Der Druck im Studium nimmt zu, die Zeit wird knapp, eine Prüfung jagt die andere, Abgabetermine, Seminare, soziale Verpflichtungen. Für viele Studenten wird es irgendwann zu viel. Marlene Müller studiert in Wien Publizistik- und Kommunikationswissenschaften und hat einen Artikel über Studenten in der Krise geschrieben.

Immer mehr Studenten suchen neben ihrem Studium psychologische Hilfe auf. Egal, ob es um Leistungsdruck, Konkurrenzdenken oder um die Finanzierung des Studiums geht, der Stress der Studenten nimmt zu und führt in immer häufigeren Fällen zu Burnout-Syndromen, Panikattacken und Angstzuständen.

Panikattacken bekommt auch Vanessa H. Nachts wacht sie schweißgebadet auf. Angst macht sich in ihrem ganzen Körper breit, doch die 22-jährige kann nicht sagen, woher diese Angst rührt. Sie läuft in der Wohnung umher, schaltet den Fernseher an, versucht sich abzulenken. An einen erholsamen Schlaf ist in diesen Nächten nicht mehr zu denken. Besonders vor den Prüfungsphasen leidet die Studentin unter diesen Angstzuständen. „Die Angst, die Prüfungen nicht zu schaffen, wird jedes Semester größer. „Tagsüber geht es mir eigentlich ganz gut, aber nachts werde ich von dieser Angst einfach überrumpelt, dann kann ich keine klaren Gedanken mehr fassen“, sagt das zierliche und eher schüchterne Mädchen. Sie spricht nicht gerne über ihre Probleme. Auch ihren engsten Freunden hat sie sich erst nach Monaten anvertraut. Dabei ist sie längst kein Einzelfall.

Allein 2008 wandten sich in Wien 4008 Studenten mit psychischen Beschwerden an die psychologische Studentenberatung (www.studentenberatung.at). In ganz Österreich waren es 2009 sogar über 12.000 Studenten. Nach einer internen Statistik kommen die meisten von ihnen auf Grund von persönlichen Problemen. Diese können viele verschiedenen Ursachen haben. Unter anderem geht es hier um Angstzustände, Depressionen, Einsamkeit, Essstörungen, Schlafstörungen, Sucht und Abhängigkeit und sogar Selbstmordgedanken. Diese Fälle machen immerhin 39,6% der Arbeit der Psychologen aus. Danach folgen Probleme rund um die Studienentscheidung, Prüfungsangst und Beziehungsprobleme. Die Entwicklung in den letzten Jahren zeigt deutlich, dass der Druck auf die Studenten zugenommen hat. Allein in den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der hilfesuchenden Studenten fast verdoppelt. Ein weiterer Grund für die psychische Belastung vieler Studenten war die Einführung der Studiengebühren. Der finanzielle Druck ist für viele, die sich ihr Studium selbst finanzieren müssen, eine enorme Belastung. Dazu kommt die Umstellung auf das Bachelor-Master-System. Dieses stark verschulte Modell erhöht die Bemühungen das Studium in der angegebenen Mindestzeit zu absolvieren.

Die Hürde, sich die eigenen Probleme einzugestehen, ist bei Männern wesentlich höher als bei Frauen. Bei der psychologischen Studentenberatung sind über das ganze Land verteilt 70,5% der Hilfesuchenden weiblich. Lediglich ein Drittel der Fälle machen die männlichen Studenten aus. Einer von ihnen ist Timo S. Der 25-jährige suchte erstmals vor einem Jahr den Rat eines Psychologen auf: „Ich habe mir selbst immer mehr Druck ge- macht. Ich hatte immer nur meinen Noten- durchschnitt im Kopf und bin aus Angst, schlecht abzuschneiden, immer öfter gar nicht erst angetreten. Von dem ganzen Stress hatte ich ständig Kopf- und Magenschmerzen. Vor Freunden und Familie habe ich versucht, das zu verbergen. Ich wollte nicht, dass jemand weiß, dass ich mit dem Stress in meinem Studium nicht klarkomme.“

Dieses Problem haben auch viele seiner Kommilitonen. Der heutige Arbeitsmarkt ist in vielen Bereichen überrannt. Die Angst, nach dem Studium keine Job zu finden, steigt dadurch immer weiter an. Um seine eigenen beruflichen Chancen zu erhöhen, sind viele Faktoren wichtig. Gute Noten, Praktika, Auslandsaufenthalte, Soft Skills, das alles lässt viele Studenten den Blick auf das Wesentliche verlieren. Zum Beispiel sich Zeit für sich selbst zu nehmen, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, sich in Themen zu vertiefen, die einen selbst interessieren und sich nicht nur gut im Lebenslauf machen. Timo hatte keinen dieser Faktoren im Kopf: „Ich hab schon immer versucht, in allem möglichst perfekt zu sein. Das hat mich irgendwann kaputt gemacht. Nach der ersten psychologischen Beratungsstunde war ich so erleichtert, dass ich es echt nicht fassen konnte. Nicht weil einem nach einer Stunde schon mit allen Problemen geholfen ist, sondern weil mir endlich klar geworden ist, dass ich so nicht weiter machen muss und dass ich mit meinen Problemen nicht alleine bin.“

An Timos Fall sieht man, dass es vor allem wichtig ist, die Probleme zu erkennen. Krankheiten wie das Burnout-Syndrom bringen zum Beispiel Symptome wie anhaltende Lustlosigkeit, Gereiztheit, Gefühle des Versagens, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Hoffnungslosigkeit und Stimmungsschwankungen mit sich. Panikstörungen äußern sich hingegen in spontanen Angstzuständen. Diese können mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Beklemmungsgefühlen, Atemnot und Zittern verbunden sein. Hinweise auf eine mögliche Depression geben langfristige Antriebslosigkeit und Freudlosigkeit. Auslöser hierfür können unter anderem Einsamkeit, Misserfolge, Prüfungen oder Kränkungen sein. Wer sich in solchen Zuständen befindet, sollte sich dringend psychologische Hilfe suchen. Die psychologische Studentenberatung in Österreich bietet kostenlose Sitzungen in Wien, Linz, Salzburg, Graz, Klagenfurt und Innsbruck an. Außerdem gibt es eine kostenlose Hotline, an die sich Betroffene wenden können. Die Angebote können auf Wunsch auch anonym in Anspruch genommen werden.

Andere Anlaufstellen gibt es zum Beispiel unter www.angstfreistudieren.at. Diese Seite bietet einen Raum, in dem sich Studenten einerseits mit anderen Studenten über ihre Probleme austauschen können und andererseits professionelle Hilfe und Beratung erhalten. Eine andere Plattform ist www.pruefungsamt.de. Auf dieser Seite finden sich Tipps, wie am besten mit Prüfungsängsten und Prüfungssituationen umzugehen ist. Alle diese Angebote sind kostenlos.

Auch Sarah M. hat den ersten Kontakt zu den Beratungsstellen über das Internet gesucht. Die 19-jährige Studentin aus Wien hatte nach der Scheidung ihrer Eltern viel Stress zu Hause. Zusammengenommen mit dem Druck im Studium ist ihr dieser irgendwann über den Kopf gewachsen: „Ich war mir gar nicht sicher, ob eine psychologische Beratung das Richtige für mich ist. Ich hatte nur das Gefühl, mit jemandem Außenstehenden reden zu müssen. Also bin einfach mal hingegangen. Einige meiner Freunde haben mich dafür komisch angeguckt, aber ich glaube sehr vielen Studenten würde es gut tun, ihre Hemmschwelle vor Psychologen abzulegen und die angebotene Hilfe einfach mal auszuprobieren. Mir hat das auf jeden Fall sehr geholfen, meine Probleme zu reflektieren.“

Vanessa H. hat den Schritt zum Psychologen auf Grund ihrer nächtlichen Angstattacken auch getan. „Es hat mich enorme Überwindung gekostet, Hilfe anzunehmen. In der Uni, wo alle auf Leistung und Erfolg aus sind, ist es eben nicht einfach, auch Schwächen zuzugeben. Aber seitdem ich offen über meine Versagensängste rede, kann ich schon viel besser mit ihnen umgehen, und ich bin mir sicher, auch die letzten Panikanfälle früher oder später in den Griff zu bekommen.“

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