Peter Delius – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Sat, 10 Oct 2015 22:04:28 +0000 de-DE hourly 1 Geschichten, die die Uni schreibt https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/geschichten-die-die-uni-schreibt/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/geschichten-die-die-uni-schreibt/#respond Mon, 03 Nov 2014 09:17:50 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212608 Berufsverbote und Ordnungsverfahren gegen Medizinstudenten, Morddrohungen wegen des Einsatzes für einen Gedenkstein, unglaubliche Solidarität zwischen Studierenden, die leidigen Baustellen, die wilden Partys und riesige Demos. Wenn die Universität dieser Tage auf 50 Jahre zurückblickt, gibt es viele Geschichten zu erzählen. So viele Geschichten, dass wir in der StudentenPACK-Ausgabe einige wenige Momentaufnahmen machen mussten, um das Thema überhaupt bewältigen zu können.

Weil auf diesem Blog die Artikel nicht wie im Heft gebunden daherkommen, möchten wir euch in diesem Text einen kurzen Überblick verschaffen. Alle unsere Texte zum 50. Jubiläum der Universität (darunter einige exklusiv auf der Website und nicht im Heft) sind in diesem Text verlinkt.

Demonstration in den Siebzigern

Demonstration in den Siebzigern.[media-credit name="Eckart de Bary" align="aligncenter" width="1011"]

Wie viele besondere Geschichten es in diesen 50 Jahren zu erleben gab, lässt vielleicht der Artikel „Dat erzähl ich meine Enkel!“ erahnen, in welchem wir einige der Anekdoten, die uns in den zahlreichen Interviews, die wir zu dieser Ausgabe geführt haben, zusammenfassen. In diesem wie in allen anderen Texten sind die Interviews in voller Länge verlinkt, wenn die Namen der Gesprächspartner wie Eckart de Bary, Johannes Hoffmann oder auch Dr. Reinhard Eggers, der sowohl in Lübeck studierte als auch bis heute hier lehrt, auftauchen.

1942

Die Jahre 1964 bis 2014, in denen die Uni Lübeck unter verschiedenen Namen existierte, schweben nicht in einem Vakuum, sondern haben sowohl eine Vorgeschichte als auch eine Zukunft. Für eine vernünftige Würdigung ist es nötig, beide zu betrachten. Großes Glück hatte unser Autor Johannes Zanken, als er bei seiner Famulatur Jutta Nunn kennenlernte. Die 87-Jährige war 1942 Patientin in der Heilanstalt Strecksitz (heute der Campus der Uni Lübeck) und erlebte, wie Patienten von den Nationalsozialisten deportiert wurden. Ihre Geschichte und die Geschichte der mühsamen Aufarbeitung der Campus-Geschichte durch Studenten wie Peter Delius in den 80er Jahren erzählt der Artikel Vergangen und Vergessen?

1964

Die Universität wird 1964 als „Medizinische Akademie“ gegründet und gehört erstmal zur Uni Kiel. Aus gesammelten Artikeln der Lübecker Nachrichten und der ersten Studierendenzeitung, dem „provisorium“ erfahren wir, was es hieß in den 60ern Die Anfänge der Uni Lübeck mit zu gestalten.

1977

Die Jahre, in denen die heutige Uni gegründet wurde und wuchs waren politische Jahre und so waren auch die Themen, mit denen sich die Studenten beschäftigten oft politisch. 1977 streikten Studenten gegen die Einführung des Praktischen Jahres und der damalige AStA-Vorsitzende Sebastian Stierl wurde von der Hochschulleitung mit einem Ordnungsverfahren belegt. Von Solidarität und sich wehrenden Studenten erzählen unser Artikel und das Interview mit Sebastian Stierl.

1981

Nicht nur an der Uni Lübeck ging man in den 70er- und 80er-Jahren nicht zimperlich mit Andersdenkenden um – Berufsverbote für Mitglieder linker politischer Gruppen waren ein heißes Thema in der ganzen BRD und auch in der Lübecker Studierendenzeitung „Der Springende Punkt“. Wer sich vor der Einstellung „Sind sie ein Verfassungsfeind?“ fragen lassen muss, fühlt sich vielleicht wenig willkommen. Dr. Reinhard Fröschlin, heute Oberarzt, berichtet von seinen damaligen Erlebnissen.

1989

Manches ist in 50 Jahren studentischer Pressearbeit in Lübeck einfach verloren gegangen. In den letzten Monaten haben wir versucht, ein möglichst vollständiges Archiv der Studentenzeitungen auf dieser Website zu erstellen. Längst nicht alle Zeitungen sind erhalten (Über Hinweise, wo wir weitere Ausgaben finden könnten wären wir sehr dankbar). Doch die über 100 Studierendenzeitungen, welche wir nun ins Archiv stellen konnten, haben nicht nur die Themenfindung für diese Ausgabe geprägt – sie haben uns auch die eine oder andere Detektivaufgabe aufgegeben. Da waren die Fotos von Ute Pastor, die sie 1998 an die damalige Studentenzeitung „Bauchpresse“ verliehen hatte, oder die zwei Teile einer dreiteiligen Geschichte.

1993

Die Uni Lübeck ändert sich mit der Gründung des Informatikstudiums im Jahre 1993 grundlegend. Zum ersten Mal in fast 30 Jahren studieren nicht nur Mediziner auf dem Campus. Die Anzahl der MINT-Studiengänge (obwohl dies ein viel neuerer Begriff ist) stieg Von Null auf Eins. Dabei waren damals der Professor Volker Linnemann und der Student Helge Illig. Sie haben uns erzählt, wie der neue Studiengang sein thematisches und räumliches Zuhause gefunden hat.

Nachdem die Informatik gegründet war ging alles relativ schnell: Es folgte die Computational Life Science, die MLS und dann bald MIW und bis heute werden links und rechts Studiengänge gegründet. Wo soll das noch hinführen? Die Mathematik hat eine Antwort, ob es die richtige Antwort ist, wird die Zukunft zeigen.

2010

Der nächste Einschnitt in die Geschichte der Uni Lübeck ist das Jahr 2010. Der schwarz-gelbe Protestsommer ist ein inzwischen fast mystisch verklärtes Ereignis, dass einem Neuankömmling seltsam und rätselhaft erscheinen mag. Annika Steinmeier ist gerade als Studentin in Lübeck angekommen und hat sich die Frage gestellt: Warum kämpfte Lübeck für seine Uni?

2015

Diese Ausgabe beendet ihren Rundgang durch die 50 Jahre Uni Lübeck mit einem Blick in die Zukunft. Ab Januar 2015 ist die Uni Lübeck eine Stiftungsuni. Und dann? Was können wir erwarten und was sollten wir nicht erwarten?

Wir hoffen, diese Ausgabe ist für euch ein unterhaltsamer Rundgang durch die Geschichte der Universität zu Lübeck. Wenn ihr möchtet, steht euch das Online-Archiv aller Ausgaben der Studierendenzeitungen auf dieser Website zur Verfügung um einen tieferen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Wenn ihr über eure Fundstücke in diesem Archiv berichten möchtet, freuen wir uns natürlich auch in zukünftigen Ausgaben über die Vergangenheit unserer Universität zu berichten. Schreibt uns doch einfach eine Mail.

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Interview mit Dr. Peter Delius https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/interview-mit-dr-peter-delius/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/interview-mit-dr-peter-delius/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:09:35 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212456 Dr. med. Peter Delius absolvierte nach der Vorklinik in Berlin von 1980 bis 1984 den klinischen Abschnitt des Medizinstudiums an der Medizinischen Akademie bzw. Hochschule Lübeck und arbeitete im Anschluss daran noch einige Jahre in Lübeck. 1995 ließ er sich nach seiner Zeit in Bonn und Hamburg als Psychiater und Psychotherapeut in Lübeck nieder.

StudentenPACK: Von 1980 bis 1984 haben Sie in Lübeck studiert, was waren in dieser Zeit Ihre drei prägendsten Ereignisse?

Peter Delius: Sie müssen sich vorstellen, dass die Zeit damals für heutige Verhältnisse in unglaublichem Maße politisiert war. Das bezog nicht alle Studenten und Studentinnen ein, aber einen sehr großen Teil. Deswegen haben auch mindestens zwei der Dinge, die mich geprägt haben, im weitesten Sinne mit Politik zu tun. Das eine ist die Zeit, in der ich AStA-Vorsitzender war und die Studentenschaft in Gremien und auch bei einigen Demonstrationen vertreten habe. Das zweite war gegen Ende meines Studiums die Beschäftigung mit der Heilanstalt Strecknitz und damit, was dieses Thema innerhalb der Hochschule für Wogen geschlagen hat. Das dritte ist eine Fahrt nach Bergen als Studierendenvertreter, eingeladen von der dortigen Universität im Rahmen der bestehenden Partnerschaft. Wir waren ungefähr 20 Studierende und wurden dort empfangen wie die Könige, wie die Vertreter der Hanse in einer Hansekolonie. Wir waren sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft und all dem, was unsere Gastgeber uns geboten haben und sehr beschämt, als sich später herausstellte, dass die norwegischen Studenten ein halbes Jahr vorher da gewesen waren und keiner sie beachtet hatte. Sie waren in einer Jugendherberge untergebracht worden und hatten große Schwierigkeiten, überhaupt Anschluss zu finden. Das spiegelte – historisch gesehen – vielleicht ein bisschen das Verhältnis von Lübeck, der Königin der Hanse, zu seiner kleinen norwegischen Kolonie in Bergen wider. Das war jedenfalls etwas, was mir bleibend in Erinnerung geblieben ist.

StudentenPACK: Wie spiegelte sich die allgemeine Politisierung auf dem Campus wider?

Delius: Vorweg sollte ich vielleicht ein bisschen zu meiner Vorgeschichte sagen: Ich bin aus Berlin gekommen, wo in unserem Semester ungefähr so viele Studenten waren wie in der ganzen Hochschule in Lübeck. Vorher war ich ein Jahr in Portugal und Westafrika, um dort revolutionäre Bewegungen zu unterstützen. Das erzählt sich heute etwas anekdotisch, doch damals haben sich viele Studenten verschiedener Fachrichtungen ähnlich betätigt. Ich kam dann sehr politisiert aus Berlin nach Lübeck und wurde so etwas wie Klassensprecher In dieser sehr beschaulichen und übersichtlichen Hochschule. Es gab damals verschiedene politische Gruppierungen: Zwei linke, von denen sich eine an der ehemaligen DKP orientierte und dann die „Linke Liste“, in der ich kandidiert habe, die zwischen Sponti-tum und den damaligen K-Gruppen einzusortieren war. Dann gab es natürlich auch „rechte“ Gruppen, die aber auch relativ liberal waren. Wir waren ein super Team. Wir haben viel Spaß miteinander gehabt, uns an vielen Wochenenden getroffen – teilweise in den Häusern von Kommilitonen – und uns mit Studentenpolitik beschäftigt.

StudentenPACK: Was waren zu der Zeit hochschulpolitisch die wichtigsten Themen?

Delius: Damals gab es Berufsverbote für verschiedene Studenten, die ihr Studium abgeschlossen hatten, da haben wir uns engagiert. Außerdem ging es um die Mitbestimmungsmöglichkeiten in Gremien, weil die Studenten damals eher wenig Rechte hatten. Dann gab es eine wichtige Ringvorlesung zum Thema Medizin im Nationalsozialismus, die mich auch sehr geprägt hat – daraus ist dann auch meine Doktorarbeit hervorgegangen. Ansonsten ging es auch um einige Hochschullehrer, denn – das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen – die erste Generation der Hochschullehrer in Lübeck war nicht die erste Garde. Da gab es einige, die wenig qualifiziert oder auch als Persönlichkeiten schräg waren, mit schwersten Suchtproblemen bis hin zu – als Psychiater würde ich heute sagen: schweren Persönlichkeitsstörungen. Aber so ist das, wenn eine Hochschule entsteht. Da gibt’s eben auch so eine Phase.

StudentenPACK: Es gab in den Achtzigern ja durchaus einiges an Demonstrationen, Klausurboykotten und ähnlichem. War so etwas auch bei Ihnen ein Thema?

Delius: Ja. Es gab mehrere Demonstrationen, bei denen es um die Berufsverbote ging, oder um bundesrepublikanische Studentenpolitik. Wir sind da auf die Straße gegangen und 100-200 Studenten sind mitgegangen. Bei 500 Studenten ist das schon ein wirklich großer Anteil.

StudentenPACK: Wie war das mit den Berufsverboten? Es gab schließlich auch in Lübeck einen Fall…

Delius: Ja. Das war Reinhard Fröschlin. Ein Kollege, der in Bad Segeberg in einer Klinik arbeitet und dort leitender Oberarzt geworden ist. Damals wurde er wegen seiner Mitgliedschaft in der Studentenorganisation der DKP nicht in den öffentlichen Dienst aufgenommen und konnte für einige Jahre nur in privaten Kliniken arbeiten. Zum Verständnis muss man vielleicht noch dazu sagen: Im Osten der BRD, da waren nur Diktaturen. Die Demokratie, wie wir sie heute so selbstverständlich erleben, war damals noch umgeben von Diktaturen. Da gab’s die DDR, da gab es Polen… Es war alles noch nicht so selbstverständlich, deswegen waren die politischen Auseinandersetzungen auch viel schärfer und existenzieller.

StudentenPACK: Im August 1983 gab es im AStA eine Hausdurchsuchung wegen einer SpriPu-Ausgabe, die im Rahmen der Friedensbewegung forderte, direktere Widerstandsformen zu ergreifen. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Delius: Zu der Zeit war ich schon im PJ und habe das nicht mehr richtig mitbekommen. Ich überlege mal, ob ich noch jemanden kenne, der dabei gewesen sein könnte.

StudentenPACK: Politisch war während Ihrer Studienzeit also sehr viel los. Wie waren der AStA beziehungsweise die Studenten untereinander organisiert?

Delius: Das ist eine nicht ganz einfache Frage. Es gab damals schließlich keine sozialen Netzwerke und Informationen wurden händisch weiterverbreitet – mit handgeschriebenen Zetteln, die kopiert und irgendwo verteilt wurden. Aber gewisse Knotenpunkte gab es doch, wo die Studenten immer wieder hinmussten, beispielsweise in die Mensa. Dort lief man sich häufig über den Weg und dadurch haben sich dann die Informationen verbreitet, wie zum Beispiel dass eine Demo stattfand. Und es wurde ja auch gefeiert, dabei unterhielt man sich dann auch über so etwas. Die vom AStA bekanntgemachten Veranstaltungen standen damals aber auch nicht in so großer Konkurrenz zu anderen Veranstaltungen, wie das heute der Fall ist.

StudentenPACK: Während Ihres Studiums wurde die Vorklinik in Lübeck eingeführt. Wie haben Sie das miterlebt?

Delius: Daran habe ich eigentlich keine richtige Erinnerung. Es wurde eben größer, aber an mehr kann ich mich da nicht erinnern. Es blieb – gerade im Vergleich zu Berlin – klein und vieles lief über persönliche Beziehungen.

StudentenPACK: Kurze Zeit bevor Sie zum Studieren nach Lübeck kamen, wurden hier die Multiple Choice-Fragen eingeführt. Am Anfang stieß das auf sehr viel Widerstand. War das bei Ihnen auch noch ein Streitthema oder schon Standard?

Delius: Ich war da schon domestiziert – in Berlin war das normal. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass das Thema gewesen wäre.

StudentenPACK: Auch die Heilanstalt Strecknitz war während Ihrer Studienzeit ein wichtiges Thema, Sie erwähnten bereits am Anfang eine Ringvorlesung. Wie kam es, dass gerade dann viel über die Vergangenheit des Campus in der NS-Zeit gesprochen wurde?

Delius: Anlass dafür waren die Äußerungen eines Professors für medizinische Statistik und Dokumentation, der die Leitsätze der deutschen Wehrmacht als im Grunde genommen immer noch gut geeignet für heutige Medizinstudenten ansah und das auch öffentlich geäußert hat. Außerdem hat 1980 ein sogenannter „Gesundheitstag“ in Berlin stattgefunden, bei dem zum ersten Mal breit, also für Tausende, öffentlich wurde, was in den Jahren zuvor innerhalb der Ärzteschaft verschwiegen wurde: die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus. Ich habe diesen Gesundheitstag mitorganisiert und sicher auch gedanklich etwas davon aus Berlin mitgebracht. Professor Dilling, der Leiter der psychiatrischen Klinik, hat uns damals Akten über die Patienten in Strecknitz zur Verfügung gestellt. Besser gesagt: Er hat uns den Schlüssel zu einem Raum gegeben und gesagt, dort könnte was zu finden sein, oben im Turm. Da haben wir dann gesucht, die Akten gefunden und schließlich publiziert. Vielleicht kennen Sie die Dokumentation dazu aus der Bibliothek, ein orangenes Heft.

StudentenPACK: Wie ging es weiter als die Vorgeschichte an der Hochschule bekannt wurde?

Delius: Da ging’s dann richtig hoch her! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwierig das war, damals über die Geschichte der Universität oder damals der Medizinischen Hochschule zu sprechen, weil das als Nestbeschmutzung galt. Die Akteure – das waren außer mir noch zwei, drei andere – wurden nicht nur zeitweise aus den Gremien ausgeschlossen, sondern richtig bedroht – sogar mit Mord. Das war ein Hochschullehrer, der uns damals bedroht hat, kein kleines Licht. Über die Heilanstalt Strecknitz zu sprechen wurde damals nicht als historische Aufarbeitung empfunden, sondern als Makel auf dieser jungen Hochschule angesehen. Es wurde vielmehr die Gefahr gesehen, dass diese naturwissenschaftliche Hochschule kontaminiert werden könnte mit der Ermordung beziehungsweise Deportation von psychisch Kranken.

StudentenPACK: Letzten Endes wurde auf dem Campus ein Mahnmal aufgestellt. Das durchzusetzen war sicher auch nicht ganz einfach…?

Delius: Nein, das war wirklich nicht einfach. Da haben sich dann aber einige Hochschullehrer auch wirklich drum verdient gemacht. Die Studenten alleine hätten das damals nicht durchsetzen können. Lange Zeit ging es darum, ob es eigentlich „Mahnmal“ heißen darf, weil es einigen – auch dem damaligen Präsidenten der Medizinischen Hochschule – viel zu weit ging, dass da „gemahnt“ wurde. Es sollte eher eine neutrale Information sein.

StudentenPACK: Bis von studentischer Seite dieses Mahnmal in Angriff genommen wurde, wurde die Campus-Geschichte vor der Gründung der Hochschule also komplett totgeschwiegen?

Delius: Bis 1980 war im Vorlesungsverzeichnis kein Wort über die Tatsache zu finden, dass die Medizinische Hochschule in den Gebäuden eines psychiatrischen Krankenhauses gegründet wurde, deren Insassen vorher deportiert wurden.

StudentenPACK: Fächer wie Medizingeschichte gab es damals vermutlich auch schon?

Delius: Ja, die gab es auch schon. Der damalige Leiter der Medizingeschichte in Kiel, Professor Kudlien, hat sich damals sehr für die Aufarbeitung engagiert, auch gegenüber seinen Fachkollegen. Für viele von den Medizinhistorikern war das gar kein Thema, weil sie fanden, dass Geschichte nicht Zeitgeschichte sein darf, sondern zurückliegen muss. So ist es mit der Bewältigung der NS-Verbrechen – es müssen mehrere Generationen darüber hinweggehen; die letzten Täter müssen, na ja, nicht gestorben, aber zumindest so alt sein, dass sie nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen werden können. Dann kann darüber so pragmatisch gesprochen werden, wie Sie das heute tun. Doch damals waren noch zu viele Väter involviert in die Geschichte des Nationalsozialismus, die als drohende Instanz im Hintergrund immer spürbar waren.

StudentenPACK: Gab es unter den Ärzten oder Professoren in Lübeck noch jemanden, der in die Geschehnisse der NS-Zeit noch direkt verwickelt war?

Delius: Da kann ich mich nicht daran erinnern, dass es direkte Verstrickungen gab. Wir haben etliche Interviews mit Menschen geführt, die damals noch lebten: Wir haben mit einer Reihe von Krankenpflegern gesprochen, die in Strecknitz gearbeitet hatten, und mit einer Ärztin. Die war zu dem Zeitpunkt schon weit über 90 und wollte mit all dem eigentlich nichts mehr zu tun haben.

StudentenPACK: Auch nach Ihrem Studium haben Sie Lübeck nicht für immer den Rücken gekehrt, sondern noch einige Zeit in der MHL gearbeitet und sich schließlich hier niedergelassen. Was haben Sie dann noch von der Universität mitbekommen?

Delius: Ich habe dann noch fast zehn Jahre mit der psychiatrischen Klinik zu tun gehabt und mich dort auch wissenschaftlich betätigt. In der Zeit war mir die Uni natürlich nah – danach aber immer weniger, es gab dann doch immer weniger Gemeinsamkeiten zwischen einem niedergelassenen Arzt und den Studenten. Das ist schade, aber so ist das Leben.

StudentenPACK: Von „Lübeck kämpft“ haben Sie sicher trotzdem noch etwas mitbekommen?

Delius: Da habe ich nicht so viel mitbekommen, ich war gerade zu der Zeit vier Wochen im Urlaub. Das hat mich geärgert. Aber das, was hier stattgefunden hat, war eine tolle Aktion.

StudentenPACK: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

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