Die Statistik und ich, wir hatten keinen besonders guten Start. Ich gebe ja zu, es hat vielleicht auch ein wenig an mir gelegen. Es war das Jahr vor dem Physikum, als wir uns kennen lernten, und wirklich sympathisch war sie mir nicht. Vielleicht war das ja auch der Grund, warum ich sie weitgehend ignorierte. Ich hatte überhaupt nicht das Bedürfnis, sie kennen zu lernen, zumal die Psychologie, die mir gleichzeitig vorgestellt wurde, so viel mehr zu erzählen hatte…

Aber wie es nun mal im Leben ist, sieht man sich immer mindestens zwei Mal. Und das kam schon bald: Ich hatte einen Termin zur biometrischen Beratung, damit ich endlich endlich die Fallzahl für meine Doktorarbeit kriegen sollte. Da saß sie wieder, die Statistik, mitten im Raum und verhinderte, dass ich auch nur ein Wort von der Beratung verstand. Ein Hoch auf meinen Doktorvater, es gelang ihm schließlich, zu vermitteln.

Doch damit nicht genug: Lübeck ist offensichtlich zu klein, als dass man sich dauerhaft aus dem Weg gehen könnte, und im achten Semester kam sie zurück, härter denn je. Immerhin haben wir es im Sozialmedizin-Praktikum doch so weit gebracht, dass wir uns ganz vorsichtig das Du angeboten haben, aber dennoch war uns beiden klar, dass wir wohl keine gemeinsame Zukunft haben würden. Der Lehrplan sah das anders und so stand uns mit der Biometrie eine lange Woche bevor. Ich wollte vorbeugen, hoffte auf ein Wörterbuch „Susi – Statistik, Statistik – Susi“, doch das gab der Markt nicht her. Was ich fand war „Statistik für Dummies“ von Deborah Rumsey und der Titel ließ einen letzten Hoffnungsfunken keimen. Vielleicht war ja noch nicht alles verloren.

Natürlich klappte das mit der Vorbereitung in den Semesterferien nicht wie geplant. Und so hielt ich das äußerst komplexe Skript der Biometriker in Händen und musste damit Übungszettel lösen – was einen Mediziner an sich ja schon mal aus der Bahn werfen kann – und vor allem am Ende ein ausgearbeitetes Fallbeispiel abgeben. Also bemühte ich mein neues Buch. Zunächst hatte ich Schwierigkeiten, mit dem Register klar zu kommen. Dort sind verhältnismäßig wenig Begriffe aufgeführt und so musste ich häufig Synonyme für meine Suchbegriffe erraten oder googlen, bevor ich die richtige Stelle im Buch finden konnte.

War die passende Stelle aber als solche identifiziert, begann die Arbeit plötzlich Spaß zu machen. Ich konnte Zusammenhänge erkennen, verstand abends das, was der Dozent morgens erzählt hatte und mit einem Mal waren die Übungszettel keine unüberwindliche Hürde mehr. Ein wenig musste ich sogar dem Untertitel des Buches – „Die Grundlagen der Statistik mit Spaß erlernen und anwenden“ – recht geben.

Die Kapitel und Abschnitte beginnen meist mit einem Beispiel aus dem Leben. Dabei handelt es sich nicht um abgehobene wissenschaftliche Konstrukte mit genormten Menschen, sondern um ganz alltägliche Dinge. Sei es die Einordnung eines Prüfungsergebnisses im Verhältnis zum Gesamtergebnis, seien es die Gewinnchancen im Casino oder die falsche Darstellung von Sachverhalten in der Werbung. Irgendwo kann sich wohl jeder wiederfinden oder zumindest die Situation vorstellen. Und da sich die nachfolgenden Rechenbeispiele auch immer auf diese Vorgeschichte beziehen, fällt es deutlich leichter, im Thema zu bleiben und die Ergebnisse nachzuvollziehen. So fiel es mir beispielsweise viel leichter, die Übungsaufgaben im Skript aus dem Kurs zu verstehen.

Doch das Buch geht über die harten Fakten zur Auswertung eigener Datensätze hinaus und ist so wirklich lesenswert. Zunächst öffnet Deborah Rumsey dem Leser die Augen. Denn tatsächlich ist unser Alltag voll mit Statistik. Überall wird geschönt, werden Aspekte weggelassen oder falsch interpretiert. Ein zweiter Blick lohnt sich also ebenso wie ein kurzer Moment des Nachdenkens, denn allzu oft häufen sich Fehler und Übertreibungen, teilweise auch schlichtweg Lügen. Rumsey weist hier auf die korrekte Nutzung von Verhältnissen, Prozentwerten und Maßstäben hin und hilft so, den falschen Angaben auf die Schliche zu kommen.

Behutsam führt die Autorin dann in die Grundlagen der Statistik ein. Was ist eine Grundgesamtheit, was eine Stichprobe, was hat der Zufall dabei zu schaffen und wie werden die Messungen verzerrt? Welche Experimente gibt es überhaupt, um Werte zu erheben? Und wie bekommt man aus all dem einen kausalen Zusammenhang?

Sind die Daten erstmal erhoben, müssen sie natürlich auch dargestellt werden. Hier gibt es haufenweise graphische Raffinessen und viele davon lassen sich wieder außerordentlich gut nutzen, um Sachverhalte zu beschönigen. Auch hier bringt Rumsey viele kleine Beispiele ein, um die Darstellungsformen zu erläutern, und so wird dem Leser trotz der trockenen Materie auch das eine oder andere Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Weiter geht es über Mittelwerte und Wahrscheinlichkeiten, über eine Exkursion mit Tipps für Glücksspieler, hin zur relativen Bewertung von Ergebnissen. In den Kapiteln, die sich mit der Auswertung von Ergebnissen befassen, bezieht sich die Autorin dann wieder auf die vorhergehenden Abschnitte des Buches. Das, was erhoben wurde, muss nun interpretiert werden. Kann ich meinem Konfidenzintervall vertrauen und was taugen meine Hypothesen? Wie beeinflussen Meinungsumfragen den Alltag und wo schleichen sich systematische Fehler ein?

Am Ende des Buches gibt die Autorin noch praktische Tipps. So ist ein Kapitel dem Thema Umfragen gewidmet, erklärt die passenden Zielpopulationen, die Stichprobengröße, die angemessene Fragestellung und den besten Messzeitpunkt. Ähnlich im Kapitel „Zehn häufige Fehler“, das zum Abschluss noch mal klar macht, worauf zu achten ist, wem man traut und wo man skeptisch werden sollte.

Alles in allem ist das schwarz-gelb-gestreifte Buch nicht nur farblich eine Abwechslung zwischen den grünen und blauen Buchrücken in meinem Regal; es ist wirklich lesenswert, ohne dass man dabei zwangsläufig bei Seite 1 beginnen und bei Seite 360 aufhören müsste. Wie schon oben bemängelt lässt es zwar ein umfassendes Register vermissen; das macht das Buch aber durch seine wirklich liebevoll geschriebe Art und die unglaubliche Geduld bei den Erklärungen wieder wett.

Ob es für die Statistik und mich nun eine zweite Chance gibt? Ich weiß es nicht. Aber wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen, lade ich sie vielleicht mal auf einen Kaffee ein…

 

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