Wir haben uns heute versammelt, um der Immatrikulation derjenigen Kommilitonen beizuwohnen, die sich in diesem SS 1963 zum ersten Mal an unserer Lübecher Hochschule haben einschreiben lassen. Daß dies in feierlicher Form durch Seine Magnifizenz zu geschehen habe, schreibt uns der §33 der neuen Verfassung der Christian-Albrechts-Universität vor, deren Mitglieder wir in Lübeck ja, als deren Zweite medizinische Fakultät, sind. Wir danken es Magnifizenz Eraunert ganz besonders, daß er, trotz stärkster beruflicher Anspannung, es auf sich genommen hat, diesen Teil seiner Amtspflicht persönlich zu erfüllen, und danken es ebenso unsern heute anwesenden Kieler Kollagen, daß sie unsern jungen Kommilitonen und unsern Gästen die trotz allen Geredes immer noch bestehende Universalität des Geistes an einer echten, gewachsenen Hochschule anschaulich machen, Deshalb danke ich Dir, lieber Scharff, ganz aufrichtig, daß Du meiner Bitte entsprochen hast, uns aus Deinem Fachgebiet, das mit Medizin gar nichts, umso mehr aber mit den Triebfedern, Leistungen und Folgen menschlichen Handelns zu tun hat, vorzutragen.

Nichts anderes will es besagen, wenn die an der Kieler und Lübekker Hochschule Lehrenden heute ihre Amtstracht angelegt haben – eine Tracht, die in allen Ländern der Erde, wo wissenschaftliche Hochschulen existieren, bei feierlichen Anlässen angelegt wird und als Symbol für eine übernationale, überdisziplinäre geistige Gemeinschaft gelten kann.

Sie, meine jungen Kommilitonen, haben es nicht erlebt und werden es vielleicht auch gar nicht wissen, daß in unserem deutschen Vaterlande der Professoren-Talar vor 35 Jahren schon einmal abgeschafft und durch ein bestimmt gefärbtes Hemd ersetzt werden sollte, was auch manchen Ortes geschehen ist. Die Folgen sind nur allzu bekannt. Wir tragen an ihnen naoch heute. Die Bestrebungen, derartige übernationale Symbole bei uns abzuschaffen, kennen Sie, Ich würde es aber für bedenklich halten, diese einem Druck von außen zu opfern; für noch bedenklicher allerdings, wenn ein Lehrkörper, aus sich heraus, gewachsene Symbole ablegt, sei es aus Furcht, sei es deshalb, weil man nicht mehr so recht an die Sache glaubt, die man vertritt. Denn dann hätten wir wieder genau die Situation wie 1933.

Neu eingeschrieben an unserer Hochschule haben sich 93 Studenten; insgesamt studieren hier 285, von diesen 31 Ausländer, von diesen wieder 27 aus dem benachbarten Skandinavien, die uns besonders liebe und willkommene Gäste sind. Im WS 1967/68 bestanden 59 Kommilitonen das Staatsexamen, für das sich in diesem Sommer 61 gemeldet haben: eine Zahl, die weit hoher als an allen anderen neugegründeten Hochschulen in Deutschland ist. Es wurden im vergangenen Winter und seit Beginn des SS 12 Doktoranden promoviert und eine Habilitation ausgesprochen; auch der Lehrstuhl für Augenheilkunde ist inzwischen besetzt.

Der von uns allen sehnlich gewünschte Ausbau unserer Hochschule geht nicht eben rasch, Bie architektonisch reizvolle, innen gut ausgestattete akademische Augenklinik konnte in Betrieb genommen werden, die akademische Hals-Nasen-Ohren-Klinik leider noch immer nicht.

Engpässe in Unterricht und Krankenversorgung bestehen an manchen Stellen. Das ist offenbar nicht ohne Rückwirkung auf die Zahl derer gebliehen, die hier studieren wollen. Man möchte bisweilen wünschen, daß die dringenden Erfordernisse des nic et nunc, zur besseren Versorgung der Kranken und zur Abrundung des Unterrichtes bald befriedigt werden möchten. Denn wir sind immer noch auf die freundlich gewährte und dankbar angenommene Hilfe von Kollegen ans der Kieler Schwester-Fakultät und anderer auswärtiger Kollegen angewiesen, um die Unterrichtsverpflichtungen erfüllen zu können. Es besteht die Gefahr daß der Schwung und die Begeisterung, ohne die lebendiges Lehren und Lernen nicht gedeihen können, in einem kalttrockenen administrativen oder ver schulten Klima verdorren. Mut und Hoffnung erhalten wir Lehrenden allein dadurch, daß hier noch eine echte Gemeinschaft von Lernenden und Lehrenden verwirklicht werden kann und daß Sie, meine jungen Kommilitonen, es trotz mancher äußerer Unzulänglichkeit mit uns versuchen wollen.

Was nun die akademischen Wirren der letztvergangenen Wochen und Tage angeht, so hätte ich dazu eigentlich nur folgendes zu sagen:

“Unmöglich ist’s, den Tag dem Tag zu zeigen,
“Der nur Verworrenes in Verworrnem spiegelt,
“Ein jeder fühlt sich selbst als recht und eigen,
“Statt sich zu zügeln nur an andern zügelt.
“Da ist’s den Lippen besser, wenn sie schweigen,
“Indes der Geist sich fort und fort beflügelt.
“Aus Gestern wird nicht heute, doch Äonen
“Sie werden wechselnd sinken, werden thronen.”

Prof. Dr. H. Remé, Dekan der Medizinischen Akademie Lübeck

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