Flattr

Peter Sunde Kolmisoppi (4.v.l.) und Linus Olsson (2.v.l.) mit dem Flattr-Team.

Hast du dir schon einmal ein Buch gekauft, bei dem du dich später geärgert hast, dass du Geld dafür ausgegeben hast, weil das Buch gleich nach oder beinahe schon während des Lesens im Altpapier gelandet ist? Oder hast du dir vielleicht eine CD gekauft, die beim ersten Reinhören im Laden ganz gut klang, die jetzt aber nur noch im Regal steht und einstaubt? Hättest du das vorher gewusst, hättest du dein Geld dafür nicht ausgegeben. Aber was soll man machen – man weiß eben erst hinterher, was man bekommt. Oder geht es auch anders? Ja, es geht. Im Internet entwickeln sich gerade verschiedene Systeme, um dieses Problem zu lösen.

Zu den weltweit größten dieser Bezahlsystemen gehört Flattr von den Schweden Peter Sunde und Linus Olsson. Flattr ist ein Kunstwort aus dem Begriff Flatrate (engl. für Pauschalgebühr) und dem Verb to flatter (engl. für jemandem schmeicheln) und beschreibt einen Micropayment-Service. Die einfache Idee hinter einem solchen Service ist, dass ein Nutzer von Flattr auf sein Konto einen monatlichen Betrag einzahlt, den er für Inhalte ausgeben möchte. Der Anbieter von Inhalten platziert Flattr-Buttons an seinen Inhalten, auf die die Nutzer klicken können, wenn ihnen der jeweilige Inhalt gefällt. Am Monatsende wird der der eingezahlte Betrag entsprechend den geflattrten Inhalten verteilt. Flattr startete 2010 zunächst eine geschlossene Testphase, seit dem 11. August kann sich jeder bei Flattr anmelden.

Flattr ist eine kleine Revolution des Bezahlens, denn anstatt wie bisher erst für ein Produkt zu zahlen und es dann zu erhalten, ist die Idee von Flattr, dass man zuerst das Produkt erhält und dann bezahlt. Um zu verstehen, warum das sinnvoll ist, müssen wir aber ein bisschen weiter ausholen.

Wert und Preis sind zwei verschiedene Dinge.

Ein Problem bei den oben genannten Käufen des Buches oder der CD ist, dass Wert und Preis des gekauften Produkts nicht zusammenpassen. Der Wert eines Produkts ergibt sich – so haben wir es in der Schule gelernt – aus den Produktionskosten und der Nachfrage. Oft ergibt sich der Wert für uns aber größtenteils auf eine andere Weise: Er beruht auf unserer subjektiven Wertschätzung. Wenn du abends dein Buch nicht zu Seite legen konntest, weil es so spannend war, und du, nachdem du es durchgelesen hast, gleich noch einmal lesen könntest, dann hat das Buch für dich einen hohen Wert. Wenn du die CD nach dem Anhören des ersten Titels gleich wieder aus dem CD-Spieler nimmst, weil du die Musik doch nicht magst, so hat sie für dich einen geringen Wert.

Je höher der Wert eines Produkt, desto höhere Preise bist du bereit, für das Produkt zu zahlen. Der Preis eines Produkts ist sein in Geldeinheiten gemessener Wert. Leider handelt es sich bei diesem Wert nicht um den deines subjektiven Wertgefühls, sondern um den Wert aus der Schule; eine Zahl, die sich aus Produktionskosten und Nachfrage ergibt. Es ist klar, dass diese beiden Dinge, der Preis und der subjektive Wert, nicht viel miteinander zu tun haben – es sei denn, du bist Sammler und suchst gerade die Dinge, die besonders schwer zu bekommen sind.

Der Preis einer Tageszeitung ergibt sich fast ausschließlich aus den Kosten, die für die Distribution des Inhalts. Hierzu gehört der Druck und die Lieferung des gedruckten Materials. Die Kosten für die Produktion der Inhalte, also die Bezahlung der Journalisten werden zumeist durch Werbung gedeckt. Jeff Sonderman hat für sein Blog NewsFuturist ermittelt, dass der Inhalt einer durch Werbung finanzierten US-Tageszeitung den Leser 20–25 US-Cent kostet, während eine Zeitung ohne Werbung 120–150 US-Cent kosten würde. Durch die Distributionskosten erhöht sich der Preis der meisten werbefinanzierten Tageszeitungen auf 2 bis 4 US-Dollar. Wenn man nur den Inhalt bezahlen möchte, ist das ziemlich viel. Bei Büchern und CDs ist dies ähnlich. Deren Inhalt wird zwar nicht in dem Maße durch Werbung finanziert, wie es bei Tageszeitungen der Fall ist, aber der Anteil der durch den Druck oder die Pressung und die Lieferung anfallenden Kosten bleibt hoch.

Mit dem Internet kann sich das nun ändern. Für Bücher, CDs und Tageszeitungen gehen die Distributionskosten gegen Null, da keine Rohstoffe für den Druck oder das Pressen der CDs benötigt werden und auch durch den Transport der Produkte (fast) keine Kosten mehr entstehen. Informationen können zum Nulltarif an Millionen Menschen verteilt werden. Damit ist klar, dass das Konzept des Wertes, der sich aus den Produktionskosten und der Nachfrage ergibt, für digitale Informationen nicht mehr ganz zu funktionieren scheint. Während ein vergriffenes Buch nicht mehr oder nur noch für einen höheren Preis zu kaufen ist, kann die Nachfrage nach einem digitalen Inhalt immer befriedigt werden – egal, wie groß sie ist.

Heute kann jeder publizieren.

Früher haben hohe Kosten das Publizieren teuer gemacht und man musste sich genau überlegen, was man publizieren wollte, um die entstehenden Kosten durch den Verkauf decken zu können. Das Internet trennt diese Verbindung zwischen Publizieren und kostenintensiver Distribution. Jeder kann mit wenigen Klicks publizieren: Blogs, E-Mail, Twitter, Facebook machen es möglich. Die Filterung der Informationen, die bisher vor der Publikation durch einige wenige Menschen stattgefunden hat, wird auf Millionen von Menschen nach der Publikation verschoben. Jeder kann selbst entscheiden, was er für wichtig oder interessant hält, und überlässt dies nicht den Chefs der großen Tageszeitungen oder Sendeanstalten. Es geht sogar noch weiter: Der Leser hilft bei der Distribution. Wenn dir eine Information wertvoll erscheint und du der Meinung bist, dass sie auch für deinen Freund Benedikt wertvoll ist, dann kannst du sie einfach per E-Mail, über Twitter oder Facebook an ihn weiterleiten und weil Benedikt dich kennt, wird er sich diese Information wahrscheinlich angucken. Ein Produzent kann im Internet gar nicht so eine gute Distribution sicherstellen, wie die Konsumenten es können, – und das hat einen Vorteil: Will der Produzent, dass sich seine Inhalte verbreiten, so muss er Inhalte produzieren, die seine Konsumenten haben wollen, und wenn er das macht, dann verbreiten sich die Inhalte fast von alleine.

Damit das klappt, müssen die Inhalte frei verfügbar sein, – wie aber kommt der Produzent jetzt an das Geld, das er für die Produktion der Inhalte benötigt? Mit Flattr.

Flattr

Je nachdem, wie oft du auf einen Flattr-Button klickst, wird dein Kuchen in größere oder kleinere Stücke geteilt, die du dann verschenkst. – So erklären die Erfinder Flattr.

Flattr macht Spaß und lohnt sich.

Vor allem in Deutschland verbreitete sich Flattr rasend. Die taz begann als erste deutsche Tageszeitung am 20. Mai mit der Nutzung des Dienstes. Bis zum Ende des Monats hat die taz 143,55 Euro verdient. Im Juni waren es, noch immer in der geschlossenen Testphase, schon 988,50 Euro. Mittlerweile sind die Einnahmen der taz auf 1.846 Euro im November angestiegen. Die taz gehört als Tageszeitung zu den Großverdienern in der Flattr-Welt, aber auch der kleine Mann kann damit verdienen: Udo Vetter, Rechtsanwalt und Autor des empfehlenswerten Lawblog hat im Oktober 372,79 Euro verdient – für Inhalte, die er kostenfrei und für jeden im Netz veröffentlicht. Markus Beckedahl und seine Coautoren verdienen mit netzpolitik.org, einem Blog über Freiheit und Offenheit im digitalen Zeitalter, rund 700 Euro im Monat – ebenfalls für Inhalte, die sie frei zugänglich publizieren. Die Leser bezahlen also für etwas, was sie auch umsonst haben können. Vor Flattr wurde eine solche Bezahlung über Spendenkonten realisiert, was mit erheblichem Aufwand verbunden war: Für Spenden an Blogger mussten Bankverbindungen herausgesucht und einzelne Überweisungen geschrieben werden. Für monatliche Spenden an Blogs mag das für Einige noch vertretbar gewesen sein, aber das Spenden für einzelne Inhalte ist zu aufwändig. Durch Flattr ist das Bezahlen deutlich einfacher und präziser geworden. Ist einmal der monatliche Betrag überwiesen, lassen sich nach Herzenslust Blogs und sogar einzelne Inhalte flattrn, indem einfach auf den zugehörigen Flattr-Button geklickt wird. Blogger können dann anhand der Abrechnung von Flattr ermitteln, welche ihrer Inhalte besonders oft oder wenig geflattrt wurden. Weiter bietet Flattr volle Kostenkontrolle, denn man gibt in jedem Monat den gleichen Betrag aus, wodurch auch die Hemmschwelle für einzelne Inhalte zu zahlen sinkt. Und: Flattr macht Spaß. Es fühlt sich gut an, wenn man einem Autor mit einem Klick auf den Flattr-Button für einen tollen Text, ein schönes Stück Musik oder ein hübsches Foto danken kann.

Die Bezahlung durch einen Dienst wie Flattr hat wichtige Effekte: Du bezahlst einen Inhalt nach dem Konsum – also nachdem du den subjektiven Wert festgestellt hast. Damit bekommt deine Bezahlung eine ganz andere Wirkung: Du bezahlst eigentlich gar nicht mehr für das, was du bekommen hast, sondern für das, was du bekommen wirst. Hat dir ein Buch eines Autors oder ein Lied eines Musikers gefallen, so kannst du ihn dafür bezahlen, ein neues Buch zu schreiben oder ein neues Lied zu komponieren. Das Bezahlen von Informationsgütern, bevor man überhaupt wusste, ob diese die erwartete Qualität hatten, war früher die einzige Möglichkeit, an Informationen zu gelangen, da sie an physische Güter und zugehörigen Kosten gekoppelt waren. Durch das Internet sind Informationen von physischen Gütern entkoppelt – und das ist gut so.

Wenn sich Bezahlsysteme wie Flattr durchsetzen, kannst du dir in Zukunft ein Buch oder ein Album über das Internet herunterladen, es lesen oder anhören und bezahlen, wenn es dir gefällt. Dann ist es vorbei mit dem Kauf der Katze im Sack.

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