Besetzung – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Thu, 07 Mar 2013 13:04:36 +0000 de-DE hourly 1 Herrschaftsfrei und durchgegendert https://www.studentenpack.de/index.php/2010/04/herrschaftsfrei-und-durchgegendert/ https://www.studentenpack.de/index.php/2010/04/herrschaftsfrei-und-durchgegendert/#respond Mon, 12 Apr 2010 08:00:07 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=109165
Juri Klusak

Die Alte Mensa, einen Monat in Besetzerhand.

Mittwoch, 18. November 2009. 23:55 Uhr, Alte Mensa, Uni Kiel.

Vorn auf dem Hörsaalpult sitzt eine zierliche junge Frau und leitet die Diskussion. Sie spricht ohne Mikrophon zu einigen hundert Leuten. So laut, wie ich vielleicht daheim am Esstisch reden würde. Das Plenum ist so mucksmäuschenstill, dass auch in den hinteren Reihen jedes Wort deutlich zu verstehen ist. „Als nächstes auf der Rednerliste habe ich: Dich hier vorne im weißen Pulli, dann kommt Flori [Amn. d. Redaktion: Alle Namen geändert.] und danach irgend jemand am Fenster – ach ja, genau, Du da.“

Zwei Stunden tagt das erste Besetzerplenum jetzt schon, die Luft im Hörsaal der Alten Mensa wird langsam miefig, aber die Kommunikation funktioniert: Wer reden will, meldet sich und landet auf der Rednerliste, wer redet, steht auf und stellt sich vor. Fast jede dieser Regeln hat das Plenum ausgiebig diskutiert und abgesegnet. Allein die Diskussion über den Abstimmungsmodus hat mehr als eine halbe Stunde gedauert. „Herrschaftsfreier Diskurs“ heißt das Zauberwort. Niemand soll sich mit Macho-Gehabe durchsetzen können. Jeder Mensch darf am Plenum teilnehmen, mitreden und abstimmen. Die linken Einflüsse auf das Besetzer-Milieu sind nicht zu verkennen – und gerade darum geht es bei dieser Diskussion. Ich verfolge sie gespannt, denn ich sehe die Besetzung als Spielwiese des Miteinanders, als gelebte Basisdemokratie. An den bildungspolitischen Inhalten bin ich als Student im Endstadium nur halbherzig interessiert. Später wird sich herausstellen, dass ich damit nicht allein bin.

Die Frau im weißen Pulli in einer der vorderen Sitzreihen beginnt zu reden, nur ein paar Satzfetzen kommen an. „Aufstehen“, schallt es aus dem Plenum. Sie steht auf und dreht sich nach hinten, lächelt nervös, wird sofort wieder ernst. „Als ich hier eben hergekommen bin…“ – „Entschuldige, wie heißt Du?“ unterbricht das Mädchen vorn auf dem Pult. „Ich bin Nina. Also, nochmal. Als ich eben hier hergekommen bin und draußen die Banner gesehen habe,“ beginnt sie unsicher, „da war ich gleich abgeschreckt. Die Rote Fahne, ‚Kapitalismus abschaffen‘, ich mein’, das sagt eben was darüber, wer diesen Protest macht und damit fühlen sich andere Leute sofort ausgeschlossen. Und deshalb finde ich, die Banner draußen sollten abgehängt werden.“ Während sie sich setzt, gehen im Plenum einige Dutzend Hände in die Luft und winken – ein Zeichen, das Applaus bedeuten soll, denn echter Applaus ist zu laut und zeitaufwändig und wäre bei einigen hundert Diskutanten und ebenso vielen Meinungen ein echter Störfaktor.

Die Fahnenfrage ist ein Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Beflaggung und linksradikale Symbolik, geduldet oder ausgeschlossen – diese Diskussion erhitzt die Gemüter schon am ersten Abend und entnervt einige Besucher so sehr, dass sie gleich wieder heim fahren. Gegen ein Uhr nachts steht schließlich Lars auf, ein schwarz gekleideter, bulliger Typ mit stattlichen Koteletten: „Ich kann euch gut verstehen“, wendet er sich an die Flaggenbefürworter, „ich finde Symbole auch total wichtig. Aber ich finde, wir sollten uns an dieser Frage nicht spalten lassen.“ Er predigt Verständnis für beide Seiten, dann stellt er noch einmal den Antrag auf Entfernung der Fahnen. Die überwältigende Mehrheit des Plenums ist dafür. Lars ändert seinen Tonfall: „So, und hat jetzt irgend jemand noch ein Veto dagegen?“ Es klingt fast wie eine Drohung.

Mit herrschaftsfreiem Diskurs hat diese Diskussion spätestens jetzt nicht mehr viel zu tun und im Rückspiegel erkenne ich: Schon hier scheitert das soziale Experiment der Besetzung an der Uni Kiel. Alle sollen gleiche Rechte haben, jeder frei entscheiden können, keiner soll sich benachteiligt fühlen – die Realität sieht anders aus. Natürlich gibt es auch hier Sprecher für bestimmte Gruppen und bestimmte Meinungsbilder, natürlich gibt es auch hier Leitwölfe, wie in jeder anderen Versammlung von Menschen. Natürlich gehen auch hier Einzelne enttäuscht nach Hause, weil ihre Meinung kein Gehör gefunden hat und einzelne Wichtigtuer sich in den Vordergrund drängeln. Der wesentliche Unterschied scheint mir im Nachhinein zu sein, dass gerade über die unwichtigsten Fragen am längsten diskutiert wird. Das Motto scheint zu lautet:

Es wurde schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem. Für jetzt schwimme ich auf einer Welle der Euphorie, denn im Hörsaal bricht Jubel aus. Die Einigung ist erreicht. Einer der Besetzer holt seine rote Flagge vom Vorplatz in den Hörsaal herein.

Juri Klusak

Das Foyer.

Donnerstag, 19. November 2009. 13:10 Uhr.

Die Stimmung in der Alten Mensa ist ausgelassen. Das Vorlesungsgebäude ist wieder zur Futterstelle geworden. Im Foyer ist ein regelrechtes Buffet aufgebaut und der Duft von frischem Brot liegt in der Luft. Außerdem gibt es Gemüsesuppe aus geschnorrten Resten vom Markt, Salat, Käse und kistenweise Obst. Wer etwas essen möchte, wirft einen Kostenbeitrag in ein Spendenglas und bedient sich. Das System funktioniert, der Spendentopf ist übervoll. Nebenan im kleinen Hörsaal feilt der Arbeitskreis Presse fieberhaft an der Außendarstellung der Besetzer. Die Lokalpresse regt sich langsam und soll empfangen und herumgeführt werden. Auch eine Reporterin der taz hat sich schon angemeldet. Ein Blog, ein Twitteraccount und diverse Kommentarseiten im Internet wollen gefüllt und gepflegt werden.

Ein wenig rätselhaft ist für mich, woher die ganze Infrastruktur so plötzlich kommt. Nach der Bildungsstreik-Demo am Mittwoch hatten sich einige hundert Studenten in der Alten Mensa versammelt und die Besetzung beschlossen. Den Aufruf zu dieser Versammlung hat Lua herausgegeben. Ich kenne sie flüchtig, ein unscheinbares Mädchen mit Dreadlocks und einer Affinität zum leicht Verrückten. „Ich hatte gehofft, dass irgendwas passiert,“ erzählt sie mir zwischen Hörsaaltür und Angel, „aber dass so ein Riesending draus wird… So viele Leute!“ Sie strahlt von einem Ohr zum anderen und verdreht die Augen, dann muss sie wieder weg, um irgend etwas zu organisieren. Besetzung, das bedeutet: vorläufige Aneignung des Gebäudes, Zeit und Raum für Diskussion und Information. Dass in diesem Gebäude bis auf weiteres keine Vorlesungen stattfinden können, erkennt sogar die Universitätsleitung an, die den Besetzern eine Duldung bis zum Montag ausgesprochen hat. Einige dutzend Studenten haben oben im Schlaf-Hörsaal übernachtet, hunderte Unterstützer treiben sich jetzt irgendwo an der Uni herum, besuchen ihre Vorlesungen und Seminare. Im Abendplenum sollen heute noch mehr Studenten für die Besetzung gewonnen werden. Wer vor dem Audimax ein Ohr aufsperrt hat, weiß aber, dass die meisten Kommilitonen ihr Vorurteil schon längst gefasst haben: Einige linke Spinner, so die gängige Meinung, wollen auf den Putz hauen und in der Alten Mensa ein bisschen Revolution spielen.

Entgegen aller Unkenrufe füllt sich abends um sieben der Hörsaal mit Studenten aller Couleur. Da sitzt der Neo-Hippie neben der Jurastudentin, die libertäre Feministin neben dem hochgeklappten Polohemdkragen von der Jungen Union. So unterschiedlich wie die Diskutanten sind auch die Diskussionsthemen, die nun durcheinander gemischt werden. Die freiwilligen Moderatoren verzweifeln an der Aufgabe, die Tagesordnung beieinander zu halten. Eine resolute Rothaarige betont, man sollte doch endlich zu den Inhalten kommen, zur Bildungspolitik nämlich. Ein Teilnehmer macht seinen Unmut darüber Luft, dass im Hörsaal fotografiert wird, weil er strafrechtliche Verfolgung fürchtet. Ein selbstgefälliger Rhetorikkünstler hält einen fünfminütigen Monolog über die Wichtigkeit studentischer Freiräume, bis viele im Plenum nur noch angestrengt stöhnen. Ein Journalist erklärt, es sei sehr wichtig für ihn, fotografieren zu dürfen. Ein bärtiger Politikstudent haut auf den Hörsaaltisch und mahnt, jetzt „verdammt nochmal“ endlich zu den Inhalten zu kommen. Die Inhalte lassen sich Zeit. Gegen Mitternacht gibt es eine Pause, drei Viertel des Plenums verschwinden nach Hause. Der klägliche Rest diskutiert noch stundenlang Formalitäten, bis auch der Letzte nur noch ins Bett, respektive den Schlafsack will. Die Letzte ebenfalls – es wird jetzt nämlich verstärkt „gegendert“.

Juri Klusak

Manche kümmerten sich vor allem um die Inhalte.

Freitag, 20. November 2009. 16:40 Uhr.

Am Esstisch im Foyer beredet ein kleiner, zusammengewürfelter Haufen die Lage der Dinge. Über Nacht hat einer der Besetzer eine Wand im oberen Flur mit Anarchiezeichen und platten Parolen beschmiert. Nicht jeder findet das schlecht: Das Organisationsplenum am Morgen hat sich nicht auf eine eindeutige Stellungnahme dazu einigen können. Einige sehen die besetzte Alte Mensa als Freiraum, in dem Gesetze und Universitätsordnung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Das Vetorecht verhindert, dass sie im Plenum von den Gemäßigten überstimmt werden.
Markus, der bärtige Politikwissenschaftler von gestern Abend, macht ein langes Gesicht. Für das Plenum hat er nur noch harte Worte übrig. „Ich will nur endlich mal zum Punkt kommen. Das ist der dritte Tag der Besetzung und wir haben nichts in der Hand. Nichts!“ Wirklich aufregen kann er sich aber kaum mehr. Er hat sich schon seit Monaten intensiv mit der Bachelor/Master-Thematik auseinandergesetzt, hat mit Politikern verhandelt und Konzepte erarbeitet, eine Vollversammlung der Kieler Studenten organisiert. Dass sich die Besetzer im Plenum seine Erkenntnisse und Vorschläge nicht einmal anhören wollen, ist für ihn offenbar frustrierend. Mit einem guten Dutzend anderer Interessierter diskutiert er jetzt regelmäßig im kleinen Hörsaal über Bildungspolitik, unabhängig vom Plenum.

Ich schiebe mir ein paar tropfnasse Salatblätter auf einen der flachen Teller, mache mir ein Käsebrot dazu. Es ist schon der dritte Teller, aber heute bleibe ich merkwürdig unzufrieden. Das teils vegetarische, teils vegane Essen macht mich einfach nicht mehr satt. Eine Bekannte grinst mich wissend an, während ich missmutig meine Stulle vertilge. Es hilft alles nichts.

Ich muss nach Hause und mir zwei Eier in die Pfanne hauen. Gaumen und Bauch feiern ein Fest. Zurück komme ich vor dem Abendplenum mit Schlafsack und Isomatte. Heute möchte ich übernachten – um die Atmosphäre aufzusaugen und weil ich den Arbeitskreis Sicherheit unterstützen möchte, der nachts das Gebäude bewacht. Das Plenum wird eine große Enttäuschung. Wieder gerät die Diskussion vollkommen aus dem Ruder. Die Meinungen gehen weit auseinander, und zwar über die immer gleichen Fragen: Wer darf Fotos machen und wer nicht? Ist es okay, an jede freie Fläche einen antifaschistischen Aufkleber zu pappen? Der Verdacht, dass es einigen Besetzern mehr um den irren, alternativen Lifestyle geht als um bildungspolitische Inhalte, erhärtet sich immer mehr.

Neu dazugekommene Studenten verlassen den Saal in großen Trauben und lassen die Verzweiflung nur noch deutlicher hervortreten: „Ich kann es nicht glauben, was hier abgeht!“ schreit eine Studentin schon mehr, als dass sie es sagt. „Wir beharken uns gegenseitig und währenddessen laufen uns die Leute weg“. Die Aufregung steigert sich weiter und weiter, die Fronten sind alles andere als klar, die Gruppen ziemlich heterogen und unübersichtlich. Nach drei, vier Stunden ist vielleicht noch ein Zehntel der Teilnehmer übrig. Wer geblieben ist, ist erschöpft und wütend. Die offene Diskussion ist gescheitert.

„Wir sollten das hier auflösen und schlafen gehen, morgen ist alles wieder anders,“ appelliert einer mit sorgenvollem Gesicht. Nachdem drei andere den Vorschlag wiederholt haben, ist endlich Schluss für heute. Noch stundenlang erörtern Schlaflose im Großen Hörsaal, wie solche Situationen zukünftig vermieden werden können. „Seid lieb zueinander“, schreibt jemand auf ein großes Transparent.

Vor der Tür gönnen sich einige ihr Feierabendbier, es ist lau für eine Novembernacht in Kiel. Meine Gedanken kreisen um die Geschehnisse der letzten Tage. Von funktionierender Kommunikation kann keine Rede mehr sein. Morgen früh werde ich die Alte Mensa verlassen. Das soziale Experiment ist für mich beendet, alles Weitere werde ich irgendwann mit einem Lächeln betrachten können. Dem „AK Security“ sitzt der Schreck über den Verlauf des Plenums genauso in den Knochen wie mir. Wir haben jetzt aber eine Aufgabe zu erledigen. In den vergangenen Nächten hat es unerwünschte Gäste gegeben. Irgendwer erzählt, es seien Streifenwagen überall um die alte Mensa herum postiert, die Polizei warte nur auf einen Anlass, das Gebäude räumen zu können. Mir scheint, man nimmt sich wichtiger, als man wirklich ist.

Die Nacht bleibt ruhig. Wer noch nicht schläft, diskutiert in kleinen Grüppchen mit Fremden und Freunden. Nicht immer genderkorrekt aber ganz zivilisiert und respektvoll. Beinahe herrschaftsfrei.

Was danach geschah

Das Universitätspräsidium bot den Besetzern im Dezember an, statt der Alten Mensa einen ehemaligen Fahrradladen als Arbeits- und Präsentationsraum zu nutzen. Das Plenum lehnte ab, einige Studenten nutzten das Angebot. Hieraus ist die „Hochschulgruppe Bildungsinfo“ entstanden, die zusammen mit Markus den AStA bei den Planungen für eine Vollversammlung der Studierenden im April unterstützt.

Die verbliebenen Besetzer räumten kurz vor Weihnachten auf Verlangen das Präsidiums die Alte Mensa.

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2009: Die Uni brennt in Wien https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/ https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/2009-die-uni-brennt-in-wien/#respond Mon, 07 Dec 2009 11:00:19 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=110143
Besetzter Hörsaal in Wien

[media-credit id=126 align="aligncenter" width="645"] Besetzter Hörsaal in Wien

Die Proteste in Wien haben weltweit ein Medienecho ausgelöst. Genauso Besetzungen von Hörsälen in Österreich, Deutschland, der Schweiz, aber auch Proteste in England und den USA sowie Solidarisierungen von Studenten aus aller Welt. Auch das StudentenPACK hat sich in dieser Ausgabe dem Thema verschrieben. Aus Wien berichtet für uns Constanze Stahr, die an der besetzten Hauptuni Kunstgeschichte studiert.

Am 22. Oktober 2009 begann der Protest gegen die schlechten bildungspolitischen Verhältnisse in der österreichischen Hauptstadt Wien. Eine Gruppe von 400 fraktionslosen und unabhängigen Studierenden der Hauptuni und der „Akademie der Bildenden Künste“ zieht vom benachbarten Votivpark zum Hauptgebäude der Universität. Dort wird nach einer Abstimmung mit Zweidrittelmehrheit gegen 12:30 Uhr das Audimax besetzt. Plakate und Transparente werden angebracht, erste Forderungen formuliert und kurze spontane Reden gehalten. Die Stimmung ist sehr aufgeheizt und Sprechchöre ertönen.

Die Nachricht über die Besetzung verbreitet sich in Windeseile und es strömen immer mehr Unterstützende ins Audimax. Rasch bilden sich Arbeitsgruppen, die die aktuelle Misslage untersuchen und diskutieren sollen und Konzepte mit Lösungen erarbeiten. Der Sicherheitsdienst der Uni Wien versucht das Audimax zu räumen, scheitert aber an einer friedlichen Sitzblockade. Nachmittags versuchen Polizisten den Zugang zum Audimax abzusperren, werden jedoch nach etwa zwei Stunden wieder abgezogen, da sich die Studierenden nicht zum Verlassen des Hörsaales bewegen lassen. Bei einem mehrstündigen Plenum am Abend werden die offiziellen Forderungen formuliert. Danach findet eine spontane Party statt, DJs legen auf und eine Punkband gibt ein Konzert.

Die Forderungen der Protestierenden sind auf einige wenige Thesen zu beschränken: Es wird Gleichberechtigung gefordert, das heißt jeder und jede, egal aus welchem Teil der Welt, aus welcher Bevölkerungsschicht und egal welchen Geschlechts oder sexueller Orientierung muss studieren dürfen. Lehre und Forschung sollen als verknüpfte und gleichwertige Bereiche gesehen werden, dabei soll eine Redemokratisierung des universitären Betriebs erreicht werden. Weiter soll das modularisierte System des Studiums gelockert und Voraussetzungsketten bei Lehrveranstaltungen abgeschafft werden, damit die Studiumsgestaltung frei bei den Studierenden liegt. Ebenfalls kritisiert wird die Zugangsbeschränkung im Allgemeinen und solche, die durch intransparente Anmeldesysteme oder Knock-Out-Prüfungen innerhalb des Studiums hervorgerufen werden, und besonders die bei Master- und PhD-Studiengängen. Für alle diese Vorhaben muss natürlich auch das Budget erhöht werden. Dieser Teil der Forderungen richtet sich vor allem an die Politik. Der Rücktritt des Wissenschaftsministers Johannes Hahn wird gefordert, der sich in den Wochen vor dem Protest für eine Wiedereinführung der Studiengebühren ausgesprochen hatte.

Am darauf folgenden Freitag findet ein Aufmarsch auf der benachbarten Ringstraße statt und am Abend wird die erste Pressekonferenz abgehalten. Bereits hier stellt sich heraus, dass eine baldige Beendigung der Besetzung nicht abzusehen ist. Erste Anflüge von Vandalismus werden auch von den Protestierenden abgelehnt und sollen durch eine AG Krisenmanagement bekämpft werden. Auch sexistische Übergriffe aus der ersten Nacht werden thematisiert. Ausgehend von diesen auftretenden Problemen bilden sich bald sehr viele Arbeitsgruppen, die die unterschiedlichsten Bereiche diskutieren, so auch Feminismus- und Genderfragen, Diskriminierungsprobleme, den Presseauftritt organisieren und die Forderungen immer weiter aktualisieren und konkretisieren. Vor allem die Demokratisierung der Proteste und ernsthafte Inhalte sollen nach außen vermittelt werden.

Der Protest greift innerhalb kürzester Zeit um sich, nachdem an der Uni Wien auch noch weitere Hörsäle (so auch das C1, der zweitgrößte Hörsaal, auf dem Campus gelegen) besetzt wurden. Hier haben es sich die Protestierenden mit Hängematten und Sofas in der Vorhalle richtig gemütlich gemacht. In ganz Europa, aber vor allem auch in Deutschland, beginnen immer mehr Studierende Hörsäle zu besetzen und die Bildungspolitik anzuprangern. Bis zum heutigen Tag „brennen“ in allen fünf großen Universitätsstädten Österreichs die Unis (Wien, Graz, Innsbruck, Linz, Salzburg). In Deutschland sind schon weit über fünfzig Universitäten, Oberschulen und Fachhochschulen aller Art besetzt und es werden täglich mehr, einige mussten die Hörsäle jedoch wieder freigeben oder durch Räumungen weichen. Als erste deutsche Uni zog die Universität Heidelberg am 3. November nach. Auch in der Schweiz sind in Bern, Basel und Zürich die Unis besetzt.

Gegenüber des Wiener Audimax’ wurde schnell und provisorisch die „Volxküche“ eingerichtet, die die Protestierenden mit Lebensmitteln versorgt und sich aus Spenden finanziert. Sofort haben sich die Studierenden auch online organisiert, es gibt eine Onlinepräsentation (zuerst freiebildung.at, dann unsereuni.at und unibrennt.at), Gruppen in sämtlichen sozialen Netzwerken und zahlreiche Twittermeldungen, die die abwesenden Studierenden über den aktuellen Stand informieren. Es gibt einen Live-Stream aus dem Audimax, der es theoretisch der ganzen Welt ermöglicht, den Diskussionen und Vorträgen zu folgen. Bis heute werden regelmäßig Solidarisierungsaufrufe veröffentlicht und Solidarisierungserklärungen an andere Protestanten versendet. Der Studierendenprotest begreift sich als Teil einer weltweiten Bewegung gegen Neoliberalismus und Kapitalismus, die alle Bereiche des Lebens betrifft. Es soll nicht nur eine bildungspolitische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Debatte ausgelöst werden.
Bereits am Abend des dritten Tages spricht sich der österreichische Bundeskanzler Faymann gegen eine vollständige Wiedereinführung der Studiengebühren aus und liefert damit eine der ersten Aussagen aus dem Regierungssektor. Viele Lehrende haben sich mit der Bewegung solidarisiert und unterstützen teilweise sogar aktiv die Forderungen, indem sie Plenumssitzungen initiieren, leiten oder selbst über die Themen sprechen.

In der Presse wird die Protestbewegung teilweise kritisch aufgenommen, vor allem hohe Kosten (erste Schätzungen besagen 50.000 Euro) durch Sachschäden werden angeprangert. Diese Kosten begründen sich jedoch nicht ausschließlich aus tatsächlichen Sachschäden, sondern auch dadurch, dass Vorlesungsräume ausfallen und neue Räume angemietet werden müssen, sich Bauarbeiten verzögerten und Sicherheitsdienste verlängert im Einsatz sein mussten. Jedoch veröffentlichen einige Medien auch positiv gestimmte Meldungen. So war zum Beispiel in einem Kommentar des Chefradakteurs Richard Schmitt in der „Heute“ von „Jungspießern“ die Rede, die den Tränen nahe vor dem Hörsaal gewartet und sich über diese Lernbeeinträchtigung beschwert haben.

Dieses zeigt, dass es ebenfalls von Seiten der Studierenden Kritik gibt. Die Forderungen wer- den von einigen als unrealistisch empfunden. Es herrscht die Befürchtung, Grundlagenvorlesungen würden eliminiert, was dem Studium nicht dienlich sei. Außerdem kritisieren einige die ganze Protestwelle als einzige große Party und zweifeln daran, dass alle Teilnehmenden es ernst mit den Protesten meinen. Viele sind genervt, weil sie für ihre Vorlesungen in neuen angemieteten Räumen (zum Beispiel in Messegebäuden) häufig eine Stunde Anfahrtszeit einplanen müssen. Gerade für Studienanfänger sind es jetzt unwegsame Bedingungen, da häufige Raumänderungen und Terminschwierigkeiten für Verwirrung sorgen.

Viele vor allem österreichische Studierende der Uni Wien schieben die Probleme auf die sehr vielen Deutschen, die aus verschiedensten Gründen hier sind, manche als „NC-Flüchtlinge“, einige als Studiengebühren-Meidende und – ja, man sollte es nicht glauben – einige sogar, weil sie Land und Stadt lieben und sich ohne Zwang durch äußere Umstände für Wien entschieden haben. Teilweise werden von Deutschen Studiengebühren verlangt, eine andere Alternative seien Ausgleichszahlungen aus Deutschland. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass es jedem Österreicher mit einer guten Matura (gleichbedeutend dem Abitur) freisteht, an eine renommierte deutsche Uni (oder irgendwo anders in der EU) zu gehen und dort einen Abschluss zu machen. Diese Möglichkeit ist nun mal mit der EU entstanden und wäre nicht eine Nutzung beider Seiten wünschenswert?
Bis heute gibt es regelmäßige Plena und AG- Treffen. Jedoch ist die Besetzung vor allem tagsüber und außerhalb der Treffen und Plena recht abgeflacht. Es sitzen nur noch vereinzelt Personen in den Sitzreihen, die Anzahl der Plakate hat sich ein wenig reduziert und auch abends ist nicht mehr so viel los. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich der Streik noch hinzieht. Die Protestierenden wollen ihn wohl bis zur Durchsetzung ihrer Forderungen durchhalten. Am 20. November fand erstmals ein Treffen zwischen den Audimax-Besetzenden und dem Rektorat der Universität statt. Zu einer Einigung konnte es hier jedoch nur in dem Punkt kommen, dass das Budget erhöht werden muss. Rektor Georg Winckler beharrte auf der Frage, wann die Besetzung möglicherweise enden könnte. Diese Möglichkeit schien jedoch von allen anderen ausgeklammert zu werden. Die Kommunikation geht jedoch weiter, so ist der „Hochschuldialog“ geplant, an dem Studierende, das Rektorat und der Wissenschaftsminister Hahn zusammentreffen, um nach Lösungsansätzen zu suchen.

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Die Besetzer von Lübeck https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/die-besetzer-von-lubeck/ https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/die-besetzer-von-lubeck/#respond Thu, 03 Dec 2009 22:26:25 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=2140 Es war vielleicht nur eine Frage der Zeit. Nachdem schon in Dutzenden von Universitäten Hörsäle besetzt worden waren und obwohl das Bildungsbündnis noch in den Tagen vor dem20. November immer wieder bekundete, dass es keinerlei Besetzungspläne habe, so kam es dannan jenem Freitag zu einer kleinen Aktion, die den Namen Besetzung nicht wirklich verdiente, ihn sich aber selbst gab. Das Bildungsbündnis nennt es einen stillen Protest, der zwischen 9 Uhr und 14 Uhr stattfand. Initiator war Michael Ifraimov, der mit einigen Mitstreitern gegen 9 Uhr, also während der Programmieren-Vorlesung, das Audimax betreten haben soll und sich mit einem Kasten Bier auf der Tribüne des Hörsaales platzierte. Er hatte das Bildungsbündnis zuvor nicht informiert.

Darüber, wie still der Protest war, gibt es unterschiedliche Ansichten. Studenten, die in jener Zeit Vorlesungen hatten, erinnern sich an einige wenige Studenten, unterschiedliche Quellensprechen von bis zu neun Teilnehmern, die Biertrinkend in der Vorlesung saßen. In der Chemievorlesung seien die Studenten noch störend aufgefallen, hätten versucht, die Tafel zubeschreiben, was der Dozent verhindert habe. In der Pause zur Analysisvorlesung schrieben sie dann wohl „Ich habe diesen Hörsaal besetzt und alles was ich bekommen habe, ist eine Alkoholvergiftung“ an die Tafel. Während der Analysisvorlesung waren die Protestler leiser, auch weil sie von inzwischen angekommenen Mitgliedern des Bildungsbündnisses dazu aufgefordert wurden, störten aber durch Lachen und dadurch, dass sie für Zigarettenpausen die Tür nach draußen öffneten und so ein kalter Zug durch den Hörsaal ging. Vom Dozenten Dr. Peter Dencker wurden die Protestler vollständig ignoriert. Nach weniger als fünf Stunden, einigen Vorlesungen und einem kurzen Besuch der Lübecker Presse war das Ganze dann auch schon vorbei. Ob die Aktion ein Nachspiel hat, ist noch offen. Zerbricht das Lübecker Bildungsbündnis, das gerade versuchte, sich auch für gemäßigte Stimmen zu öffnen, an der Aktion? Die Vorsitzende des AStA, Linda Krause, ehemals Mitglied des Bildungsbündnisses, distanzierte sich ausdrücklich von der Aktion.

Andere aus dem Bündnis sahen das klar anders. Julien Beck schickte noch am Abend eine Mail im Namen des Bündnisses rum, um über die Aktion zu informieren.

Ein Vorspiel hatte der Protest auf jeden Fall. Michael Ivraimov, Anführer der Audimax-Aktion, hatte am Morgen des besagten Freitags eine Email über den Studentenverteiler geschrieben. „Das System“, so Ivraimov, habe ihm sein Lächeln, seine Träume, sein Privatleben und seinen Gemeinsinn geklaut. In theatralischen Worten lamentierte Ifraimov über die Bösartigkeit und anscheinend die Kleptomaniedes Systems. Klar angekündigt hatte Ifraimov die Aktion nicht, allerdings hieß es: „Es geht nicht darum, die Uni in Schutt und Asche zu legen oder einfach nur aus Lust am Protest zu protestieren. Es geht um konkrete Probleme im Bildungswesen. Nur wenn wir die Aufmerksamkeitder Politik auf uns ziehen, wird Aufwand betrieben werden, um diese Probleme zu lösen.Wenn öffentliche Meinung das System nichtverändern kann, dann funktioniert das Systemnicht richtig.“  Betrachter hatten den Eindruck, es handle sich hauptsächlich um eine Aktion, die ihn amüsieren sollte. Er sei stark angetrunken gewesen.

Ob das System richtig funktioniert und ob es Michael seine Träume, sein Lächeln, sein Gemeinsinn und sein Fahrrad wieder gibt, konnte nicht geklärt werden. Genauso wenig kann geklärt werden, ob die Aktion ernst genommen werden soll oder ein Scherz ist. Letzteres erscheint, betrachtet man die Ausführung und Umstände, nicht unwahrscheinlich.

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Reiche Eltern Für Alle https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/reiche-eltern-fur-alle/ https://www.studentenpack.de/index.php/2009/12/reiche-eltern-fur-alle/#respond Wed, 02 Dec 2009 14:00:14 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=1098 Am Donnerstag, dem 20. Oktober, versammelte sich die Studentenschaft der Wiener Kunstakademie, um unter dem Motto ‘Malen nach Zahlen – education is not for sale’ zu demonstrieren.

Grund dafür waren die Pläne des österreichischen Wissenschaftsministeriums (in Österreich für die Bildung zuständig), die Beschlüsse des Bologna-Abkommens weiter durchzusetzen und flächendeckend alle Studiengänge auf die Abschlüsse Bachelor und Master umzustellen.
Ziel dieser Umstrukturierung ist hauptsächlich, einen möglichst synchronen Studienablauf für alle EU-Staaten zu schaffen und damit eine internationale Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse zu ermöglichen, was den Studenten und Absolventen etwa bei einem Auslandssemester, einem Studienortwechsel oder dem Berufseinstieg im Ausland zu Gute kommen soll.

Als man sich 1999 im italienischen Bologna, der ältesten Universitätsstadt Europas, auf die europäischen Ausbildungsstandards festlegte, war man sich einig, dass es um der Vergleichbarkeit Willen bestimmter Ansprüche an die Studenten bedurfte. So wurden die ETCS-Punkte geboren, die Auskunft darüber geben, wie viel Aufwand ein Student in ein Thema investiert hat: Gemessen werden häuslicher Fleiß, in der Uni verbrachte Zeit und das Bestehen einer Abschlussprüfung. Als internationale Abschlüsse wurden die aus dem angelsächsischen Raum stammenden Bachelor- und Master-Zertifikate übernommen, die mit dem ‘kleinen’ Abschluss ‘Bachelor’ ein grundständiges, berufsqualifizierendes Studium anbieten, das mit dem ‘Master’ weiterführend ergänzt werden kann, um damit das Rüstzeug für die Forschung zu erwerben.

Durch diese planvolle Umstrukturierung wurde es auch möglich, die Studieninhalte so effizient zu planen, dass mehr Stoff in kürzerer Zeit geschafft werden konnte. Hierzulande hat dies dazu geführt, dass Studienfächer, denen bisher eine straffere Ordnung gefehlt hat – wie etwa manchen Geisteswissenschaften – die Reform durchaus gut getan hat. Andere Fächer wiederum, vor allem aus dem Bereich der Ingenieurswissenschaften, beklagen die Stauchung von zu viel Lerninhalten in zu kleine Zeitfenster.

Dadurch, dass Thematiken in den Bologna-Studiengängen zügiger bearbeitet werden müssen, sind auch die Stundenpläne voller geworden, was das Arbeiten neben dem Studium beinahe unmöglich macht. (Verlängerung: vllt ein bisschen ausführen, das Studis arbeiten müssen um überhaupt Studium finanzieren, zwei Klassengesellschaft und so…)
Leider ist es so, dass viele Hochschulen nicht mit den finanziellen Mitteln auskommen, die ihnen der Staat zukommen lässt, sodass sie gezwungenermaßen auf Einnahmen durch Studiengebühren angewiesen sind.(Finanzielle Mittel durch neues System geändert?)

Hier setzen die Studenten mit ihrer Kritik an. “Reiche Eltern für alle”, fordern sie. Es könne schließlich nicht gerecht sein, dass so mancher am Studieren gehindert würde, weil das elterliche Budget nicht für zusätzliche Studiengebühren reicht und der Stundenplan das Arbeiten nebenbei quasi unmöglich macht; es sollte genug Geld vorhanden sein, um jedem – unabhängig von seiner Vermögenslage – eine Hochschulbildung zu ermöglichen.

Um die Option der reinen Eigenfinanzierung des Studiums wiederherzustellen, werden von den Studierenden flexible und selbstbestimmte Stundenpläne gefordert. Diese sollen auch den Leistungsdruck senken und ein intensives Auseinandersetzen mit dem Fachgebiet ermöglichen, denn die sogenannte ‘Lernbulimie’ – das Pauken von einer Prüfung zur nächsten – habe nichts mehr mit Wissenserwerb zu tun.

Ebenfalls abgeschafft werden sollen Aufnahmeprüfungen jeglicher Art, es sollten genug Studienplätze für alle Bildungshungrigen vorhanden sein und es dürfe keine Zugangsbeschränkungen für das weiterführende Masterstudium mehr geben.

Die Protestierenden der Geisteswissenschaften fürchten eine Verwirtschaftlichung ihrer Studiengänge durch die Bologna-Reform. Sollte eine Schwerpunktverschiebung in Richtung Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt stattfinden, würde dies die Freiheit der Künste und des individuellen Denkens erheblich einschränken. Man hat Angst vor wirtschaftsorientierten Strukturen und vor Verschulung, wie sie mit der Einführung der neuen Abschlüsse an den Unis Einzug halten würden.

Diese Anliegen betreffen nicht nur die anfangs in Wien streikenden Kunststudenten, so dass sich Studierende aller Studienrichtungen spontan ihren Kommilitonen anschlossen und gemeinsam nicht nur die Akademie der Künste, sondern auch das Audimax der Universität zu Wien besetzten.

Dass die Studenten unabhängig von der Wahl ihres Studienfachs Solidarität zeigten, unterstrich die Brisanz der Thematik für alle. Im Laufe der auf den 20. Oktober folgenden Tage fanden sich mehr und mehr Protestierende in den Hörsälen ein und in Graz, Linz und Salzburg wurden weitere Hochschulen von den Streiks ergriffen und besetzt.

Die digitale Vernetzung leistete hervorragende Dienste bei der Kommunikation zwischen den okkupierten Hörsälen. Die Uni Wien zum Beispiel richtete einen Livestream aus ihrem Audimax ein, über den man sich ein Bild über die Vorgänge in einer bestreikten Uni machen kann.

Täglich werden in den besetzten Hörsälen Plenarsitzungen abgehalten, auf denen tagesaktuelle Angelegenheiten angesprochen und diskutiert , Ideen und Anliegen vorgebracht werden und über die weitere Vorgehensweise bezüglich des Streiks abgestimmt wird. Dabei wird streng darauf geachtet, dass alles demokratisch einwandfrei abläuft. Das heißt, ein angesetztes Plenum wird erst dann als voll beschlussfähig anerkannt, wenn sich eine Mindestanzahl an Studenten im Hörsaal versammelt hat. Jeder hat dabei das gleiche Recht zur Mitsprache und üblicherweise wird auch ein Protokoll geführt, das manche Streikgruppen zur Wahrung der Transparenz ins Internet gestellt haben.

Wer den Livestream nicht verfolgen kann, hat die Möglichkeit, via Twitter minütlich über die Vorgänge im Hörsaal informiert zu werden.
Über das Internet wurden auch Aufrufe an Studierende anderer Länder geschaltet, sich an dem Streik zu beteiligen, da die Schwierigkeiten, die die Bologna-Reform und ewige Geldsorgen in der Bildung mit sich brachten, nicht nur ein nationales Problem darstellen. Die Österreicher äußerten sich dabei auch zu der ‘Problematik’ der in der Alpenrepublik studierenden Deutschen.
Ein Studium in Österreich ist für Deutsche vor allem attraktiv, weil dort Studiengänge, die in der Bundesrepublik stark zulassungsbeschränkt sind, oft Numerus-Clausus-frei sind. Den Österreichern müssen sie daher häufig als Sündenböcke herhalten für überfüllte Studiengänge. Die Streikenden jedoch stellten eindeutig klar, dass sich ihr Protest nicht gegen in Österreich studierende Deutsche richte, sondern vielmehr gegen den dort herrschenden Numerus Clausus und die Studiengebühren.

Am 3. November schlossen sich Göttinger Studenten als erste Deutsche der Streikaktion an und in den nächsten Tagen folgten die Universitäten der Städte Münster und Potsdam.
Sie solidarisierten sich damit nicht nur mit den Österreichern für gemeinsame Ziele, sie setzten auch die Aktion ‘Bundesweiter Bildungsstreik’ fort, die seit Juni 2009 in Deutschland eine Verbesserung der Bildungsbedingungen an Schulen und Hochschulen fordert. Bisher leider ohne Erfolg, da die gewünschten Reaktionen von Medien und Politik ausblieben. Im Gegensatz zu den Demonstrationen im Sommer, an denen sich immerhin knapp 270000 Schüler und Studenten beteiligten, wird nun verstärkt auf längerfristige Aktionen gesetzt. Vom 17. November bis zum 10. Dezember läuft die Aktion ‘Heißer Herbst’, die die Juliproteste fortsetzt und sich mit den Hörsaalbesetzern verbündet.

Die Ausdauer, die die Protestanten an Universitäten (und Schulen) an den Tag legen, findet mittlerweile auch den gebührenden Anklang in der Politik. Bildungsministerin Anette Schavan beteuerte vollstes Verständnis für die Anliegen der Studenten und will sowohl das BAFöG erhöhen als auch ein umfassendes Stipendienprogramm einführen. Beschlossen ist allerdings noch nichts und bis dahin wollen die Studenten im Hörsaal ausharren – es bleibt also spannend im deutschen Bildungwald.

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