Famulatur – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Thu, 10 Jul 2014 08:18:28 +0000 de-DE hourly 1 Im Land wo Milch und Honig fließen https://www.studentenpack.de/index.php/2011/04/im-land-wo-milch-und-honig-fliesen/ https://www.studentenpack.de/index.php/2011/04/im-land-wo-milch-und-honig-fliesen/#respond Sun, 10 Apr 2011 22:00:02 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/wordpress/?p=316 „Herzlich willkommen, schön dass Sie da sind!“, sind die ersten Worte, die ich vom Pförtner zu hören bekomme, als ich ihm sage, dass ich Praktikantin bin und zum Studierendensekretariat der Chirurgie möchte. Und diesen Satz werde ich in den folgenden Tagen noch einige Male hören. Herzlich willkommen sind alle fünf Neuen, die sich am Morgen des 1. März vor dem Studierendensekretariat der Klinik 1 des Universitätsspitals in Basel einfinden. Drei Famulanten und zwei PJ-ler treten ihren Dienst an diesem Tag an. Alle gleichzeitig, denn die Praktika gehen hier obligat vom Monatsersten bis zum Monatsletzten. Dafür bekommt man aber im Vorfeld nicht nur Post mit allen wichtigen Infos – wie etwa, dass man einen MRSA-Abstrich und einen Hepatitis-B-Titer vorweisen muss und wo man wohnen kann – sondern auch eine wirklich umfassende Einführung am Eintrittstag. Auf welcher Station bin ich? Wo bekomme ich meine Dienstkleidung her? Wer ist für Fragen zuständig? All diese Dinge werden ausführlich geklärt. Zudem wird der Badge ausgehändigt, die obligate Zugangskarte zu OP-Trakt und Mittagessen.

Dann geht es auf Station 6.1, die Viszeralchirurgie. Ein Schweizer Unterassistent – das PJ-Äquivalent, dem zwei weitere Theoriesemestern folgen – und ich haben den gleichen Weg. Erstmal platzen wir in die laufende Oberarzt-Visite hinein, doch das ist kein Problem. Nach jedem Zimmer kommt ein weiterer Mensch im Kittel auf uns zu, gibt uns die Hand, stellt sich vor und heißt uns willkommen. Schnell sind wir mit den Oberärzten per Du und fühlen uns gleich als Teil des Teams.

Ein Land, vier Sprachen

Noch während der Visite beginne ich, den leitenden Oberarzt für seine Sprachbegabung zu bewundern: Vor der Tür spricht er ein reines, klares Hochdeutsch, am Patientenbett breitestes Berndeutsch – alternativ ein flüssiges Französisch oder ein der schweizerischen Betonung angepasstes Italienisch. Die Schweiz ist mit ihren vier Amtssprachen – Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch – sowieso sehr vielfältig. Dazu kommt, dass Basel, das direkt an Deutschland und Frankreich grenzt, eine Stadt ist, die von großen, internationalen Pharmaunternehmen geprägt wurde. Entsprechend arbeiten hier Menschen aus aller Welt und das spiegelt sich natürlich auch bei den Patienten wieder.

Die Faszination der sprachlichen Fähigkeiten anderer weicht jedoch schnell dem Schrecken, als nach der Visite ein französischer Patient aufgenommen werden muss. Französisch hatte ich zwar noch im Abi, habe es aber seither nicht mehr wesentlich gebraucht und schon gar nicht, um Patienten aufzunehmen. Also schnell das Wörterbuch im Assistenzarztbüro bemüht, die wichtigsten Begriffe notiert und rein ins kalte Wasser. Mit Händen, Füßen, einigen in den Raum geworfenen lateinischen Fachbegriffen und ein paar deutschen Wortbrocken des Patienten gelingt es dann doch: Der Patient erzählt seine Krankengeschichte und als wir später über seine Stuhlgewohnheiten fachsimpeln macht sich ein gutes Gefühl breit: Das mit den Fremdsprachen geht doch irgendwie. Und so ist es schon ein paar Tage später gar kein Problem, einen amerikanischen Biologie-Professor aufzunehmen, der Schwierigkeiten mit „Fred“, seinem künstlichen Darmausgang, hat.

Die Sprachbarriere wird die meisten deutschen Studenten in der Schweiz dennoch irgendwie begleiten. Denn der Schweizer als solcher ist stolz auf seinen Dialekt. Und während in Deutschland oft die Überzeugung kursiert, nur noch Bauern sprächen nicht nach der Schrift, ist es hier durchaus gängig, dass auch unter Akademikern Schweizerdeutsch gesprochen wird. Für mich, die ich in der Nähe der Grenze aufgewachsen bin, ein geringeres Problem. Doch da die Schweiz als Paradies für medizinisches Fachpersonal gilt, ist man auch mit dem Schriftdeutsch nicht alleine: Fünf von sechs Assistenzärzten in der Viszeralchirurgie sind Deutsche, die sechste stammt aus Brasilien. Doch auch die Eingeborenen bemühen sich in aller Regel, sich verständlich auszudrücken und wenn man dann die gängigsten Fehler vermeidet – den Dialekt zu sprechen, wenn man ihn nicht beherrscht, sich über die Sprache lustig zu machen oder sie niedlich zu finden oder davon auszugehen, dass die Dialekt-Sprechenden dumm sind – kann man eigentlich kaum etwas falsch machen. Die paar wichtigen Vokabeln lernt man dann auch so: Aufnahmen heißen hier Eintritte, der „Zustand nach“ wird zum „Status nach“, mit „Bäähsedde“ ist im OP die Pinzette gemeint und mit „Dubferli“ der kleine Tupfer. Und wem das „Grüezi“ zur Begrüßung nicht so recht über die Lippen kommen will, der kann auch mit einem freundlichen „Morgä“ – der Basler als solcher rollt übrigens das R – den Raum betreten.

Kaffee und andere Annehmlichkeiten

Wichtig ist dann nur noch die „Schale“, wenn man in der Cafeteria eine Tasse Kaffee bestellen will. Die Cafeteria sehen wir im Übrigen verhältnismäßig oft. Das „z’Nüüni“, die Schweizer Tradition, um 9 Uhr morgens ein zweites Frühstück einzunehmen, wird leicht modifiziert und an den Krankenhausalltag angepasst: Immer, wenn es auf der Station oder im OP nicht gerade brennt, wird nach der Frühbesprechung erst einmal ein Kaffee getrunken. Eine schöne Möglichkeit, um nicht nur mit den Assistenzärzten ins Gespräch zu kommen

Doch hat der Alltag in Basel noch die eine oder andere weitere Annehmlichkeit zu bieten. Hier beginnt der Tag nämlich nicht, wie in Deutschland üblich, mit unzähligen Blutabnahmen. Dafür und für das Legen von Braunülen ist das Pflegepersonal zuständig. Allgemein hat hier das nicht-ärztliche Personal deutlich mehr Kompetenzen: Im OP dürfen die Pfleger auch schon mal den Patienten waschen und die sterilen Tücher kleben und die Anästhesiepfleger sind bei längeren Routineeingriffen mitunter alleine im OP. Zudem ist die Personaldichte sehr hoch: Eine Schwester hat vier bis sechs, in Ausnahmesituationen acht Patienten, dazu kommen Schüler, Pflegeassistenten und Sitzwachen und im OP gibt es Personal, das sich ausschließlich mit der Lagerung des Patienten vor und nach der Operation beschäftigt. Den Ärzten wird so nicht nur Arbeit abgenommen, sondern auch vieles erleichtert, schon allein dadurch, dass die zuständige Schwester immer griffbereit ist und sich nicht noch um zwölf andere Patienten kümmern muss. Und wenn einer der beiden Stationsärzte doch in den OP muss, ist zumeist noch ein zusätzlicher Assistent da, der sich um den Ablauf kümmern kann.

Was bleibt, ist viel Zeit für den Patienten. Bei der Visite werden die Fragen ausführlich beantwortet, die Aufklärungsgespräche sind recht umfangreich. In der Schweiz wird übrigens noch nach der tatsächlichen Leistung abgerechnet. So kann es schon mal vorkommen, dass der Arzt die Visite mit den Worten beendet: „Von unserer Seite könnten Sie morgen nach Hause gehen – wenn Sie sich soweit fühlen.“ Während in Deutschland oft halbkurierte Patienten vor die Tür gesetzt werden, darf in der Schweiz jeder bleiben, bis er sich subjektiv fit genug fühlt, bis die Anschlussbehandlung garantiert ist oder bis jemand die Zeit hat, um den Patienten abzuholen. Interessant ist dabei auch das Versicherungssystem. Hier werden drei Klassen unterschieden. Die 3. Klasse deckt den Basisbedarf ab: Bett, Arzt, Pflege – jedoch nur in dem Kanton, wo man seinen Hauptwohnsitz hat. Wer im Krankenhaus seiner Wahl behandelt werden will, braucht eine Zusatz- oder eine 2.-Klass-Versicherung, die einem auch das Liegen in einem 2-Bett-Zimmer ermöglicht. Wer es gern luxuriös mag, sollte jedoch die 1. Klasse wählen: Einzelzimmer, Chefarztbetreuung und Hotelleriebetrieb mit Wahlmenü, Schränken aus echtem Holz und Flachbildfernseher an der Wand – in Basel kommt der Blick aus dem 7. Stock über die Altstadt dazu.

Doch nicht nur für Patienten bleibt viel Zeit. In Basel wird der Status „akademisches Lehrkrankenhaus“ durchaus Ernst genommen und so bleibt während des Monats, den ich dort verbringe, keine Frage unbeantwortet.

Richtig rapportieren lernen

Die Aufgabe der UHUs, den Unterassistenten, zu denen ich als Famulantin auch gezählt werde, ist – neben der Assistenz bei Operationen – die Aufnahme der Patienten und deren Vorstellung beim Mittagsrapport. Das beinhaltet jedoch nicht nur, wie in den meisten Blockpraktika, die kurze Anamnese und körperliche Untersuchung. Bevor man ins Zimmer geht, sollte man die Krankengeschichte bereits aufgearbeitet haben: Sprechstundenberichte, Arztbriefe, alte Entlassbriefe, Röntgenbilder, Gastrobefunde, Laborergebnisse. All das sollte im besten Fall schon in einen logischen Zusammenhang gebracht werden, bevor man den Patienten das erste Mal zu Gesicht bekommt. In den meisten Fällen hat man dann Zeit für eine wirklich ausführliche Anamnese, lernt so die Patienten auch richtig kennen und kann sie oft schon gut einschätzen.

Der mittägliche Rapport dient dann tatsächlich nur dem Informationsaustausch. Kein einziges Mal werden wir ins Kreuzverhör genommen oder gar vor den Patienten bloßgestellt. Wenn Daten fehlten, haben sich die diensthöheren Ärzte auch durchaus selbst an den Rechner gesetzt und nachgeschlagen. Und wenn fachliche Fragen gestellt werden, dann nicht um unser Wissen zu prüfen, sondern, um uns etwas beizubringen: Auf die Antwort „Das weiß ich leider nicht“ folgt meist eine freundliche, lehrreiche Erklärung.

Der OP-Trakt: Eine eigenständige Stadt

Ähnlich friedlich geht es im OP zu. Wenn der Patient nicht gerade wild am Bluten ist, ist jede Frage willkommen. Auch interessieren sich die meisten Ärzte über das Fachliche hinaus für die Person, mit der sie am Tisch stehen. So entwickelte sich manches nette Gespräch. Fehler kann man dabei kaum machen. Wenn der Haken an der falschen Stelle hält oder die Kamera bei minimalinvasiven Eingriffen wieder den Horizont verliert, wird einem zwar das Gerät aus der Hand genommen, nachdem es wieder auf der richtigen Spur ist, bekommt man es jedoch zurück. Zudem habe ich mich nie nur als Hilfsmittel gefühlt: Wenn meine Aufgabe mit einer unbequemen Haltung verbunden war – einmal musste ich über eine Stunde lang eine überdimensionierte Brust halten, wobei meine Finger ohne mein Zutun noch als Widerlager für die Haken dienten – haben die Operateure in regelmäßigen Abständen nachgefragt, ob alles OK sei, wie lange ich noch halten könne, ob ich Gefahr laufe, bald umzufallen. So etwas war ich bis dato nicht gewohnt!

Lediglich das OP-Ende unterscheidet sich nicht von Deutschland: Nähen oder Tackern dürfen in Basel auch die Unterassistenten. Es sei denn, es handelt sich um einen 1.-Klass-Patient: Hier operieren ausschließlich Chef- und leitende Ärzte, bis einschließlich zur Naht. Genäht wird in Basel übrigens nach Allgöwer, denn dieser Chirurg war hier jahrelang tätig. Der Allgöwer-Rückstich ist die Naht, die im Nahtkurs nach dem Donati-Rückstich kurz erwähnt, aber nie geübt wird. Daher war es anfangs etwas ungewohnt. Doch wie so oft wurde dann alles noch einmal im Detail erklärt und bald beherrschte auch ich die Naht.

Der OP-Trakt in Basel ist übrigens gigantisch! Das ganze Haus ist schon riesig. Und als ich das erste Mal über das Unterassistententelefon für den OP angefordert wurde, habe ich mich natürlich gleich verlaufen. Das Personal der HNO-Abteilung war allerdings so nett, mich wieder auf den rechten Weg zu bringen, und so habe ich es doch in die Umkleide geschafft. Den Weg zum Saal musste ich mir dennoch erklären lassen, der OP-Trakt erstreckt sich nämlich über vier Ebenen: Die Säle sind in den beiden unteren, zwölf an der Zahl und wirklich sauber, schön und groß – und auf dem neusten Stand der Technik! Und für alle, die vorher noch nie assistiert haben, gibt es eigens für Unterassistenten und andere Praktikanten zu Beginn des Monats eine ausführliche Einführung mit Waschkurs. Hier wird wirklich an alles gedacht.

Kritik bleibt nur wenig

Natürlich ist nicht alles nur gülden im Unispital Basel. Natürlich wird der Ton mit laufender OP-Dauer und steigendem Blutverlust knapper und rauer. Natürlich müssen hier die OP-Schwestern zunächst ihr Revier verteidigen, bevor sie handzahm werden. Und vor allem hat man eins: Lange Arbeitszeiten! In den gängigen Verträgen für Ärzte stehen 50 Wochenarbeitsstunden, was auch gerne auf Unterassistenten übertragen wird. Eine PJ-lerin einer anderen Abteilung beklagte sich während eines Gesprächs, dass sie vor lauter Arbeit und Diensten überhaupt keine Chance habe, das praktisch Erlebte auch theoretisch nachzuarbeiten oder sich sonst wie auf ihr Staatsexamen vorzubereiten. Wenigstens wird die Arbeit entlohnt: Während man in Deutschland für einen feuchten Händedruck schuftet, bekommt man – zumindest als PJ-ler, in Basel leider nicht als Famulant – in eigentlich allen Häusern der Schweiz mindestens 900 Schweizer Franken (CHF), was etwa 650 Euro entspricht. Wer allerdings nicht das Glück hat, wie ich bei der Familie unterzukommen, gibt dieses Geld mehr oder weniger komplett für die Lebenshaltungskosten aus. Das Zimmer, das man über die Klinik beziehen kann, kostet über 500 Franken und auch das Essen ist nicht gerade günstig. Ein normales Mittagessen (Hauptmenü, kein Nachtisch, keine Getränke) in der Kantine kostet 8,40 CHF, ein belegtes Brötchen in der Spital-Cafeteria um die 7 CHF, was immerhin rund 5 Euro entspricht – dafür bekommt man dann aber auch Hasenrückenfilet, Nudelauflauf mit echtem Schafskäse oder Straußenfleisch. Doch auch das Nachtleben in der Schweiz ist ordentlich teuer.

Tolle Stadt, tolles Umfeld

Dennoch lohnt es sich, mehr zu sehen als nur Klinik und Wohnheim. Basel wurde, wie eigentlich alle Schweizer Städte, im 2. Weltkrieg nicht zerstört und hat deswegen eine unglaublich schöne Altstadt mit Fachwerkhäusern, großen Plätzen, schönen Kirchen und lauschigen Gässchen. Wer zur Ruhe kommen will, kann sich an die Rheinpromenade setzen oder sich im wirklich schönen Botanischen Garten eine Parkbank suchen. Auch an Kultur ist diese Stadt sehr reich: Es gibt ein großes und viele kleine sehenswerte Theater- und Konzerthäuser, es gibt eine ganze Straße mit Kinos, Museen für jeden Geschmack – von Kunst über Cartoons und Puppenhäuser bis zu Naturwissenschaft und Geschichte – und auch der Basler Zoo mit seinen großzügigen Freigehegen ist einen Sonntagsausflug wert. Zudem liegt Basel geographisch einwandfrei: Andere Städte wie Zürich, Luzern oder Bern sind gut zu erreichen. Wer am Wochenende Ski fahren, klettern oder wandern will hat es nicht weit zu den Alpen. Auch die französischen Städte Colmar oder Mulhouse und der französische Jura sind gerade um die Ecke und wen es doch nach Deutschland zieht, der kann Freiburg besuchen, an den Bodensee fahren oder die Landschaft von Schwarzwald und Kaiserstuhl durchstreifen.

Der Einstieg ins Wochenende wird übrigens mitunter schon auf Station versüßt und zwar mit einem TGIF. Die Abkürzung steht für „Thank God it’s Friday“ und sieht vor, dass derjenige, der eine Operation zum ersten Mal gemacht hat – was meist die Assistenten trifft – oder dem eine außergewöhnliche Operation zugeteilt wurde – hier kommen auch die diensthöheren Ärzte in Betracht – freitags einen „Apéro“ ausgibt. Aufgabe der Unterassistenten ist es, die Brote, den Lachs, den Käse, Knabbereien und andere Feinheiten, einschließlich einiger Flaschen Wein, zu besorgen und den Tisch zu decken. Und dann kommen alle zusammen, sitzen um den großen Tisch im Aufenthaltsraum und haben gemeinsam eine gute Zeit.
Das TGIF ist nur einer der vielen wirklich schönen Momente in Basel. Die gute Atmosphäre und das entspannte Arbeiten entschädigen durchaus für die langen Arbeitstage. Und wenn ich mir demnächst Gedanken um einen PJ-Platz mache, steht die Schweiz doch nach wie vor sehr weit oben in meiner Wunschliste!

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„Wir sind nichts Besonderes, hatten nur viel Glück… https://www.studentenpack.de/index.php/2010/06/wir-sind-nichts-besonderes-hatten-nur-viel-gluck/ https://www.studentenpack.de/index.php/2010/06/wir-sind-nichts-besonderes-hatten-nur-viel-gluck/#respond Mon, 07 Jun 2010 09:00:53 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=108297 … Auserwählte kriegen halt das größte Kuchenstück“. So singt Heinz Rudolph Kunze in seinem Lied „Aller Herren Länder“ und er hat Recht – das fiel mir in meinen sechs Wochen in Burkina Faso, das im Herzen Westafrikas liegt, mehr als einmal auf. Zuerst und am deutlichsten, als ich ein 15-jähriges Dienstmädchen aus einem Dorf mit für mich unaussprechlichen Namen, zwei Stunden Fußmarsch von der Hauptstadt Ouagadougou entfernt, kennen lernte. Ihren Eltern ging das Geld aus und sie konnte deshalb nur zwei Jahre die Schule besuchen. Seitdem arbeitete sie auf dem Feld und jetzt als Dienstmädchen in Ouagadougou bei der Familie, bei der ich die sechs Wochen wohnen darf. Sie putzt jeden Tag, geht einkaufen auf dem Markt und bereitet das Essen zu. Wenn sie nichts zu tun hat, dann schaut sie am liebsten südamerikanische oder indische Serien mit den schönen Namen wie „Maria“ oder „Annas zwei Gesichter“, in denen es immer höchst dramatisch zugeht; unser „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ ist emotionslos dagegen.

Andrea Kauertz | StudentenPACK.

Centre Hospitalier Universitaire Pédiatrique Charles de Gaulle, Ouagadougou

Heißer Empfang

Begonnen hat mein Aufenthalt Mitte Februar. Direkt als ich aus dem Flugzeug ausstieg, schlug mir die Hitze wie eine Wand entgegen. März und April sind die heißesten Monate in Burkina Faso, wo das Thermometer tagsüber gerne bis auf 45°C klettert. Gut, bei meiner Ankunft um kurz nach 21 Uhr waren es nur noch etwas über 30 Grad, also vergleichsweise angenehm. Nachdem ich mein Gepäck in Empfang genommen hatte, traute ich mich raus und traf zu meiner Überraschung niemanden, der mich abholen wollte. Wie ich später erfuhr, hatte es da ein Missverständnis gegeben: Meine Gastfamilie erwartete mich erst einen Tag später. So kam ich direkt mit den ersten Burkinabé (so nennen sich die Einheimischen) in Kontakt. Sie waren allesamt Taxifahrer und sehr bemüht mich zu überzeugen, dass sie mich gerne überall dorthin fahren würden, wohin ich wollte. Das Problem war nur: Ich hatte nicht einmal eine Adresse. Nach zwei Stunden, einem Telefongespräch und meinem ersten abgelehnten Heiratsantrag kam dann endlich Arsène, um mich abzuholen. Er hatte in seiner Studentenzeit eine kleine Organisation gegründet, die Frauen in Burkina Faso hauptsächlich über Malaria, aber auch über HIV/AIDS aufklärt und einige dazu ausbildet, ihrerseits wieder andere Frauen aufzuklären. 2005 traf er eine deutsche Medizinstudentin, die ihm vorschlug, eine Kooperation mit dem bvmd (Bundesvertretung der Medizinstudenten in Deutschland e.V.) einzugehen und so deutschen Studenten die Möglichkeit zu geben, Burkina Faso, „Action vie pour tous“ (so heißt die Organisation) und den Krankenhausalltag vor Ort näher kennen zu lernen. Leider fanden während meines Aufenthalts keine Aufklärungsaktionen statt, weil die Mitglieder von „Action vie pour tous“ gerade beruflich sehr eingespannt und die meisten gar nicht im Land waren.

In einer anderen (medizinischen) Welt

So nutzte ich die Zeit für Famulaturen (Praktikum während des Medizinstudiums) und verbrachte erst einmal zwei Wochen in einem kleineren Krankenhaus. Als Weiße ist man natürlich immer eine Attraktion. Manchmal ist das angenehm, etwa, wenn die ohnehin schon offenen und freundlichen Menschen noch freundlicher werden und sich darum kümmern, dass ich möglichst viel sehen und machen kann. In deutschen Krankenhäusern wird man als Student schon mal übersehen, hier bemühten sich alle darum, mich zu integrieren. In der Notaufnahme, die eher einer größeren Allgemeinarztpraxis glich, war ich bei Konsultationen dabei; es ging hier meist um Infektionen wie Malaria oder Meningitis. Da es nicht genug Ärzte gibt, werden die Konsultationen von Krankenschwestern und Pflegern durchgeführt, die auch die nötigen Zusatzuntersuchen anordnen und Medikamente verschreiben. Jeder Patient muss sich sein gesamtes Verbrauchsmaterial, also Medikamente, Spritzen oder Handschuhe, in der Apotheke des Krankenhauses besorgen, das heißt: selbst bezahlen. Eine Art Krankenversicherung gibt es wohl, die besitzen aber nur wenige Menschen. Wenn jemand stationär aufgenommen wird, so bekommt er oder sie eine Pritsche in einem mit mindestens sechs Personen belegten Zimmer zugeteilt und ist dann, was die Pflege und Verpflegung angeht, auf die Unterstützung seiner Angehörigen angewiesen. Insgesamt hatte ich den Eindruck, dass die Menschen hier etwas robuster sind, also auch dementsprechend miteinander umgehen: Als eine Schwangere im Kreißsaal aufgrund von Wehenschmerzen nach einem Kaiserschnitt fragte, lachten die Hebammen sie fast aus und sagten: „Das tut nun einmal so weh.“

Auch im Kinderkrankenhaus der Uni, wo ich weitere 2 Wochen Praktikum machte, war die Ausstattung der Patientenzimmer mit Betten und jeweils einem Schrank eher dürftig im Gegensatz zu dem, was ich von Deutschland gewohnt war. Auch hier bekam ich meistens Malaria, Meningitis, unterernährte oder ausgetrocknete Kinder zu sehen. Mit den burkinischen Studenten bereitete ich die kleinen Patienten jeden Morgen auf die Visite vor. Das heißt: einmal komplett untersuchen und nach Beschwerden fragen. Das Medizinstudium ist in Burkina Faso wie in Frankreich aufgebaut (Burkina war bis zur Unabhängigkeit 1960 französische Kolonie), was bedeutet, dass die Studenten ab dem 3. Jahr jeden Vormittag auf Station verbringen. Dort haben sie feste Aufgaben, wie etwa das Vorbereiten der Visite, und werden auch vielmehr dazu angehalten, praktisch tätig zu sein. So soll jeder Medizinstudent im 4. Jahr dort mindestens fünf Lumbalpunktionen während der Zeit in der Kinderklink durchführen. Ebenso gehört das Absolvieren von Nachtdiensten zum Pflichtprogramm. Bei einem, wohlgemerkt sehr ruhigen, war ich auch dabei.

Studentenproteste und ein beliebter Staatsmann

Auch in Burkina Faso sind die Studenten des Öfteren und zu Recht unzufrieden mit den Studienbedingungen. Überfüllte Hörsäle und schlechte Unterkünfte treiben sie zu Protesten an. Im Jahr 2000 war Arsène auch dabei und erzählt, dass damals alles mit der Erschießung eines Journalisten begonnen hat. Daraufhin machten die Studenten ihrem Unmut mit Protesten Luft; Arsène selbst wurde für drei Tage sogar inhaftiert.

Andrea Kauertz | StudentenPACK.

Letzte Ruhestätte von Thomas Sankara

Auch wenn das gut zu dem Bild passt, das wir überwiegend von afrikanischen Staaten haben bzw. vermittelt bekommen: Kriege, Proteste und Gewalt sind nur die halbe Wahrheit und eigentlich sogar weniger als das. Ein strahlender Beweis dafür ist Thomas Sankara, der 1983 mit 33 Jahren Staatschef wurde, und so viele und vor allem gute Veränderungen angestoßen hat, wie ich es selten von einem Staatsmann gehört habe. Er startete Impfkampagnen, initiierte Wiederaufforstungsprogramme, kürzte allen Regierungsmitarbeitern das Gehalt und ersetzte sämtliche Mercedes-Benz, die als Dienstwagen fungierten, durch Renault-5-Modelle. Er stärkte die Rolle der Frau in der Gesellschaft: So wurde der Internationale Tag der Frau am 8. März von ihm zum Feiertag in Burkina Faso ernannt. Dennoch machte Thomas Sankara sich vor allem mit seinen Anti-Korruptionsplänen viele Feinde. Schließlich wurde er 1987 von seinem ehemaligen Revolutionsmitstreiter Blaise Compaoré auf offener Straße erschossen. Dieser ist seitdem Präsident des Landes.

Freundliche Heiratswillige

Armut ist allgegenwärtig. Nur 40% der Bewohner Ouagadougous haben überhaupt Zugang zu Strom, der Rest hat also auch keinen Kühlschrank, keinen Fernseher, keine Ventilatoren. Auf der Straße sieht man viele Kinder und junge Menschen, die Früchte verkaufen, schwere Wasserbehälter hinter sich herziehen oder in kleinen Geschäften arbeiten. Auf der anderen Seite geben die Burkinabé sorgfältig auf ihre Kleidung Acht – sie fungiert als eine Art Statussymbol. Da kann es schon einmal sein, dass ein Mann auf dem Dorf im Hemd und mit gebügelter Hose aus einer Lehmhütte herauskommt. Die Frauen tragen Kleider aus bunten Stoffen, die beim Schneider nach Maß angefertigt werden. Und sie sind wirklich freundlicher als die Menschen in Deutschland. Jedes Mal, wenn ich eine Straße entlangging, wurde ich von vielen Menschen freundlich gegrüßt. „Nàsáará“, was soviel wie Weißer oder Europäer heißt, war somit das erste Wort Mooré, das ich gelernt habe. Mooré ist eine der lokalen Sprachen, die in Burkina Faso neben Französisch als Amtssprache gesprochen werden. Vielleicht rührte die überbordende Freundlichkeit auch daher, dass ich eben eine Nàsáará bin – meine zahlreichen Heiratsanträge (ich glaube es waren 6 oder 7) burkinischer Männer ganz sicher. Eine weiße Frau wird manchmal noch als eine Art Schlüssel zum Paradies angesehen, die ihren Gatten mit ins Gelobte Land Europa oder USA nimmt, wo er fortan frei von Sorgen leben kann. Dabei war aber nie jemand aufdringlich, mein „Nein“ wurde nach einigen Minuten Gespräch immer lächelnd akzeptiert. Der interessanteste Antrag kam vom Großvater meiner Gastmutter Alima, der meinte, ich könne doch seine 3. Frau werden. Da ich ungefähr so groß bin wie er, würde das gut passen, wie er fand. So charmant und verheißungsvoll ich das Angebot auch fand, letztendlich lehnte ich auch dieses ab.
In meiner Freizeit kümmerten sich meine Gasteltern gut um mich, nahmen mich oft zu Besuchen bei Freunden oder der Familie mit, machten Ausflüge mit mir und manchmal beobachtete ich auch einfach nur vor dem Haus sitzend das afrikanische Leben. Meistens dann, wenn der Strom ausgefallen war, was eigentlich jeden Tag für ca. drei Stunden der Fall war.

Umdenken

Insgesamt habe ich sehr profitiert von meinem Aufenthalt in Burkina Faso. Auch wenn ich sowohl die Hitze als auch den Kulturschock von vornherein unterschätzt habe, konnte ich sehr viele Eindrücke sammeln von einem Land mit interessanten und netten Menschen, die ich bestimmt noch einmal besuchen werde.

Trotzdem bin ich kuriert von dem drängen- den Wunsch, später als Ärztin in einem armen Land zu arbeiten, um kleinen, schwarzen Kindern zu helfen. Nicht, dass die Arbeit nicht sinnvoll wäre und es nicht viele Menschen in der Welt gäbe, die insbesondere medizinische Hilfe dringend benötigten. Ich hatte aber den Eindruck, dass sich die Menschen in den Ländern, in denen humanitäre Projekte laufen, sehr gut selbst helfen können – und es noch besser könnten, wenn die reichen Länder sie von ihrem Tropf freilassen würden.

Wie so oft ist aber auch das nur ein Teil der Wahrheit.

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Let’s go East! https://www.studentenpack.de/index.php/1990/06/lets-go-east/ https://www.studentenpack.de/index.php/1990/06/lets-go-east/#respond Fri, 01 Jun 1990 08:14:36 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=211643 Aufgrund des rasenden Tempos der deutschen Wiedervereinigung halte ich es für nicht sinnvoll, den angekündigten Artikel über Möglichkeiten und Chancen für Ärzte durch die Grenzöffnung zu schreiben. Er wäre schon am Erscheinungstag wieder veraltet. Nur soviel:

Das Landesprüfungsamt Kiel teilt zur Anerkennung von Ausbildungszeiten in der DDR folgendes mit:

“Der gem. § 6 ÄAppO abzuleistende Krankenpflegedienst kann in jeder Klinik der DDR abgeleistet werden. Hierfür bestehen keine weiteren Vorraussetzungen.

Entsprechend kann die gem. § 7 ÄAppO geforderte Famulatur in jeder Klinik der DDR abgeleistet werden. Die Ableisteung des ‘Praxis-Teils’ ist hier auch in einer Poliklinik möglich. Das gem. § 3 ÄAppO geforderte PJ kann auch in der DDR abgeleistet werden. Die Ausbildung für das PJ kann aber nur in den Universitäten ab geleistet werden, da sonst eine entsprechende, vor allem technische Ausstattung nicht gegeben ist.”

Die Ableistung des AIP in der DDR ist laut Deutschem Ärzteblatt ebenfalls möglich, allerdings müssen die geforderten Fortbildungen besucht werden. Dies kann ggf. auch in der DDR geschehen.

Viel Spaß bei euren Praktika, Famulaturen, PJ’s in der DDR (falls sie dann noch existiert).

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