Ehrendoktorwürden. Sie haben selbst einen Ehrendoktortitel bekommen, von der rumänischen Universität in Timisoara. Nun wird auch Annette Schavan ein Ehrendoktortitel von unserer Universität verliehen. Wie stehen Sie dazu?

Lehnert: Das ist eine ganz schwierige Diskussion, die wir dazu geführt haben. Wir haben alle Für und Wider im Senat diskutiert und vor Bekanntwerden der Plagiate und nach der Aberkennung des Titels zweimal einstimmig dafür votiert. Ich habe damit damals selbst dafür gestimmt. Deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass wir jetzt dabei bleiben sollten. Das wieder rückgängig zu machen halte ich für sehr schwer. Ob man heute noch einmal so abstimmen würde wie damals weiß ich nicht.

Ich würde es so sagen: Wir haben damals lange diskutiert und sollten dabei bleiben, aber wir sollten die Diskussion zum Anlass nehmen zu prüfen, wie unsere Kriterien sind, welche Leistungen es sind, die jemand vollbracht haben muss und wieweit ein Plagiatsverhalten uns sagen sollte, dass wir so etwas in Zukunft nicht mehr machen. Das sind Diskussionen, die wir ganz offensiv führen müssen. Wir müssen uns auch überlegen, ob das, was Frau Schavan getan hat, nicht ohnehin Teil ihrer Dienstaufgabe war, ganz klar.

Diese Punkte werden wir noch einmal ganz kritisch beleuchten. Ich glaube nicht, dass wir die Entscheidung heute noch einmal so einstimmig treffen würden, aber wir haben sie damals so getroffen, jetzt sollte man dabei bleiben. Das ist meine Überzeugung, aber wir sollten die Situation auch zum Anlass nehmen, dies in Zukunft sehr viel differenzierter zu handhaben.

PACK: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

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