Das Internet – es ist voller Informationen: Dinge, die wir wissen wollen, Dinge, die wir lieber gleich wieder vergessen, Dinge, die wir so über uns nie lesen wollten und Dinge, die uns bei wissenschaftlichen Arbeiten weiterbringen. Alles in allem ist das Internet ein großer, bunter Blumenstrauß, in den zwar immer neue Blüten gesteckt werden, aus dem aber die alten nur sehr schwierig oder gar nicht zu entfernen sind.

Doch seit noch gar nicht all zu langer Zeit gibt es eine neue Bewegung: Es wird depubliziert. Das Wort scheint aus dem Lateinischen zu kommen, ist jedoch eine Wortneuschöpfung, die sich selbst widerspricht. Etwas, das publiziert ist, kann nun mal nicht aus der Welt geschaffen werden. Genau das wurde aber gefordert und wird derzeit in filigraner Kleinarbeit auch durchgeführt. Wie aber konnte es dazu überhaupt kommen?

Mit dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag soll alles anders werden

Die deutsche Medienlandschaft schreibt den Juli 2008, die Ausarbeitung des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags steht bevor. Dieser legt fest, was die Medien dürfen und vor allem auch, was sie müssen. Wichtigster Adressat sind dabei die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, allen voran die ARD und das ZDF. Diese haben einen Bildungsauftrag zu erfüllen, bekommen dafür aber auch Geld, das die GEZ in Form von Rundfunkgebühren eintreibt. Das Geld wird benötigt, um wirtschaften zu können, ohne die Sendungen durch Werbepausen zu unterbrechen oder ständig Etiketten und Markenzeichen ins Bild zu rücken. Dass es den Öffentlich-Rechtlichen aber so leicht gemacht wird, dagegen gibt es Einwände von Seiten der Privatsender und seit erstere ihr Online-Angebot an Nachrichten und Informationsmaterial immer weiter ausbauen, werden auch Stimmen von Zeitungsverlegern laut. Was hier geschehe, sei staatlich subventionierte Wettbewerbsverzerrung, die Rundfunkpolitik der Länder eine Lobbyveranstaltung. Außerdem würden die öffentlich-rechtlichen Sender unter der „permanenten Alimentation“ des Geldes ohne Wettbewerb ermatten und darunter leide die Kreativität, so die Vorwürfe. Dass die so finanziell unterstützten Sender nun auch verstärkt auf den Internet-Markt drängen, hat das Fass wohl zum Überlaufen gebracht. Eine freie und unabhängige Entwicklung der Presse sei durch die Expansion nicht möglich.

Zudem wird bemängelt, die Rundfunkgesetze seien viel zu kompliziert und undurchsichtig. Klare Regeln werden gefordert, Gesetze, die unmissverständlich und vor allem auch einklagbar sind. Gesetze, die den öffentlich-rechtlichen Sendern ihre Grenzen aufweisen. Diese sollen keine Onlinebeiträge mehr produzieren und auch den sendungsbezogenen Beiträgen soll Einhalt geboten werden. Zudem sollen die Angebote durch Dritte geprüft werden.

Drei Stufen, die die Lösung bringen?

Große Anschuldigungen also und große Forderungen, die in den Raum gestellt wurden. So ist es fast klar, dass große Taten folgen mussten. Seit Juni des gerade vergangenen Jahres existiert der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag und hat es geschafft, die Medienlandschaft komplett über den Haufen zu werfen. Seither muss vor der Veröffentlichung eines Beitrags mit dem so genannten Drei-Stufen-Test geprüft werden, ob damit der Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen erfüllt ist. Stufe 1 fragt, ob der Beitrag den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht. Stufe 2 will wissen, in welchem Umfang er in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wert beiträgt und Stufe 3 fordert die Rechtfertigung über den erforderlichen finanziellen Aufwand. Nur wenn der Beitrag über alle drei Stufen zu rechtfertigen ist, darf er auch online gestellt werden. Neben den neuen Informationen gilt dieser Test aber auch rückwirkend für alte Formate. Immerhin geht es hier um 8 Milliarden Euro pro Jahr – so viel Geld wie die Rettung Griechenlands gekostet hat oder wie Luxemburg jährlich als Staatshaushalt aufwendet.

Doch mit dem Depublizieren der Inhalte wird nicht etwa Geld gespart, beispielsweise durch gesparten Platz auf Servern oder verkürzte Rechnerlaufzeiten. De Facto entstehen erstmal Kosten, die die Produktionskosten der Beiträge teilweise noch übersteigen. Die Redaktionen von ARD, ZDF und der Dritten mussten Leitlinien erstellen, mussten Beiträge beurteilen, mussten Techniker einstellen, die die Programme schreiben, wann welcher Beitrag vom Netz genommen werden soll. Denn die Regelung ist keinesfalls einheitlich. Die Standardverweildauer eines kompletten Beitrags beträgt sieben Tage, Inhalte von Nachrichtensendungen und Eigenproduktionen dürfen ein Jahr lang im Internet abrufbar sein und Beiträge die kulturell oder sozial von besonderer Bedeutung sind, können noch bis zu fünf Jahre betrachtet werden. Inhalte, die sich mit Wahlen befassen dürfen während der laufenden Legislatur zugänglich sein und einige wenige Beiträge, wie etwa die Tagesschau um 20 Uhr gelten als fortlaufende zeitgeschichtliche Archive und dürfen – so sie denn gesondert dafür ausgewiesen sind – dauerhaft gespeichert werden. Alles andere muss erstmal von der Bildfläche verschwinden und da die Abläufe hier noch nicht ganz rund sind, geschieht vieles manuell. Dabei werden die Inhalte nicht einfach gelöscht, sie sind lediglich nicht mehr von extern verfügbar und lagern nun in den verborgenen Archiven der Rundfunkanstalten. Die Kosten, die durch den Aufwand von Personal und Zeit anfallen, gehen dabei auf die Rechnung der Gebührenzahler oder werden vom Etat für neue Produktionen abgezogen.

„Kreative Anarchie“ führt Gesetze ad absurdum

Der Aufschrei ist groß, nicht nur in der Bevölkerung, Auch das Echo der Medien ist bezeichnend. Während die ARD versucht, ihren Konsumenten zu erklären, warum sie Inhalte bald nicht mehr finden, melden sich nun erneut andere Herausgeber und Verleger zu Wort. Die Stoßrichtung ist nun nicht mehr so eindeutig. Auf FAZ.net war beispielsweise im Juli 2010 zu lesen, was der neue Vertrag für einen Mehraufwand bedeutet. Außerdem wurde bemängelt, dass nun die Querverweise unzähliger Informationsplattformen ins Leere verliefen, weil viele die öffentlich-rechtlichen Sender als glaubwürdige Quelle angegeben und verlinkt haben.

Viel größer ist jedoch das öffentliche Interesse an der Internetseite depub.org. Wem diese gehört und wer alles dahinter steht, ist nicht bekannt. Alles was man weiß, ist dass der zugehörige Server in Kanada steht und dass auf der Seite die verschwunden Inhalte von tagesschau.de wieder auferstanden sind – minutiös aufgelistet in einem umfassenden Medienarchiv. Und das ist nicht alles. Wie eine anonyme Person, die sich aber als auf depub.org zugriffsbefugt ausweisen konnte, in einem Interview mit Zeitonline erklärte, sei geplant, in naher Zukunft auch die Inhalte der Seiten der übrigen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu konservieren. Demnach werde derzeit an einer Automatisierung der vollständigen Speicherung der Internetauftritte gearbeitet, um für die Zukunft eine einfachere Archivierung zu ermöglichen. Doch auch alte Daten, die nicht mehr online abrufbar sind, sollen beschafft werden. Der anonym Interviewte bekundete hier, er hoffe, dass sich einige Mutige aus den verschiedenen Redaktionen fänden, die die benötigten Daten transferieren könnten.

Damit ist die gesamte Diskussion ad absurdum geführt, findet nicht nur Dagmar Gräfin Kerssenbrock, Vorsitzende des NDR-Rundfunkrates, im September 2010 im NDR Presseportal. Eine ähnliche Aussage findet sich im Tagessschau-Blog. Kerssenbrock bezeichnet depub.org als Beleg für die Fragwürdigkeit des „bürokratischen Monstrums 3-Stufen-Test“ und als Beispiel für kreative Anarchie im Internet. Tatsächlich bewegen sich die Betreiber der Domain in einem illegalen Bereich, sind sich dessen aber durchaus bewusst. Man nehme in Kauf, Urheberrechte zu verletzen, denn das Recht der Nutzer auf fundiert recherchierte, unabhängige Informationen, die sie mit ihren Gebühren bezahlt haben, stehe an höherer Stelle. Und dass man damit nicht gänzlich falsch liege, bestätigt die Haltung der ARD, die bislang keine Anstalten macht, Rechtsschritte zum Erhalt der Urheberrechte einzuleiten.

Was bringt die Zukunft?

Wie die Diskussion endet, wird die Zukunft zeigen. Momentan liegt einfach noch zu viel im Ungewissen, die Emotionen kochen noch zu hoch.

Und wer derzeit auf depub.org klicken will, findet die schlichte Aussage: „depub.org zieht gerade um…“ Wohin und in welchem Gewand die Seite wieder aufersteht – lassen wir uns überraschen. Denn klar ist nur eins: So schnell verblüht der Blumenstrauß Internet nicht!

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