Pierre Teilhard de Chardin sagte, „Der Zweifel ist der Beginn der Wissenschaft. Wer nichts anzweifelt, prüft nichts. Wer nichts prüft, entdeckt nichts. Wer nichts entdeckt, ist blind und bleibt blind.“ Zweifel sind dabei auch immer der eigenen Überzeugung entgegenzubringen, die es immer wieder zu überprüfen gilt, um Fehler oder Trugschlüsse zu vermeiden. Die an deutschen Hochschulen tobende Debatte um die Zivilkausel lässt solche Zweifel an der eigenen Überzeugung leider auf beiden Seiten vermissen. Denn wer sich mit der Frage beschäftigt, merkt schnell, dass es keine einfache Antwort gibt. Ein Versuch die Debatte zusammenzufassen:

Eine Zivilklausel ist entweder eine gesetzliche Verpflichtung oder eine Selbstverpflichtung einer Hochschule, keine Forschung vorzunehmen, die mit militärischem Nutzen oder Zielsetzungen verbunden ist. Aus der Friedensbewegung entstanden führen heute elf Hochschulen eine solche Klausel in ihren Satzungen, darunter die Universität Bremen, die TU Berlin, die TU Dortmund, die Universität Tübingen und die Uni Rostock. Zwischen 1993 und 2002 war die Zivilklausel im Niedersächsischen Hochschulgesetz zu finden und unterband somit theoretisch jegliche Militärforschung in dem Bundesland. Insbesondere in den letzten Jahren ist die Diskussion um die Zivilklausel an mehr und mehr Hochschulen entbrannt. Studierendengruppen, unter anderem in Köln und Augsburg, haben sich in Abstimmungen und Vollversammlungen mit dem Thema auseinandergesetzt. Doch längst nicht überall findet die Idee Unterstützer. Gerade dort, wo die Forschung direkt von Rüstungsunternehmen abhängig ist, sind auch Studierendenvertreter dagegen.

In Schleswig-Holstein gibt es derzeit keine Zivilklausel, weder an einer der Hochschulen noch im Hochschulgesetz. Das Motto der Uni Lübeck „Im Focus das Leben“ suggeriert eine grundsätzlich friedliche Einstellung, verpflichtet aber nicht dazu. An der Uni Kiel ziert man sich nicht: Immerhin an 15 wehrtechnischen Projekten, also solchen Projekten, die Ausrüstung und Waffen verbessern, wird dort gearbeitet. Die aktuelle Regierungskoalition in Schleswig-Holstein aus SPD, Grünen und SSW hat sich selbst verpflichtet, die Einführung einer Zivilklausel zu prüfen. Die viel diskutierten Fragen sind also nicht theoretisch, sie betreffen die deutsche Forschungslandschaft, sie betreffen Arbeitsplätze und sie betreffen Lübeck. Doch was sind die Argumente? Was spricht für oder gegen eine Zivilklausel?

Das gesetzliche Argument

„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“ (Artikel 5, Grundgesetz). So einfach argumentieren Gegner der Zivilklausel und meinen die Diskussion sei damit beendet. Schon allein deshalb, könne man keine Forschung mit militärischem Ziel verbieten, man verletze damit die Grundrechte der Forscher. Doch das Argument greift zu kurz. Schon Artikel 5, Absatz 3 schränkt die Freiheit ein, sie „entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“. Weitere Gesetze setzen enge Rahmen für die Forschung an Chemiewaffen, Atomwaffen, Streubomben und anderen geächteten Technologien. Ethikrichtlinien, mit Verweis auf die Menschen- und Tierwürde, untersagen eine große Anzahl von Experimenten. Forschung ist eben doch nicht frei, sie ist den Gesetzen und dem moralischen Konsens einer Gesellschaft unterworfen.

Was der Konsens dieser Gesellschaft sein soll, so meinen die Befürworter einer Zivilklausel, haben Vertreter der beiden deutschen Staaten 1990 zur Wiedervereinigung im Zwei-plus-Vier-Vertrag beschrieben, in dem erklärt wird, „da[ss] von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird“. Ein solcher Beschluss lässt sich schwer in Einklang bringen mit Auslandseinsätzen, Waffenexporten und Forschung an Panzern und Drohnen. Darf also eine staatliche Universität in Deutschland überhaupt an Waffen arbeiten, wenn von deutschem Boden nur Frieden ausgehen soll? Zu unpraktisch, zu theoretisch, erwidern die Gegner, denn angesichts der Tatsache, dass von deutschem Boden ganz offensichtlich nicht nur Frieden ausgeht, da deutsche Soldaten im Ausland kämpfen, müssen deutsche Hochschulen da nicht unterstützend tätig werden? Ist denn Militärforschung unmoralisch, mag ihr Befürworter fragen, ist sie nicht viel mehr moralisch? Denn Deutschland leistet sich ja nicht aus Versehen eine Bundeswehr. „Die Bundeswehr ist eine Einrichtung mit Verfassungsrang. Alle wollen, dass die Bundeswehr in der Mitte der Gesellschaft bleibt […]. Ich kann überhaupt nicht einsehen, warum die Bundeswehr nicht auch an Universitäten ihren Platz haben soll, wie andere Institutionen auch.“, meint Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im Magazin UNICUM. Wenn die Bundeswehr, und damit Ihre Einsätze, zur Gesellschaft gehöre, so müsse auch die Forschung mit den Geldern aus dem Verteidigungsministerium zu dieser Gesellschaft gehören. Und wenn sie dazugehören, sind sie nicht unmoralisch und wenn sie nicht unmoralisch sind, wozu dann eine Zivilklausel?

Moralische Militärforschung?

Als bekannt wurde, dass an der Universität Tübingen, trotz einer Zivilklausel, mit Geldern der Bundeswehr geforscht wird, war die Empörung groß, doch die Rechtfertigung der Forscher folgte prompt: Das vom Verteidigungsministerium geförderte Projekt diene der Erforschung der besseren Behandlung von Patienten, die Organophosphaten ausgesetzt gewesen sind. Organophosphate kommen auch in chemischen Waffen vor, aber auch in Pestiziden. Nach Expertenschätzungen sterben jährlich 300.000 Menschen, hauptsächlich in der dritten Welt und hauptsächlich in Folge von Pestizideinsätzen, an der Vergiftung. Der zivile Nutzen verbesserter Behandlungsmethoden ist einleuchtend. Nicht jede militärische Forschung erscheint also auf den ersten Blick unmoralisch. Doch nicht für jeden heiligt der Zweck die Mittelgeber: Dietrich Schulze aus dem Beirat der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit gegenüber der TAZ: „Wenn dem Projekt ‚eine ausschließlich humanitäre Motivation‘ zugrunde liegen würde, müsste es aus Mitteln des Bundesforschungsministeriums oder anderen zivilen Quellen gefördert werden.“

Doch normalerweise gibt es kein Geld vom Verteidigungsministerium sondern von Rüstungsfirmen. Das Verteidigungsministerium fördert Universitäten lediglich mit 10 Millionen Euro bundesweit, im Verhältnis zu den Investitionen der Wirtschaft fällt das nicht weiter auf. Die Förderung durch Wirtschaftsunternehmen lässt sich hingegen schwieriger schönreden, immerhin entwickeln hier Firmen Rüstungsgüter unter Zuhilfenahme staatlicher Infrastruktur, nämlich einer Uni, und wenig bezahlter Mitarbeiter, zum Beispiel Hiwis, um Produkte zu erstellen, welche sie dann an den Staat, der sie bereits subventioniert hat, weiterverkaufen, sofern dieser sich diese leisten kann. Zudem verkaufen sie diese Technik auch an andere Staaten und somit entsteht für die Bundeswehr kein technischer Vorteil. Muss man also vielleicht differenzieren zwischen Forschung für oder mit der Bundeswehr und Forschung für Rüstungsunternehmen?

Die Ausgaben der Rüstungsindustrie allerdings sind derart gigantisch, dass ein Überleben ohne sie für viele Lehrstühle oder Universitäten nicht mehr realistisch erscheint. Wer an der TU München Luft- und Raumfahrttechnik studiert, weiß, dass viel Geld von Unternehmen wie EADS kommt und in Forschungsbereiche geht, die auch militärischen Nutzen haben, so zum Beispiel der Hubschrauberbau. Würde die TU eine Zivilklausel unterschreiben, müsste man die eine oder andere Fakultät dicht machen. Auch an der Uni Kassel nimmt man Rüstungsgelder. Die Universität kooperiert in der Verfahrensoptimierung mit dem Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann, Europas größtem Panzerhersteller. Paradebeispiel ist allerdings das Massachusetts Institute of Technology: 650 Millionen Dollar, fast die Hälfte seines Forschungsetats, erhält das MIT vom Verteidigungsministerium der USA.

Realitätsferne

Kann man also ohnehin, ob man nun will oder nicht, gar nicht mehr auf Militärforschung verzichten? Ist also die Zivilklausel einfach nur realitätsfern? Denn die Rüstungsindustrie würde ihre Forschung ja nicht einstellen, sondern würde entweder hauseigene Forschungsinstitute vergrößern oder sich an nichtstaatliche Hochschulen wenden. Die Militärforschung würde dennoch stattfinden und den Unis würde das Geld fehlen. Besonders zahnlos erweist sich die Klausel schon deshalb, weil sie sogar von den Universitäten, die sie sich selbst verschrieben haben, ständig ignoriert wird. Ein Beispiel ist die Uni Bremen, Vorreiter in Sachen Zivilklausel: Im Jahr 2012 wurde bekannt, dass die Universität fast eine halbe Million Euro für Forschung erhält, die militärischen Nutzen haben könne. In einer langen Debatte bekannte sich schlussendlich der Senat zur Zivilklausel. Wissenschaftler sollen nun zu Beginn ihrer Beschäftigung über die Zivilklausel informiert werden. Doch was Militärforschung und damit an Unis wie Bremen zu unterlassen ist und was nicht, müssen Forscher selbst entscheiden, und das ist gar nicht so einfach. Insbesondere dann, wenn Geld oder Know-How vom Verteidigungsministerium oder Rüstungsfirmen kommt, der Forscher aber in erster Linie einen zivilen Wissensgewinn sieht.

Im Neudeutschen hat sich der Begriff „Dual Use“ (doppelte Verwendbarkeit) eingeschlichen, um Forschung mit potentiell militärischem Nutzen zu rechtfertigen. „Dual Use“ heißt schlicht und einfach, dass das Projekt auch für zivile Zwecke nützlich sein kann. So rechtfertigt die Uni Tübingen auch ein zweites Projekt: Dabei geht es darum, Drohnen zu entwickeln, die sich eigenständig an Hindernissen vorbei bewegen können. Dabei stellen sich zahlreiche Herausforderungen, unter anderem die Verarbeitung von Videobildern, um Hindernisse zu erkennen. Partner in dem Projekt ist das Unternehmen Thales, das auch Rüstungsgüter entwickelt. Obwohl das Tübinger Projekt nicht explizit militärisch ist – Hinderniserkennung ist Grundlagenforschung und das Geld kommt von der EU – braucht es keine all zu blühende Fantasie, um zu erkennen, dass auch militärische Drohnen von den Ergebnissen profitieren können. Für Befürworter der Zivilklausel ist dies genug und „Dual Use“ ein Deckmantel.

Die Diskussion um die Vorgänge in Tübingen zeigt auf, dass die Grenzen zwischen militärischer und nicht-militärischer Forschung schwimmend sind und dass nicht immer klar ist, ob die geldgebende Organisation, die Motivation der Forscher selbst oder die anvisierte Nutzung der Ergebnisse das ausschlaggebende Argument sein soll. Das Dilemma geht noch viel weiter: Viele Erfindungen, sogar wenn sie zuerst militärischen Zweck hatten, sind heute zivil genutzte Technologien. Bei einigen, zum Beispiel dem GPS und dem Internet, kann man gar argumentieren, dass sie erheblich zur Verbesserung der Leben vieler beigetragen haben. Gleichzeitig sind Ergebnisse aus friedlicher Forschung auch immer wieder zu militärischem Nutzen gekommen. Eine Kristallkugel gibt es nicht.

Dem Gewissen verpflichtet

Der Physiker Robert Oppenheimer schrieb 1945 nach dem Test der ersten Atombombe in sein Tagebuch: „Now I am become Death, the destroyer of worlds“. In den Jahren nach dem Krieg versuchte er, bekanntermaßen erfolglos, die Ausbreitung und Weiterentwicklung von Atomwaffen zu stoppen. Es ist müßig zu diskutieren, ob er die Mitarbeit im Manhattan Project hätte verweigern sollen oder ob sein Gewissen nicht etwas spät einsetzte. Die Suche nach dem Gewissen in der Forschung und in jedem Forscher hingegen muss in der Diskussion eine stärkere Beachtung finden. Die Vorstellung, Rüstungsforschung in Deutschland zu stoppen, mag unrealistisch und trotzdem gleichzeitig erstrebenswert sein. Vielleicht ist dies eine kognitive Dissonanz, mit der wir leben lernen müssen. Von der Idee, dass Forschung lediglich die Suche nach Wahrheit ist, inhärent frei von den Fragen nach richtig und falsch, weder moralisch noch unmoralisch, kann man sich in jedem Fall verabschieden.

Wer weiterdenkt, muss sich die Frage stellen, ob es wirklich nur die Rüstungsindustrie ist, welche den Frieden bedroht. Pharmaunternehmen, Lebensmittelforschung, Saatgutunternehmen, Textilindustrie und viele mehr finanzieren Wissenschaft und sind bekanntermaßen nicht über jeden Zweifel erhaben. Die Ausbeutung der dritten Welt für billige Arbeitskraft, Monokulturen, von denen sich eine Bevölkerung nicht ernähren kann, unbezahlbare Preise für lebensrettende Medikamente… Die logische Konsequenz glauben 27 europäische Professoren gefunden zu haben: In ihrem Zürcher Apell fordern sie im März 2013 eine grundsätzliche Überprüfung nicht-staatlicher Mittel in der Forschung, eine Universitätslandschaft, die frei ist „von politischen, ideologischen oder ökonomischen Verwertungsinteressen“.

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