mit freundlicher Genehmigung von Flickr-Nutzer For91days

Umeswaran Arunagirinathan ist dem Bürgerkrieg auf Sri Lanka entkommen.


Wenn der Tag eines zwölfjährigen Jungen mit den Worten „Umes, du fliegst heute!“ beginnt, kann das so einiges bedeuten. Für Umeswaran Arunagirinathan kündigten sie 1991 allerdings nicht den Beginn einer Klassenfahrt an, sondern den Anfang einer acht Monate langen Flucht quer über die Kontinente mit dem Ziel, in Hamburg anzukommen und dort ein friedliches Leben führen zu können.

Wie es dazu kam und wie es anschließend weiterging, davon erzählte er am 10. Dezember im Rahmen der Vortragsreihe „Einblick schafft Durchblick“ der Fachschaft Medizin einem interessierten, etwa hundertköpfigen Publikum, dem auch einige bekannte Gesichter aus seiner Zeit in Lübeck angehörten, denn: Umes hat hier in Lübeck Medizin studiert. Mitgebracht hatte er das Buch, das er über seine Erlebnisse während der Flucht aus Sri Lanka und nach seiner Ankunft in Deutschland geschrieben hat und aus dem er zwischen seinen Schilderungen auch einiges vorlas.

Der Grund für die Flucht aus Sri Lanka liegt nahe: Von 1983 bis 2009 herrschte in Sri Lanka, vor allem im Norden, Bürgerkrieg zwischen Singhalesen und der tamilischen Minderheit, zu der auch Umes und seine Familie gehören. Die Kindheit des 1978 geborenen Umes war dadurch sehr von diesem Krieg geprägt. Von klein auf bekam er mit, wie Nachbarn bei Bombenangriffen ums Leben kamen, wie überlegt wurde, wie und wohin man am besten fliehen könnte und womit man noch seinen Lebensunterhalt verdienen kann, wenn es zu gefährlich wird, in die Stadt zu fahren, um dort Zwiebeln zu verkaufen. Seine Schule wurde geschlossen, die große Schwester starb an den Folgen einer bei uns problemlos behandelbaren Nierenerkrankung und die „Tamil Tigers“, eine paramilitärische, für einen unabhängigen tamilischen Staat kämpfende Gruppierung, zog durch die Lande und brachte schon Kinder dazu, sich ihnen als künftige Soldaten anzuschließen.

Zukunft? Ungewiss.

Umes’ Mutter machte sich immer größere Sorgen um das Leben und die Zukunft ihres ältesten Sohnes und fasste daher den Entschluss, ihn nach Deutschland zu einem Onkel zu schicken, der sich bereiterklärt hatte, ihn aufzunehmen und die Flucht finanziell zu unterstützen. Doch „jemanden nach Deutschland schicken“ klingt einfacher als es ist, wenn im Land Krieg herrscht und es unmöglich ist, einfach ein Visum für Deutschland zu bekommen. Die beiden reisten von Puthur im Norden Sri Lankas nach Colombo im Süden, wo Umes’ Mutter einen sogenannten Schlepper ausfindig machte, der für damals 15.000DM die illegale Reise ihres Sohnes nach Deutschland organisieren sollte. Die Schulden für seinen eigenen und den Schlepper seines jüngeren Bruders sollten Umes noch jahrelang begleiten.

Nachdem endlich diverse Formalien geregelt waren, ging für Umes am 6. Januar 1991 die turbulente Reise los: Angeblich zu einem Besuch bei Verwandten flog er zuerst nach Singapur, bevor es nach einem Zwischenstopp in Arabien weiter nach Togo ging. Hier warteten Umes und viele andere Tamilen monatelang auf die Weiterreise, immer zwischen der Hoffnung, schon bald auf dem direkten Weg nach Europa zu sein, und der sich nach Monaten ereignislosen Ausharrens breitmachenden Resignation. Was in der Heimat geschah, wusste keiner so genau: Telefonate waren sehr teuer und das alte Radio, mit dem einer der Männer Tag für Tag versuchte, Empfang zu bekommen und Nachrichten zu hören, funktionierte nur manchmal. Als Informationsquelle blieben lediglich die Neuankömmlinge aus Sri Lanka, die von immer neuen Bombenanschlägen berichteten und damit niemanden beruhigen konnten, denn die Sorge um die Verwandten war bei allen groß.

Die Versuche, Flüchtlinge über Marokko oder Benin nach Europa zu bringen, scheiterten und auch Umes musste, nachdem er sich zu Fuß inmitten einer Gruppe afrikanischer Frauen über die Grenze nach Ghana geschmuggelt hatte, nach einem weiteren Monat des Wartens entmutigt nach Togo zurückkehren. Der darauffolgende Versuch, über Benin, Nigeria und Spanien nach Deutschland zu fliegen, glückte dann aber endlich und nach nur einer Nacht in einem Heim in Frankfurt wurde Umes am 11. September 1991 von seinem Onkel abgeholt und mit nach Hamburg genommen. Dort angekommen konnte er schließlich ohne Angst vor Bomben werfenden Hubschraubern seine Jugend verbringen.

Mit Glück und sehr viel Arbeit vom sozialen Brennpunkt ins Uniklinikum

In all der Zeit hat Umes hart gearbeitet, sei es als Tellerwäscher, Putzmann oder Extrawache im Krankenhaus, um möglichst früh seine Eltern unterstützen zu können.

Doch er hat auch sehr viel Glück gehabt: Hätte er keinen Onkel in Hamburg gehabt, der seine Flucht finanziell unterstützt, wäre es ihm nicht möglich gewesen, dem Krieg zu entkommen. Wäre er während der Flucht nach Deutschland als illegaler Flüchtling geschnappt und zurückgeschickt worden, wäre er in Sri Lanka wahrscheinlich direkt im Gefängnis gelandet. Hätte er, als sein Asylantrag abgelehnt wurde, nicht die Unterstützung seiner Lehrer und vieler Eltern der Schule gehabt, die sich mit einer Petition für sein Bleiben einsetzten, hätte er nicht einmal sein Abitur in Deutschland ablegen dürfen. Nach dem Abschluss hätte Umes ohne die Hilfe des Hamburger Senats sowie eine Bürgschaft seines Patenonkels keine Aufenthaltsbewilligung für sein Medizinstudium in Lübeck bekommen und ohne Spenden, die es ihm erlaubten, eine Zeitlang nicht arbeiten zu müssen, hätte er sein Physikum im dritten und letzten Anlauf vielleicht nicht bestanden.

Ende gut, alles gut?

Letztlich ist für Umes dann doch irgendwie alles gutgegangen, immerhin arbeitet er mittlerweile als Assistenzarzt im Herzzentrum des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg, derzeit in der Kinderherzchirurge. Seinen Eltern kann er dadurch regelmäßig Geld schicken und ihnen so ein Leben im Süden Sri Lankas, in Sicherheit, finanzieren. 2008 erhielt er endlich seinen deutschen Pass und jetzt hofft er, in drei Jahren sowohl seinen Doktortitel als auch den Facharzt für Herzchirurgie in der Tasche zu haben. Bis dahin versucht Umes weiter, sich für andere einzusetzen und ihnen an seiner eigenen Biografie zu zeigen: Man kann es schaffen, als kein Wort Deutsch sprechendes Flüchtlingskind erfolgreicher Arzt zu werden, man darf nur nicht den Mut verlieren.

Vor seinem Abflug nach Singapur nahm Umes’ Mutter ihrem Sohn das Versprechen ab, bei seiner Rückkehr nach Sri Lanka als Arzt zu kommen, nicht zu rauchen und nicht zu trinken. Letzteres zwang die Organisatoren dazu, die bei Präsenten nahezu obligatorische Weinflasche nach Ende der auf die Lesung folgenden Fragerunde dezent hinter dem Medientower des Audimax verschwinden zu lassen, was bei dem einen oder anderen aufmerksamen Beobachter für ein Schmunzeln sorgte.

Doch obwohl Umes mittlerweile Arzt, noch immer Nichtraucher und alkoholabstinent ist, glaubt dieser nicht, dass er je wieder nach Sri Lanka reisen wird: Sein Buch „Allein auf der Flucht – Wie ein tamilischer Junge nach Deutschland kam“ und die Tatsache, dass er illegal das Land verlassen hat, dürften ihn in Sri Lanka nicht gerade zum gern gesehenen Gast machen, sodass er voraussichtlich sicherheitshalber nicht nach Sri Lanka zurückkehren wird.

Denn obwohl sich die Verhältnisse in Sri Lanka seit Ende des Bürgerkriegs 2009 verbessert haben, traut Umes sich nicht, zurückzukehren: Noch immer werden politische Gegner ausgeschaltet und richtige Pressefreiheit gebe es auch nicht, sagt er, doch die Menschen seien dankbar, dass nun Frieden ist. So fand auch das bisher einzige Wiedersehen mit seiner Mutter 15 Jahre nach seiner Flucht nicht in Sri Lanka, sondern bei seiner Schwester in London statt, was für alle Beteiligten ein wenig seltsam war: Umes, der Hamburg mittlerweile als seine Heimat betrachtet, ist in Deutschland voll integriert, seine Schwester lebt in einem von sehr vielen Tamilen bewohnten Viertel und ihre Mutter in Sri Lanka, was durch mehr als genug Unterschiede in Lebensstil und Ansichten etliche Diskussionen über Mode und Lebensplanungen provozierte.

Wer mehr über Umeswaran Arunagirinathans Leben in Sri Lanka, seine Flucht nach Deutschland oder die Probleme, mit denen er hier zu kämpfen hatte, erfahren möchte, kann entweder bei Amazon eines der letzten Exemplare von „Auf der Flucht“ bestellen oder aber noch ein bisschen abwarten: Derzeit schreibt Umes an seinem zweiten Buch, in dem er zusätzlich beispielsweise auf seine Erfahrungen als dunkelhäutiger Arzt in Deutschland eingehen wird.

Noch keine Kommentare, sei der Erste!