Lukas Ruge | StudentenPACK.

Sitzblockade bei der Gegendemo 2010

Alle Jahre wieder… Es ist schon zur traurigen Regelmäßigkeit geworden, dass am letzten Samstag im März Neonazis und Rechtsradikale den Weg nach Lübeck nehmen, um hier in stiller Trauer den Opfern der Bombenanschläge auf diese Stadt im 2. Weltkrieg zu gedenken. Und genauso treten sie auf: trauernd, schweigend, friedlich. Nach außen ein integeres Bild guter Bürger.

Doch hinter den Kulissen läuft noch viel mehr: Der Trauermarsch fungiert als Vernetzungstreffen: Neue Kameradschaften werden geschlossen, Aktionen können geplant, Selbstbewusstsein geschöpft werden – alles unter den Augen der Öffentlichkeit und unter dem Schutz der Staatsmacht. Eine perfekte Gelegenheit für einen Einstieg Unentschlossener in die Szene.

„Wir können sie stoppen“, haben sich daher Vertreter von Kirchenverbänden, Parteien, Gewerkschaften, Schülerinitiativen und auch linker bis linksradikaler Gruppierungen gesagt und ein gleichnamiges Bündnis gegründet, um sich den Neonazis in den Weg zu stellen, geeint „vom Willen, den Nazis Paroli zu bieten“, so zu lesen auf der Homepage des Bündnisses. Denn worum es wirklich geht, ist nicht die Trauer um die Opfer der Bombenanschläge, sondern der Kampf um die Straße und um die Köpfe der Bürger.

Was das Bündnis in den vergangenen Jahren immerhin bewirken konnte ist, dass sich der Trauermarsch nicht mehr Richtung Innenstadt bewegt, sondern sich auf den Stadtteil St. Lorenz beschränken muss. Ein Teilerfolg, wo ein Verbot des Aufmarsches durch Bürgermeister Bernd Saxe noch immer nicht so recht durchgesetzt wird.

Auch die Vertreter der Studierendenschaft der Universität haben sich in all den Jahren mit dem Bündnis solidarisiert und den Studenten nahe gelegt, an den friedlichen Blockaden teil zu nehmen. Auch gab es immer einzelne, die sich direkt im Bündnis engagierten. In diesem Jahr beteiligten sich erstmals StuPa- und AStA-Mitglieder in ihrer offiziellen Funktion an der Organisation der Gegendemonstration. Einer von ihnen ist Christoph Leschczyk, derzeit Präsident des StuPas. Er hat sich im letzten Jahr gegen Ende in die Planungen eingebracht und festgestellt, dass vieles nicht gelaufen ist, was hätte getan werden sollen. Insbesondere die Art und der Umfang der Mobilisation waren ihm nicht ausreichend genug: Plakate seien erst spät und dann nicht flächendeckend aufgehängt worden, in der Stadt war die Aktion kaum bekannt, geschweige denn im Bewusstsein der Einwohner. Christoph ist es ein persönliches Anliegen, für dieses Thema zu sensibilisieren und mit der Rückendeckung der Studentenvertreter ist er einer derer, die sich dem Aktionsbündnis angeschlossen haben. Das Bündnis, so berichtet er, sei offen für Neue und man habe sich gefreut, dass auch Studenten sich einbringen wollen.

Die Studenten haben sich also der Mobilisation verschrieben. Konkret heißt das: Plakate kleben, das Thema in den öffentlichen Fokus rücken und vor allem: die Studenten informieren. So wurde ein Aussteiger aus der rechten Szene eingeladen, um an einem Vortragsabend im Audimax Einblicke zu liefern. Es wurde eine Vollversammlung einberufen, in der unter anderem die Notwendigkeit angesprochen wurde, sich diesem Thema zu stellen.

Lukas Ruge | StudentenPACK.

Bei der Vollversammlung stimmte die überwiegende Mehrheit der Studenten für einen fortgesetzten Einsatz der Gremien gegen den Naziaufmarsch.

Doch damit nicht genug. Neben den üblichen Kundgebungen soll es in diesem Jahr ein Rahmenprogramm geben, das es für die Demonstranten attraktiver macht, am Ort des Geschehens zu bleiben. „Wir brauchen einfach eine Riesenpräsenz“, bringt es Christoph auf den Punkt. Zwar seien sowohl die Route für den Trauermarsch wie auch die für die Gegendemo noch nicht genehmigt worden, doch sei es in diesem Jahr geplant, die Schlusskundgebung direkt in St. Lorenz stattfinden zu lassen. „Und wir müssen richtig viele Menschen sein, damit die uns auch wirklich nach St. Lorenz reinlassen“, fügt Christoph an.

Der Vorstoß nach St. Lorenz ist neu. In den vergangenen Jahren wurde die Gegendemo immer als Sternmarsch begonnen. Die beteiligten Gemeinden hielten Gottesdienste ab und anschließend pilgerte man gemeinsam zum DGB-Haus am Holstentorplatz, wo es die erste Kundgebung gab. Von dort ging es weiter zum Hauptbahnhof, wo die Schlusskundgebung stattfand. Diese dauerte an, bis der letzte Neonazi wieder in den Zug gestiegen war. Wer aktionistischer war, hat von diesem Teil der Veranstaltung nicht viel mitbekommen: Die eingefleischten Blockierer hatten sich immer schon früh morgens nach St. Lorenz aufgemacht, um vor den Straßensperrungen im Stadtteil sein zu können und sich den Nazis entgegen zu stellen. Oder besser: zu setzen.

Vor zwei Jahren haben diese Sitzblockaden zum Erfolg geführt: Die Neonazis konnten bis zum Steinrader Weg laufen, auf einem Bruchteil der anvisierten Strecke. Dort gab es kein Durchkommen und die Rechten mussten unverrichteter Dinge zurück zum Bahnhof. Ein Erfolg für das Bündnis und alle Gegendemonstranten, der aber bereits ein Jahr später zunichte gemacht werden sollte: 2011 wurde die Polizeipräsenz enorm erhöht, die Route hermetisch abgeriegelt. Es bestand keine Möglichkeit zum Ziegelteller zu gelangen, einem begehrten Dreh- und Angelpunkt der Blockade. Wer doch Anstalten machte, die Abriegelung zu durchbrechen, wurde sofort vom Platz geräumt.

Doch eine kleine Enklave gab es: Die Bodelschwingh-Kirche, in der Beethoven-Straße direkt an der Route des rechten Trauermarschs gelegen. Pastor und Pastorin der Gemeinde hatten auch einen Gottesdienst anberaumt und ein buntes Spektrum an Bürgern war gekommen: Junge, Alte, ganze Familien. Von der Kirche aus war von einigen der Versuch gestartet worden, die Nazi-Route noch früher zu blockieren. Doch das scheiterte am massiven Eingreifen der Sicherheitskräfte: Die Polizei kesselte das Gemeindezentrum ein, Schlagstöcke und Pfefferspray kamen zum Einsatz, auch gegen gänzlich unbescholtene Bürger. Es gab Verletzte, doch den Rettungskräften wurde zunächst ebenfalls der Zutritt zum Geschehen verweigert. Die Maßnahmen haben gefruchtet, die Gemeindemitglieder sind eingeschüchtert und werden sich in diesem Jahr wahrscheinlich nicht so weit einbringen.

Auch aus diesem Grund, betont Christoph Leschzcyk, sei es wichtig, Geschlossenheit zu zeigen. Und das schließt auch die Geschlossenheit von Demonstranten und Blockierern ein. Wenn alles klappt, so Christoph, werde also die Route der Rechten schon alleine deswegen beschränkt, weil sich einfach zu viele Gegendemonstranten im Stadtteil aufhalten. “Die Abschlusskundgebung am Ziegelteller soll dem Einmarsch der Neonazis von Anfang an einen Riegel vorschieben.”

Bliebe also nur noch die Flucht nach vorne. Doch eventuellen Bestrebungen, den Trauermarsch dann durch das Hauptportal des Bahnhofes auszuleiten und Richtung Stadt ziehen zu lassen, wird in den Planungen des Bündnisses bereits ein Riegel vorgeschoben: Auf dem Holstentorplatz soll ein internationales Frühstück stattfinden. Federführend in Sachen internationales Treffen ist das Politik-Referat des AStAs unter der Leitung von Maren Janotta, die die Idee zu dem Frühstück hatte. Sie hat sich mit Mitgliedern der ausländischen Gemeinden in Lübeck, ausländischen Studierenden, Austauschschülern und dem Verein zur Integration von Ausländern in Verbindung gesetzt und alle eingeladen. Auch dieses Treffen soll das Knüpfen von Kontakten ermöglichen und gleichzeitig demonstrieren: Wir sind eine Gemeinschaft, egal welcher Herkunft.

Die Erfahrungen der letzten Jahre hätten gezeigt, dass sich leider nur wenige ausländische Mitbürger an den Gegendemonstrationen beteiligen. Wer nicht typisch deutsch aussehe, bleibe an diesem Tag einfach zu Hause, berichtet Maren. Daher habe man für das Frühstück auch einen Platz gewählt, der eine etwas größere Entfernung zur Naziroute hat.

Alle, die am Frühstück teilnehmen wollen, sollten nach Möglichkeit eine Kleinigkeit zu Essen mitbringen, damit Passanten, die sich spontan anschließen möchten, auch etwas abbekommen können. Dazu soll Musik gespielt werden, die die jeweiligen Gemeinden mitbringen. Die meisten Gemeinden hätten auf Marens Anfrage zunächst überrascht reagiert, fanden die Idee aber grundsätzlich gut. Leider wollten dennoch viele nicht teilnehmen, die jüdische Gemeinde feiere beispielsweise an diesem Tag den Sabbat. Viele haben jedoch auch gleich zugesagt und werden sich beteiligen.

Auch das Aktionsbündnis hat positiv auf die Idee reagiert, so Maren. Es sei eine Chance zu zeigen, dass „die Stadt Lübeck sich als eine weltoffene Stadt präsentiert und zeigt, dass rassistisches und neonazistisches Gedankengut hier nicht akzeptiert wird.“

Die Angst, dass die ausländischen Teilnehmer für die Nazis auf dem Silbertablett präsentiert werden, teilen Maren und Christoph nicht: „Die Nazis haben eine stringente Struktur, sie treten bei Demos gerne friedlich auf und geben sich selbst eher die Opferrolle“, schließt Christoph das Risiko, zumindest was den Lübecker Aufmarsch angeht, weitgehend aus. „Außerdem sollte auch die Polizei zu deren Schutz da sein.“ Gleichzeitig betont er, wie wichtig gerade für die Universität der Kampf um ein freies Leben der ausländischen Mitbürger ist: Gerade werde ein neuer Studiengang etabliert, der hauptsächlich ausländische Studenten ansprechen und in die Stadt holen will. „Wir wollen hier Ausländer studieren lassen, dann müssen wir uns auch dafür einsetzen, dass sie außerhalb der Uni ohne Angst leben können!“

Der Einsatz gilt jedoch gleichzeitig dem Erhalt der Demokratie: „Wenn es Kräfte gibt, die die Demokratie abschaffen wollen, muss man sich dagegen auflehnen, sonst haben wir schnell Verhältnisse, die wir alle so nicht haben wollen“, appelliert Christoph noch einmal ausdrücklich. Es ist wichtig, diese Verantwortung zu übernehmen, gerade nachdem die rechte Szene durch die Geschehnisse im letzten Jahr einen Aufschub bekommen haben dürfte: „Die wollen jetzt was reißen“, sagt Christoph und fügt an, dass in diesem Jahr sicherlich 250 bis 300 Rechte zu erwarten seien. Ein Grund mehr für die Gegendemonstranten, möglichst zahlreich aufzutreten, nicht nur für die Demokratie, sondern auch für die Stadt und die Universität.

Nähere Informationen zu den geplanten Aktionen, mit Hinweisen, wo man sich speziell als Student noch einbringen kann, werden im Laufe der vorlesungsfreien Zeit folgen.

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