Der Universität zu Lübeck stehen eine Vielzahl von Ehrungen und Würdigungen zur Verfügung, wenn es darum geht, einen Menschen für einen Verdienst auszuzeichnen. Da gibt es den Preis für besonderes studentisches Engagement, welcher eigentlich nur Studenten der Universität verliehen werden kann, die Universitätsehrennadel, die Universitätsmedaille, die Ehrenbürgerschaft der Universität, die Ehrenmitgliedschaft im Senat, die Ehrenprofessur und natürlich die Ehrendoktorwürde. Verdienst – und das ist vielleicht die Krux an der ganzen Angelegenheit – ist dabei ein weicher Begriff, ein dehnbares Etwas.

Protest gegen die Schließung der Uni in Kiel. Juli 2010.Lukas Ruge | StudentenPACK.

Protest gegen die Schließung der Uni in Kiel. Juni 2010.

Mit Ehrungen, Würdigungen und Danksagungen sparte die Universität nicht, nachdem im Sommer 2010 ein Sturm an Demonstrationen, Protesten und Empörung dafür sorgte, dass die Landesregierung Schleswig-Holsteins den Plan fallen lassen musste, die Universität zu Lübeck im Rahmen der Sparbemühungen kaputt zu kürzen. Nun, zwei Jahre später, soll nach dem Willen der Universitätsleitung eine weitere Person für die Rettung der Universität geehrt werden: Die amtierende Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Fakt ist: Die Landesregierung gab ihr Vorhaben auf, nachdem Schavan grünes Licht für einen Plan gab, der das GEOMAR in Kiel von 50-prozentiger Landesfinanzierung auf eine 90-prozentige Bundesfinanzierung umstellte. Ein bisher einmaliger Prozess, der in der deutschen Medienlandschaft deswegen besondere Beachtung fand, weil er, zu einem gewissen Grad, eine Aushebelung des Kooperationsverbotes darstellte. Das Kooperationsverbot macht es eigentlich unmöglich für den Bund, die Bildung in den Ländern zu finanzieren. Doch die Schavan-Lösung umging das Problem und ließ indirekt Bundesgelder nach Lübeck fließen.

Doch was hatte Ministerin Schavan tatsächlich getan? Schon jetzt, nur wenige Jahre nach dem Protest, existieren verschiedenste Versionen der Geschichte von „Lübeck kämpft“, welche üblicherweise den Erzähler zur zentralen Figur werden lassen. Dieser Kampf begann bereits im Mai 2010, als die Absichten der Landesregierung, den Medizinstudiengang in Lübeck einzustellen und das UKSH zu privatisieren, bekannt wurden und Studenten, Professoren, Mitarbeiter und Lübecker Bürger ihre Universität in Gefahr sahen. Die zahlreichen Protestaktionen streckten sich über Monate und sind in vielen Artikeln und einem Buch beschrieben worden.

Ministerpräsident Carstensen und Ministerin Schavan hatten sich aufgrund der Proteste – unter anderem – Mitte Juni getroffen, um das Problem der Uni Lübeck zu diskutieren. In den folgenden Wochen, als die Lübecker Wutbürger lauter wurden, gab es sowohl vom Bundesbildungsministerium als auch von Seiten der Landesregierung keine Anzeichen dafür, dass eine Lösung gefunden wurde. Ganz im Gegenteil: Peter Harry Carstensen verknüpfte das Sparpaket mit seinem politischen Schicksal, drohte laut Medienberichten damit, dass er zurücktrete, würde die Ein-Mann-Mehrheit im Landtag fallen. Auch im Bund mauerte die CDU: Auf Anfragen der Opposition im Bundestag gab es keine zufriedenstellende Auskunft, obwohl von der SPD zwei Fragestunden zur Universität Lübeck einberufen wurden. Schavan persönlich habe allerdings, so schreibt das Flensburger Tageblatt, intern mitgeteilt, dass die Universität zu Lübeck erhalten bleiben müsse. Öffentlich gab es aber anscheinend keinen Grund, solche Proklamationen zu machen.

Doch das war im Juni, die Mehrheit im Landtag stand und auf Bundesebene lag die CDU in den Umfragen klar vor der SPD. Als die Landtagsmehrheit für das Sparpaket dann am 1. Juli fiel, als der FDP-Abgeordnete Gerrit Koch erklärte, nicht für das Sparpaket zu stimmen, die Einstellung des Medizinstudienganges im Landtag also ohnehin nicht mehr durchzusetzen war, die Presseberichte immer negativer wurden und in den Sonntagsfragen zum Bund die CDU nur noch einen Prozentpunkt vor der SPD lag (die FDP war mal wieder unter die Fünf-Prozent-Hürde gefallen), war von „Standfestigkeit“, „dringendem Sparwillen“, von „Griechenland-artigen Zuständen“ und „alternativlos“ (was später Unwort des Jahres wurde) nichts mehr zu hören. Plötzlich gab es eine Lösung: Die Schavan-Lösung. Ein bisher vom Bund zu 50 Prozent finanziertes Forschungszentrum sollte zukünftig zu 90 Prozent bundesfinanziert sein. Der Einspareffekt erlaubte der Landesregierung, ihr Sparziel zu erreichen und ihr Gesicht zu wahren – gleichzeitig musste die Uni Lübeck nicht geschlossen werden.

Ein Schelm wer Böses denkt. Nie hat es sich um politisches Kalkül gehandelt: Kontinuierlich, so ließen Minister de Jager und FDP-Fraktionsvorsitzender Kubicki die Öffentlichkeit wissen, habe man konstruktiv mit der Bundesbildungsministerin an einer Lösung gearbeitet, die sie zufällig nun, da ihr ursprünglicher Plan ohnehin nicht mehr durchsetzbar war, präsentieren konnten. Eigentlich hätte die Politik – nicht der Protest – die Uni gerettet, sollten wir wissen.

In Lübeck wurde dies belächelt. Uni-Retter wollten die sparwütigen Landespolitiker sein, höhnische Plakate über die Retter aus Kiel wurden in Lübeck ausgeteilt und aufgehängt. Manche hängen noch heute.

Auch Peter Dominiak, Präsident der Universität, lehnte diese Form der Geschichte ab: „Es gab seit letztem Jahr im Winter Verhandlungen in Berlin, aber ich glaube nicht bezüglich der Uni Lübeck oder sogar über GEOMAR, das hätte ich sonst sicher von Herrn Rietschel (Anm. d. Red.: ehemaliger Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, der das IFM-GEOMAR damals unterstand, und Ehrendoktor der Uni Lübeck) erfahren.“ Zudem habe er jede Woche mit Ministerin Schavan telefoniert, gab er 2010 gegenüber dem StudentenPACK zu Protokoll. Von der Retterin Schavan damals noch keine Rede.

Ähnlich analysierte die Presse die Rolle der Ministerin. Die Financial Times Deutschland schreibt am 9. Juli, dem Tag nach dem Eingreifen der Ministerin: „Der Bund übernimmt für einen zweistelligen Millionenbetrag ein Forschungsinstitut. Schwarz-Gelb sichert damit den Fortbestand der Hochschule – und das politische Überleben der Kieler Landesregierung. Die jetzt zugesagte Hilfe vom Bund ist offenbar auch eine Art Gegenleistung für die Zustimmung Schleswig-Holsteins zum ‚Wachstumsbeschleunigungsgesetz‘ Ende vergangenen Jahres.“

Wie schnell sich die Sicht auf die Geschichte verändern kann, zeigt das Universitätspräsidium, welches im Dezember 2011 einen Antrag im Senatsausschuss Medizin einbrachte: Im April 2012 sollte Annette Schavan den Ehrendoktor für ihre Leistungen im Rahmen der Rettung der Universität erhalten. Die Ehrendoktorwürde der Universität zu Lübeck muss, so sieht es die Promotionsordnung vor, von einem der zwei Senatsauschüsse – Medizin oder MINT – dem Senat vorgeschlagen werden. Dieser Vorschlag muss vier Fünftel aller Stimmen erhalten. Auch im Senat ist eine solche vier-Fünftel-Mehrheit nötig, damit die Würde erteilt werden kann.

Einladung zum Jahresempfang der Universität zu LübeckStudentenPACK | StudentenPACK.

Einladung zum Jahresempfang der Universität zu Lübeck

In dem von Professor Dominiak verfassten schriftlichen Antrag, der dem StudentenPACK vorliegt, klingt die Rolle der Bildungsministerin äußert freundlich: „Frau Prof. Schavan hat im Sommer 2010 durch schwierige aber immer entschlossene und politisch weitsichtige Verhandlungen mit der Landesregierung Schleswig-Holsteins erreicht, dass der Studiengang Medizin an unserer Universität bestehen bleibt und damit ihr Bestehen als ganzes gerettet!“, schreibt Dominiak zur Begründung. Zudem verweist der Antrag auf Schavans Unterstützung der Universität bei dem Plan, zur Stiftungsuniversität zu werden. „Die Verleihung der Ehrendoktorwürde wäre eine angemessene Würdigung der Verdienste von Frau Schavan um den Erhalt der Medizin und damit der gesamten Universität zu Lübeck.“ Der Antrag wurde im nicht öffentlichen Teil der Sitzung vorgestellt und abgestimmt, die Begründung in dieser Form an den Senat weitergeleitet.

Und während diese Sicht auf die Geschichte zumindest streitbar ist, so sind andere Abschnitte des Antrags einfach nur falsch: So wird §22 Abs.1 der Universitätsverfassung zitiert: Die „Universität kann [die Ehrendoktorwürde] für besondere Verdienste um die Universität zu Lübeck“ verleihen, doch das ist so nicht richtig: Die Verleihung der Ehrendoktorwürde ist die einzige Ehrung der Universität, an deren Verleihung gewisse wissenschaftliche Voraussetzungen geknüpft sind: Sie kann für „hervorragende wissenschaftliche Leistungen oder besondere persönliche Verdienste um die von der Universität vertretenen Wissenschaften“ verliehen werden. Dies unterscheidet diese Würdigung von allen anderen von der Universität verliehenen Preisen, welche „für besondere Verdienste um die Universität“ selbst vergeben werden. Die Verdienste eines Ehrendoktors müssen also wissenschaftlicher Natur sein. So ist es vielleicht zu erklären, dass in einer Pressemitteilung der Universität die Begründung plötzlich um einen fachlichen Aspekt ergänzt wurde, der in der schriftlichen Vorlage in Ausschuss und Senat fehlte: Frau Schavan habe sich um die medizinische Wissenschaft verdient gemacht, „weil sie die Gesundheitsforschungszentren ins Leben gerufen hat, die vor allem die Defizite in der klinischen Forschung auf den Gebieten Herz, Lunge, Infektion, Diabetes und Neurologie beseitigen sollen.“

Ob Ministerin Schavan sich besonders für die Wissenschaft oder für die Universität zu Lübeck verdient gemacht hat oder lediglich um die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat, wie Björn Engholm im Vorwort zum Buch „Eine Stadt sieht gelb – Wie Lübeck seine Uni rettete“ vermutet: Der Verleihung einer Ehrennadel oder Hochschulmedaille stünde sicherlich formal nichts im Weg.

Es ist nichts Neues, dass auch Ehrendoktorwürden abseits einer klar verständlichen Qualifikation vergeben werden. Universitäten schmücken sich gerne mit großen Namen und so ist auch Günter Grass ein medizinischer Ehrendoktor der Universität zu Lübeck. Was der Beitrag des Literaturnobelpreisträgers zur medizinischen Wissenschaft ist? Dass er „Deutschland und die Welt mahnt, das Humane neu zu bedenken und einzulösen.“ sagte 2003 Prof. Dr. med. Hans Arnold in seiner Laudatio.

Nicht nur Universitäten schmücken sich gerne mit großen Namen, auch Politiker schmücken sich gerne mit Titeln und Würdigungen: Anette Schavan hat bereits einen Dr. phil. an der Universität Düsseldorf erhalten, für ihre Dissertation mit dem Titel „Person und Gewissen – Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ (1980) sowie eine Ehrendoktorwürde der Universität Kairo „für ihre Verdienste um die ägyptisch-deutsche Zusammenarbeit im Bereich Wissenschaft und Forschung“ (2009), der Tongji-Universität, Pei Gang in China (2010), ein Jahr später der Hebräischen Universität Jerusalem „in Anerkennung ihrer Leistungen für die deutsch-israelische Zusammenarbeit in Forschung und Bildung“ und der Meiji-Universität in Japan als „Zeichen für den Ausbau der Partnerschaft in Forschung und Lehre mit deutschen Institutionen“. Im Jahre 2012 sollte nun Lübeck dran sein, für ihren Einsatz um den Erhalt der Universität und ihre Unterstützung des „Bestrebens, Stiftungsuniversität zu werden“. Seit dem Wintersemester 2009/2010 ist Dr. Dr. hc. mult. Schavan eine Honorarprofessorin für katholische Theologie an der Freien Universität Berlin.

Ministerin Schavan im Januar 2012 bei der Eröffnung des Wissenschaftsjahres in LübeckStudentenPACK | StudentenPACK.

Ministerin Schavan im Januar 2012 bei der Eröffnung des Wissenschaftsjahres in Lübeck

Doch der Plan, den Preis im April 2012 zu verleihen, scheiterte an der Kritik der SPD-Fraktion im Landtag. Wie könne es sein, dass eine CDU-Ministerin so kurz vor der Wahl in Schleswig-Holstein die Würde der hochangesehenen Universität erhält? Ein Termin, der aus Sicht der Wahlkämpfer, so Martin Habersaat, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, „zu kritisieren sein könnte und den man sich merken sollte“. Weniger diplomatisch ist wie gewohnt der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ralf Stegner: „Amigos im Norden“ twittert Stegner und vergleicht die Beziehung zwischen Universität und Bildungministerin mit der zwischen Landesregierung und Glücksspiel-Lobby oder dem inzwischen zurückgetretenem Bundespräsidenten Wulff und seinen Gönnern. Die Universität sieht keinen Zusammenhang: „Der Jahresempfang der Universität zu Lübeck findet bereits seit langem in jedem Jahr Mitte April“ statt, man bedaure, „dass in unsinniger Weise versucht worden ist, aus der in diesem Jahr gegebenen, zufälligen zeitlichen Nähe zur Landtagswahl am 6. Mai einen intendierten Zusammenhang zu konstruieren.“

Grundsätzlichere Probleme sieht Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Bundestag: „Es ist nicht statthaft, wenn die amtierende Ministerin für Bildung von einer deutschen Universität einen Ehrendoktor erhält.“ Er sieht darin den Anschein, man wolle das Wohlwollen der Ministerin erkaufen. Bedenkt man, dass gerade die Lübecker Universität 2005 und 2010 wegen fehlendes Wohlwollens in der Politik um ihr Überleben kämpfen musste, sind solche Anschuldigungen ernst zu nehmen. Das Bundesministerium war für eine Klärung zu Stegners Vermutungen nicht zu erreichen, genauso wenig wurde die Frage beantwortet, warum eine amtierende Ministerin eine solche Auszeichnung überhaupt angenommen hat.

Um der Kritik aus dem Weg zu gehen, wurde die Vergabe auf den April 2013 verlegt, oder wie Ralf Stegner es auf Twitter nennt: „Kurz vor der Bundestagswahl“. Bildungsministerin ist Frau Schavan dann voraussichtlich immer noch.

Hinter vorgehaltener Hand hört man auch von einigen Mitgliedern des Senats der Universität zu Lübeck, dass die Vergabe der Ehrendoktorwürde ihnen nicht wirklich gefällt, doch letztendlich haben sich im Senat wie im Senatsausschuss Medizin alle Mitglieder entschieden, für den Antrag von Professor Dominiak zu stimmen. Caroline Blaum, sie vertritt die Studierendenschaft im Senatsausschuss Medizin, betont, sie hätte nicht für den Antrag gestimmt, war aber zu der Sitzung verhindert. „Nicht allein der persönliche Einsatz von Frau Schavan hat die Uni gerettet, sondern vielmehr das Engagement der gesamten Uni Lübeck und der Lübecker Bürger hatten erheblichen Teil daran“, meint Caroline. Von daher sei die Verleihung der Ehrendoktorwürde eine unangemessen Maßnahme. Für die Vergabe im Jahr 2013 wird kein neues Votum des Senats notwendig sein.

Damit, dass die Würdigung nicht gänzlich ohne Kritik vonstatten gehen würde, dürfte Präsident Dominiak gerechnet haben. Seinen Antrag an den Senatsausschuss Medizin beendet er mit den Worten: „Da es sich um eine sensible Personalie handelt, möchten die Unterzeichner (Prof. Dominiak und Prof. Hohagen, Anm. d. Red.) herzlich darum bitten, diesen Vorgang bis zur Vorlage in den Gremien höchst diskret zu behandeln.“

So bleibt, wie man in Schavans politischer Heimat Baden-Württemberg sagt, ein Geschmäckle, wenn die Universität im April 2013, mit einem Jahr Verzögerung, zum sechzehnten Mal in fast 50 Jahren den Titel verleiht, und die Gewissheit, dass sich hier zwei mit dem Namen des Anderen schmücken. Doch vielleicht muss man all den Beigeschmack mit der Gelassenheit nehmen, mit der auch Martin Habersaat seine Stellungnahme beendet: „Die Universität zu Lübeck wurde gerettet. Wenn der Preis dafür ein Ehrendoktorhut für Frau Schavan ist, sei er ihr gegönnt. Herzlichen Glückwunsch!“

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