AIDS-Hilfe – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Wed, 16 Jul 2014 11:50:55 +0000 de-DE hourly 1 Jeden Tag ein AIDS-Tag https://www.studentenpack.de/index.php/2013/12/jeden-tag-aids-tag/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/12/jeden-tag-aids-tag/#respond Mon, 09 Dec 2013 09:00:18 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=184863 Hartmut Evermann sitzt am Holztisch und lacht: „Wenn im Freundeskreis jemand schwanger ist, sieht man plötzlich überall schwangere Frauen. Es gibt aber natürlich immer gleich viele schwangere Frauen. So ähnlich ist das bei uns auch, wir machen eigentlich immer gleich viel.“ (Das gesamte Interview mit Hartmut Evermann hier) Hartmut ist einer von zweieinhalb festen Mitarbeitern bei der Lübecker AIDS Hilfe (LAH). „Was wir machen, fällt einfach um den Welt-AIDS-Tag mehr auf. Dann kommen alle her und die Leute lesen es auch eher. Für unsere Arbeit ist aber jeder Tag ein AIDS-Tag.“ Auch ich bin kurz vor dem Welt-AIDS-Tag am 1. Dezember gekommen, um mehr über die Arbeit der Lübecker AIDS Hilfe zu lernen.

„Wir machen hier in Lübeck 'ne richtig gute Arbeit“, sagt Hartmut Evermann von der Lübecker AIDS Hilfe.

„Wir machen hier in Lübeck ‘ne richtig gute Arbeit“, sagt Hartmut Evermann von der Lübecker AIDS Hilfe.

Lukas Ruge
Auf dem Campus der Uni Lübeck wachsen im November die Schnurrbärte. Im dritten Jahr in Folge organisiert die Fachschaft Medizin den „Movember“, um Spenden für die AIDS-Hilfe in Lübeck zu sammeln. Wer möchte, lässt sich den Bart stehen und andere „sponsern“ den Haarwuchs. Das gesammelte Geld – im letzten Jahr über 2000 Euro – geht am Ende an die LAH. Ich wollte mehr über die Organisation lernen, an die diese Spenden gehen. Hartmut, der mich in dem kleinen Haus in der Engelsgrube 16 empfängt, hat sich dieses Jahr ebenfalls ein Bart stehen lassen. Er arbeitet schon seit zwölf Jahren bei der AIDS-Hilfe, die in Lübeck 1986 gegründet wurde. „Es haben sich damals mehrere Leute zusammengetan, überwiegend Schwule, die gesehen haben, dass sie hängen gelassen wurden. Die Emanzipationsbewegung hatte ja gerade erst begonnen. Es drohte, eine neue Diskriminierungswelle gegenüber den Schwulen und Lesben.“

Einer der ersten, die von der AIDS-Hilfe in Lübeck betreut wurden, war Wolfgang Ebeling. Er starb 1987 und vermachte der Organisation sein Haus, das noch heute der Sitz der AIDS-Hilfe ist. „Es ist ein kleines Kuschelhaus, aber es ist sehr eng, es ist nicht barrierefrei und eigentlich als Beratungshaus nicht gut geeignet“, meint Hartmut. Einpersönliches Beratungsgespräch zu führen, ist in den engen Räumen tatsächlich schwierig. Das untere Geschoss ist eine Kombination aus Empfangsbereich, Wohnzimmer und Küche. An einem großen Holztisch kann man gemütlich sitzen, der Movemberkalender 2013 hängt an der Wand. Eine Treppe führt in das Büro der beiden pädagogischen Mitarbeiter im ersten Stock, wo Hartmut und seine Kollegin Sibylle Hasenbank arbeiten. Darüber ein kleines Beratungszimmer und im obersten Stock das Büro der Verwaltungskraft. Von hier aus planen und koordinieren die Mitarbeiter und die freiwilligen Helfer die Aktionen der LAH. Diese Aktivitäten haben sich über die Jahre verändert. „Es ging in den frühen Jahren auf der einen Seite darum, die Community zu über die Risiken aufzuklären und auf der anderen Seite natürlich auch darum, die Leute, die krank waren, die ausgegrenzt wurden zu unterstützen, für sie da zu sein und sie zu begleiten, bis sie sterben“, berichtet Hartmut, der studierter Sozialpädagoge ist. „Beratung, Betreuung und Unterstützung von Menschen mit HIV und AIDS findet nach wie vor statt und aus der Sterbebegleitung wurde eine Lebensbegleitung. . Früher war es ganz oft so, dass die Positiven oder die an AIDS Erkrankten von ihren Familien oder ihren Partnern ausgestoßen worden sind. Freiwillige, sogenannte Buddies, haben sich dann darum gekümmert, dass die Erkrankten noch ein lebenswürdiges Leben hatten, solange sie noch zu leben hatten. Jetzt entwickeln sich neue Formen der Buddy-Arbeit. Diese Arbeit wird sicherlich auch anspruchsvoller. Früher ging es darum, für den Menschen da zu sein, mit ihm einen Kaffee trinken, mit ihm irgendwo hingehen. Die Probleme sind jetzt vielfältiger und so wird die Buddy-Arbeit anspruchsvoller für die Ehrenamtlichen werden. Aber auch die zielgruppenspezifische Prävention, das heißt die Hauptrisikogruppen – insbesondere Männer, die Sex mit Männern haben – von HIV und AIDS über die Risiken und die Schutzmöglichkeiten aufzuklären ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Arbeit.“

Das Büro im ersten Stock des Ebeling-Hauses, von hier aus koordinieren sie die Arbeit der LAH.

Das Büro im ersten Stock des Ebeling-Hauses, von hier aus koordinieren sie die Arbeit der LAH.

Lukas Ruge
Individuelle Betreuung macht einen erheblichen Anteil der Arbeit aus. „Menschen, die mit HIV infiziert sind, sind die Menschen, die das Virus weitertragen können. In der Regel ist das auch so, dass die Menschen andere Menschen schützen wollen, aber wenn der Kopf voll ist mit Schulden, Familienproblemen, Druck auf der Arbeit oder ich-weiß-nicht-was hat Mancher einfach nicht die Kraft, in einem bestimmten Setting darauf zu bestehen, Sex nur mit Kondom zu haben. Wenn wir da helfen, dass sie den Kopf freikriegen, können die sich auf sowas konzentrieren“, begründet Hartmut diesen Fokus.

Neben der persönlichen Beratung bietet die LAH Vorträge zu vielen Themen an, darunter auch viele medizinische Vorträge. „Ich pflege immer zu sagen: Der Patient hat einen Feind im Körper und dieser Feind versucht den Körper tot zu machen. Um die Überhand über diesen Feind, den man noch nicht besiegen kann, zu behalten, muss man diesen Feind und seinen eigenen Körper sehr gut kennen.“

Hartmut ist merklich stolz auf das Angebot des Vereins. „Ich klopfe mir jetzt mal selbst auf die Schulter, wir machen hier in Lübeck ‘ne richtig gute Arbeit. Wir sind unglaublich gut vernetzwerkt und dadurch auch sehr effektiv in der Betreuung und Beratung. Für so eine kleine AIDS-Hilfe wie wir leisten wir richtig viel.“

Das Angebot aufrecht zu erhalten wird schwieriger und das liegt in erster Linie am Geld: „Sicherstellen, dass die Knete reinkommt, hat wirklich überhandgenommen. Als ich hier vor zwölf Jahren anfing, war das überhaupt kein Thema gewesen, da ist das Geld gekommen, da mussten wir uns keine Gedanken machen. Das hat sich verändert. Realmüssen wir etwa15.000 bis 20.000 Euro pro Jahr selbst erwirtschaften , in das dazugehörige Fundraising muss verdammt viel Arbeit reingesteckt werden.“ Einen großen Anteil der Finanzierung übernehmen das Land und die Stadt Lübeck. Das Land steuert 80.000 Euro bei, , Lübeck 42.000 Euro. Alles andere muss die AIDS-Hilfe selbst erwirtschaften. Schon deshalb ist die LAH immer auf der Suche nach mehr freiwilligen Mitarbeitern, von denen derzeit ungefähr 15 aktiv sind. Doch warum ist es so schwer, an Geld zu kommen? Hat die Gesellschaft die AIDS-Hilfen vergessen oder glauben Menschen heute tatsächlich, dass AIDS kein Problem mehr ist? Vielleicht, schätzt Hartmut: „ Manche denken, man nimmt da jetzt halt eine Pille und gut ist.“ Aber es ist eben nicht so einfach. Die Therapiemöglichkeiten haben sich in den letzten Jahren dramatisch verbessert und so haben mit HIV infizierte Menschen heute eine annähernd normale Lebenserwartung. Diese Tatsache hat die Beratung natürlich stark verändert. „Früher haben wir den Menschen empfohlen sich nicht testen zu lassen, ein positives Testergebnis hätte ihnen nichts genutzt, aber viele Nachteile gebracht, wie Ausgrenzung, Stigmatisierung etc Aber der Vorteil, wenn man rechtzeitig um seine Infektion weiß und rechtzeitig mit der Therapie beginnen kann, ist heute so groß, dass wir trotz der Nachteile sagen, dass man sich auf jeden Fall testen lassen sollte.“ Ausgrenzung und Diskriminierung, so berichtet der Helfer, gibt es aber auch heute noch. „Menschen mit HIV können nach wie vor bestimmte Versicherungen nicht abschließen..“

Engelsgrube 16, das Ebeling-Haus.

Engelsgrube 16, das Ebeling-Haus.

Lukas Ruge
Die Frustration mit der anhaltenden Diskriminierung von Menschen mit HIV und AIDS ist Hartmut anzumerken und wenn er davon spricht, beginnt er zu gestikulieren. Er malt einen weiten Kreis auf den Tisch und sagt: „Die AIDS Hilfe Lübeck ist ja nicht nur für Lübeck zuständig, sondern für die umliegenden Kreise, und irgendwo in diesen umliegenden Kreisen oder in Lübeck gibt es einen Krankenpfleger, der auf der Arbeit zwangsgetestet wurde. Dessen Betriebsarzt hat die Schweigepflicht gebrochen und das positive Testergebniss dem Arbeitgeber gemeldet und nun wird dieser Pfleger unglaublich gemobbt und ist bereits degradiert worden.“ Es sei insbesondere die medizinische Community, von der viel Diskriminierung ausgehe, obwohl man dort eigentlich aufgeklärte Menschen erwarten würde, schüttelt Hartmut den Kopf. „Geschichten wie diese aus dem zahnmedizinschen Bereich, wenn dann der Arzt sowas sagt wie: ‚Wenn, dann können wir Sie nur als letzten Patienten des Tages nehmen, weil das Zimmer danach ordentlich desinfiziert werden muss.‘ Da fragt man sich natürlich, wie desinfiziert der denn sonst den Tag über? Was ist, wenn da einer mit Hepatitis-C ist? Was ist, wenn jemand gar nichts von seiner HIV-Infektion weiß? Zu so einem Zahnarzt gehe ich lieber nicht. Oder wenn eine Krankenschwester sagt: ‚Packen Sie Ihre AIDS-Binde nicht zu dem normalen Verbandsabfall, sondern entsorgen Sie die extra.‘ Und das auch noch vor anderen Patienten.“

Auch aus der Uniklinik in Lübeck gibt es unschöne Fälle: „Vor zwei Jahren gab es an der Klinik in Lübeck einen Vorfall, wo eine positive Mutter nach der Geburt ihr Kind nicht in den Arm nehmen durfte, wegen der Infektionsgefahr für das Kind.“

Um solche Vorfälle zu vermeiden, betreibt die LAH seit 1986 Aufklärung, wo immer sie kann. Das ganze Jahr über. Spätestens, wenn im November die Bärte wieder zu wachsen anfangen, werden wir auf dem Campus auch daran erinnert. Wer auch vor und nach dem November helfen möchte, kann dies mit einer Spende oder einer Mitgliedschaft im Verein Lübecker AIDS Hilfe e.V. tun oder, indem er selbst als freiwilliger Mitarbeiter aktiv wird.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/12/jeden-tag-aids-tag/feed/ 0
Interview mit Hartmut Evermann https://www.studentenpack.de/index.php/2013/12/interview-mit-hartmut-evermann/ https://www.studentenpack.de/index.php/2013/12/interview-mit-hartmut-evermann/#respond Mon, 09 Dec 2013 04:00:07 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=187420 StudentenPACK: Die Lübecker AIDS-Hilfe gibt es seit 1986. Was war damals das Angebot und was hat sich daran verändert?

Hartmut Evermann Es haben sich damals mehrere Leute zusammengetan, überwiegend Schwule, die gesehen haben, dass sie hängen gelassen wurden. Die Emanzipationsbewegung der Schwulen und Lesben hatte gerade erst begonnen und nun drohte eine neue Diskriminierungswelle. AIDS wurde dann ja auch Schwulenpest genannt, selbst der offizielle Name war GRID, Gay-Related Infectious Disease. Manche dachten am Anfang wirklich, das betrifft nur Schwule, was aber auch zeigt wie manche Leute denken. Die Wissenschaft hat dann sehr schnell rausgefunden, dass es nicht nur Schwule betrifft. Nachdem man wusste, dass das sexuell übertragen wird und dass Kondome schützen, hatte die AIDS-Hilfe dann die Aufgabe, darüber zu informieren.

Es ging also auf der einen Seite darum, die Community zu informieren, und auf der anderen Seite natürlich auch darum, die Leute, die krank waren, die ausgegrenzt wurden, zu unterstützen, für sie da zu sein und sie zu begleiten, bis sie sterben.

PACK: Was hat sich heute verändert?

Hartmut: Es ist immer noch Beratung, Betreuung, Unterstützung von Menschen mit HIV und AIDS und nach wie vor zielgruppenspezifische Prävention, das heißt die Hauptrisikogruppen von HIV und AIDS über die Risiken und die Schutzmöglichkeiten aufzuklären. Der Teil der Sterbebegleitung ist inzwischen weggefallen und wurde zu einer Lebensbegleitung. Früher war es ganz oft so, dass die Positiven oder die an AIDS Erkrankten von ihren Familien oder ihren Partnern ausgestoßen worden sind. Freiwillige, sogenannte Buddies, ermöglichten den Erkrankten noch ein lebenswürdiges Leben, solange sie noch zu leben hatten. Jetzt entwickeln sich neue Formen der Buddy-Arbeit. Diese Arbeit wird sicherlich auch anspruchsvoller. Früher ging es darum, für den Menschen da zu sein, mit ihm einen Kaffee trinken, mit ihm irgendwo hingehen. Die Probleme sind jetzt vielfältiger und so wird die Buddy-Arbeit anspruchsvoller für die Ehrenamtlichen werden.

AIDS-Hilfe war auch immer Selbsthilfe, sie ist aus der Selbsthilfe entstanden. Sie war ursprünglich rein ehrenamtlich. Der Staat war ohnmächtig, als AIDS entdeckt wurde, und die Menschen hier gestorben sind. Da gab es dann die Hardliner, die meinten: alle kasernieren. Auch viele Politiker haben genau das gedacht! Gott sei Dank hat die damalige Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU), sehr besonnen reagiert und auf die Selbsthilfe gehört. Ohne Frau Süssmuth hätten wir heute wahrscheinlich ganz andere Verhältnisse und Infektionszahlen.

PACK: Was konkret heißt eigentlich Beratung und Betreuung?

Hartmut: Individuelle Beratung ist ein ganz großer Teil unserer Arbeit. Der Hintergrund ist ganz einfach: Menschen, die mit HIV infiziert sind, sind die Menschen, die das Virus weitertragen können. In der Regel ist das auch so, dass die Menschen andere Menschen schützen wollen, aber wenn der Kopf voll ist mit Schulden, Familienproblemen, Druck auf der Arbeit oder ich-weiß-nicht-was hat Mancher einfach nicht die Kraft, in einem bestimmten Setting darauf zu bestehen, Sex nur mit Kondom zu haben. Wenn wir da helfen, dass sie den Kopf freikriegen, können die sich auch mehr auf ihre eigene Gesundheit und die Gesundheit ihrer Sexpartner konzentrieren. Gesundheit ist nicht allein die Abwesenheit von Krankheit. Dazu gehört mehr!

Wir begleiten die Menschen ein Stück ihres Lebens, helfen ihnen auch mit HIV ein menschwürdiges Leben ohne Ausgrenzung und Stigmatisierung zu leben. Dazu kommen Aufklärung und Information: Ich pflege immer zu sagen: Der Patient hat einen Feind im Körper und dieser Feind versucht, den Körper tot zu machen. Um die Überhand über diesen Feind, den man noch nicht besiegen kann, zu behalten, muss man diesen Feind und seinen eigenen Körper sehr gut kennen. Das ist unsere Aufgabe. Dafür organisieren wir zum Beispiel Vorträge, die wir teilweise auch für Interessierte öffnen. Unsere Reihe „Positiv Begegnen“ für Menschen mit HIV und AIDS, bietet Raum zum Austausch und zum Lernen über HIV. Im Januar bieten wir zum Beispiel einen zweistündigen medizinischen Workshop zum Thema HIV und Lunge, zu dem wir einen Experten eingeladen haben. Dazu gibt es Gesprächskreise und Gesprächsabende mit Betroffenen. Da geht es dann um ganz viele, auch sehr intime Themen, zum Beispiel über gelebte Sexualität mit HIV. Das ist ein ganz großes Thema, weil die Positiven natürlich auch Angst haben, andere anzustecken. Man will sich beim Sex auch mal fallen lassen können, den Kopf ausschalten. Vielen gelingt das nicht, sie haben Angst, ihren Sexpartner anzustecken. Das sind so Themen über die in kleinen Gesprächskreisen gesprochen wird.

PACK: Und die Prävention hat sich über die Jahre sicher auch verändert, oder?

Hartmut: Wir machen inzwischen nicht mehr nur zielgruppenspezifische Prävention. Aber der Schwerpunkt ist weiterhin Prävention in der schwulen Szene . Wir wissen inzwischen, dass die meisten Infektionen passieren, wenn die Leute noch gar nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind. Über den Test und den Benefiz seinen Serostatus zu kennen zu informieren gehört heute ganz selbstverständlich zu unseren Aufgaben. Etwas, was sich verändert hat, denn früher haben wir den Leuten gesagt, sie sollen sich nicht testen lassen. Es gab keinen Benefiz, nur Nachteile: Ausgrenzung, Stigmatisierung… Aber Ausgrenzung und Stigmatisierung finden nach wie vor in allen sozialen Kreisen statt. Es fängt schon damit an, dass Menschen mit HIV nach wie vor bestimmte Versicherungen nicht abschließen können. Auch die Reisefreiheit ist eingeschränkt, in vielen Ländern darf man mit HIV nicht einreisen. Das kann auch schon mal zu einem Knick in der beruflichen Karriere führen! Aber der Vorteil, wenn man rechtzeitig um seine Infektion weiß und rechtzeitig mit der Therapie beginnen kann, ist heute so groß, dass wir trotz der Nachteile sagen, dass man sich auf jeden Fall testen lassen sollte.

Neben der Beratung und Betreuung und der Prävention ist der dritte Bereich das Fundraising. Sicherstellen, dass wir unsere Projekte auch finanziert bekommen, hat wirklich überhandgenommen. Als ich angefangen habe vor zwölf Jahren, da war das überhaupt kein Thema gewesen, da ist das Geld gekommen, da mussten wir uns keine Gedanken machen. Das hat sich verändert. Wir müssen also wirklich sehen, dass wir jährlich 15.000 bis 20.000 Euro selbst erwirtschaften , da müssen wir ganz viel Arbeit und Zeit reinstecken.

PACK: Woran liegt das? Denkt keiner mehr, dass die AIDS-Hilfe nötig ist?

Hartmut: Das kann sein, dass die Notwendigkeit nicht mehr gesehen wird. Das Thema ist nicht mehr so im Bewusstsein. Früher haben wir zum Beispiel viel Geld vom Gericht bekommen. Wenn Leute verurteilt wurden hieß es dann immer, du musst eine Strafe an die AIDS-Hilfe zahlen. Das ist vorbei, da kommt seit Jahren nichts mehr. Wir haben auch schon mehrmals bei den Richtern Werbung in eigener Sache gemacht, daran erinnert, dass unsere Arbeit nach wie vor notwendig ist, aber das hat nichts gebracht.

Wir bekommen vom Land 80.000 Euro, allerdings in einem Vertrag, in dem es heißt, dass wir zehn Prozent dieser Summe dazu selbst erwirtschaften müssen, und von der Stadt kriegen wir ungefähr 42.000 Euro. Der Zuschuss vom Land wurde in den zwölf Jahren, die ich hier arbeite, einmal gekürzt – zuvor haben wir 88.000 € erhalten – aber er wurde niemals erhöht. In Anbetracht, dass alles teurer wird, kommen wir damit nicht mehr aus und müssen eben über Spenden Geld erwirtschaften, damit wir die Arbeit in der gewohnten und bekannten Qualität fortführen können. Und – da klopfe ich mir jetzt mal selbst auf die Schulter – wir machen hier in Lübeck ‘ne richtig gute Arbeit. Wir sind unglaublich gut vernetzwerkt, und dadurch auch sehr effektiv in der Betreuung und Beratung. Für so eine kleine AIDS-Hilfe wie wir leisten wir richtig viel.

PACK: Am 11. Dezember macht ihr einen Vortrag mit dem Titel „HIV/AIDS – Heilung in Sicht?“. Kann es sein, dass die Spenden ausbleiben, weil viele denken, AIDS sei geheilt?

Hartmut: Ich glaube, das denken die Leute nicht. Aber es ist wohl in den Köpfen drin, dass man jetzt was machen kann, und es deswegen ja kein Problem mehr ist. Die denken, man nimmt da jetzt halt ‘ne Pille und gut ist.

PACK: Ist es denn so?

Hartmut: So ist es natürlich nicht. Im Vergleich zu den ersten Therapien, der antiretroviralen Therapie, hat die Medizin und die Forschung Unglaubliches geleistet in den letzten 30 Jahren. Aber natürlich haben die Medikamente noch Nebenwirkungen, die Kurzzeitnebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Erbrechen, Hautausschläge, Albträume, Nachtschweiß und sehr häufig Durchfall, sind bekannt. Die gehen bei den meisten auch wieder weg. Über die Langzeitnebenwirkungen der Therapie ist natürlich noch wenig bekannt, die neusten Medikamente sind ja nur wenige Jahre auf dem Markt. Als die ersten Therapien rauskamen, mussten die Menschen 25 bis 30 Tabletten am Tag schlucken, inzwischen sind es im Schnitt irgendwas zwischen vier und acht.

PACK: Und welche Art von Leben ermöglicht diese Therapie dann den Betroffenen?

Hartmut: Medizinisch gesehen ein normales Leben mit einer annähernd normalen Lebenserwartung. Man entdeckt jetzt gerade, dass altersbedingte Krankheiten wie Krebs oder Demenz bei Menschen mit HIV und AIDS früher auftreten. Woran das liegt, ob das mit der Therapie oder mit dem Virus zu tun hat, weiß man noch nicht. Aber wer rechtzeitig mit der Therapie beginnt, kann annähernd so alt werden wie der nichtinfizierte. Medizinisch ist das ein unglaublicher Fortschritt, gesellschaftlich ist das noch etwas komplizierter. Diskriminierung findet noch statt. Leider findet man diese Diskriminierung ganz intensiv im medizinischen Bereich, dort wo man eigentlich aufgeklärte Menschen erwarten würde. Oftmals tatsächlich durch Unwissenheit, aber auch durch Nicht-Nachdenken. Das fängt an mit Erlebnissen beim Zahnarzt: wenn dem HIV-positiven Patienten gesagt wird: „Wenn, dann können wir Sie nur als letzten Patienten des Tages behandeln, weil das Zimmer danach ordentlich desinfiziert werden muss.“ Da fragt man sich natürlich, wie desinfiziert der denn sonst den Tag über? Was ist, wenn der Zahnarzt einen Patienten mit Hepatitis-C Infektion hatt? Was ist, wenn jemand gar nichts von seiner HIV-Infektion weiß? Zu so einem Zahnarzt gehe ich lieber nicht. Oder wenn eine Krankenschwester sagt: „Packen Sie Ihre AIDS-Binde nicht zu dem normalen Verbandsabfall, sondern entsorgen Sie die extra.“ Und das auch noch vor anderen Patienten.

Vor zwei Jahren gab es an der Uniklinik in Lübeck einen Vorfall, wo eine positive Mutter nach der Geburt ihr Kind nicht in den Arm nehmen durfte, wegen der Infektionsgefahr für das Kind. Die AIDS Hilfe Lübeck ist ja nicht nur für Lübeck zuständig, sondern für die umliegenden Kreise, und irgendwo in diesem Einzugsbereich gibt es einen Krankenpfleger, der auf der Arbeit zwangsgetestet wurde. Dessen Betriebsarzt hat die Schweigepflicht gebrochen und das positive Testergebnis dem Arbeitgeber gemeldet und nun wird dieser Pfleger unglaublich gemobbt und ist bereits degradiert worden. Er darf nun nicht mehr in den OP. Das sind so Sachen, die ich nicht nachvollziehen kann und die aus Unwissenheit, aus Dummheit, aus Unaufgeklärtheit resultieren.

PACK: Das Haus, in dem wir sitzen, hat Geschichte oder?

Hartmut: Das Haus gehörte Wolfgang Ebeling, einem Mann, der 1987 an den Folgen von AIDS gestorben ist, und er war einer der ersten in Lübeck, den die Lübecker AIDS-Hilfe begleitet hat. Der hat dann einen Teil dieses Hauses der AIDS-Hilfe vererbt. Andere Teile haben Familienmitglieder bekommen. Die haben das aber alles auf die AIDS-Hilfe überschrieben. 1988 sind wir dann hier eingezogen. Es ist ein kleines Kuschelhaus aber es ist sehr eng, es ist nicht barrierefrei und eigentlich als Beratungshaus nicht gut geeignet. Wir haben in unserem Etat kein Geld für Miete. Dieses Haus gehört der AIDS-Hilfe. Wir würden etwas anderes kaufen, aber die Räumlichkeiten, wie wir sie uns wünschen – mit anonymem Zugang, barrierefrei auf einer Etage, die gibt es nicht zu kaufen. Wir haben sämtliche Makler Lübecks aktiviert, aber so eine Etage in irgendeinem Haus, in dem vielleicht auch Arztpraxen oder so sind, bekommt man nur zu mieten.

Das Büro im ersten Stock des Ebeling-Hauses, von hier aus koordinieren sie die Arbeit der LAH.

Das Büro im ersten Stock des Ebeling-Hauses, von hier aus wird die Arbeit des LAH koordiniert. [media-credit name="Lukas Ruge" align="aligncenter" width="645"] 

PACK: Am 1. Dezember ist Welt-AIDS-Tag. Das ist für euch sicher der größte, wichtigste Tag des Jahres, oder?

Hartmut: Ja, auf jeden Fall. Am 1. Dezember sind wir mehr in der Öffentlichkeit. Wenn im Freundeskreis jemand schwanger ist, sieht man plötzlich überall schwangere Frauen. Es gibt aber natürlich immer gleich viele schwangere Frauen. So ähnlich ist das bei uns auch, wir machen eigentlich immer gleich viel. Wir sind auch eigentlich regelmäßig in den Medien. Was wir machen, fällt einfach um den Welt-AIDS-Tag mehr auf. Dann kommen alle her und die Leute lesen es auch eher. Für unsere Arbeit ist aber jeder Tag ein AIDS-Tag.

PACK: Also kein besonderer Stress Ende November?

Hartmut: Oh doch! Wir machen zum Welt-AIDS-Tag (WAT) immer etwas hier im Haus, einen Gedenkmarsch und anschließend eine Andacht und ansonsten lassen wir das auf uns zukommen. Wir bekommen jedes Jahr viele Anfragen von Einzelpersonen oder Institutionen, die zum WAT Aktionen durchführen wollen. Wir haben Stände im Zentralklinikum und in der Mensa in Lübeck, gemeinsam mit der Fachschaft. Es gibt Vorträge und Workshops, an der Uni, aber auch andernorts. In diesem Jahr machen zum Beispiel das Theaterschiff und die Szenekneipe Chapeau Claque eine Aktion. In diesem Jahr haben wir auch und relativ viele Anfragen von der Presse. Der Movember endet im Prinzip ja auch mit dem Welt-AIDS-Tag.

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/2013/12/interview-mit-hartmut-evermann/feed/ 0
AIDS und Recht https://www.studentenpack.de/index.php/1990/06/aids-und-recht/ https://www.studentenpack.de/index.php/1990/06/aids-und-recht/#respond Fri, 01 Jun 1990 16:33:41 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=211656 Wie auch über andere Themen, die die Bereiche Leben und Tod, Sexualität und damit verbundene Ängste ansprechen, wird über den Umgang mit AIDS sehr kontrovers diskutiert. Die Diskussionen berühren oft grundlegende Werte der Diskutierenden. Dies mag die Heftigkeit und manchmal unerwartete Position mancher Aussage erklären. Ein »Schlachtfeld« ist die Diskussion um rechtliche Maßnahmen. Im folgenden sollen einige juristische Begriffe und Argumentationen dargestellt werden. Die Schwerpunkte liegen auf dem Bundesseuchengesetz, dem HIV-Test und dem Strafrecht. Die Grundlage für den Artikel bildet das Buch “Rechtsratgeber AIDS” von Jürgen Wolff, Sabine Mehlem und Stefan Reiß (rororo aktuell 12471) sowie der Vortrag von Stefan Reiß im Rahmen der Ringvorlesung AIDS. Aspekte des Arbeitsrechtes und des Sozialrechtes werden bei Interesse in der nächsten Ausgabe beleuchtet.

Geschlechtskrankheitengesetz

Aufgrund der Übertragungswege kann AIDS als eine Geschlechtskrankheit angesehen werden. Das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten gilt dennoch nicht für AIDS, da es in § 1 heißt: »Geschlechtskrankheiten im Sinne dieses Gesetzes sind (1) Syphilis, (2) Tripper, (3) Weicher Schanker, (4) Venerische Lymphknotenentzündung.«

Bundesseuchengesetz

Das Bundesseuchengesetz wird von vielen als die Rechtsgrundlage für Maßnahmen gegen die Ausbreitung der HIV-Infektion gesehen. In der Tat weist AIDS die Definitionsmerkmale des § 1 des BSeuchG auf: »Übertragbare Krankheiten im Sinne des Gesetzes sind durch Krankheitserreger verursachte Krankheiten, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden können« Das BSeuchG kann, muß aber nicht angewendet werden, denn AIDS wird im Gesetzestext nirgends namentlich erwähnt.

Drei Kriterien schränken die Artwendung des Seuchenrechts im konkreten Krankheitsfall ein: Die übertragbare Krankheit muß schwerwiegende gesundheitliche Schäden verursachen, es muß eine allgemeine Ansteckungsgefahr bestehen, und die Ausbreitung darf nicht durch Einhaltung einfacher hygienischer Maßnahmen vermeidbar sein. Für AIDS trifft nur das erste Kriterium zu. Fazit: Nur in ganz bestimmten Fällen ist das BSeuchG auf HIV-Infisierte und AIDS-Kranke anwendbar. Das BSeuchG dient der Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten. Es darf kein anderer Zweck damit verbunden werden, und die Maßnahmen dürfen nicht kontraproduktiv sein. Das Gesundheitsamt kann Verdächtige vorladen und Gelegenheit zur- Stellungnahme geben. Nur wenn auch nach einer Beratung eine konkrete Gefahr besteht (Ansteckungsverdacht + Verdächtiger kündigt Verhalten an, das eine Infektionsgefahr für die Allgemeinheit bedeutet), kann das Amt einen HIV-Test anordnen. Hier zeigt sich die Absurdität des Verfahrens, denn ein negatives Testereebnis kann den Ansteckungsverdacht nicht klären, und der Test ist damit eigentlich eine ungeeignete Ermittlungsmaßnahme. Bei »Unbeiehrbaren« könnte das Gesundheitsamt den Test anordnen, um die Grundlage für die Anordnung von Schutzmaßnahmen zu ermitteln. Doch wie könnten die aussehen? Ein positives Testergebnis reicht für eine Zwangsisolierung nicht aus. Die Anschlußmaßnahmen müssen jedoch vor dem Test benannt werden um die 2 Zumutbarkeit überprüfen zu können.

Wie im Strafrecht (s.u.) stellt sich die Frage, wer eigentlich verantwortlich handelt, denn der Partner, der sich nicht schützt, setzt sich bewußt einem Infektionsrisiko aus. In den Begriffen des Polizei- und Ordnungsrecht (worunter das Seuchenrecht fällt) bedeutet das den Unterschied zwischen Störer und Nichtstörer. Störer ist nur derjenige, der eine konkrete Gefahr hervorruft. Von einem HIV-Infizierten geht aber keine unmittelbare Gefahr aus. Erst beim ungeschütztem Sex mit jemanden veranlaßt der Infizierte durch die gemeinsame Handlungvielleicht eine Gesundheitsstörung. Der Infizierte ist somit nicht Störer, sondern Veranlasser einer Störung, die durch, einen anderen ausgeführt wird, und damit grundsätzlich Nichtstörer: Gegen ihn darf mit Mitteln des Seuchenrechts nicht ohne weiteres vorgegangen werden.

Der HIV-Test

Einige kurze Anmerkungen zum Test vorweg. Mit dem ELISA-Verfahren werden Antikörper gegen das HIV-1 nachgewiesen. Der hohe Anteil von falsch positiven Resultaten macht einen Referenz-

Test nötig: Western Blot oder Immunofluoreszenz-Verfahren. Falsch negative Ergebnisse des ELISA werden nicht verhindert. HIV-2 wird nicht erfaßt, aber bisher waren fast alle mit HIV-2 Infizierte auch mit HIV-1 infiziert. In der Regel sind die Antikörper 2-3 Monate nach Infektion nachweisbar, der Zeitraum kann aber erheblich länger sein. Bei einigen der Virustragenden Patienten lassen sich keine Antikörper nachweisen, auch wenn manche schon Krankheitssymptome haben.

Der HIV-Test bzw. die Blutabnahme stellt eine Körperverletzung dar (§ 223 des StGB). Die Körperverletzung ist legal, wenn eine Einwilligung der Betroffenen vorliegt – und der Eingriff nicht gegen die guten Sitten verstößt (§ 226 StGB). Zudem hat der Patient das Recht zu bestimmen, welche Untersuchungen mit dem entnommenen Blut gemacht werden dürfen.

Zivilrechtlich gesehen schließt der hilfesuchende Patient mit dem Arzt einen Vertrag ab. Das ärztliche Handeln muß drei Grundvoraussetzungen genügen: Der Eingriff muß einen Nutzen für den Patienten Zumindestens erhoffen lassen, das Einverständnis des aufgeklärten Patienten muß vorliegen, und der Arzt muß die erforderliche Sorgfalt walten lassen.

Es sind drei Fälle denkbar, bei denen ein Arzt eine stillschweigende Einwilligung des Patienten in den HIV-Test vorraussetzen kann.

Beim »Check up« verlangt der Patient eine allgemeine Gesundheitsüberprüfung, in der nach allgemeiner juristischer Sicht auch die Einwilligung in erförderliche Laboruntersuchungen inklusive dem HIV-Test enthalten ist.

Wünscht ein Patient die Ursache für unklare Symptome zu erfahren, so sei die Einwilligung zum HIV-Test nach Meinung vieler Juristen gegeben. Unklar ist jedoch, welche Symptome vorliegen müssen, um einen HIV-Test zu veranlassen. Ein einfacher Schnupfen reicht jedenfalls nicht. Im dritten Fall ist an eine mutmaßliche Einwilligung im Notfall zu denken. Allerdings darf der Arzt den HIV-Test nur dann machen, wenn er in den unterstellten Untersuchungsauftrag fällt, was kaum jemals der Fall sein dürfte. Ist bekannt, daß der Patient die Untersuchung ablehnen würde, ist eine mutmaßliche Einwilligung ausgeschlossen. Die allgemeine Einwilligung eines in ein Krankenhaus aufgenommenen Patienten in alle von Ärzten erforderlich gehaltene Untersuchungen schließt den HIV-Test nicht ein. Es gibt auch keine rechtfertigen Notstand für das Personal, da das Infektionsrisiko nicht über das übliche Maß hinausgeht.

HIV-Tests werden in der Regel kostenlos und anonym von Gesundheitsämtern vorgenommen, auch ohne diagnostische Notwendigkeit. Niedergelassene Ärzte können nach der Reichsversicherungsordnung den relativ teuren Test nur bei Verdacht auf eine AIDS-Erkrankung abrechnen, mit Ausnahme in Bayern, dort muß kein Verdacht vorliegen. Im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung bezahlen die Krankenkassen den Test. Ansonsten besteht eine Leistungspflicht der Krankenkassen nur, wenn AIDS-verdächtige Symptome vorhanden sind.

Vor dem Test muß eine ausführliche Beratung stehen (s.a. unten). Sie gehört zu den Pflichten des Arztes. Erfüllt der’ Arzt diese Pflicht nicht angemessen, muß er eventuell für die olgen (z.B, Invalidität nach Selbstmordversuch) haften. Zu den Pflichten des Arztes gehört es auch, das Ergebnis eines HIV- Testes mitzuteilen, unabhängig davon, ob er nun positiv oder negativ ausgefallen, legal oder illegal gemacht worden ist.

Blutspende

Jede Spende wird unter anderem auch auf HIV-Antikörper untersucht. In dem Fragebogen, den der Spender auszufüllen hat, wird darauf hingewiesen, daß etwaige vom Normalen abweichende

Befunde dem Arzt mitgeteilt werden, der die Befunde dem Spender mitteilen muß. Hier fehlt die vörherige Beratung,

 Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung

Im August 1987 wurde ein freiwilliger HIV-Test in die Mutterschaftsrichtlinien der Krankenkassen aufgenommen. Der Test soll erst nach ausführlicher Beratung erfolgen. Weder Beratung noch ein etwaiger Test sollen im Mutterpaß dokumentiert werden. Bei einer HIV- Infektion ist die medizinisch-soziale und die eugenische Indikation zum Abbruch gegeben.

Sich testen lassen?

Die Frage läßt sich nicht einfach mit »Ja« oder »Nein« beantworten, auch wenn das viele glauben machen wollen. Der medizinische Nutzen des Testergebnisses ist sehr fraglich, eine kausale Behandlung gibt es ja (noch) nicht. Und kann und sollte man sich und andere mit dem Testergebnis »positiv« besser schützen als ohne Test oder dem Ergebnis »negativ«?

Auf jeden Fall gilt: Diese Frage sollte nur in einem Gespräch mit einem kompetenten Berater entschieden werden, denn die Konsequenzen, die sich aus dem Testergebnis ergeben (könnten), müssen bedacht werden. Die Entscheidung hängt jedenfalls stark von der jeweiligen Lebenssituation dessen, der sich testen lassen möchte, ab.

Straf recht

Dies ist wohl der umstrittenste juristische Bereich. Um das Durcheinander möglichst klein zu halten, werde ich von einem juristischen Begriff zum nächsten gehen.

Handlung. 

Nach deutschem Rechtsverständnis kann jemand nur für eine Tat, nicht für den Gedanken bestraft werden. Die Tat muß willentlich gesteuert sein. Geschlechtsverkehr ist in diesem Sinne eine Handlung.

Erfolg. 

Neben der Handlung an sich ist der mögliche Erfolg von Bedeutung, bei AIDS die Ansteckung (was nicht alle als Tatbestand der Gesundheitsbeschädigung ansehen) und der eventuell folgende Tod. Desweiteren spielt eine Rolle, wer »Schuld« am riskierten oder eingetretenen Erfolg ist, der Täter oder das Opfer.

Handeln auf eigenes Risiko. 

Weiß ein Partner um die HIV-Infektion des anderen und geht ein Infektionsrisiko ein, handelt er auf eigenes Risiko. Die Handlung des »Positiven« ist nicht strafbar. Die Staatsanwaltschaft in Kempten sah zwar Anfang 1988 in dem Wunsch einer 17 jährigen Schülerin, mit ihrem 29jährigen HlV-infizierten Freund ohne Kondom schlafen zu wollen, keine Rechtfertigung für den Freund, da die Körperverletzung sittenwidrig sei. Der Richter befand jedoch, daß der Grundsatz des Handelns auf eigene Gefahr nicht einfach durch Anwendung des § 226a in diesem Bereich ausgeschaltet werden könne.

Wissen beide Partner nicht, ob sie HlV-infiziert sind, handeln beide auf eigene Gefahr. Problematisch wird es, wenn sich einer durch Risikoverhalten einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt hat und es dem Partner nicht sagt. Entscheidend dafür, ob damit der ungeschützte Geschlechtsverkehr einen Tatbestand darstellt, ist, ob sich der Partner in Kenntnis der Vorgeschichte vielleicht anders entschieden hätte.

Die Dinge liegen anders, wenn beide um das Risikoverhalten des anderen wissen. Schlägt ein Stricher seinem Freier vor, safer Sex zu machen und der lehnt ab und zahlt 50,- DM mehr für »ohne«, so liegt aus juristischer Sicht kein Tatbestand der Gefährdung des anderen Gesundheit vor: Beide kennen das Risiko des anderen.

Überlegenes Sachwissen. 

Lebt ein Paar in einer Beziehung, in der Treue selbstverständlich ist, zusammen und geht einer doch mal fremd, infiziert sich, läßt sich testen und ist HIV-positiv, hat derjenige ein überlegenes Sachwissen, denn nur er kennt das Risiko. Zumindest nach reiner (Rechts-)Lehre macht sich eine Prostituierte nicht dadurch strafbar, daß sie einem Freier ihren »positiven« Status verschweigt. Oft wird aber (auch von Gerichten) argumentiert, daß auch eine Prostituierte, die um ihre HIV-Infektion weiß, damit ein überlegenes Sachwissen habe und mit dem Verschweigen den Freier über die Höhe des Risikos einer Ansteckung täusche. Grundsätzlich müsse jeder, der weiß, daß er mit HIV infiziert ist, seinen Partner über das Risiko aufklären und sich auf safer Sex beschränken, ansonsten mache er sich strafbar. Aus juristischer Sicht kann es also von Vorteil sein, seinen seropositiven Status nicht zu kennen.

Vorsatz. 

Nur dem, der mit Wissen und Wollen (vorsätzlich) handelt, droht Strafe. Daneben stellt sich noch die Frage, ob das Opfer auf eigene Gefahr gehandelt hat (s.o.).

Bedingter Vorsatz.

Im Fall eines Mordes oder Totschlages (in den Augen einiger Richter zählt dazu schon ungeschützter Geschlechtsverkehr) genügt für die Strafbarkeit ein bedingter Vorsatz. Der liegt vor, wenn der Täter die Konsequenzen seines Handelns billigend, d.h. bewußt in Kauf nimmt.

Bewußte Fahrlässigkeit. 

Darunter fällt z.B. das unverantwortliche Vertrauen darauf, daß es nicht zur Ansteckung kommen wird. Bewußte Fahrlässigkeit schließt die Strafbarkeit wegen Vorsatz und damit wegen Totschlags aus.

Versuchter Totschlag. 

Da kaum zu beweisen sein wird, daß genau der fragliche Geschlechtsverkehr zur Infektion geführt hat (was aber die Voraussetzung zum Schuldspruch wegen Totschlags ist), bleibt sozusagen als »Ausweg« der strafbare Versuch. Wie beim Totschlag auch kann aber aus dem Wissen um die Gefahr nicht auf das Wollen einer Infektion geschlossen werden. Bestehen Zweifel am bösen Willen des Täters, fehlt es am Tötungsvorsatz.

Körperverletzung. 

Die Infizierung mit HIV erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung, Erst muß jedoch geprüft werden, ob eine Strafbarkeit nicht ausgeschlossen ist, weil das Opfer auf eigenes Risiko gehandelt hat (s.o.).

Gefährliche Körperverletzung. 

Allein die Möglichkeit eines tödlichen Risikos reicht, um den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung zu erfüllen.

Schwere Körperverletzung. 

Wenn eine der in § 224 StGB aufgezählten Folgen fahrlässig oder (bedingt) vorsätzlich verursacht wurde, wird eine Körperverletzung schwer. Bei AIDS käme z.B. Siechtum, dauernde Arbeitsunfähigkeit und Geisteskrankheit in Frage.

Versuchte gefährliche Körperverletzung. 

Wegen Beweisproblemen weichen Richter und Staatsanwälte immer häufiger auf die Strafbarkeit von versuchten Delikten aus. Versuchte Körperverletzung ist nicht strafbar, versuchte gefährliche Körperverletzung wohl. Die Frage ist hier, ob eine Lebensgefahr vorlag und wie hoch das Risiko anzusetzen ist. Obwohl es nicht zur Ansteckung ihrer Freier gekommen ist, wurde z.B. eine Prostituierte in München, die mindestens viermal ohne Kondom und ohne ihre HIV-Infektion zu erwähnen mit Freiern Geschlechtsverkehr hatte, wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Ganz entscheidend strafmildernd sei vor allem das hohe Maß an Leichtsinn bei den Intimpartnern gewesen.

Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Gesetze herhalten sollen, um ein gewünschtes Verhalten zu erzwingen. Oft wird unter dem Deckmantel der Moral und des Rechts diskriminiert, ein Sündenbock geschaffen. Dieses Vorgehen ist nicht geeignet, eigen- und fremd verantwortliches Handeln zu fördern. Das – wie so oft – auch gar nicht erwünscht scheint …

Wer auch Interesse hat, sich anhand AIDS näher mit den Problemen zu befassen, rufe mich an (Tel, 68459).

]]>
https://www.studentenpack.de/index.php/1990/06/aids-und-recht/feed/ 0