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Flughafen

Schon vor über 100 Jahren schienen in der Stadt Thomas Manns Vorstellungen absolut und unvereinbar zu sein. Dies verarbeitete der Literaturnobelpreisträger in seiner autobiographischen Novelle „Tonio Kröger“. Für diesen waren seine bürgerliche Herkunft, basierend auf festgeschriebenen Regeln, und sein inneres Verlangen nach künstlerischer Darstellung im Sinne einer autarken Selbstverwirklichung nicht zu korrelieren. „Ich stehe zwischen zwei Welten“, wie Mann schrieb.

In der Causa Flughafen Lübeck sieht es heute nicht großartig anders aus. Es haben sich zwei große Lager gebildet – parteipolitisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Es geht um die Frage, ob der Flughafen in Blankensee, am südlichen Rande der Hansestadt, im kommenden Jahr „abgewickelt“, oder mit finanziellem Rückhalt der Stadt ausgebaut und der Betrieb aufrecht erhalten werden soll.

Zur Zeit befindet sich der Verkehrsflughafen im Besitz der Flughafen Lübeck GmbH, einem Tochterunternehmen der Hansestadt Lübeck. Von Dezember 2005 bis Oktober 2009 war ein 90%-iger Anteil an die neuseeländische Beteiligungsgesellschaft Infratil verkauft worden, allerdings war im Kaufvertrag eine Rücktrittsklausel ausgehandelt worden und die Stadt musste 23 Millionen Euro für geleistete Investitionen und neue Schulden an Infratil rückerstatten, nachdem Infratil diese in Anspruch nahm.

Bisher war die Suche nach einem neuen Investor erfolglos, obwohl zuletzt steigende Passagierzahlen vermeldet wurden – diese lagen im September um fast 50% höher, als im Vorjahresmonat – wie die Initiatoren des Bürgerbegehrens zur „Rettung des Flughafens“ feststellten. Derzeit sind nur die beiden so genannten Low-Cost-Carrier Ryanair und Wizz Air am Flughafen in Blankensee aktiv, die unter anderem den Großraum London, Dublin, Mallorca und Danzig anfliegen. Wizz Air hat zudem zwei neue Verbindungen nach Kiew und Kattowitz im nächsten Jahr angekündigt. Allerdings hat es die Betreibergesellschaft bisher nicht geschafft, einen positiven Jahresabschluss vorzulegen und einen Gewinn auszuzeichnen. Im Geschäftsjahr 2007/2008 machte sie einen Verlust von über 6 Millionen Euro, den der städtische Haushalt ausgleichen musste.

Schon im Jahr 2007 ermittelte die Europäische Union gegen zahlreiche deutsche Flughäfen, da vermutet wurde, dass der irischen Fluggesellschaft Ryanair unerlaubte Rabatte gewährt wurden und die Erträge der Flughafenbetreiber – unter anderem der in Lübeck – zu gering seien. Im Jahr 2009 ist der Flughafen Lübeck von Ryanair abhängig. Wizz Air bedient bisher nur ein Ziel, dieses zudem auch nicht täglich.

Wie soll es nun weitergehen mit dem Betrieb des Flughafens? Die einen – unter ihnen große Teile der Lübecker Industrie, vertreten durch die Industrie- und Handelskammer, CDU, FDP und Bürger für Lübeck sowie Mitarbeiter des Flughafens – plädieren aus ökonomischen und sozialen Aspekten heraus für einen Ausbau der Landebeziehungsweise Startbahn, sowie für Kapazitätsanpassungen.

Die anderen – Umweltschützer, SPD, Grüne, Linke und politische Vertreter der kleineren Randgemeinden, vor allem Groß Grönau, aber auch Bewegungen zur Bekämpfung des Fluglärms – argumentieren ebenso in ökonomischer und sozialer Hinsicht, nur entgegengesetzt.

Interessant an der aktuellen Debatte ist aber, wie wirtschaftsnahe Verbände und Parteien einen größeren Einfluss der Stadt fordern, um „den Flughafen in die Rentabilität“ zu überführen, wie es Dr. Raimund Mildner (Bündnis für Lübeck) nennt. Parteien und Verbände, die der sozialen Sache nahe stehen, hingegen vertreten marktwirtschaftliche Positionen. So „fahre der Flughafen seit vielen Jahre hohe Verluste ein, die aus dem laufenden Haushalt heraus bezahlt werden müssen“, wie es die Bundestagsabgeordnete Gabriele Hiller-Ohm (SPD) formulierte. Die Wirtschaft unterstreicht die Wichtigkeit für die heimischen Betriebe und fordert eine Unterstützung der Stadt; die linken Parteien wiederum fordern eine autarke Bewirtschaftung des Flughafens, um Steuergelder unter anderem für soziale Projekte ausgeben zu können.

Zur Zeit sammeln die Befürworter Unterschriften für die Initiierung eines Bürgerbegehrens, wie es das Land Schleswig-Holstein vorsieht. Nach § 16g der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung muss nun, in einem unbegrenzten Zeitraum, jeder zehnte Lübecker Wahlberechtigte (ab 16 Jahren) die Initiative mit einer Unterschrift unterstützen, bevor diese überhaupt allen Wahlberechtigten Lübeckerinnen und Lübeckern zur Abstimmung vorgelegt werden kann.

Hervorgegangen ist diese Initiative aus einem großen Kreis von Mitarbeitern des Flughafens Lübeck. Mit der Schaltung der Internetseite flughafen-ist-zukunft.de und eines täglichen Informationsstandes in der Innenstadt suchen die Mitarbeiter und ihre Anhänger gezielt den Weg in die Öffentlichkeit.

Wie emotional in weiten Teilen der Bevölkerung diese Thematik beleuchtet und diskutiert wird, zeigt sich nicht nur durch die große Diskussionsfreude in Onlinebeziehungsweise Printmedien oder in Vereinen und Parteien. Leider setzen Unterstützer beider Seiten auch wörtlich zu verstehende schlagende Argumente ein, es kommt zu Beschimpfungen und Anfeindungen.

Dies ist nicht allein damit zu erklären, dass einerseits Menschen um ihre Arbeit bangen, sich andererseits eine über lange Zeit aufgestaute Wut über negative Umwelteinflüsse des Flughafens oder Lärmbelästigungen entladen. Es zeigen sich tief sitzende Ängste eines Sich-Ausgeliefert-Sein- und Übergangen-Sein- Fühlens.

Die geforderte Mindestanzahl von Unterstützern dieser Initiative wird sich fristgerecht finden und dementsprechend werden die Lübecker im Jahr 2010 zur weiteren Entwicklung des Flughafens abstimmen. Dies ist in dieser aufgeheizten Situation wahrscheinlich die beste Lösung.

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