Die schönsten Tipps erhält man von Freunden: Bei einem Spaziergang hört Stefan das neue Album einer sehr unbekannten Band, Erik erzählt beim Spieleabend vom neuen Buch, das er gerade liest. Auf diesem Wege werden kleine Bands zuerst bekannt, vor allem aus den Nischen abseits der Popmusik. Freunde wissen dabei, was einen selbst interessiert und tragen dementsprechend Tipps und Empfehlungen an dich, deinen Bekannten oder die gerade besuchte Runde weiter. Es sind also sehr individuelle Nachrichten und Informationen, die in einem kleinen Rahmen verbreitet werden.

Nachrichten in der Zeitung oder dem Fernsehen, allgemein den Medien, werden von einer Redaktion zusammengestellt. So wird nicht individuell sondern nach einem allgemeinem Interesse festgelegt, was über die „alten Medien“ verbreitet wird. Diese nach bestimmten Kriterien gefilterte Menge an Informationen geht danach allerdings an viele Menschen; es wird eine Grundmenge an Nachrichten verbreitet, die als wissenswert – oder verbreitenswert – deklariert wird.

Mit den elektronischen Medien – dem Telefon, dem Fernsehen – haben sich diese beiden Verbreitungswege jeweils beschleunigt, die Welt wurde kleiner und der eigene Horizont, was Informationen anging, weitete sich. Im Prinzip blieben die beiden einzelnen Wege jedoch erhalten. Selbst im Internet blieb diese Zweiteilung beinahe erhalten: kleine Homepages, später private Weblogs auf der einen, große Nachrichtenportale und Onlineausgaben der Zeitungen auf der anderen Seite. Die Möglichkeiten, sich zu informieren wurden damit lediglich internationaler und schneller.

Wandel im Informationsalltag

Der wesentliche Wechsel begann 2006 mit dem Internetdienst Twitter. Sein Erfolg liegt unter anderem an der API (Schnittstelle zu Programmen, siehe Ausgabe aus dem Februar 2010) und der Einfachheit: Twitter bot zu Beginn jedem Benutzer an, die Frage „Was tust du gerade?“ in bis zu 140 Zeichen zu beantworten. Zusätzlich kann man anderen Leuten folgen, erfährt also, wenn diese etwas schreiben. Im Grundkonzept erinnert das an eine Kurzform der Weblogs und wird dementsprechend auch als Microblogging bezeichnet. Der Charakter der Nachrichten orientiert sich damit an der Mundpropaganda.

Der Unterschied vom Microblogging zu den digitalen Vorgängern ist die Geschwindigkeit: Durch die API kann jeder Bekannte Sekunden nach dem Absenden die Nachricht empfangen und diese – wie in einem Gespräch – sofort erfassen, denn bei 140 Zeichen kann das immer nur ein kleiner Hinweis, Tipp oder Verweis auf eine Seite sein. Im Unterschied zum Gespräch spricht man jedoch mit einem Großteil seines Freundeskreises oder Personen des öffentlichen Lebens mit ihren Fans. So entsteht eine fast individuell zugeschnittene Nachricht, die jedoch eine große Verbreitung erfährt. Neben Freunden erreicht eine Nachricht Sekunden oder Minuten später auch die Freunde der Freunde, wenn sie interessant genug ist, um weitergetragen zu werden; es entsteht die digitale Mundpropaganda, die in ihrer Verbreitung den Nachrichtensendungen nahekommt, dabei aber weitestgehend individuell bleibt.

Das Interessante an dieser neuen Verbreitungsart ist, dass der individuelle Aspekt der Mundpropaganda zusammen mit der Möglichkeit, viele zu erreichen, kombiniert wird. Der einzelne entscheidet selbst, welche Informationen er verbreitet oder weitererzählt. Ebenso kann er angeben ob lediglich sein Freundeskreis oder alle Benutzer seine Nachrichten lesen können sollen, die Privatsphäre bleibt also gewahrt. Trotzdem gibt es in dieser Verbreitung einen Unterschied zu der Privatsphäre, etwa bei einem netten Kaffee; inwieweit sich das aber auswirkt, führt an dieser Stelle zu weit in die Psychologie.

Nachrichten im Sekundentakt

In seiner Wirkung auf die Nachrichtenwelt gibt es beim Mircoblogging einige sehr interessante Neuerungen: Bei hochaktuellen Themen, etwa während des Amoklaufes in Winnenden, bei der Notlandung auf dem Hudson oder allgemein Erdbeben, gab es vor den Nachrichten in Zeitungen und Fernsehen erste Berichte von Augenzeugen und Betroffenen. In letzterem Fall bietet Microblogging einen sehr interessanten Effekt: Bleibt das Mobilfunknetz intakt, können viele weiterhin zumindest in dieser Kurzform im Internet schreiben und so auf sich aufmerksam machen, zusammen einen Überblick über die Situation geben oder Hilfe koordinieren. Dies nutzte etwa die Feuerwehr in Australien während eines Waldbrandes.

Untergang in der Datenflut?

Neben diesen neuen Möglichkeiten treten auch einige Probleme oder zumindest neue Notwendigkeiten auf, die sich aber zum Teil auch erst entwickeln. Das erste Problem umfasst die Menge an Nachrichten. Es gibt verschiedene Statistiken, nach denen etwa eine Million einzelne Nachrichten pro Stunde geschrieben werden. Darunter viele private, aber auch Titelthemen größerer Zeitungen oder andere öffentliche Ankündigungen. Man muss für sich selbst also einen Weg finden, die Nachrichten so weit zu filtern, dass man nicht nur noch mit Lesen beschäftigt ist. Andererseits möchte man ja auch so vielen Freunden folgen, dass man im Bilde ist, was so um einen herum passiert (unter der Vorraussetzung, dass ein wesentlicher Teil des Freundeskreises microbloggt). Dieser Mittelweg lässt sich bisher nur über direktes „Zuhören“ oder nicht Zuhören regulieren, ob sich das ändert ist eine spannende Frage.

Außerdem ist es schwierig, einem bestimmten Thema zu folgen, das innerhalb aller öffentlichen Nachrichten gerade diskutiert wird. Dazu entstanden relativ zügig die Hashtags. Beginnend mit einem Rautezeichen und einigen Buchstaben legen sie ein momentanes Thema fest. So war etwa „#26c3“ das Zeichen, dass eine Nachricht irgendwie zu dem Thema des 26. Chaos Communication Congress Ende Dezember in Berlin gehörte. Dann kann man entweder über die Suche am aktuellen Inhalt teilnehmen oder man „hört“ diesem Thema zu, wie man Freunden zuhört. Natürlich kann eine Nachricht auch zu mehreren Themen gehören. Dann werden die jeweiligen Hashtags alle eingebracht, entweder im Fließtext oder hintenangestellt. Zusätzlich lässt sich eine Diskussion gliedern, indem man direkt Personen antwortet und dazu die Person mit @ vor dem Namen anspricht. Mit „@StudentenPACK“ erreicht man auf Twitter so die Redaktion. Beide Varianten waren in den anfänglichen Ideen nicht umgesetzt, entstanden dann in der allgemeinen Benutzung und inzwischen werden einem Benachrichtigungen geschickt, wenn jemand einen anspricht.

Wer schneller twittert, hat Recht?!

Das größte Problem ist jedoch die Glaubwürdigkeit, denn den Ursprung einer Nachricht festzustellen ist auf Twitter nicht so einfach. Auf der einen Seite gibt es Nachrichtenagenturen und Zeitungen, die ihre aktuellen Meldungen auch auf Twitter und anderen Plattformen veröffentlichen, aber jeder kann ja selbst eine Nachricht veröffentlichen. Es gab beispielsweise einen Nachmittag, an dem sich die Nachricht verbreitete, Kanye West sei verstorben. Hier wird die Geschwindigkeit dem Medium zum Nachteil, denn ob eine Nachricht korrekt ist, kann einem eventuell noch keine andere Quelle nennen. Eine eigene Recherche wird dabei also notwendig, im Vergleich zu den redaktionellen Quellen (wo sie nur ratsam ist). In diesem System lässt sich eine explizite Glaubwürdigkeit meiner Meinung nach aber auch gar nicht umsetzen, denn inwiefern ich einer Aussage eines anderen traue, hängt ausschließlich von der Beziehung zu der Person ab. Dafür gibt es technisch allerdings weder einen Maßstab noch eine Erfassung.

Insgesamt bietet Microblogging für die eigenen Interessen eine sehr interessante neue Basis. Bei Nachrichten, die nur einen kleinen Kreis betreffen, sei er nun freundschaftlich definiert, über einen Ort wie den Bahnsteig oder die Haltestelle oder das gerade besprochene Thema, entsteht so teilweise überhaupt erst ein Metier, in dem die Information für das Umfeld interessant wird. Dazu existieren erste Ansätze, Microblogging mit der aktuellen Position zu kombinieren, die ein Gerät kurz vorher per GPS ermittelt. Neben der neuen Qualität an Geschwindigkeit und Quantität an Zielpublikum, spätestens durch mehreres Weitertragen der Nachricht, stellen sich auch ganz neue Umgangsformen ein, die in ihrer Entwicklung sehr spannend zu beobachten sind. Diese umfassen auch eine neue Diskussion über Privatsphäre und Öffentlichkeit, vor allem aber auch über den Umgang mit Glaubwürdigkeit und die Eigeninitiative in der Einschätzung von Nachrichten.

Noch keine Kommentare, sei der Erste!