Am Donnerstag, dem 20. Oktober, versammelte sich die Studentenschaft der Wiener Kunstakademie, um unter dem Motto ‘Malen nach Zahlen – education is not for sale’ zu demonstrieren.

Grund dafür waren die Pläne des österreichischen Wissenschaftsministeriums (in Österreich für die Bildung zuständig), die Beschlüsse des Bologna-Abkommens weiter durchzusetzen und flächendeckend alle Studiengänge auf die Abschlüsse Bachelor und Master umzustellen.
Ziel dieser Umstrukturierung ist hauptsächlich, einen möglichst synchronen Studienablauf für alle EU-Staaten zu schaffen und damit eine internationale Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse zu ermöglichen, was den Studenten und Absolventen etwa bei einem Auslandssemester, einem Studienortwechsel oder dem Berufseinstieg im Ausland zu Gute kommen soll.

Als man sich 1999 im italienischen Bologna, der ältesten Universitätsstadt Europas, auf die europäischen Ausbildungsstandards festlegte, war man sich einig, dass es um der Vergleichbarkeit Willen bestimmter Ansprüche an die Studenten bedurfte. So wurden die ETCS-Punkte geboren, die Auskunft darüber geben, wie viel Aufwand ein Student in ein Thema investiert hat: Gemessen werden häuslicher Fleiß, in der Uni verbrachte Zeit und das Bestehen einer Abschlussprüfung. Als internationale Abschlüsse wurden die aus dem angelsächsischen Raum stammenden Bachelor- und Master-Zertifikate übernommen, die mit dem ‘kleinen’ Abschluss ‘Bachelor’ ein grundständiges, berufsqualifizierendes Studium anbieten, das mit dem ‘Master’ weiterführend ergänzt werden kann, um damit das Rüstzeug für die Forschung zu erwerben.

Durch diese planvolle Umstrukturierung wurde es auch möglich, die Studieninhalte so effizient zu planen, dass mehr Stoff in kürzerer Zeit geschafft werden konnte. Hierzulande hat dies dazu geführt, dass Studienfächer, denen bisher eine straffere Ordnung gefehlt hat – wie etwa manchen Geisteswissenschaften – die Reform durchaus gut getan hat. Andere Fächer wiederum, vor allem aus dem Bereich der Ingenieurswissenschaften, beklagen die Stauchung von zu viel Lerninhalten in zu kleine Zeitfenster.

Dadurch, dass Thematiken in den Bologna-Studiengängen zügiger bearbeitet werden müssen, sind auch die Stundenpläne voller geworden, was das Arbeiten neben dem Studium beinahe unmöglich macht. (Verlängerung: vllt ein bisschen ausführen, das Studis arbeiten müssen um überhaupt Studium finanzieren, zwei Klassengesellschaft und so…)
Leider ist es so, dass viele Hochschulen nicht mit den finanziellen Mitteln auskommen, die ihnen der Staat zukommen lässt, sodass sie gezwungenermaßen auf Einnahmen durch Studiengebühren angewiesen sind.(Finanzielle Mittel durch neues System geändert?)

Hier setzen die Studenten mit ihrer Kritik an. “Reiche Eltern für alle”, fordern sie. Es könne schließlich nicht gerecht sein, dass so mancher am Studieren gehindert würde, weil das elterliche Budget nicht für zusätzliche Studiengebühren reicht und der Stundenplan das Arbeiten nebenbei quasi unmöglich macht; es sollte genug Geld vorhanden sein, um jedem – unabhängig von seiner Vermögenslage – eine Hochschulbildung zu ermöglichen.

Um die Option der reinen Eigenfinanzierung des Studiums wiederherzustellen, werden von den Studierenden flexible und selbstbestimmte Stundenpläne gefordert. Diese sollen auch den Leistungsdruck senken und ein intensives Auseinandersetzen mit dem Fachgebiet ermöglichen, denn die sogenannte ‘Lernbulimie’ – das Pauken von einer Prüfung zur nächsten – habe nichts mehr mit Wissenserwerb zu tun.

Ebenfalls abgeschafft werden sollen Aufnahmeprüfungen jeglicher Art, es sollten genug Studienplätze für alle Bildungshungrigen vorhanden sein und es dürfe keine Zugangsbeschränkungen für das weiterführende Masterstudium mehr geben.

Die Protestierenden der Geisteswissenschaften fürchten eine Verwirtschaftlichung ihrer Studiengänge durch die Bologna-Reform. Sollte eine Schwerpunktverschiebung in Richtung Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt stattfinden, würde dies die Freiheit der Künste und des individuellen Denkens erheblich einschränken. Man hat Angst vor wirtschaftsorientierten Strukturen und vor Verschulung, wie sie mit der Einführung der neuen Abschlüsse an den Unis Einzug halten würden.

Diese Anliegen betreffen nicht nur die anfangs in Wien streikenden Kunststudenten, so dass sich Studierende aller Studienrichtungen spontan ihren Kommilitonen anschlossen und gemeinsam nicht nur die Akademie der Künste, sondern auch das Audimax der Universität zu Wien besetzten.

Dass die Studenten unabhängig von der Wahl ihres Studienfachs Solidarität zeigten, unterstrich die Brisanz der Thematik für alle. Im Laufe der auf den 20. Oktober folgenden Tage fanden sich mehr und mehr Protestierende in den Hörsälen ein und in Graz, Linz und Salzburg wurden weitere Hochschulen von den Streiks ergriffen und besetzt.

Die digitale Vernetzung leistete hervorragende Dienste bei der Kommunikation zwischen den okkupierten Hörsälen. Die Uni Wien zum Beispiel richtete einen Livestream aus ihrem Audimax ein, über den man sich ein Bild über die Vorgänge in einer bestreikten Uni machen kann.

Täglich werden in den besetzten Hörsälen Plenarsitzungen abgehalten, auf denen tagesaktuelle Angelegenheiten angesprochen und diskutiert , Ideen und Anliegen vorgebracht werden und über die weitere Vorgehensweise bezüglich des Streiks abgestimmt wird. Dabei wird streng darauf geachtet, dass alles demokratisch einwandfrei abläuft. Das heißt, ein angesetztes Plenum wird erst dann als voll beschlussfähig anerkannt, wenn sich eine Mindestanzahl an Studenten im Hörsaal versammelt hat. Jeder hat dabei das gleiche Recht zur Mitsprache und üblicherweise wird auch ein Protokoll geführt, das manche Streikgruppen zur Wahrung der Transparenz ins Internet gestellt haben.

Wer den Livestream nicht verfolgen kann, hat die Möglichkeit, via Twitter minütlich über die Vorgänge im Hörsaal informiert zu werden.
Über das Internet wurden auch Aufrufe an Studierende anderer Länder geschaltet, sich an dem Streik zu beteiligen, da die Schwierigkeiten, die die Bologna-Reform und ewige Geldsorgen in der Bildung mit sich brachten, nicht nur ein nationales Problem darstellen. Die Österreicher äußerten sich dabei auch zu der ‘Problematik’ der in der Alpenrepublik studierenden Deutschen.
Ein Studium in Österreich ist für Deutsche vor allem attraktiv, weil dort Studiengänge, die in der Bundesrepublik stark zulassungsbeschränkt sind, oft Numerus-Clausus-frei sind. Den Österreichern müssen sie daher häufig als Sündenböcke herhalten für überfüllte Studiengänge. Die Streikenden jedoch stellten eindeutig klar, dass sich ihr Protest nicht gegen in Österreich studierende Deutsche richte, sondern vielmehr gegen den dort herrschenden Numerus Clausus und die Studiengebühren.

Am 3. November schlossen sich Göttinger Studenten als erste Deutsche der Streikaktion an und in den nächsten Tagen folgten die Universitäten der Städte Münster und Potsdam.
Sie solidarisierten sich damit nicht nur mit den Österreichern für gemeinsame Ziele, sie setzten auch die Aktion ‘Bundesweiter Bildungsstreik’ fort, die seit Juni 2009 in Deutschland eine Verbesserung der Bildungsbedingungen an Schulen und Hochschulen fordert. Bisher leider ohne Erfolg, da die gewünschten Reaktionen von Medien und Politik ausblieben. Im Gegensatz zu den Demonstrationen im Sommer, an denen sich immerhin knapp 270000 Schüler und Studenten beteiligten, wird nun verstärkt auf längerfristige Aktionen gesetzt. Vom 17. November bis zum 10. Dezember läuft die Aktion ‘Heißer Herbst’, die die Juliproteste fortsetzt und sich mit den Hörsaalbesetzern verbündet.

Die Ausdauer, die die Protestanten an Universitäten (und Schulen) an den Tag legen, findet mittlerweile auch den gebührenden Anklang in der Politik. Bildungsministerin Anette Schavan beteuerte vollstes Verständnis für die Anliegen der Studenten und will sowohl das BAFöG erhöhen als auch ein umfassendes Stipendienprogramm einführen. Beschlossen ist allerdings noch nichts und bis dahin wollen die Studenten im Hörsaal ausharren – es bleibt also spannend im deutschen Bildungwald.

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