Wenn ein Mensch zu Hause stirbt, stellt meistens der Hausarzt die Todesursache fest. Was passiert jedoch, wenn man in der Klinik, also bei einem Krankenhausaufenthalt, stirbt? Es ist ein sensibles Thema und man muss klar das strukturelle Vorgehen vom Verhalten gegenüber den Verwandten angesichts der traurigen Tatsache, dass ein Mensch gestorben ist, trennen. Um zu erfahren, wie im Speziellen das UKSH Lübeck mit verstorbenen Patienten umgeht, habe ich Prof. Dr. Alfred C. Feller, Institutsleiter der Pathologie hier in Lübeck, aufgesucht. Er erläuterte mir die Bedeutung der Pathologie und die medizinische Vorgehensweise beim Versterben von Patienten.

Feller wurde 1992 zum Lehrstuhl in Lübeck berufen. „Dies war ein wahrer Glücksfall für mich“, berichter der Pathologe, der sich selber als Nordlicht bezeichnet. Eigentlich wollte er nach seinem Studium in Wien und Kiel Kinderarzt werden, doch das wissenschaftliche Arbeiten in diesem Fachbereich wäre sehr schwierig geworden. „Auf Anraten bin ich in der Pathologie gelandet.“ Zuerst in Kiel, dann in Würzburg. In Kiel sammelte er Erfahrungen im Bereich von Blut-, Knochenmark- und Lymphknotenerkrankungen, in Würzburg half er mit, die Pathologie in dieser Fachrichtung weiter auszubauen. „Lübeck war zu dieser Zeit ein Durchlauferhitzer für angehende Professoren aus München, die nach Lübeck gingen, um dann zurückberufen zu werden. Ich war überglücklich, als ich unter den 25 Bewerbern der ausgewählte war, der in Lübeck die Pathologie aufbauen durfte.“ Feller können die Studenten in den ersten vier klinischen Semestern der Medizin begegnen oder im Grundkurs Pathologie für technische Studiengänge. „In meiner Lehre möchte ich weg vom Schulischen, es geht darum, selbständig zu arbeiten, neugierig zu sein und sich selber zu begeistern, auch wenn kein Prüfungsdruck besteht. In der allgemeinen Pathologie sollen Grundmechanismen und Ursachen von Krankheitsbildern verstanden werden. Es geht darum, ein Basiswissen anzureichern, ohne sich auf eine bestimmte Krankheit zu spezialisieren.“

Die Pathologie in Lübeck

Es arbeiten ungefähr 50 Menschen hier in der Pathologie, vorwiegend Mediziner, Naturwissenschaftler und medizinisch-technische Assistenten. In Deutschland ist Lübeck das größte Zentrum für Lymphknotendiagnostik und Hämatopathologie, welches ein Konsultations- und Referenzzentrum einschließt. „1992 wurde die Pathologie bei gerade mal 200 Patienten mit Knochenmark- und Lymphknotenerkrankungen mit eingebunden, heute werden Gewebeproben von 12000 Patienten mit diesen speziellen Erkrankungen im Institut untersucht.“ Die Pathologie in Lübeck ist eng verzahnt mit den anderen Zentren für Knochenmark- und Bluterkrankungen. Auf der einen Seite, um Zweitmeinungen einzuholen und für viele Kliniken für die Primärdiagnostik. Auf der anderen Seite, um Wissen zu vernetzen und zu sammeln. Auch arbeitet das Institut mit den Instituten der Medizinischen Biometrie und Statistik (beispielsweise für Evaluationsprozesse und Studien) und dem Institut der Molekularen Medizin (etwa für Untersuchungen bezüglich Mikro-RNA) zusammen. „Hier eröffnet sich ein weites Spektrum für Doktor- und Bachelorarbeiten. Zum Beispiel haben wir erforscht, dass Mikro-RNA bei der Fixierung von Gewebe durch Formalin nicht zerstört wird. Dadurch tragen sie weiterhin ihre Informationen zur Genexpression und damit zum Zellwachstum. Nun werden sämtliche Proben aus den vergangenen Jahren darauf untersucht.“

Was bedeutet Pathologie?

Der Begriff der Pathologie ist alt, er steht für „die Lehre von den Leiden“ und begann mit der Obduktion und Untersuchung von Leichen. Bereits im Alten Ägypten wurden Leichenöffnungen vorgenommen, doch erst 1682 verfasste Giovanni B. Morgagni das wohlbekannte Buch „Vom Sitz und den Ursachen der Krankheiten“ und gab damit den Startschuss für die wissenschaftlich orientierte Pathologie, wie wir sie heute kennen. Mit der Entwicklung von Mikroskopen wurde auch das Untersuchen von Zellverhalten bei Erkrankungen möglich. „Rudolf Virchow begründete 1858 die Zellularpathologie und damit die Erforschung des Wechselspiels zwischen Zelle und Krankheitsbild.“ Das Bild der Pathologie, in einem Keller obduzierten schwarz gekleidete Menschen Verstorbene, so Prof. Feller, entspreche nicht der Realität. Das Hauptaufgabenfeld liege darin, Gewebeproben lebender Menschen zu untersuchen und daran zu forschen. „Obduktionen nehmen im Aufgabenfeld eines Pathologen einen kleinen Anteil von gerade mal 5 bis 10 Prozent ein. Vor 50 Jahren wurden pro Jahr rund 2000 Patienten nach ihrem Versterben untersucht, heute sind es gerade mal 150. Im Gegensatz dazu stehen 80000 Gewebeuntersuchungen pro Jahr.“ Im UKSH Lübeck sterben pro Jahr etwa 1000 bis 1200 Menschen, sie alle durchlaufen die Pathologie, zu einer Obduktion kommt es aber in den seltensten Fällen.

Wann wird obduziert?

Eine Obduktion wird notwendig, wenn es darum geht, Informationen für die Klinik zu sammeln: Warum ist der Patient verstorben, war die Diagnose richtig, hat die Behandlung irgendwelche Veränderungen verursacht? „Ungefähr 10 Prozent der Hauptdiagnosen in Kliniken sind nicht richtig oder unvollständig.“ Auch Informationen für Angehörige werden erhoben, zum Beispiel zur Klärung von Fehlbildungen oder es werden genetische Ursachen näher betrachtet. „Manchmal muss auch untersucht werden, ob der Patient aufgrund einer Berufskrankheit verstorben ist, zum Beispiel an den Folgen einer Asbesterkrankung.“ Des Weiteren dient eine Obduktion zur Ausbildung der Medizinstudenten, Zusammenhänge sollen erkannt, ein Erfahrungsschatz aufgebaut werden. „Das große Ganze darf bei der ganzen Spezialisierung heutzutage und dem vielen praxisorientierten Arbeiten nicht verloren gehen.“ Gesetzlich können Angehörige bis zu 24 Stunden nach dem Versterben einer Obduktion widersprechen; auch dem Willen des Verstorbenen wird Folge geleistet. Üblich ist es heute, mit dem Einverständnis der Angehörigen eine Obduktion durchzuführen. „Steht der Verdacht einer Infektionserkrankung, kann eine Obduktion zum Gemeinwohl erzwungen werden, man spricht dann von einer Verwaltungsobduktion.“
Verstirbt ein Patient im UKSH, wird er im Kühlraum der Klinik aufbewahrt und von dort durch ein Bestattungsunternehmen, welches vom Krankenhaus beauftragt wurde, zur Pathologie gebracht. „Erhalten wir den Auftrag zu einer Obduktion, untersuchen wir bei dieser zunächst alle Organe. Ist ein Befund auffällig, wird dieser noch näher histologisch betrachtet. In einem Bericht wird dann die Klinik informiert.“

Wie werden Angehörige mit eingebunden?

„Die Zusammenarbeit mit Angehörigen ist uns sehr wichtig. So haben wir einen eigenen Eingang für Verwandte und einen Raum zum Aufbahren des Verstorbenen, um Abschied nehmen zu können. Auch können Angehörige auf Wunsch den Obduktionsbericht erhalten, wobei er dann extra für Laien verfasst wird“, erläutert der Pathologe. Nach der Bestattungspflicht in Deutschland haben die Hinterbliebenen für die Beerdigung zu sorgen, falls diejenige Person nicht schon zu Lebzeiten eine andere Person, beispielsweise ein Bestattungsunternehmen, beauftragt hat. Sind Angehörige nicht auffindbar oder kommen aus anderen Gründen nicht für eine Beerdigung auf, muss die entsprechende Gemeinde, in der die Person gestorben ist, sich um die Bestattung kümmern und diese bezahlen.

Zukunft der klinischen Obduktion

Am Ende unseres Gespräches überreichte mir Alfred C. Feller einen Bericht der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, in dem die Zukunft der klinischen Obduktion diskutiert und eine Veränderung dieser vorgeschlagen wird.
Demnach verliert die Obduktion immer mehr an Bedeutung und wird entprofessionalisiert. So werden, wie bereits berichtet, kaum noch Obduktionen durchgeführt. Darüber hinaus obduzieren kaum noch Fachärzte, sondern Jungassistenten. Laut Bericht ist „die Entprofessionalisierung des klinischen Inputs und des pathologischen Outputs bei den Obduktionen unübersehbar […].“ Dazu Feller: „Die Ursachen liegen zum einem auf der gesellschaftlichen Ebene, so ist der Tod und eine mögliche Obduktion meist ein Tabuthema, über das nicht gerne geredet wird. Auf der anderen Seite liegen die Ursachen auf der klinischen Ebene. Ärzte informieren Angehörige meist nur noch per Telefon über ein Versterben, Zeit für eine Aufklärung, warum eine Obduktion sinnvoll wäre, gibt es in den seltensten Fällen.“ Um eine Facharztqualifikation zu erhalten, muss jedoch eine bestimmte Anzahl von Obduktionen durchgeführt worden sein. Der Bericht schreibt dazu: „[…] an den Universitätsklinika“ wird somit „ein Engpass geschaffen […]. Und dies, obwohl für die Tätigkeit der Pathologen die Obduktionen praktisch keine Rolle mehr spielen […].“ Auf der anderen Seite ist es fraglich, ob eine „wirkliche Kompetenz in der Obduktionspathologie durch eine Fallzahl von 100-200 wirklich zu erreichen ist“. Die klinische Obduktion steckt also in einem Dilemma, bei welchem gerade angehende Ärzte den Kürzeren ziehen, da sie kaum noch einen direkten Einblick in das Erscheinen und Auftreten von Krankheiten durch eine Leichenschau erhalten können. Die Qualität der Ausbildung in diesem Bereich wird stark eingeschränkt. Es wird im Bericht „eine Neuaufstellung der Obduktionspathologie“ gefordert. Dadurch soll der Nachwuchs eher angesprochen und der Ruf der klinischen Obduktion sowie die Wahrnehmung „innerhalb der Medizin und in der Öffentlichkeit“ verbessert werden.

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