Es ist ein feuchtkalter Nachmittag im Februar. Eine kleine Gruppe Studenten duckt sich vor dem Nieselregen in den Eingang des Instituts für Technische Informatik (ITI) neben dem Café „Altes Kesselhaus“. Die Verlockung, der sie gefolgt ist, ist das Angebot einer Führung durch die Tunnel im Untergrund des Uni-Klinikums, wo die wilden Transportroboter hausen, von denen man als Student immer wieder hört. Gerichtet ist diese Führung an die Teilnehmer der Vorlesung Echtzeit-Systeme. Erstaunlich ist die Zusammensetzung der Gruppe, denn es sind kaum Hörer dieser Vorlesung anwesend – dafür umso mehr Interessierte, die anderweitig von dieser Gelegenheit Wind bekommen haben.

Marek Litza vom ITI begleitet uns zum Gebäude 74, wo das in wundervollstem Business-Sprech betitelte „Dezernat Facility Management“ untergebracht ist. Dort werden wir von Manfred Funck empfangen, der uns in den folgenden anderthalb Stunden zeigen wird, was alles zur Gebäude-Technik gehört, für die er und seine Kollegen verantwortlich sind. Los geht’s an seinem Arbeitsplatz, der Leitwarte. Auch Funck weiß, dass die automatische Waren-Transport-Anlage – kurz: AWT-Anlage – für die meisten der spannendste Teil seines Reichs ist, und so füttert er uns zunächst mit einigen Informationen über das, was sich bereits auf einigen Monitoren im Raum in Aktion bewundern lässt.

Automatische Waren-Transport-Anlage

Seit 1990 übernehmen die 32 Fahrzeuge der Anlage mit Hilfe von circa 320 Containern unterschiedlichster Art die Versorgung des Zentralklinikums mit Speisen, Wäsche, Apotheken- und allerhand anderen Bedarfsgütern für den Krankenhausalltag sowie den Abtransport von Müll und Wertstoffen. Die folgenden Zahlen machen deutlich, dass ein Hol- und Bringedienst, wie er in kleineren Krankenhäusern üblich ist und der oft Zivildienstleistende beschäftigt, hier überfordert wäre: Täglich werden etwa 1300 Transporte durchgeführt; ein voller Container kann bis zu 800 Kilogramm wiegen. Nachdem der Zielort direkt am Fahrzeug über einen Code bestimmt wurde, beispielsweise eine Lieferung des Mittagessens aus der Küche zu einer bestimmten Station, übernimmt der zentrale Computer die Koordination, sodass sich die verschiedenen Transporte nicht in die Quere kommen. Sollte doch einmal etwas schiefgehen – und das kommt bei der 20 Jahre alten Anlage immer mal wieder vor – werden die Mitarbeiter der Leitwarte aktiv und sehen nach dem Rechten. Die meisten Probleme entstehen jedoch, weil die Fahrzeuge da unten nicht so alleine sind, wie sie gerne wären, und ab und zu einfach jemand im Weg steht. „Jede Menge Dussel laufen da unten rum“, lacht Funck und meint damit die vielen Handwerker, die oft von externen Firmen kommen und nicht mit sich anpirschenden Transportfahrzeugen rechnen. Aber trotz der bis zu 800 Kilo Kampfgewicht bleibt ein kleiner Unfall normalerweise ohne größere Konsequenzen, denn in Fahrtrichtung gibt es Sensoren, die bei Kontakt sofort die Bewegung stoppen, und ohnehin wird nicht schneller als Schrittgeschwindigkeit (80m/min) gefahren.

Eine kleine Schwester hat die AWT-Anlage auch noch, die Kleinkasten-Förderanlage. In den 176 aktenkoffergroßen, 8 Kilo fassenden Behältern, die an Schienen entlang rattern, werden Dokumente und Laborproben transportiert, bis zu 3500 Fahrten am Tag.

Herr der Regler

Marek Litza lenkt die Aufmerksamkeit auf andere Aufgaben der Leitwarte: „Wenn ihr am ITI die Alarmanlage falsch bedient, dann blinken hier auch die Lämpchen!“ Gebäudeleittechnik nennt sich die Anlage, in der alle über den Campus gespannten Fäden zusammenlaufen. Neben Alarmanlagen befinden sich hier auch Heizungs- und Lüftungsregler und alles andere, was sich an Gebäuden sinnvoll zentral verwalten lässt. Insgesamt gibt es über 130.000 sogenannte Datenpunkte. Von den etwa 12.500 Feuermeldern sind 99 Prozent direkt zur Feuerwehr durchgeschaltet, die im Brandfall innerhalb von fünf Minuten aufkreuzt. Etwa 40 Fehlalarme gibt es im Jahr, was Manfred Funck zufolge jedoch deutlich seltener ist als etwa bei Dräger, und das, obwohl auf dem Campus mehr als doppelt so viele Feuermelder installiert sind. Schließlich erwähnt Funck noch kurz die etwa 1800 ausgegebenen Pieper und die Parkraumbewirtschaftung.

Auch im Notfall wochenlange Versorgung

Weiter geht’s nebenan im Kesselhaus. Vier Dampfkessel stehen dort, je zwei für die Heizungssysteme und Betriebswärme, welche beispielsweise für Dampfsterilisation verwendet wird. „Unsere Kesselanlagen sind nicht so gefährlich wie die in Atomkraftwerken“, scherzt Funck, noch nicht ahnend, was sich einen Monat später in Japan abspielen würde. Die Kessel lassen sich sowohl mit Gas als auch mit Öl befeuern, wobei letzteres als Reserve in fünf Tanks à 100.000 Liter lagert. Bei einem Verbrauch von 20.000 Liter pro Tag, wenn draußen -10°C herrschen, würde das für über drei Wochen reichen, selbst wenn zusätzlich noch etwa 2000l pro Tag für die vier Notstromaggregate abgezweigt werden müssten. Drei davon können bereits die planmäßige Notstromversorgung stemmen, die innerhalb von 15 Sekunden nach einem Stromausfall am Netz, aber natürlich nicht auf dem Niveau der normalen Versorgung ist. Sollten weniger als drei Aggregate betriebsfähig sein, werden nach und nach weitere Verbraucher abgeklemmt, wobei die Versorgung der OP-Bereiche und Intensivstationen allerhöchste Priorität hat.

Auf in die Katakomben!

Es folgt die Hauptattraktion der Führung. Über eine normale Kellertreppe und durch eine Stahltür gelangen wir in das Reich der AWT-Anlage. Auf die erste Begegnung mit einem der Fahrzeuge brauchen wir gar nicht erst zu warten, wir befinden uns in der Nähe der Müllstation, wo reger Verkehr herrscht. Im unbeladenen Zustand ohne Container laden die etwa parkbankgroßen Fahrzeuge geradezu zu einer kleinen Spazierfahrt ein, wäre da nicht ein großer Aufkleber, der den wagemutigen Abenteurer zu demotivieren versucht. Auf einen bedauernden Kommentar unsererseits hin verkündet Manfred Funck, dass er und seine Kollegen hier unten auch mit Fahrrädern unterwegs sind, was zwar eigentlich auch verboten ist, aber angesichts einer Entfernung von 1,3 Kilometer zum entferntesten Punkt der Anlage Sinn hat.

In einem Nebenraum zeigt er uns die Kleinkasten-Förderanlage. Wie bei einer Hänge-Achterbahn bewegen sich die Behälter mal auf der Schiene, zumeist jedoch unter ihr hängend, an der Decke entlang. Rot-weiß gestreifte Ketten markieren die Pfade, damit niemand auf die Idee kommt, dort allzu lange oder überhaupt mit seinem Schädel zu verweilen. Die Bewegungen des Behälters werden durch eine spezielle Aufhängung des Inhaltes ausgeglichen, sodass sich keiner Sorgen machen muss, dass seine Proben durcheinander gewirbelt werden.

Ein paar Meter weiter zeugen große Dellen in den Rohren an der Wand davon, was passiert, wenn doch mal ein Malheur mit den Fahrzeugen der AWT-Anlage passiert. Funck erzählt die Geschichte dahinter: Ein Handwerker hatte seine elektrischen Gerätschaften auf der Fahrbahn abgestellt, direkt über den in den Boden eingelassenen Leitdrähten. Irgendwie hat er es dadurch geschafft, wirre Signale in das System zu senden, sodass die Fahrzeuge in der Nähe von ihren Bahnen abwichen und in die Wände krachten. Die entsetzten Gesichter derjenigen, die das auf ihren Monitoren in der Leitwarte beobachten durften, können wir uns gut vorstellen.

Als nächstes gelangen wir zu einigen Ladestationen. Bis zu acht Stunden kann ein Fahrzeug mit einer Batterieladung fahren, die Aufladung dauert mindestens eine halbe Stunde. Aber soweit kommt es normalerweise nicht, denn die Fahrzeuge kehren auch immer dann, wenn es gerade nichts zu transportieren gibt, zu ihren Ladestationen zurück.

Vorbei an einem rund 50 Zentimeter dicken Tor betreten wir, was einst ein Atombunker war, mittlerweile jedoch unter anderem durch Aufzugschächte dieser Befähigung beraubt wurde. Hier erklärt uns Manfred Funck das Leitsystem für die Fahrzeuge genauer. In der Mitte der Fahrbahn befindet sich im Boden ein Leitdraht, auf dem in einer bestimmten Frequenz Signale gesendet werden, nach denen das Fahrzeug seine Richtung bestimmt. In bestimmten Abständen gibt es Stoppstellen, die auf einer anderen Frequenz senden und an denen die Fahrzeuge anhalten müssen, sofern nicht vom zentralen Computer die Freigabe erteilt wird. Das funktioniert ungefähr so, wie die Abschnitte des Eisenbahnnetzes, die durch Signale voneinander getrennt sind, sodass sich in einem Abschnitt immer nur ein Fahrzeug befinden darf. Besonders kompliziert wird es bei Aufzügen, die auch von den Fahrzeugen genutzt werden. Der Leitdraht kann ja schlecht über die Schwelle gelegt werden. Daher wird ein Fahrzeug vor dem Aufzug exakt ausgerichtet. Der Computer holt den Aufzug und öffnet die Türen. Da das Fahrzeug ausgerichtet wurde, kann jetzt ein Befehl erteilt werden, exakt die benötigte Strecke geradeaus zu fahren, bis das Fahrzeug im Aufzug ist.

Weiter geht unsere Wanderung durch den Untergrund. Manche Abschnitte der Tunnel würden von ihrem Erscheinungsbild her einer unterirdischen Militärbasis aus einem Science-Fiction-Szenario alle Ehre machen. Unterwegs wird auch unsere Theorie, die AWT-Anlage müsse britischen Urprungs sein, denn es herrscht Links-Verkehr, über den Haufen geworfen: An einer Kreuzung wechseln plötzlich die Fahrspuren, ab hier ist alles, wie man es in Deutschland gewohnt ist. Auch an einer durch einen benachbarten, beidseitig öffnenden Aufzug ziemlich sinnbefreiten Brandschutztür kommen wir noch vorbei. Schließlich, als die meisten wohl die Orientierung verloren haben und zu fachsimpeln beginnen, wo auf dem Campus man sich denn wohl inzwischen befinde, betreten wir Aufzug Nummer „eleven!“, der zwar nicht über Sprachsteuerung verfügt, aber dafür funktioniert und uns zurück an die Oberfläche bringt. Alle zuvor geäußerten Spekulationen erweisen sich als falsch, wir finden uns auf der Kinderstation wieder.

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