Der Mai ist da und gefühltermaßen ist die ganze Welt plötzlich grün geworden. Eigentlich schon erstaunlich, dass überhaupt noch ein Baum Blätter trägt, wo doch vor etwa drei Jahren das totale Waldsterben bereits unabwendbar schien. Ob das wohl unser Verdienst ist, dass wir diesem Schicksal noch einmal entkommen sind?

Die britischen Royals haben auf jeden Fall ihren Betrag dazu geleistet. Große, natürlich echte Bäume standen bei der Traumhochzeit von William und Kate mitten in der Kirche! Zuerst fühlte ich mich sehr an Weihnachten erinnert. Nur die Kugeln und die Strohsterne fehlten noch, um das Bild perfekt zu machen. Doch dann klärte mich ein sehr qualifizierter Reporter auf, dass diese Bäume Willis und Kates Engagement für unsere Umwelt unterstreichen sollten. Selbstverständlich werden die Bäume nach der Hochzeit wieder eingepflanzt.

Zu diesem Zeitpunkt musste ich erneut an Weihnachten denken. Nun jedoch mit einem durchaus schlechten Gewissen. Bringe ich etwa selbst meine Umwelt um, weil ich den Kauf von „geschlagenen“ Weihnachtsbäumen unterstütze?

Ich fühlte mich dazu berufen, irgendetwas zu unternehmen. Doch anstatt mir eine Plastiktanne für das nächste Weihnachtsfest bereits auf Vorrat zu besorgen, habe ich mich kurzentschlossen dazu durchgerungen, einer kleinen, einsamen Primel ein neues zu Hause zu schenken. Gesagt, getan und schon stand das kleine Ding auf meinem Schreibtisch.

Zugegeben, so hübsch sah es ja nicht gerade aus, denn um auch noch Geld für einen Blumentopf auszugeben, war ich nun einmal zu geizig. Und so musste sich die Pflanze in ihrem schwarzen Plastiktopf mit meiner Untertasse zufrieden geben.

Die nächsten zwei Tage verliefen ohne Zwischenfälle. Zwar hatte ich nicht direkt das Gefühl, als ob diese Pflanze mein Leben merklich bereichert hätte, doch als im Fernsehen ein Bericht darüber lief, wie wir alle unser Leben „grüner“ machen könnten, war ich schon fast davon überzeugt, zu einer Trendsetterin avanciert zu sein.

Doch dann kam es, wie es kommen musste. Der dritte Tag. Der Anfang vom Ende. Ich bekam Besuch. Natürlich war das an sich kein Grund zur Verzweiflung. Meine Freundin Lisa ist stets sehr bescheiden, so dass ihr eine einfache Tasse Früchtetee völlig ausreicht und sie nicht auch noch meine einzige Untertasse verwendet. So drohte sie erst gar nicht mit meiner Primel in einen Interessenskonflikt zu gelangen. Als Lisas Blick jedoch auf die betreffende Pflanze fiel, bekam sie große Augen. Ich hatte schon einen stolzen Kommentar auf den Lippen, als auch ich mal wieder einen Blick auf meine Primel warf. Oder besser gesagt, auf das, was noch von ihr übrig war. Die Köpfe gesenkt, die Blätter kraftlos, die Erde staubtrocken. Dies war offensichtlich die Rache dafür, dass ich auch zu geizig war, mir eine Gießkanne zu kaufen.

Meine Pflanze auf dem Arm stürmte ich in mein Bad und unter die Dusche. Mit einem Einsatz, von dem jeder Notarzt beeindruckt gewesen wäre, leitete ich erste Lebensrettungsmaßnahmen ein. Nach 10 Minuten intensiver Behandlung sah die Primel jedoch noch schlimmer aus als vorher.

In der Hoffnung, dass unsere Beziehung noch zu retten war, machte ich mich auf direktem Wege auf in den nächstgelegenen Supermarkt und investierte in einen giftgrünen Blumentopf, der war wenigstens runter gesetzt, und eine Gießkanne, die es leider nur zum regulären Preis gab.

Die nächsten Tage verhielt ich mich bemüht vorbildlich, goss meine Primel regelmäßig und gab ihr sogar einen Namen, Aphrodite, um sie anzuspornen, in absehbarer Zeit wieder annähernd schön auszusehen.

Nun, der Plan scheiterte. Am insgesamt siebten Tag unserer Beziehung war Aphrodite kaum noch als Primel erkenntlich. Die Blätter hatten einen ungesunden grüngrauen Farbton angenommen, die Konsistenz der Blüten war nicht minder besorgniserregend und die ehemals schwarze Erde hatte sich einen dichten weißen Pelz übergestreift. So entschloss ich mich zu einer letzten guten Tat für unsere Umwelt und warf Aphrodite auf den Komposthaufen meiner Nachbarn.

Vielleicht werde ich mir in absehbarer Zeit einen Quadratmeter Regenwald in Südamerika kaufen. So weit, wie der von mir entfernt ist, stehen die Chancen gut, dass ich es wohl nicht schaffen werde, diesen innerhalb von sieben Tagen kompostreif zu pflegen.

 

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