Irgendwas ist dieses Mal anders, wenn man in das Kesselhaus läuft. Hier spielt mal wieder das Studierendentheater, doch die Stühle stehen gänzlich ungewohnt um eine ovale Fläche inmitten des Zuschauerraumes. Anders ist jedoch auch das Stück, das gegeben wird. „Idealisten!“ heißt es. Und es ist nicht irgendeines, das eben ausgesucht wurde, es ist das erste Stück von Anna Lücke, Medizinstudentin an unserer Uni und seit einiger Zeit als Schauspielerin und Regisseurin in der Theatergruppe.

 

Studierendentheater

Das Stück reiht sich dabei nahtlos in das bisherige Repertoire ein: etwas konfus, stellenweise lustig, dabei aber auch intelligent und nachdenklich. Es herrscht eine geladene Stimmung in einem nicht näher benannten Land. Revolutionäre Gruppen planen den großen Schlag gegen das System und dessen oberste Polizeichefin Herders (gespielt von Lena Schmidt), die sich diesem mit Leib und Seele verschrieben hat. Dabei kann es nur schief gehen, dass Gary (Karl Brednarzik), den sie „den Revolutionär“ nennen, mit Mirja (Altje Parbel) liiert ist, ein Kind des Systems, behütet aufgewachsen und als Polizistin treue Dienerin desselben.

Dem Publikum ist also schon lange klar: Die Tatsache, dass immer mehr revolutionäre Posten hochgenommen werden und immer mehr hochrangige Mitglieder ins Gefängnis wandern, kann nur daran liegen, dass Mirja nicht dicht hält. Tatsächlich ist sie zerrissen von ihrer Liebe zu Gary und der Treue zum System. Geplaudert hat sie aber nicht. Geplaudert hat JC (Steffen Wankmüller), der etwas nerdige Pessimist der Gruppe und so ziemlich der Letzte, dem man das zugetraut hätte. Immer vor Nervosität eine Kippe in der Hand, immer in der Nähe seiner Rechner, immer die passende Antwort für die Revolutionäre und doch spielt er auf beiden Seiten mit.

Doch auch die Polizei kann nicht sicher sein, wer wem dient. Mirja, die heimlich die Waffenlieferungen der Revolutionäre durchwinken soll, könnte natürlich schnell in den Verdacht geraten. Doch da sind auch noch Ammerlahn (Christian Strauß) und der Beamte Pfeiffer (Christoph Otte), die Herders Kopfzerbrechen bereiten. „Inkompetenz!“, ruft sie häufig aus, kurz bevor sich der Vorhang schließt.

Richtig, der Vorhang, denn das Stück spielt nicht nur in dem von den Stühlen umschlossenen Raum. Dort tummeln sich lediglich die Revolutionäre. Was im Polizeistaat spielt, wird auf der Bühne dargestellt. Und während so bei der häufig wechselnden Szenerie lange Umbaupausen vermieden werden, entsteht gleichzeitig auch ein Machtgefälle: Die, die das Sagen haben, stehen oben und unten brodelt der Unmut mit dem Willen zum Aufstieg.

 

Studierendentheater

Und noch eine dritte Spielfläche gibt es: Jeweils neben den vorderen Stuhlreihen stehen weiße Holzwürfel, auf die die Charaktere steigen, allein, angeleuchtet nur von einer Taschenlampe. In kurzen, präzisen Monologen bringen sie das Publikum zum Nachdenken. Was ist Freiheit? Wie viel ist man bereit, dafür zu geben? Was können wir tun, um in einer Welt zu leben, die so ist, wie wir sie uns wünschen? Und kann Neutralität eine eigene Seite sein, auf der man steht?

Anna Lücke ist mit „Idealisten!“ ein großartiges Werk gelungen. Mit ihrem ersten Stück schafft sie problemlos den Spagat zwischen einer nachdenklichen, fast philosophischen Seite und anspruchsvoller Unterhaltung. Dabei ist die Geschichte aus einem einzelnen Bild entstanden, das Anna im Kopf hatte, von einem Mann mit schwarzem Umhang im Schnee. Im zweiten und dritten Semester ist aus diesem Mann der „Revolutionär“ geworden. „Mir schossen dann Sätze in den Kopf, Dialogsätze, Argumente. Ich fand den Gedanken spannend: Es gibt immer zwei Seiten und die, die dazwischen stehen, kommen unter die Räder.“ Doch zunächst blieb das Stück in der Schublade liegen. 2009 trat Anna der studentischen Theatergruppe bei, spielte, führte Regie – und gab ihr Werk dann doch Altje Parbel zum Lesen. Wie bei allen bisherigen Stücken entschied auch dieses Mal die gesamte Gruppe, was gespielt werden würde. So wurden die „Idealisten!“ angenommen und einstudiert.

Regie führen wollte Anna aber nicht. „Ich hatte eigene Bilder im Kopf, die so nicht umsetzbar gewesen wären“, begründet sie. Claudia Bibergeil hat übernommen und auch sie hat gute Arbeit geleistet. Anna hat sich gänzlich rausgehalten. Lediglich ein Vetorecht für Textänderungen hat sie sich vorbehalten. Am Ende sei es für alle Schauspieler ein Stück gewesen, wie jedes andere auch, erzählt sie. Nur etwas nervöser sei sie gewesen vor den Aufführungen.

Anna spielt Tabs, ebenfalls eine der Aufständischen, jung, etwas naiv, aber mit großen Träumen. Tabs ist von Anfang an gegen die Beziehung von Gary und Mirja, will die Revolution retten und stirbt bald an der Kugel eines Polizisten, was die Fronten nur noch verhärtet. Das frühe Ausscheiden aus dem Stück stört Anna aber nicht. So habe sie wenigstens die Möglichkeit gehabt, sich den Rest von außen anzusehen. „Das hat schon was, ist aber irgendwie gruselig“, beschreibt sie das Gefühl, das sie hat, wenn andere Leute ihre Texte sprechen. „Ist aber schon geil!“, schiebt sie grinsend hinterher. Zwar hätte sie sich auch mit den beiden weiblichen Hauptrollen gut identifizieren können – „in jeder der Rollen steckt ja auch ein Stück von mir“ – doch wollte sie sich nicht noch mehr in den Mittelpunkt stellen.

Für Anna ist das Schreiben eine willkommene Abwechslung zum Studium. Damit habe sie bereits mit 12 oder 13 Jahren begonnen, zunächst Kurzgeschichten geschrieben, in letzter Zeit hauptsächlich Gedichte. Diese habe sie zunächst ins Internet gestellt. Nachdem die Plattform aber vom Netz gegangen ist, schreibt sie nur noch für sich. Auch den Anfang zu einem Theaterstück hat sie noch in der Schublade. Rausgeben wird sie das aber eher nicht. Und so muss das Studierendentheater vorerst wieder auf die Werke von anderen Autoren zurück greifen. Für Anna steht sowieso der Spaß am Theater und am Aufführen im Vordergrund.

Am Ende der „Idealisten!“ kommt es zur Eskalation. Die Revolutionäre stehen den Polizisten des Systems gegenüber. Ein Schuss fällt. Wer getroffen wird? Diese Frage bleibt offen, genauso wie die nach der Neutralität.

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