University of Maryland, College Park

Seit einem Jahr studiere ich nun schon an der University of Maryland in College Park, einem Vorort von Washington DC (- es sind etwa 25 Minuten bis zum Weissen Haus -) und es gefällt mir sehr gut.
Vor allem am Anfang war es zwar doch schon eine grosse Umstellung, von der kleinen überschaubaren Medizinischen Universität Lübeck auf eine 35.000 Studentenuni in einer Millionenmetropole zu wechseln. So war ich auf die mit der Grösse einhergehende Anonymität nicht vorbereitet gewesen und brauchte einige Zeit, um mich einzuleben. Sehr geholfen haben mir bei der Eingewöhnung die Mitarbeiter in meiner Arbeitsgruppe mit denen ich täglich zusammenarbeite. Gleich am ersten Abend wurde ich ersteinmal auf eine zünftige Pokerparty eingeladen (unkundige Opfer sind halt immer willkommen). Wir (5 Leute insgesamt) teilen uns ein Office und auch mein Professor schaut mindestens 6 mal am Tag vorbei, um uns seine neuesten Geschichten zu erzählen. Es macht sehr viel Spass für ihn in diesem Office zu arbeiten, da er als gebürtiger Grieche eine mediterrane freie Arbeitseinstellung hat. Das bedeutet, dass er uns sehr viel Freiraum lässt, bezüglich unserer Arbeitsweisen und Themenwahl, und sich auch sehr um unser Wohlergehen sorgt, denn seiner Meinung nach sind nur glückliche Mitarbeiter auch gute Mitarbeiter. Allerdings kann diese Freiheit auch frustrierend sein, da wir selbst auf Ideen kommen sollen, was, wie ich gerade leider feststellen muss, nicht immer so einfach ist. Gute Ideen fallen halt nicht so häufig vom Himmel wie der Regen in Lübeck. Dieses gute Verhältnis im eigenen Office hat dann auch dafür gesorgt, dass wir uns hier gemütlich häuslich eingerichtet haben, mit Kühlschrank für Snacks und Couch für Mittagsschläfchen, was häufig den Neid von anderen besuchenden Studenten erweckt. Diese familiäre Atmosphäre wirkt dann auch dem fehlendem Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Studenten entgegen, das doch deutlich auffällt im Vergleich zu Lübeck. Zwar wird durch eine wöchentliche CS Graduate Kaffeestunde der Alltag etwas aufgelockert, aber meistens arbeitet jede Gruppe für sich alleine im Zimmerchen. Ich arbeite in einem vierstöckigen Bunker mit mehr als 1000 anderen Leuten zusammen und da leider das integrative Element einer Mensa fehlt, dauerte es einige Zeit bis ich die netten Leute ausserhalb der eigenen Gruppe kennengelernt habe und sich ein Leben neben der Uni zu entwickeln begann.

Das Umfeld

Washington gilt zwar unter Amerikanern her als langweilige Bürokratenstadt, hat aber doch einige sehr nette Fleckchen zum Ausgehen zu bieten. Unglücklicherweise schliesst das aber auch wie überall in Amerika immer eine Fahrt mit dem Auto ein, da das öffentliche Verkehrsssystem ab 11 Uhr abends seinen Geist aufgibt. Gut zu erreichen ist allerdings das Herz der Stadt, wo man das Weisse Haus und diverse Museen mit Weltrang finden kann (Holocaust Museum, Smithsonian Museen, die meistbesuchtesten Museen der Welt). Die Nähe zu DC hat allerdings auch dazu geführt, dass sich College Park, trotz seines Namens und der grossen Universität, nicht zu einer Studentenstadt entwickelt hat, sondern stattdessen eher ein ärmlicherer Vorort von DC geblieben ist. Dieses macht sich dann auch in den Kriminalitätsstatisken bemerkbar, so wurden letztes Jahr 3 Studentinnen auf dem Campusgelände vergewaltigt und diverse Raubüberfälle verübt. Seitdem ist allerdings die Polizeipräsenz deutlich erhöht wurden auf dem Campusgelände und es gab auch keine weiteren Vorfälle. Die Uni bietet dem Studenten auch einiges, um die Nase aus den Büchern zu heben, wie ein Fullsize Kino, mehrere Sportzentren (4-5 Hallen insgesamt), Bowling und inneruniversitäre Sportwettbewerbe, so dass man sich eigentlich nie langweilen muss. Allerdings fehlt die nette Kneipe um die Ecke doch schon merklich, und dank der paranoiden Einstellung der Amerikaner bezüglich Alkohol ist jeglicher Konsum auf dem Unigelände untersagt.

Der Alltag

Da die Arbeitslast in der Universität sehr hoch ist, sind lange Tage (10 -14 Stunden) in der Uni eigentlich normal. Deshalb bleibt häufig nicht viel Zeit für andere Sachen nebenbei. Da ich aber das Gefühl habe, die meiste Zeit in meine Forschung zu investieren, die mir viel Spass bringt, kann ich mich über den Zeitaufwand nicht beschweren. Vergleicht man Lehre hier und in Lübeck, so ist in Qualität und Niveau kein Unterschied festzustellen, allerdings erscheinen mir hier Arbeitsaufwand und Leistungsdruck als höher. Viele Kurse enthalten neben benoteten Hausaufgaben, die in die Endnote eingehen, auch sehr programmierintesive Projektaufgaben, die sehr zeitraubend sind. Desweiteren werden zwei Klausuren im Semester geschrieben, so dass ich eigentlich was Kursarbeit anging immer sehr gut beschäftigt war. Um zur Phd-Thesis zugelassen zu werden, muss jeder Student 10 Kurse aus 5 Fachbereichen belegt haben, wobei man mindestens 7 dieser Kurse mit einem A abschliessen muss. Dies ist allerdings nicht mit einer deutschen 1 zu vergleichen, denn im Regelfall bekommt jeder der in der besten Klassenhälfte ist ein A. Trotzdem sorgt dieser Druck dafür, dass ich mich bei den Hausaufgaben und Projekten sehr viel mehr ins Zeug gelegt habe, da ja alles was ich abgebe in die Endnote eingeht. Faszinierend ist für mich immer wieder die Vielfalt des Kursangebots aus dem ich wählen darf. Von abgefahrenen Matheseminaren bis zu Golfstunden, von Rhetorikkursen bis zu Swingunterricht ist alles vorhanden, wonach das Herz begehrt. Für mich gilt es dieses Jahr aber noch meine 10 Pflichtkurse fertigzustellen, daher werde ich erst nächstes Jahr mit den “Spasskursen” beginnen. Bezahlt werde diesen Kurse für jeden Studenten, der bei der Universität angestellt ist, sei es nun wie ich als Research Assistant (Forschungshiwi/assistent) oder als Teaching Assistant (Lehrhiwi). Hier in Maryland wird jeder Grad Student vom Department finanziell unterstützt, weil jeder der nicht schon für einen Professor arbeitet, als Tutor oder Uebungsleiter für die 1500 Undergraduates, die hier Computer Science studieren, gebraucht wird. Gut gefällt mir hier das internationale Flair im Graduate Bereich. Zum Beispiel waren in meinem Anfangsjahrgang nur 35 % der neuen Studenten Amerikaner, die restlichen Studenten sind vor allem asiatischer, indischer und europaischer Herkunft (in dieser Reihenfolge). Meine besten Freunde sind so zum Beispiel ein Israeli, zwei Amerikaner, ein Türke, ein Jugoslawe, eine Bosnierin, etc. Es ist hochgradig spannend viele Sachverhalte aus ganz ungewohnten Blickwinkeln zu betrachten. Es war schon sehr aufwühlend mit meinem israelischen Freund ins Holocaustmuseum zu gehen oder mit bosnischen Freunden einen Film über den Krieg in ihrem Land zu sehen.

Was ist mir aufgefallen?

Am meisten beeindrucken mich hier die Grösse der Projekte, die bearbeitet werden, und das Geldvolumen, das im Umlauf ist. So werde ich mich in der nächsten Zeit mit einem Multikameralabor beschäftigen, wo wir versuchen werden mit 64 hochauflösenden Farbkameras 3dimensionale Rekonstruktionen von sich bewegenden Objekten zu erzeugen. Desweiteren fällt mir immer wieder die enge Verzahnung mit der Industrie auf . Fast jeden Tag in der Woche gibt es Präsentation von Soft- und Hardwarefirmen, die teilweise lokal vor Ort sitzen (die nähe zum Pentagon und zur NASA lohnt sich für Firmen) oder zu den grossen bekannten gehören (Microsoft, HP, IBM, Oracle, ATT…) und wo man sich dann für Praktika und Stellen bewerben kann. Sehr beeindruckend ist auch die Liste der Vortragenden bei den grossen Vortragsserien (Marvin Minksy (Gründer MIT AI Lab), John McCarthy (Erfinder von Lisp), Ed Witten (Erfinder der Superstringtheorie)) und der Besucher im Computer Vision Lab. Viele Namen, die ich vorher nur auf der Titelseite von Lehrnbüchern oder Forschungsartikeln gesehen habe, machen hier persönlich Station. Dank des Bekanntheitsgrades der Professoren ist es auch häufig möglich die eigene Forschungsleistung in den wichtigen Fachzeitschriften zu veröffentlichen oder auf Konferenzen vorzustellen. Auch die Möglichkeit im Sommerterm ganze Vorlesungen zu unterrichten ist erwähnenswert. Zu den negativen Seiten des Lebens hier gehören vor allem die totale Abhängigkeit vom automobilen Untersatz, ohne den ein Leben nur mit Einschränkung zu führen ist, und das damit einhergehende Gefühl einer gewissen Unfreiheit. Jeder Ort ist nur per Auto zu erreiche und an viele Orte wagt man sich wegen der hohen Kriminalitätsrate bei Dunkelheit nicht mehr hin (strikte Trennung von guten und schlechten Nachbarschaften). Dies gibt mir das Gefühl, dass ein Leben in Lübeck sorgloser ist. So plane ich auch nach meinem PhD hier, wieder nach Europa zurückzukehren, weil mir das Leben dort insgesamt betrachtet als lebenswerter erscheint.

Fazit

Im Bezug auf die Gegenwart jedoch kann ich sagen, dass der Entschluss in die USA zu gehen für mich der Richtige war, wobei ich allerdings einen teuren Preis in Hinsicht auf Liebe und Freundschaft zahlen muss und meiner Freundin wirklich danke, dass sie das ganze so mitmacht. Ich kann jedem nur empfehlen ebenfalls für einige Zeit – und sei es nur für ein paar Monate als Praktikum, ins Ausland zu gehen und dort zu studieren. Falls jemand nähere Informationen über meinen Weg nach Amerika haben möchte, so stehe ich jederzeit für Auskunft per email jneumann@cfar.umd.edu zur Verfügung. Ausserdem habe ich noch eine Webpage Zeitplan für eine USA Bewerbung vorbereitet, wo ich einige Tips zur Bewerbung und zum Zeitrahmen einer Bewerbung gesammelt habe.

 

Archivierter MUFtI-Artikel

Dieser Artikel erschien in der Onlinezeitung der Fachschaft Informatik. Er wird hier im Rahmen unserer Archivierungsbemühungen kopiert. Das Original ist in der Way-Back-Machine des Internet Archives zu finden.

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