Michael Jentzsch ist 1975 in Bremen geboren und hat einen großen Teil seiner Jugend in Afrika verbracht. Seine Heimat war Liberia an der Westküste Afrikas. Wenn er jetzt auf der Bühne im Lübecker Audimax steht, um über den vergessenen Konflikt zu reden, dann macht der groß gewachsene Jentzsch, der auch als Basketballspieler erfolgreich war, mit seinen großen Gesten Eindruck. Auch die Geschichten, die er erzählt, sind beeindruckend. Weniger seine Geschichte als die seines Blutsbruders, seines besten Freundes Benjamin Kwato Zahn. Jentzsch und Zahn haben zusammen ein Buch geschrieben, über Mike und Ben, wie er sich und seinen besten Freund in den Dialogen, die er gern und voller Energie nachspielt, nennt. Mike, wie er nach Afrika kommt und außer „Yes“ und „No“ kaum ein Wort Englisch kann, Ben, wie er den jungen Mike im Angelwettbewerb schlägt und die beiden beste Freunde (Blutsbrüder, mit Ritual und allem drum und dran) werden, wie Ben zum ersten Mal Spaghetti sieht, wie Mike zum ersten Mal Affe isst. Es ist die erste halbe Stunde des Vortrages, eine Geschichte aus dem Paradies. „Ich hoffe, ich hab euch ein bisschen neidisch gemacht. 28°C im Durchschnitt. Jeden Tag. Das ganze Jahr.“

Wir alle wissen, dass es bei dem heutigen Vortrag nicht um Traumstrände geht. Es geht um Krieg. In Liberia beginnt der Bürgerkrieg 1989. Knapp können Mike, seine Eltern und seine Schwester aus dem Gelände des Radiosenders, bei dem sein Vater als Techniker für eine Mission arbeitete, fliehen. Den Hund Susi und andere Haustiere, ihre Freunde, ihre Kollegen müssen sie zurücklassen, kaum einer von ihnen wird den Krieg überleben.

Jentzsch versucht sein Publikum mitzunehmen in den Krieg in Liberia genauso wie in die Probleme, die er als Immigrant in Deutschland hatte. Der erhobene pädagogische Zeigefinger ist da manchmal aber einfach zu viel. „Geht es hier nur um Markenklamotten oder sieht mich jemand auch als Mensch?“, fragt er als 15-jähriger Mike das Audimax. Man merkt, dass der Vortrag für Schulklassen konzipiert ist.

Verstörend, beängstigend sind die Berichte, die Jentzsch im Namen seines Freundes vorträgt, wenn er versucht, seinem Publikum die Psychologie eines Kindersoldaten oder eines Bürgerkriegsflüchtlings näher zu bringen. Ben musste beides über sich ergehen lassen. Nachdem er von Mike und seinen Eltern zurückgelassen wurde, flüchtete er vor Rebellen und Regierungstruppen. Wurde gefangen genommen, beinahe hingerichtet, dann von den Rebellen rekrutiert. Desertierte und flüchtete. Heute, so Jentzsch, bezeichnet er sich manchmal als „professioneller Flüchtling“, eigentlich betreibt er aber ein kleines Kino.

Dass Zahn lebt, dass er und seine Frau und alle seine Kinder den Krieg überlebt haben, dass sich die Blutsbrüder wiedergefunden haben, grenzt an ein Wunder. Es ist, was den Vortrag trotz all der geschilderten Grausamkeiten ertragbar macht. Es versöhnt einen auch damit, das Jentzsch, wenn er aus der persönlichen Geschichte aufs Allgemeinpolitische zu sprechen kommt, manchmal ins Wanken gerät. Die Geschichte seiner Freundschaft ist derartig beindruckend, dass all das kaum eine Rolle spielt.

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