Lukas Ruge | StudentenPACK.

Grabungen in die Frühgeschichte Lübecks.

Unter dem Asphalt des ehemaligen Parkplatzes zwischen der Braunstraße und der Fischstraße beginnt das Mittelalter. Heiko Kräling zeigt auf Backsteine, die direkt unter der ehemaligen Straßendecke liegen; sie gehören zu mittelalterlichen Kellern. Zwei Gebäude haben hier gestanden, wo nun ein großes, weißes Zelt die Grabung vor Wind und Wetter schützt. Häuser aus Backstein, Hausnummer 30 und 32. Es ist das Gründerviertel von Lübeck, einige Meter nach Westen, an der Untertrave, befand sich der Hafen, den Hügel hinauf die Marienkirche, nicht in ihrer heutigen Gestalt, aber sicher schon ein imposantes Gebäude. Händler und Kaufleute wohnten hier vor 800 Jahren und haben ihre Spuren hinterlassen.

Unter den Steinmauern finden sich auch Holzwände und die Überreste eines Kellers der noch älter ist. Das Holzhaus aus dem zwölften Jahrhundert ist derzeit eine der spannendsten Entdeckungen der Forscher.

Hinter den Gebäuden finden die Archäologen Hinterhöfe, in ihnen große Steinkreise, die der Laie sofort als Brunnen identifizieren würde, tatsächlich handelt es sich um die Auffangräume mittelalterlicher Toiletten, sogenannte Kloaken. Kleine Klohäuser, gleichzeitig auch Aufbewahrungsschuppen, standen in den Hinterhöfen. Eine Toilette im Hinterhof ist eigentlich keine Sensation, wären nicht Objekte, die dort hineingeworfen wurden, durch das Versinken in den Fäkalien außergewöhnlich gut erhalten. Am Welttoilettentag, am 19. November, bieten die Archäologen Sonderführungen an. Ein solches Loch reichte dann meist für mehrere Generationen, danach wurden sie entweder entleert oder es wurde ein neues gegraben. In den Hinterhöfen finden sich eine ganze Reihe an solchen Kloaken.

Es sind nicht irgendwelche Häuser, nicht einmal irgendwelche Häuser des Lübecker Gründerviertels. Aus Versicherungspapieren und anderen Dokumenten geht hervor, dass die Grundstücke dem Vater von Hinrich Paternostermacher gehörten, der seinen Namen mit einem Aufstand 1384 gegen den Rat der Stadt Lübeck in den Geschichtsbüchern verewigte. Paternostermacher waren, wie ihr Name sagt, mit der Erstellung von Rosenkränzen beschäftigt, solche Bernsteinperlen wurden in den Toilettengruben gefunden und untermauern die Vermutung. Hinrich wird im Garten hinter diesen Häusern als Kind gespielt haben. Nach dem missglückten Aufstand wurde er nach seinem Selbstmord symbolisch hingerichtet.

Der Bereich zwischen Marienkirche und Untertrave war bei den Bombenangriffen auf Lübeck 1942 erheblich getroffen worden, so dass er in den fünfziger Jahren neu bebaut wurde. Schon lange hatte die Stadt gehofft, die dort entstandenen Schulen und Gebäude zu ersetzen, doch das Geld war knapp. Mit dem Konjunkturpaket II erhielt Lübeck 11,6 Millionen Euro für die Archäologie, von denen über neun Millionen in das Projekt Gründerviertel, welches die 9000 Quadratmeter Grabung zwischen Alfstraße und Braunstraße um das Internationale Studierendenwohnheim umfasst, fließen. Dabei sei der Abriss der zwei Schulen und der anderen Gebäude besonders teuer. Mit den verbleibenden Mitteln wollen die Archäologen nun bis in das Jahr 1143, und vielleicht sogar weiter zurück, graben.

Es ist die größte Ausgrabung in Lübecks ältestem und archäologisch bedeutsamsten Viertel, auch deshalb ein wichtiges Projekt für Lübecks obersten Archäologen Professor Dr. Manfred Gläser und seine Mitarbeiter vom Bereich Archäologie und Denkmalpflege Lübeck, die nun ein Stück UNESCO Weltkulturerbe freilegen. Denn nicht nur die gotischen Gebäude oberhalb der Straße wurden 1987 mit dem gesamten Stadtkern Lübecks mit diesem Titel belegt, auch Lübecks unterirdisches Erbe.

Um diese Arbeit erledigen zu können, wurden eine Reihe befristeter Stellen geschaffen, darunter in den Bereichen Grabungsleitung, Fotografie, Grafik, Restaurierung, Fundbergung, Inventarisierung und Archäo-Informatik.

Heiko Kräling ist ein solcher Archäoinformatiker und die detaillierte Dokumentation aller Funde und ihre Auswertung fallen in seinen Aufgabenbereich. Studiert hat er Vor- und Frühgeschichte in Marburg, ist also eigentlich Archäologe. Berührungsängste mit der Technologie hat er aber, anders als viele in seinem Fachbereich, nie gehabt. In verschiedenen Grabungen hat er sich das technische Wissen zugelegt, das ihn zum idealen Kandidaten für die Stelle in Lübeck machte. Denn erstmals wird in Lübeck diese Grabung nicht analog sondern digital vermessen und dokumentiert. Mit Hilfe von Lasermessgeräten, ähnlich denen, die jeder aus der Straßenvermessung kennt, wird die Grabung Schicht für Schicht vermessen. Detaillierte Fotos werden am Computer aneinander gefügt und mit den Messdaten verknüpft. So entsteht eine genaue Dokumentation. In einer speziell entwickelten Datenbank werden dazu alle Informationen abgespeichert. So kann jeder Fund genau einer Grabungsschicht und naheliegenden anderen Objekten zugeordnet werden.

Die Forscher werden unter den Augen der Öffentlichkeit arbeiten müssen. Das Gelände wird touristisch vermarktet. Immer Montags finden Führungen statt, für die man sich Karten im Rathaus abholen kann. Wer jetzt interessiert ist, muss sich leider gedulden: Zur Überraschung aller, auch der Archäologen, sind die Karten schon langfristig vergriffen.

2013 wird die Grabung ihr Ende finden und ein modernes Wohnviertel soll dort entstehen. Einiges mag in den Kellern erhalten bleiben, aber vieles wird verschwinden, schon deshalb ist die ausführliche Dokumentation so notwendig. Die Nachbereitung der Informationen sei noch keine beschlossene Sache. Finanzierungsanträge zur Auswertung der Grabungsergebnisse, sagt Heiko Kräling, wird es sicherlich geben, auch mit gewisser Aussicht auf Erfolg, aber immerhin wird alles dokumentiert.

 

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