Ein Jahr ist es her, dass ganz Lübeck gelb trug. Ein Semester voller Kampfeswillen, aber auch Verzweiflung. Durchwachte Nächte und aufregende Tage. Teilweise sind die Erinnerungen an diese Zeit weit in den Hinterkopf gerutscht. Auf der anderen Seite kommt sie bei vielen Gelegenheiten und fast allen Unterhaltungen über die Uni wieder auf den Tisch. Dabei stand die Zeit nicht still, seit die Uni gerettet schien. Lübeck wurde zur Stadt der Wissenschaft, die Landesregierung plant ein Gesetz, das die Gründung einer Stiftungsuni ermöglichen soll und die Privatisierung des Uniklinikums steht immer noch im Raum. Wir haben mit dem Präsidenten der Uni, Peter Dominiak, mit Wissenschaftsminister Jost de Jager, mit dem Pressesprecher des UKSH Oliver Grieve und mit Steffen Kühhirt von Verdi über das vergangene Jahr gesprochen und auch darüber, wie sie die Zukunft des Standortes Lübeck sehen.

 

Alles gelb - Demo in Kiel 2010undefined | StudentenPACK.

 

Alles gelb - Demo in Kiel 2010

Wir-Gefühl gleich zu Beginn des Kampfes

Für den Präsidenten der Uni, Prof. Peter Dominiak, ist das Kampf-Gefühl noch förmlich greifbar. Zwar überwiegt das Gefühl, es geschafft zu haben, doch er erinnert sich genau an den Abend, als nach der Demonstration gegen die Privatisierung der Klinik der NDR bei ihm anrief – eine Stunde vor dem Gesprächstermin mit dem Wissenschaftsminister Jost de Jager – und ihm übermittelte, dass aus Regierungskreisen durchgedrungen sei, die Medizin in Lübeck solle eingestellt werden. Dominiak war gleich klar: „Die Landesregierung meint es bitterernst, das ist nicht nur eine Drohgebärde“ und so rief er noch in der gleichen Woche bei der Bundesbildungsministerin Annette Schavan an, die ihm ihre Hilfe zusicherte. Was folgte war die Senatssitzung, die kurzfristig wegen der Überfüllung der Hörsäle im Zentralklinikum ins Audimax verlegt wurde. Hier wurden Spenden gesammelt und Dominiak erinnert sich, wie noch in der laufenden Sitzung die Zahl 5000 Euro in den Raum gerufen wurden. Am Ende waren es fast 10000.

Doch nicht nur die Spendenbereitschaft unter den Hochschulangehörigen sei beeindruckend gewesen, auch das, was von den Lübecker Bürgern und der Industrie in der Umgebung kam, lies den Präsidenten nach vorne blicken. Die Mobilisierung der Lübecker Bevölkerung schreibt Dominiak dabei den Studenten zu: Diese seien wahnsinnig engagiert gewesen und hätten es erst ermöglicht, dass so viele Leute mobilisiert werden konnten und auch dass die Lübecker Nachrichten acht Wochen lang täglich über die Uni berichteten. So sei ein wichtiger Druck entstanden, die Landesregierung habe gesehen: Hier wehren sich die Bürger!

Keine Reue über Entscheidungen

Dabei bereut Peter Dominiak keine seiner Entscheidungen. Auch nicht, das Bargteheider Gespräch, für das er insbesondere bei den Studenten in Kritik geraten war. Das Gespräch, bei dem sich der Präsident und sein Kanzler, Oliver Grundei, und Bürgermeister Bernd Saxe unter anderem mit dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen und Wissenschaftsminister Jost de Jager trafen – absichtlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, absichtlich außerhalb Lübecks, um sich in Ruhe unterhalten zu können. Dominiak sagt, er habe sich lange den Kopf über diese Kooperation zerbrochen. Wer Vorschläge macht, könne beim Schopf gepackt werden und müsse diese dann auch erfüllen. So war klar, die Vorschläge müssten fundiert und umsetzbar sein, auch wenn der Ministerpräsident wohl von Anfang an immer betonte, Kiel dürfe nichts passieren. Anders de Jager, der auch einen Einschluss der Kieler in Ordnung fand.

„Hätten wir kein Angebot gemacht, hätten alle gesagt: Schaut euch das an, der Präsident ist noch nicht mal bereit, zu kooperieren“, fasst Peter Dominiak noch einmal seine Entscheidung zusammen, sich an den Gesprächen zu beteiligen. Und befindet weiter: Man habe alles sehr strategisch hingekriegt. Tatsächlich eröffnete sich so eine Möglichkeit für den Präsidenten, der seit seinem Amtseintritt im Jahr 2005 an dem Projekt Stiftungsuni arbeitet, seine Pläne durchzusetzen und die Universität so auf festeren Boden zu stellen. Das wichtigste an der Stiftungsuni sei die Autonomie, vor allem finanziell. Drittmittel könnten viel leichter eingeworben werden und zudem sei es auch von der Gesetzeslage her schwieriger, eine Stiftungsuniversität zu schließen.

Vorarbeit für die nächste Legislatur angelaufen

Die Uni an sich sei auch momentan schon stabil und vor allem geschützt durch die Zielvereinbarungen, die mit der Landesregierung geschlossen wurden und noch bis 2013 gelten. Diese seien zwar abhängig von der Haushaltslage aber nicht ohne weiteres einseitig kündbar. Zielvereinbarungen speziell für die Medizin in Lübeck gäbe es jedoch keine und so sei es ein Bestreben des Präsidiums, diese noch in der Amtszeit der aktuellen Landesregierung zu beschließen.

Im Ausblick auf die nächste Landesregierung wird übrigens auch schon vorgefühlt. So lädt der Präsident, unter Einbeziehung studentischer Vertreter, aber ausdrücklich unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die Spitzenkandidaten aller Parteien nach und nach zu Kamingesprächen ein. Es sei zwar auch der Plan, wie bereits vor der letzten Landtagswahl, wieder einen 10-Punkte-Katalog an die Parteien zu schicken und die Antworten darauf auch zu veröffentlichen. Von den Kamingesprächen erhofft sich Präsident Dominiak jedoch eine verstärkte Kommunikation und auch einen persönlichen Zugang zu den möglichen nächsten Landesvätern.

Spitzenkandidat der CDU von Boetticher - Willkommen zum Kamingespräch.Christoph Stockhusen

Spitzenkandidat der CDU von Boetticher - Willkommen zum Kamingespräch.

Die Kommunikation mit der aktuellen Landesregierung und auch mit dem Präsidium der Universität in Kiel, sie sei professionell, berichtet Dominiak. Böses Blut gebe es keines mehr, „aber eine Narbe bleibt zurück.“

„Die Überlegungen damals waren richtig“

Den professionellen Umgang mit der Universität betont auch der Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr Jost de Jager, der im letzten Jahr schnell ins Kreuzfeuer geraten war und von da an Angriffspunkt der Demonstranten blieb. Doch auch er steht nach wie vor hinter allen Entscheidungen, die getroffen worden sind. Zwar war er nie Mitglied der berüchtigten Haushaltsstrukturkommission, die die Sparpläne erarbeitete, doch arbeitete sein Ressort in beratender Funktion eng mit der Kommission zusammen. Dabei erörterte er in erster Linie die Fragestellung, ob es irgendwie anders ginge, „oder ob nicht auch der Bereich Wissenschaft einen Teil zu der Einsparungssumme beitragen muss“. Sie musste etwas beitragen, wie schnell allseits bekannt wurde. Dabei stand der Minister vor der Frage, ob er überall ein wenig sparen sollte, was dann sehr zu Lasten der Kunst- und Musikhochschulen gegangen wäre, oder ob man drastische Einschnitte – wie dann in Lübeck – in Kauf nehmen könnte. „Das war die Überlegung damals, die ja auch nach wie vor richtig ist“, sagt der Minister im Rückblick.

 

Jost de Jager - Hat schon immer recht!Thorsten Biet

 

Jost de Jager - Hat schon immer recht!

Dass die Demonstranten sich nach einem kurzen Aufbegehren gegen den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki schnell auf de Jager einschossen, hat diesen nicht überrascht. Es sei zu erwarten gewesen, dass der Standort Lübeck seine Pläne nicht gut heißen würde und so war er „mental darauf eingestellt“. Doch obwohl Lieder gedichtet wurden, die eben jenes forderten: An Rücktritt habe er keine Sekunde gedacht. „Es gehört durchaus zu den politischen Gesetzmäßigkeiten, dass man nie so sicher im Amt ist, als wenn von Demonstranden der Rücktritt gefordert wird.“

Kieler Mitsprache oder manipulative Berichterstattung?

Zur Rolle der Universität in Kiel stellt de Jager jedoch schnell klar, die Entscheidungen seien ausschließlich im politischen Raum getroffen worden, die Kieler hätten sich nicht eingemischt. Das, was die Lübecker Nachrichten diesbezüglich aufgedeckt haben wollten, sei ein viel älterer Vorgang gewesen und zeige nur, wie sehr manipulativ die Berichterstattung der Lokalzeitung gewesen ist, die „die journalistische Unabhängigkeit in dem Verlauf völlig aufgegeben haben und zum reinen regionalen Kampfblatt wurden.“ Trotz allem sei es nie seine Absicht gewesen, die Universität in Lübeck zu schließen. Man habe ja nicht die Uni wie in einem digitalen Vorgang herunterfahren wollen. Im Falle des Auslaufens der Medizin, hätte man andere Bereiche kultiviert und somit wäre die Uni mit gestärktem Profil aus der Neustrukturierung hervor gegangen. Sparen, so ist sich der Minister sicher, hätte man dann auch in jedem Fall können.

Während Jost de Jager offensichtlich auch seine Lehren aus dem Kampf gezogen hat, besteht Hoffnung für die Lübecker Uni. Denn trotz der auch aktuell prekären Haushaltslage: Noch mal wird er hier nicht Hand anlegen. „Wir werden den gleichen Vorschlag nicht noch mal machen“, sagt er mit einem Lachen. Doch auch in der aktuellen Sparrunde wird er sich wieder die Frage stellen, ob man die Bildung bei den Einsparvorhaben außen vorlassen kann. Die Kürzungen, die nun möglicherweise in Flensburg anstehen, seien allerdings in keiner Weise mit denen in Lübeck vergleichbar. Dort wolle die Wirtschaft Teile der Universität mitfinanzieren. Wie viel Minister de Jager dort einsparen will, lässt er jedoch offen.

Konzentration auf einen volluniversitären Standort kommt nicht in Frage

Offen bleibt auch die Frage, was aus dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein wird. Die Trennung der beiden Standorte in Lübeck und Kiel und die Veräußerung des Lübecker Anteils an private Investoren steht seit über einem Jahr im Raum. Es wäre also nur naheliegend, würde die Landesregierung das Klinikum erneut für die Konsolidierung des Haushaltes heranziehen wollen.

Die Klinik an sich steht eigentlich gar nicht so schlecht da. Die Krankenversorgung arbeite wirtschaftlich, berichtet der Pressesprecher des UKSH, Oliver Grieve. „Das UKSH muss aber die Haushaltslasten, die das Land über die Forschung und Lehre abwälzt, zusätzlich schultern.“ Seit 2008 seien dies 15 Millionen Euro. Die finanzielle Lage der Klinik ist damit ähnlich prekär wie die des Landes, die Zukunft ist völlig offen. Das Schlimmste sei, so Grieve, das Zerreißen der Klinik: Am Ende stünden zwei teurere Standorte, die sich unnötig Konkurrenz machten und auf das wissenschaftliche Niveau von Kreiskrankenhäusern zurück fielen. Daher habe das UKSH eine Perspektive erarbeitet, die den Erhalt der Maximalversorgung in öffentlicher Trägerschaft sichern soll, abseits von Aktionärsinteressen.

Die Konzentration auf nur einen, den volluniversitären Standort, wolle man nicht, so Grieve. Und so hofft er, dass die Studenten nach wie vor auch gegen die Privatisierung der Klinik vorgehen. Auf die Aktionen der Studenten sei man stolz gewesen und auch viele Mitarbeiter hätten sich solidarisch gezeigt. Dem Vorstand jedoch sei der Kampf vom Eigentümer des UKSH, dem Land Schleswig-Holstein, verboten worden.

Die Klinik ist nicht verhandelbar

Die Klinik um jeden Preis in öffentlicher Hand zu halten ist auch Ziel der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Steffen Kühhirt, Leiter des Fachbereiches Gesundheit bei ver.di Nord, sieht neben den Nachteilen für die Angestellten insbesondere auch die für die Gesundheitsversorgung einer gesamten Region. Ein privater Träger wolle und müsse vor allem auch auf die Rendite achten. Vielleicht würde sich das noch nicht in den ersten fünf Jahren der Trägerschaft auswirken. Langfristig wollten die privaten Träger jedoch verdienen und das sei mit tiefen Eingriffen verbunden, insbesondere für Kassenpatienten. Das sei „Gift für das Land Schleswig-Holstein“, befindet Kühhirt. Das Klinikum dürfe nicht aus der Hand gegeben werden, alles andere wäre ein „weiterer Nackenschlag“. Die Konzerne würden künftig die Regeln für die Krankenversorgung diktieren, die Politik sei dann außen vor. Zwar könne man die Maximalversorgung in einem Vertrag verpflichtend regeln. Dieser, so Kühhirt, würde aber irgendwann auslaufen und wäre nicht für immer sicher.

Doch natürlich geht es dem Gewerkschaftsvertreter nicht nur um das Wohl der Patienten im Bundesland. Für ihn stehen die Angestellten der Klinik im Vordergrund und auch hier sieht es nicht rosig aus. Die Erfahrung aus anderen privatisierten Kliniken, insbesondere der Uniklinik von Marburg und Gießen, zeige, dass sich in solch einem Falle nicht nur die Tarifverträge sondern vor allem auch die Arbeitsbedingungen erheblich verschlechterten.

 

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Steffen Kühhirt spricht auf einer Demo in Lübeck (2010)

Das wiederum würde auch zu Lasten der Studierenden gehen. Denn, so ist sich Kühhirt sicher, ein privater Klinikkonzern könne keine Rücksicht auf Forschung und Lehre nehmen. Für ihn ist auch die Stiftungsuniversität keine Alternative, diese bräuchte zu viel Geld, würde womöglich die Privatisierung in Kauf nehmen. Der Verdi-Vertreter ist in seinen Äußerungen sehr deutlich: Die Gesundheit muss in der Hand des Staates bleiben. Sie sei nicht veräußerbar!

Bis 2015 wird es keinen Verkauf der Klinik geben, das ist vertraglich zugesichert. Bricht die Regierung diesen Vertrag, werden die Gewerkschaften juristisch und politisch dagegen vorgehen. „Wir werden uns mit allen gewerkschaftlichen Mitteln wehren“, kündigt Kühhirt an, der auch aktuell in unterbrochenen Tarifverhandlungen steckt, da der Arbeitgeber „kein wertschätzendes Angebot“ unterbreitet.

Derzeit befasst sich die Landesregierung mit einer Markterkundung. Dass hierbei nur Lübeck zum Verkauf steht, lehnt Kühhirt genauso kategorisch ab. Doch nun will er erst einmal das Ergebnis der Erkundungen und vor allem auch den Ausgang der Landtagswahl im kommenden Jahr abwarten, bei der laut Umfrageergebnissen die aktuelle Koalition schlechte Karten haben dürfte. Man müsse zuerst sehen, was die neue Landesregierung mit dem UKSH vorhabe, müsse sich aber Ende 2014 oder Anfang 2015 darauf einstellen, wieder in den Protest zu gehen. Wie Grieve hofft auch Kühhirt darauf, dass die Solidarität der Studenten mit der Klinik so groß ist, wie die der Mitarbeiter mit der Uni. Uni und Uniklinik dürfen sich nicht auseinander spielen lassen, so Kühhirt. Und daher setze er auch nach wie vor auf die „gewaltige Dynamik“ die nur in der Zusammenarbeit mit den Studenten möglich gewesen sei. Er habe immer das Gespräch mit dem AStA gesucht und auch die aktiven Gewerkschaftler in der Klinik wollten das gemeinsam mit den Studierenden durchziehen.

Und die Zukunft?

Die Meinungen der Beteiligten, sie widersprechen sich doch in einigen Punkten gravierend. Die Uni und das Land wollen die Stiftung, die Gewerkschaft eher nicht. Das Land will die Privatisierung nicht ausschließen, das wiederum möchten Vertreter von Klinik, Gewerkschaft und Uni vermeiden. Einen Konsens zu finden dürfte trotz der angepriesenen professionellen Kommunikation schwierig werden. Die einzige Möglichkeit scheint zu sein, die Landtagswahlen abzuwarten. Doch diese lassen noch eine Weile auf sich warten. Die Zeit drängt jedoch, Entscheidungen zu treffen. Die Lage des Universitätsklinikums muss noch vor 2015 geklärt werden und auch das Gesetz, das die Stiftungsuni auf den Weg bringt, sollte langsam verabschiedet werden. Denn die Gesetzmäßigkeit zeigt, wie Präsident Peter Dominiak nach 21 Jahren in Lübeck bestätigen kann: Die Uni sollte bisher etwa alle fünf Jahre dicht gemacht werden.

Der große Kampf ist zwar gewonnen, doch es muss auch weiter gekämpft werden: von den Studenten, den Lehrenden, den Angestellten und vor allem auch von der Bevölkerung. Denn so lange der Haushalt konsolidiert werden will, wird Einsparpotential gesucht. Bleibt nur die Frage: Wer ist als nächstes dran?

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