Seit mehr als einem Jahr besteht in Lübeck der Tönnies-Kreis. Zu ihm gehören eine Gruppe an der Medizinischen Akademie, eine weitere Gruppe an der Ingenieurschule und einige Studenten der Hamburger Universität, die in Lübeck wohnen.

Der Tönnieskreis wurde in Anlehnung an den Tönnieskreis der Universität Kiel gegründet. Er gehört dem Sozialdemokratischen Hochschulbund an. Gefördert wird der Kreis wie alle politischen Hochschulgruppen einmal aus Landesmitteln, vor allem aber von der Ferdinand Tönnies-Gesellschaft. Diese Gesellschaft besteht in Kiel und hat sich zur Aufgabe gestellt, das Andenken an den Soziologen Ferdinand TÖnnies zu pflegen und Studentengruppen zu fördern, die sich vor allem mit gesellschaftlichen Problemen beschäftigen. Tönnies (1855-1936) war ein bürgerlicher Soziologe, der als bedeutender Vertreter seines Faches Präsident der Deutschen Gesellschaft für Soziologie war und in späteren Jahren in die SPD eintrat.

Diejenigen, die sich zur Gründung des Lübecker Kreises zusammenfanden, halten es für erforderlich, daß sich Studenten mit politischen Problemen auseinandersetzen. Die Erfüllung dieser Forderung ist in und mittels eines studentischen Diskussionskreises oder einer der bekannten politischen Hochschulgruppen eher möglich als im Alleingang. Die Hochschulgruppe hat vor anderen Organisationsformen den Vorteil der finanziellen Unterstützung und damit die Chance, in die Öffentlichkeit zu wirken.

Die dem Tönnies-Kreis angehörenden Medizinstudenten haben nicht einheitliche politische Meinungen; nur ein Mitglied gehört zugleich der SPD an. Zur Mitarbeit im Tönnies-Kreis sind Unabhängige, aufgeschlossene Konservative, Sozialdemokraten und Liberale aufgerufen; Nationalsozialismus, Kassismus und Kommunismus sind mit den Zielen des Kreises unvereinbar. Der SHB ist keine Gliederung der SPD und somit kein Außenposten dieser Partei an den Universitäten. Es ist bekannt, daß der Hochschulbund die Praktiken der Partei oft kritisiert und die Verwirklichung der innerparteilichen Demokratie und die Möglichkeit der ständigen Kontrolle der gewählten Repräsentanten fordert. Zwar werden auf Bundesebene die politischen Vorstellungen und Ziele des SHB in Richtlinien von Zeit zu Zeit neu festgelegt, die einzelnen Gruppen aber sind in der Gestaltung ihres Programms völlig frei. Die Formen der politischen Aktivität hängen allein ab von den Vorstellungen, der Zeit und der Einsatzbereitschaft der Mitglieder. Solche Formen können sein: Podiumsdiskussionen, öffentliche Vorträge, Informationsabende, aber auch mehr oder weniger regelmäßige “Biertischgespräche”, .In einem größeren Kreis könnten Arbeitsgruppen gebildet werden, die sich nit speziellen Themen auseinandersetzen. Der Inhalt der politischen Themen wird sich hier in Lübeck den bestehenden Verhältnissen anpassen: aktuelle politische Vorgänge, vor allem aber hochschulpolitische Fragen; außerdem sozialpolitische und soziologische Probleme, denen sich der Mediziner in der Gesellschaft gegenübersieht. Während des Semesters und in den Ferien bietet der SHB zudem eine Reihe von Wochenendseminaren an (in diesem Semester u.a. über Hochschulpolitik, Deutschlandpolitik, Israel-Frage), die in Berlin und Städten der Bundesrepublik stattfinden und in der Regel gratis sind.

In den beiden letzten Semestern hat der Tönnies-Kreis u.a. folgende öffentliche Veranstaltungen durchgeführt: Eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aller Parteien vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein; einen Vortrage von Professor Nell-Breuning über wirtschaftliche Mitbestimmung; ein Informationsabend mit Berliner Studenten über die Berliner Ereignisse am 2. Juni 1967; Gespräche mit EDJ-Mitgliedern aus Schwerin; ein Vortrag mit Diskussion über Südafrika.

Die Gruppe des Tönnies-Kreises an der Akademie besteht aus 7 Mitgliedern, von denen jetzt 5 mit dem Examen beginnen; deshalb war es in diesem Semester dem Kreis nicht möglich, geeignete Kandidaten zur Pachschaftswahl aufzustellen, was sich|ändern wird, wenn sich auch Studenten der jüngeren Semester für den Kreis interessieren.

Das Programm für das Sommersemester soll am 8.2.68 in der Gaststätte “Lübecker Hanse”, Am Kolk, besprochen werden. Dazu sind Sie herzlich eingeladen.

Noch keine Kommentare, sei der Erste!