50 Jahre – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Tue, 04 Nov 2014 05:36:32 +0000 de-DE hourly 1 Die Anfänge der Uni Lübeck https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/die-anfange-der-uni-lubeck/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/die-anfange-der-uni-lubeck/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:40:58 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212500
Ein Gebäude für alles: Haus 21 war das Logo des "Provisoriums", Lübecks erster Studentenzeitung,außerdem beherbergte es in den 60er Jahren Mensa und Asta der Medizinischen Akademie Lübeck.

Ein Gebäude für alles: Haus 21 war das Logo des “Provisoriums”, Lübecks erster Studentenzeitung,außerdem beherbergte es in den 60er Jahren Mensa und Asta der Medizinischen Akademie Lübeck.[media-credit name="Provisorium" align="aligncenter" width="640"]


„In einer würdigen Feierstunde, an der rund 250 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teilnahmen, wurde gestern im Audienzsaal des Lübecker Rathauses die in Gründung befindliche Medizinische Akademie Lübeck offiziell eröffnet“, heißt es am 4. November 1964 in den Lübecker Nachrichten. Ministerpräsident, Staatsrat und Kultusminister Schleswig-Holsteins, der gesamte Lehrkörper der Universität Kiel mitsamt neuer Lübecker Kollegen sind am 3. November 1964 nach Lübeck gekommen, um in einem Festakt die Geburtsstunde einer Universität zu begehen, deren Gründung den „Beginn eines neuen Kapitels der Lübecker Geschichte“ markiert, wie Stadtpräsident Gaul es 1964 formuliert. Wie sich die medizinische Akademie, liebevoll aber bestimmt „Tochter“ der Christian-Albrechts-Universität Kiel genannt, entwickeln wird, weiß zu diesem Zeitpunkt keiner der Anwesenden. Nach viereinhalb Jahren umfangreicher Vorbereitungen, die nicht zuletzt als reich an Auseinandersetzungen über die Finanzierung und – vor allem – den Status der Hochschule beschrieben werden, blicken die Redner in stolzer Erwartung auf die Entwicklung des „jüngsten Kindes der CAU” und hoffen, es “möge einst eine strahlende Tochter werden“, lautet es weiter in den Lübecker Nachrichten vom 4. November 1964. Man beglückwünscht sich, den „Standort Lübeck mit Geschick ausgesucht zu haben, zumal diese Stadt eine große Tradition und ein wertvolles kulturelles Erbe aufzuweisen habe.“

Kiel und Lübeck – Alte Liebe

Die Kieler Einwände sind allerdings nicht zu überhören: Wie die Lübecker Nachrichten weiter schreiben, betont der Rektor der CAU Kiel, Prof. Hoffmann, „der Weg zur Gründung sei dornenreich gewesen. Auch in Kiel habe man oftmals gezweifelt, ob er der richtige sei. Nun, da die Würfel gefallen seien, erkenne man es aber an.” Der Kieler Rektor kommt nicht umhin, mit leisem Widerwillen zu bemerken: „Eine gewisse Eigenständigkeit der Lübecker Anstalt sei unverkennbar zu spüren“. Wer hätte gedacht, dass das “jüngste Kind“ der Kieler Universität sich als so eigenständig erweisen würde? Nicht einmal zehn Jahre nach ihrer Gründung wird die “Zweite medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität Kiel” zur “Medizinischen Hochschule Lübeck.” Innerhalb der ersten zwanzig Jahre vervierzigfacht sich die Studentenzahl. Nach weiteren zehn Jahren wird die Universität um den Fachbereich Informatik erweitert. Seitdem wachsen Studenten- und Studiengangszahlen exponentiell. Spätestens mit “Lübeck Kämpft” behauptet sich die Universität 2010 entgültig gegenüber der Uni Kiel.

Früher war alles anders

Für die 14 Medizinstudenten, die sich im Wintersemester 64/65 zur klinischen Ausbildung nach Lübeck wagten, ging mit den Eröffnungsfeierlichkeiten das Abenteuer erst richtig los. Wie studierte es sich an einer neugegründeten Universität in den 60ern? Wenn auch provisorisch eingerichtet: die Mensa bot dem guten Dutzend Neuankömmlingen mit 110 Sitzgelegenheiten wesentlich mehr Platz, als die heutige Mensa uns 3704 Studenten plus Fachhochschülern bietet. Das Essen kam vorerst aus der Krankenhausküche. Für den AStA wurden ein Arbeits- und ein Besprechungsraum eingerichtet. Bis 1965 das Jugenddorf Anschützstraße gebaut wurde, fanden die ersten Lübecker Medizinstudenten ein eigens für sie reserviertes Zimmer im Wohnheim der staatlichen Ingenieurschule. Wesentlicher Bestandteil des neuen Lübecker Ausbildungskonzeptes war der Unterricht am Krankenbett. Die Dauer der praktischen Ausbildung während der Semesterferien belief sich auf vier Wochen. Außerdem sollten Arbeitsgemeinschaften aus Studenten und Dozenten gebildet werden – was in Anbetracht der Tatsache, dass es wesentlich mehr Lehrende als Studierende gab, ein Leichtes war. Wer im Klinischen Abschnitt die Fächer der Vorklinik vermisste, der konnte sich darüber freuen, dass die „Fortsetzung der physikalisch-chemischen Ausbildung über das Physikum hinaus“ fest im Curriculum verankert war. Vorlesungen fanden sowohl im damaligen Krankenhaus Süd als auch Ost statt. Innerhalb der 15-minütigen Pausen zwischen den Vorlesungen vom einen Krankenhaus zum anderen zu gelangen, war eine echte Herausforderung. Bis ein Shuttle-Bus der Stadtwerke eingerichtet wurde, nahmen Dozenten die Studenten nicht selten einfach im eigenen Auto mit.

In den letzten 50 Jahren hat sich auf dem Campus Lübeck also einiges getan. Nur der Grundgedanke, den Lübecks Stadtpräsident am 3. November 1964 im Audienzsaal des Rathauses formulierte, ist hoffentlich der gleiche geblieben: „Mögen die jungen Menschen hier in Lübeck erfüllt werden von hoher beruflicher Auffassung und ausgezeichnetem Können und von der schlichten Menschlichkeit zugleich, die sich im Helfen und Dienen an den Mitbürgern erfüllt.”

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Gespräch mit Johannes Hoffmann und Eckart de Bary https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-johannes-hoffmann-und-eckart-de-bary/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-johannes-hoffmann-und-eckart-de-bary/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:11:07 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212462 StudentenPACK: Für den klinischen Studienabschnitt kamen Sie 1973 nach Lübeck. Wie hat sich das ergeben und wie war Ihr Start hier?

de Bary: Wir kamen damals mit mehreren aus Mainz. Wir beide und noch ein Kommilitone aus unserer Physikumsgruppe hatten beschlossen, zusammen weiter zu studieren. Wir hatten uns in verschiedenen Städten beworben, unter anderem auch in Kiel und Lübeck. Lübeck hat uns als erstes alle zusammen genommen. Außerdem erinnere ich mich noch an das, was meine Patentante sagte: „Ach, wenn, dann geh nach Lübeck – Kiel ist so zerbombt, das ist nicht schön!“

Hoffmann: Als Auswärtige hatten wir allerdings erstmal ein Wohnungsproblem. Einige von uns Neuen sind dann in Räumlichkeiten des damaligen Lysia-Hotels untergekommen. Aber als wir dort dann anfingen, mit unseren Tauchsiedern auf den Tischen zu kochen, wurden wir vorsichtig hinauskomplimentiert. Für uns war das natürlich trotzdem eine tolle Unterkunft – und das kostenlos. Das hatte Herr Mann, der damalige Leiter des Studenten-Sekretariats, irgendwie so eingefädelt.

de Bary: Die vom Hotel wollten damals ein bisschen Publicity und haben deswegen angeboten, Studenten dort umsonst für zwei, drei Semester aufzunehmen.

Hoffmann: Als wir uns dann etwas anderes suchen mussten, haben wir bei einer Großfamilie mit vier Kindern und zwei Hunden gewohnt. Die Familie war finanziell in Bedrängnis geraten und musste Zimmer vermieten; dort haben wir beide und noch ein Mainzer Studienkollege gewohnt. Wir gehörten dort wirklich zur Familie. Diese sehr herzliche Aufnahme hat uns gut gefallen, das hat schon Eindruck auf uns gemacht! Die beiden Eltern gingen dann morgens früh zur Arbeit und wir haben uns um Frühstück und Schulbrote für die Kinder gekümmert, dafür hat die Mutter unsere Wäsche gewaschen. Noch dazu hatte die Familie einen Pool, das war super – besonders weil unser erster Sommer in Lübeck ein Jahrhundertsommer war. Nach dem Frühstück am Pool haben wir uns dann so gegen zwölf auf den Weg in die Mensa gemacht…

StudentenPACK: Wie war denn das Studium damals?

Hoffmann: Es war ein sehr lockeres Studium. Sehr frei und liberal, weit von der Verschulung heute entfernt. Bis zum Examenssemester war da sehr viel Kapazität für Freizeitaktivitäten. Und die individuelle, sehr freundliche Betreuung an einer so kleinen Hochschule war aus studentischer Sicht auch von Vorteil.

de Bary: Es waren zwar nicht gerade die größten Didaktiker, die unsere Vorlesungen gehalten haben, aber gerade was die Kurse anging, war es schon gut. In die Kurse, die man machen wollte, kam man immer rein und bei kleinen Gruppen von sechs bis acht Leuten war die Betreuung wirklich sehr gut. Und wenn sie im Klopfkurs gerade keinen Patienten hatten und man wirklich interessiert war, dann hieß es auch „Komm doch nächste Woche wieder, vielleicht haben wir dann wieder ein Lungenödem.“ Das war alles ganz locker.

StudentenPACK: Was waren Ihre drei prägendsten Ereignisse während der Studienzeit in Lübeck?

de Bary: Dazu sage ich drei Dinge – Zolln, Zentrum und montags gibt’s keine LN.

Hoffmann: Oh ja, im Zolln, da waren wir immer nach dem Sport. Direkt gegenüber ist ja die Turnhalle und im Zolln konnte man danach die verlorene Flüssigkeit wieder auffüllen. Das war damals schon ein wichtiger Ort der Kommunikation.

de Bary: Wir waren da nicht selten. Bis das mit dem Zentrum aufkam, gab es auch keine richtige Konkurrenz. Das Zentrum war ein Studentenzentrum in der Alfstraße, finanziert von den Freunden und Förderern der MAL. Im Grunde war es eine kaum genutzte Kneipe mit einer kleinen Küche und einem Probenraum zum Musikmachen. Als wir 73 gekommen sind, hieß es, das Zentrum solle zugemacht werden, weil es zu teuer sei. Der Besitzer hatte wohl die Miete erhöht, das war alles ziemlich undurchsichtig. Das Studentenwerk kam schließlich mit ins Boot und hat die Nebenkosten übernommen, die höhere Miete sollte dadurch wieder reinkommen, dass wir mehr Leute auf das Zentrum aufmerksam machen, die dort hinkommen. Wir haben dann auch an der Fachhochschule und der Musikhochschule Reklame gemacht, damit das Zentrum kein „elitärer Medizinerclub“ war, sondern ein wirklich breites Besucherspektrum hatte. Freitags und samstags spielten dort Bands, dann wurde es richtig voll. Manchmal gab es auch Events wie das „Gaudi-Med“, das Fastnachtsfest. Das ging von Freitag Abend bis Montag Früh – es war durchgehend geöffnet. Da war es wirklich so, dass wenn neue Leute ins Gebäude wollten, dann mussten vorher woanders welche rausgehen. Beim ersten Mal, als wir das richtig groß aufgezogen haben, da mussten wir Sonntag Morgen noch losfahren, unseren Bierlieferanten rausklingeln und noch ein paar Fässer Bier nachholen. Das war das Zentrum. Als wir ´76 mit dem Studium aufgehört haben, lief das noch ein, zwei Jahre weiter, doch dann wurde es dichtgemacht.

StudentenPACK: Sie saßen damals im ersten Lübecker Studierendenparlament. Wie sah es mit der Motivation der Studenten, sich dort einzubringen, aus?

de Bary: Ich glaube, das erste StuPa war mit 20 oder 22 Leuten im Verhältnis zu etwa 300 Studierenden riesig groß. Es wurden jedenfalls genug Leute aufgestellt und gewählt, das Interesse war schon da. Politische Studentenvereinigungen wie den sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB), den Marxistischen Studentenbund (MSB) Spartakus oder den Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) gab es hier aber gar nicht, die haben sich hier auch nie etabliert.

Hoffmann: „Schlachten“ zwischen diesen einzelnen Fraktionen wie in anderen Großstädten gab es dementsprechend auch nicht, aber der Wettbewerb der Systeme zwischen der Bundesrepublik und der DDR war schon präsent. In einem Arbeitskreis haben wir uns mit dem Gesundheitssystem der DDR beschäftigt und dachten beim Lesen, dass das alles ganz toll klingt – wir haben uns sogar mal mit dem Vertreter der Kassenärztlichen Vereinigung getroffen und stark dafür plädiert, dass man auch unser Gesundheitswesen komplett verstaatlicht. Mit solchen Themen hat man sich damals auch privat viel beschäftigt.

StudentenPACK: Während Ihres Studiums wurde die Approbationsordnung (AO) mehrfach geändert. Inwieweit war das für Sie ein Thema?

de Bary: Wir selbst waren von der Veränderung noch nicht betroffen, denn als wir das Studium begonnen haben, galt noch die Bestallungsordnung (BO). Im StuPa war die AO aber auf jeden Fall ein wichtiges Thema, gerade über das Praktische Jahr mit der darauf folgenden Abschlussprüfung wurde viel gestritten.

Hoffmann: Wir haben ja noch nach der BO studiert und mussten noch nicht das Praktische Jahr, sondern ein Jahr als Medizinalassistent absolvieren. Wir lebten noch im Paradies: Während der Zeit als Medizinalassistent erhielt man ein halbes Gehalt und danach ohne weitere Prüfungen die Approbation. Das PJ war deswegen eine deutliche Verschlechterung, nicht nur finanziell.

StudentenPACK: Gab es weitere wichtige Themen im StuPa, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?

de Bary: Wenn ich mich richtig erinnere, wurde damals die ganze Verwaltungsstruktur der Hochschule umgekrempelt. Es kamen das Konsistorium und ein externer Präsident, das gab es vorher nicht. Davor war das Amt als Verwaltungschef eher ein Ehrenamt, parallel zur Arbeit in der Klinik. Doch mit diesen Veränderungen wurde etwas Klarheit geschaffen, auch über die Zusammensetzung des Konsistoriums und, ob Studenten mitbestimmen durften oder nur angehört wurden. So ganz genau weiß ich das nicht mehr, aber eine Legislaturperiode lang saß ich da auch mit dabei. Ein ganz heißes Thema war auch, ob der AStA ein allgemeinpolitisches oder nur ein hochschulpolitisches Mandat hatte. Wenn der AStA damals irgendein Statement abgegeben hat, beispielsweise an die LN, dann kamen gleich einige und meinten, der AStA dürfe dazu nicht Stellung nehmen.

StudentenPACK: Hat sich dadurch, dass Lübeck von Kiel unabhängig wurde, irgendetwas geändert?

Hoffmann: Das ist schwer an einer konkreten Sache festzumachen. Als ich nach dem Studium noch in der Klinik gearbeitet habe und die alte Garde abtrat, da kamen die Münchner. Die haben Lübeck quasi als Durchlauferhitzer für ihre Karriere genutzt, weil es hier leichter war, eine Chefarztstelle zu besetzen. Die haben hier allerdings auch viel bewegt und einen etwas moderneren Betrieb aus dem Krankenhaus gemacht. Auch Scriba, der hier später Präsident wurde, kam ursprünglich aus München.

de Bary: In der Zeit kam auch eine Hochschulreform. Teilweise war es ein Schuss ins eigene Knie, was da gefordert wurde: Das Chefarztsystem sollte abgeschafft werden. Chefs gab es natürlich trotzdem weiterhin, aber das musste dann alles demokratisiert werden. Das führte dazu, dass viele Kliniken in einzelne Abteilungen aufgeteilt wurden, abhängig davon, was für Ärzte gerade da waren. In der Inneren zum Beispiel gab es nicht Nephrologie, Pneumologie oder andere große Fächer, sondern abgesehen von der Kardiologie eher kleine wie Psychosomatik und Angiologie.

Hoffmann: Daran hat sich erst mit den Münchnern wirklich was verändert, vorher war es hier sehr verschlafen. Die Münchner haben hier sehr auf die Unabhängigkeit von Kiel gesetzt. Auch, dass Lübeck dann ein eigener Universitätsstandort wurde – von vielen wurde das lediglich als Umetikettierung wahrgenommen, aber für Lübeck als Stadt war das ein ganz wichtiger Schritt.

StudentenPACK: Ich habe hier eine Resolution des Stuttgarter AStA mitgebracht, die 1976 in der Lübecker Studentenzeitung veröffentlicht wurde. Darin steht, dass „in der Lübecker Bucht […] ein Kriegsschiff der ehemalig sozialistischen SU ihr Unwesen [treibt].“ Was war da los?

Hoffmann: Das ist denke ich nicht wörtlich zu nehmen. Ich glaube, dass hier der MSB Spartakus als Vertreter der DDR und des sowjetischen Sozialimperialismus als U-Boot betrachtet wird – so verstehe ich das.

de Bary: Ich bin auch der Meinung, dass man das nicht wörtlich nehmen kann. Wenn da ein Boot rumgekreuzt wäre, das da nicht hingehört, das hätte einen riesigen Wirbel gegeben.

StudentenPACK: Was haben Sie damals von den Berufsverboten für Lübecker Ärzte mitbekommen?

Hoffmann: Nach meiner Medizinalassistenz war ich in Segeberg in der Privatklinik, dort habe ich einen anderen ehemaligen Lübecker Studenten getroffen, von dem alle wussten, dass er beim KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) war. Im öffentlichen Dienst war es schwierig unterzukommen, wenn man in der DKP war, und viele sind dann zum Beispiel nach Segeberg gegangen. Die Alternativen war, sich niederzulassen, denn so viele Privatkliniken gab es damals nicht.

de Bary: Ich habe da auch noch einen vor Augen, der ging meine ich nach Schönberg.

StudentenPACK: Wusste man als Student sicher, was man nicht tun darf, um nicht auf dieser „schwarzen Liste“ der Berufsverbote zu landen?

de Bary: Nicht sicher. Man durfte nicht nachgewiesenermaßen zu links sein. Der Verfassungsschutz auf dieser Seite war da sehr aktiv.

Hoffmann: Wenn man in der Stadt auf der Straße irgendwas unterschrieben hat, dann konnte das schon bedeuten, dass man damit auf die schwarze Liste kam. Wir haben uns damals aber nicht so viele Gedanken um die Zukunft gemacht, ob wir Flugblätter verteilen dürfen oder dann später nicht im öffentlichen Dienst unterkommen. Das war weit weg.

StudentenPACK: Gibt es noch irgendwelche kuriosen Geschichten, an die Sie sich erinnern und über die wir bisher nicht gesprochen haben?

de Bary: Doch, ja. Als ich nach dem Studium in der Kinderklinik gearbeitet habe, da wohnte ein junger Mann in der Neuropädiatrie. Der wohnte da, in einem Patientenzimmer. Er war der Sohn eines Lübecker Gesundheitssenators oder über andere Ecken mit diesem verbandelt, jedenfalls war er dort zur Berufsfindung aufgenommen worden. Er ging morgens weg, machte mal hier und mal dort ein Praktikum, kam abends wieder und schlief dann da. Das ging mindestens ein Dreivierteljahr so, das muss man sich mal vorstellen. Es gab eben noch keine DRG’s.

StudentenPACK: Was haben Sie nachdem Sie mit dem Studium fertig waren noch von der Uni mitbekommen?

Hoffmann: Die „Rettet die Uni“-Aktion haben wir natürlich mitbekommen, das war eine wirklich gut organisierte Sache. Sehr bemerkenswert, nicht nur die Studenten, sondern die ganze Stadt zu mobilisieren. Die Plakate hängen ja immer noch in den Fenstern. Vor denen, die das organisiert haben, muss man den Hut ziehen – die haben echt was bewegt. Ich weiß noch, wie zwei Studenten bei mir vorbeikamen, die von Haustür zu Haustür gingen. Die haben kein Geld oder Unterschriften gesammelt, sondern haben über die Situation informiert und von der Demo in Kiel erzählt. Da bin ich dann auch dabei gewesen.

StudentenPACK: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

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Interview mit Dr. Peter Delius https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/interview-mit-dr-peter-delius/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/interview-mit-dr-peter-delius/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:09:35 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212456 Dr. med. Peter Delius absolvierte nach der Vorklinik in Berlin von 1980 bis 1984 den klinischen Abschnitt des Medizinstudiums an der Medizinischen Akademie bzw. Hochschule Lübeck und arbeitete im Anschluss daran noch einige Jahre in Lübeck. 1995 ließ er sich nach seiner Zeit in Bonn und Hamburg als Psychiater und Psychotherapeut in Lübeck nieder.

StudentenPACK: Von 1980 bis 1984 haben Sie in Lübeck studiert, was waren in dieser Zeit Ihre drei prägendsten Ereignisse?

Peter Delius: Sie müssen sich vorstellen, dass die Zeit damals für heutige Verhältnisse in unglaublichem Maße politisiert war. Das bezog nicht alle Studenten und Studentinnen ein, aber einen sehr großen Teil. Deswegen haben auch mindestens zwei der Dinge, die mich geprägt haben, im weitesten Sinne mit Politik zu tun. Das eine ist die Zeit, in der ich AStA-Vorsitzender war und die Studentenschaft in Gremien und auch bei einigen Demonstrationen vertreten habe. Das zweite war gegen Ende meines Studiums die Beschäftigung mit der Heilanstalt Strecknitz und damit, was dieses Thema innerhalb der Hochschule für Wogen geschlagen hat. Das dritte ist eine Fahrt nach Bergen als Studierendenvertreter, eingeladen von der dortigen Universität im Rahmen der bestehenden Partnerschaft. Wir waren ungefähr 20 Studierende und wurden dort empfangen wie die Könige, wie die Vertreter der Hanse in einer Hansekolonie. Wir waren sehr beeindruckt von der Gastfreundschaft und all dem, was unsere Gastgeber uns geboten haben und sehr beschämt, als sich später herausstellte, dass die norwegischen Studenten ein halbes Jahr vorher da gewesen waren und keiner sie beachtet hatte. Sie waren in einer Jugendherberge untergebracht worden und hatten große Schwierigkeiten, überhaupt Anschluss zu finden. Das spiegelte – historisch gesehen – vielleicht ein bisschen das Verhältnis von Lübeck, der Königin der Hanse, zu seiner kleinen norwegischen Kolonie in Bergen wider. Das war jedenfalls etwas, was mir bleibend in Erinnerung geblieben ist.

StudentenPACK: Wie spiegelte sich die allgemeine Politisierung auf dem Campus wider?

Delius: Vorweg sollte ich vielleicht ein bisschen zu meiner Vorgeschichte sagen: Ich bin aus Berlin gekommen, wo in unserem Semester ungefähr so viele Studenten waren wie in der ganzen Hochschule in Lübeck. Vorher war ich ein Jahr in Portugal und Westafrika, um dort revolutionäre Bewegungen zu unterstützen. Das erzählt sich heute etwas anekdotisch, doch damals haben sich viele Studenten verschiedener Fachrichtungen ähnlich betätigt. Ich kam dann sehr politisiert aus Berlin nach Lübeck und wurde so etwas wie Klassensprecher In dieser sehr beschaulichen und übersichtlichen Hochschule. Es gab damals verschiedene politische Gruppierungen: Zwei linke, von denen sich eine an der ehemaligen DKP orientierte und dann die „Linke Liste“, in der ich kandidiert habe, die zwischen Sponti-tum und den damaligen K-Gruppen einzusortieren war. Dann gab es natürlich auch „rechte“ Gruppen, die aber auch relativ liberal waren. Wir waren ein super Team. Wir haben viel Spaß miteinander gehabt, uns an vielen Wochenenden getroffen – teilweise in den Häusern von Kommilitonen – und uns mit Studentenpolitik beschäftigt.

StudentenPACK: Was waren zu der Zeit hochschulpolitisch die wichtigsten Themen?

Delius: Damals gab es Berufsverbote für verschiedene Studenten, die ihr Studium abgeschlossen hatten, da haben wir uns engagiert. Außerdem ging es um die Mitbestimmungsmöglichkeiten in Gremien, weil die Studenten damals eher wenig Rechte hatten. Dann gab es eine wichtige Ringvorlesung zum Thema Medizin im Nationalsozialismus, die mich auch sehr geprägt hat – daraus ist dann auch meine Doktorarbeit hervorgegangen. Ansonsten ging es auch um einige Hochschullehrer, denn – das können Sie sich heute gar nicht mehr vorstellen – die erste Generation der Hochschullehrer in Lübeck war nicht die erste Garde. Da gab es einige, die wenig qualifiziert oder auch als Persönlichkeiten schräg waren, mit schwersten Suchtproblemen bis hin zu – als Psychiater würde ich heute sagen: schweren Persönlichkeitsstörungen. Aber so ist das, wenn eine Hochschule entsteht. Da gibt’s eben auch so eine Phase.

StudentenPACK: Es gab in den Achtzigern ja durchaus einiges an Demonstrationen, Klausurboykotten und ähnlichem. War so etwas auch bei Ihnen ein Thema?

Delius: Ja. Es gab mehrere Demonstrationen, bei denen es um die Berufsverbote ging, oder um bundesrepublikanische Studentenpolitik. Wir sind da auf die Straße gegangen und 100-200 Studenten sind mitgegangen. Bei 500 Studenten ist das schon ein wirklich großer Anteil.

StudentenPACK: Wie war das mit den Berufsverboten? Es gab schließlich auch in Lübeck einen Fall…

Delius: Ja. Das war Reinhard Fröschlin. Ein Kollege, der in Bad Segeberg in einer Klinik arbeitet und dort leitender Oberarzt geworden ist. Damals wurde er wegen seiner Mitgliedschaft in der Studentenorganisation der DKP nicht in den öffentlichen Dienst aufgenommen und konnte für einige Jahre nur in privaten Kliniken arbeiten. Zum Verständnis muss man vielleicht noch dazu sagen: Im Osten der BRD, da waren nur Diktaturen. Die Demokratie, wie wir sie heute so selbstverständlich erleben, war damals noch umgeben von Diktaturen. Da gab’s die DDR, da gab es Polen… Es war alles noch nicht so selbstverständlich, deswegen waren die politischen Auseinandersetzungen auch viel schärfer und existenzieller.

StudentenPACK: Im August 1983 gab es im AStA eine Hausdurchsuchung wegen einer SpriPu-Ausgabe, die im Rahmen der Friedensbewegung forderte, direktere Widerstandsformen zu ergreifen. Haben Sie davon etwas mitbekommen?

Delius: Zu der Zeit war ich schon im PJ und habe das nicht mehr richtig mitbekommen. Ich überlege mal, ob ich noch jemanden kenne, der dabei gewesen sein könnte.

StudentenPACK: Politisch war während Ihrer Studienzeit also sehr viel los. Wie waren der AStA beziehungsweise die Studenten untereinander organisiert?

Delius: Das ist eine nicht ganz einfache Frage. Es gab damals schließlich keine sozialen Netzwerke und Informationen wurden händisch weiterverbreitet – mit handgeschriebenen Zetteln, die kopiert und irgendwo verteilt wurden. Aber gewisse Knotenpunkte gab es doch, wo die Studenten immer wieder hinmussten, beispielsweise in die Mensa. Dort lief man sich häufig über den Weg und dadurch haben sich dann die Informationen verbreitet, wie zum Beispiel dass eine Demo stattfand. Und es wurde ja auch gefeiert, dabei unterhielt man sich dann auch über so etwas. Die vom AStA bekanntgemachten Veranstaltungen standen damals aber auch nicht in so großer Konkurrenz zu anderen Veranstaltungen, wie das heute der Fall ist.

StudentenPACK: Während Ihres Studiums wurde die Vorklinik in Lübeck eingeführt. Wie haben Sie das miterlebt?

Delius: Daran habe ich eigentlich keine richtige Erinnerung. Es wurde eben größer, aber an mehr kann ich mich da nicht erinnern. Es blieb – gerade im Vergleich zu Berlin – klein und vieles lief über persönliche Beziehungen.

StudentenPACK: Kurze Zeit bevor Sie zum Studieren nach Lübeck kamen, wurden hier die Multiple Choice-Fragen eingeführt. Am Anfang stieß das auf sehr viel Widerstand. War das bei Ihnen auch noch ein Streitthema oder schon Standard?

Delius: Ich war da schon domestiziert – in Berlin war das normal. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass das Thema gewesen wäre.

StudentenPACK: Auch die Heilanstalt Strecknitz war während Ihrer Studienzeit ein wichtiges Thema, Sie erwähnten bereits am Anfang eine Ringvorlesung. Wie kam es, dass gerade dann viel über die Vergangenheit des Campus in der NS-Zeit gesprochen wurde?

Delius: Anlass dafür waren die Äußerungen eines Professors für medizinische Statistik und Dokumentation, der die Leitsätze der deutschen Wehrmacht als im Grunde genommen immer noch gut geeignet für heutige Medizinstudenten ansah und das auch öffentlich geäußert hat. Außerdem hat 1980 ein sogenannter „Gesundheitstag“ in Berlin stattgefunden, bei dem zum ersten Mal breit, also für Tausende, öffentlich wurde, was in den Jahren zuvor innerhalb der Ärzteschaft verschwiegen wurde: die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus. Ich habe diesen Gesundheitstag mitorganisiert und sicher auch gedanklich etwas davon aus Berlin mitgebracht. Professor Dilling, der Leiter der psychiatrischen Klinik, hat uns damals Akten über die Patienten in Strecknitz zur Verfügung gestellt. Besser gesagt: Er hat uns den Schlüssel zu einem Raum gegeben und gesagt, dort könnte was zu finden sein, oben im Turm. Da haben wir dann gesucht, die Akten gefunden und schließlich publiziert. Vielleicht kennen Sie die Dokumentation dazu aus der Bibliothek, ein orangenes Heft.

StudentenPACK: Wie ging es weiter als die Vorgeschichte an der Hochschule bekannt wurde?

Delius: Da ging’s dann richtig hoch her! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwierig das war, damals über die Geschichte der Universität oder damals der Medizinischen Hochschule zu sprechen, weil das als Nestbeschmutzung galt. Die Akteure – das waren außer mir noch zwei, drei andere – wurden nicht nur zeitweise aus den Gremien ausgeschlossen, sondern richtig bedroht – sogar mit Mord. Das war ein Hochschullehrer, der uns damals bedroht hat, kein kleines Licht. Über die Heilanstalt Strecknitz zu sprechen wurde damals nicht als historische Aufarbeitung empfunden, sondern als Makel auf dieser jungen Hochschule angesehen. Es wurde vielmehr die Gefahr gesehen, dass diese naturwissenschaftliche Hochschule kontaminiert werden könnte mit der Ermordung beziehungsweise Deportation von psychisch Kranken.

StudentenPACK: Letzten Endes wurde auf dem Campus ein Mahnmal aufgestellt. Das durchzusetzen war sicher auch nicht ganz einfach…?

Delius: Nein, das war wirklich nicht einfach. Da haben sich dann aber einige Hochschullehrer auch wirklich drum verdient gemacht. Die Studenten alleine hätten das damals nicht durchsetzen können. Lange Zeit ging es darum, ob es eigentlich „Mahnmal“ heißen darf, weil es einigen – auch dem damaligen Präsidenten der Medizinischen Hochschule – viel zu weit ging, dass da „gemahnt“ wurde. Es sollte eher eine neutrale Information sein.

StudentenPACK: Bis von studentischer Seite dieses Mahnmal in Angriff genommen wurde, wurde die Campus-Geschichte vor der Gründung der Hochschule also komplett totgeschwiegen?

Delius: Bis 1980 war im Vorlesungsverzeichnis kein Wort über die Tatsache zu finden, dass die Medizinische Hochschule in den Gebäuden eines psychiatrischen Krankenhauses gegründet wurde, deren Insassen vorher deportiert wurden.

StudentenPACK: Fächer wie Medizingeschichte gab es damals vermutlich auch schon?

Delius: Ja, die gab es auch schon. Der damalige Leiter der Medizingeschichte in Kiel, Professor Kudlien, hat sich damals sehr für die Aufarbeitung engagiert, auch gegenüber seinen Fachkollegen. Für viele von den Medizinhistorikern war das gar kein Thema, weil sie fanden, dass Geschichte nicht Zeitgeschichte sein darf, sondern zurückliegen muss. So ist es mit der Bewältigung der NS-Verbrechen – es müssen mehrere Generationen darüber hinweggehen; die letzten Täter müssen, na ja, nicht gestorben, aber zumindest so alt sein, dass sie nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen werden können. Dann kann darüber so pragmatisch gesprochen werden, wie Sie das heute tun. Doch damals waren noch zu viele Väter involviert in die Geschichte des Nationalsozialismus, die als drohende Instanz im Hintergrund immer spürbar waren.

StudentenPACK: Gab es unter den Ärzten oder Professoren in Lübeck noch jemanden, der in die Geschehnisse der NS-Zeit noch direkt verwickelt war?

Delius: Da kann ich mich nicht daran erinnern, dass es direkte Verstrickungen gab. Wir haben etliche Interviews mit Menschen geführt, die damals noch lebten: Wir haben mit einer Reihe von Krankenpflegern gesprochen, die in Strecknitz gearbeitet hatten, und mit einer Ärztin. Die war zu dem Zeitpunkt schon weit über 90 und wollte mit all dem eigentlich nichts mehr zu tun haben.

StudentenPACK: Auch nach Ihrem Studium haben Sie Lübeck nicht für immer den Rücken gekehrt, sondern noch einige Zeit in der MHL gearbeitet und sich schließlich hier niedergelassen. Was haben Sie dann noch von der Universität mitbekommen?

Delius: Ich habe dann noch fast zehn Jahre mit der psychiatrischen Klinik zu tun gehabt und mich dort auch wissenschaftlich betätigt. In der Zeit war mir die Uni natürlich nah – danach aber immer weniger, es gab dann doch immer weniger Gemeinsamkeiten zwischen einem niedergelassenen Arzt und den Studenten. Das ist schade, aber so ist das Leben.

StudentenPACK: Von „Lübeck kämpft“ haben Sie sicher trotzdem noch etwas mitbekommen?

Delius: Da habe ich nicht so viel mitbekommen, ich war gerade zu der Zeit vier Wochen im Urlaub. Das hat mich geärgert. Aber das, was hier stattgefunden hat, war eine tolle Aktion.

StudentenPACK: Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen haben!

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Interview mit Dr. Sebastian Stierl https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/interview-mit-dr-sebastian-stierl/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/interview-mit-dr-sebastian-stierl/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:08:41 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212454 StudentenPACK: Von wann bis wann waren Sie an der Uni Lübeck und warum haben Sie sich Lübeck als Studienort ausgesucht?

Sebastian Stierl: Vom Sommersemester 1976 bis zum Staatsexamen im Herbst 1980 als Student, Abschluss der Promotion zum Dr. med. im Mai 1982. Nach dem Physikum bin ich von Marburg nach Lübeck gewechselt. Ich suchte einen persönlicheren Kontakt mit den Lehrenden und mehr Zusammenhalt unter uns Studenten. Die Medizinische Hochschule Lübeck war gefühlt eher eine Dorfschule gegenüber der Lernfabrik in Marburg. Schließlich fand ich die alte Stadt und das nahe Meer reizvoll.

StudentenPACK: Was war Ihr beeindruckendstes Erlebnis während Ihrer Zeit in Lübeck?

Stierl: Für mich war es der bundesweite PJ-Streik, also die Studienverweigerung als Protest gegen das sogenannte „Praktische Jahr“. Dies wurde als verstärkte Praxisorientierung des Medizinstudiums verkauft, erwies sich im richtigen Leben aber häufig als billige Hilfsarbeit auf Station ohne systematische Anleitung und das dafür erforderliche Personal. In der auf Harmonie getrimmten Atmosphäre der MHL war der erstaunlich geschlossene Protest der Studenten eine Ungeheuerlichkeit. Dabei wurde ich vom Ordinarius der Orthopädie und Reserveoffizier Professor Henßge als Rädelsführer ausgemacht. Er veranlasste die Einleitung eines Ordnungsverfahrens, das immerhin die Relegation als stärkste Sanktion vorsah. Die Disziplinierungsaktion nach außen wurde parallel mit einem Stellenangebot nach dem Studium in seiner Orthopädischen Klinik verbunden(!). Letztlich ging es um Spaltung. Erreicht hat er damit das Gegenteil: als AStA-Vorsitzender haben sich die Kommilitoninnen und Kommilitonen demonstrativ hinter mich gestellt. Letztlich musste ich das Ordnungsverfahren aber durch zwei Instanzen gegen die MHL juristisch „niederringen“. Insgesamt eine aufregende Zeit, die mich besonders die Bedeutung von Solidarität gelehrt hat. Dabei war die Hochschulleitung keinesfalls ein geschlossener Block. Das Angebot einer Doktorarbeit durch Professor Horst Dilling war zum Beispiel eine demonstrative Sympathiebekundung.

StudentenPACK: Damals studierte man in Lübeck ja noch direkt an der innerdeutschen Grenze. Wie viel hat man davon während des Studiums mitbekommen?

Stierl: Die DDR spielte im alltäglichen Leben keine besondere Rolle. Beim Segeln auf dem Ratzeburger See waren einige Uferabschnitte tunlichst zu meiden! Der große Informationsmangel über die konkreten Lebensbedingungen hat uns als Medizinstudenten besonders neugierig gemacht. Mit einigen Kommilitonen aus Lübeck und Kiel habe ich an einer mehrtägigen Exkursion des MSB-Spartakus nach Neubrandenburg teilgenommen, bei der wir medizinische Einrichtungen besichtigten. Die größte Angst hatten wir damals bei der Rückkehr vor einem möglichen Berufsverbot in der BRD!

StudentenPACK: In unserer Vorgängerzeitung, dem „Springenden Punkt“, wird die Zeit, in der Sie Vorsitzender des AStA waren, als hochschulpolitisch sehr brisant beschrieben. Immer wieder ist von Studentenstreiks und dem 1. Ordnungsverfahren der MHL gegen Sie die Rede. Was war da eigentlich los?

Stierl: Tatsächlich war die Zeit damals für Lübecker Verhältnisse recht lebhaft. Im Vergleich zu den wochenlangen Besetzungen des AStA-Büros an der Uni Marburg mit Polizeieinsätzen und großen Demonstrationen wirkte die MHL allerdings geradezu idyllisch. Aber immerhin: ein neues Hochschulrahmengesetz wurde verabschiedet, das wir als massiven Angriff auf die Verfasste Studentenschaft mit ihren Organen Vollversammlung und Urabstimmung verstanden haben. Und immer wieder ging es um das „Politische Mandat“, also die Möglichkeit, aus der Studentenschaft heraus auch allgemeinpolitische Stellungnahmen abzugeben (zum Beispiel zur Kernenergie oder zum Einfluss der Industrie auf die Wissenschaft durch die anwachsende Drittmittelforschung). Auf die Änderungen der Approbationsordnung, die sich konkret auf Studieninhalte und -abläufe für uns Medizinstudenten auswirkte, bin ich oben schon eingegangen. Tatsächlich haben wir uns intensiv mit solchen hochschulpolitischen Fragen beschäftigt, endlose Debatten in den verschiedenen Gremien geführt und Wandzeitungen und Flugblätter verfasst. Das Ganze hat aber auch deshalb erstaunliche Kräfte freigesetzt, weil es in der Verbindung von Politik und Studium auch noch eine Kultur des Zusammenhalts gab, die sich zum Beispiel in tollen AStA-Feten ausdrückte.

StudentenPACK: …und was folgte daraus?

Stierl: Rückblickend habe ich schon den Eindruck, dass in der damaligen Ärztegeneration ein kritischeres Bewusstsein von der eigenen gesellschaftlichen Rolle entstanden ist. Bei dem einen oder anderen mag es dazu beigetragen haben, dass er sich später beruflich stärker politisch engagiert hat und die Verbindung von gesellschaftlichen Verhältnissen und Gesundheit etwas tiefgehender durchdrungen hat.

StudentenPACK: Was hat Sie damals bewogen sich so sehr in der Hochschulpolitik zu engagieren?

Stierl: Für mich war es die Fortsetzung einer schon als Schüler politisch engagierten Haltung. Ein prägendes Erlebnis waren die Aktionen gegen BILD und den Springer-Verlag nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke Ostern 1968, an denen ich als 16-jähriger Schüler in Essen teilgenommen habe. Bis heute bin ich davon überzeugt, dass dieses Land die Katastrophe des Nationalsozialismus nicht verstanden hat. Die notwendigen Konsequenzen wurden unter dem Wiedererstarken des Kapitals erstickt, statt Bildung und Gerechtigkeit haben sich das Recht des Stärkeren und ein Raubbau an den Ressourcen ausgebreitet.

StudentenPACK: Welches Verhältnis haben Sie heute zur Universität Lübeck?

Stierl: Hin und wieder besuche ich Veranstaltungen der Psychiatrischen Klinik der MUL. Hier hat sich die Bedeutung des Sozialen spürbar verringert. Wissenschaftliche Fragestellungen, wie zum Beispiel nach der Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen für schwerstkranke Patienten, der Gewaltvermeidung, der Reduzierung von Psychopharmaka oder der Stärkung der Psychotherapie bei der Behandlung von Schwerstkranken spielen aus meiner Sicht keine Rolle. Zu einigen Kommilitonen habe ich heute noch einen guten Kontakt, eine Mitstreiterin aus AStA und StuPa sitzt jeden Morgen in der Frühkonferenz neben mir, wenn wir gemeinsam versuchen, die Psychiatrische Klinik in Lüneburg zu einem besseren Krankenhaus zu machen.

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Ein Interview mit dem langjährigen Präsidenten Prof. Peter Dominiak https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/ein-interview-mit-dem-langjahrigen-prasidenten-prof-peter-dominiak/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/ein-interview-mit-dem-langjahrigen-prasidenten-prof-peter-dominiak/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:07:46 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212452 StudentenPACK:Was hat Sie vor 24 Jahren nach Lübeck geführt?

Peter Dominiak: Ich hatte mich 1988 auf die frei werdende Direktorenstelle (C4) am Institut für Pharmakologie beworben und wurde auch zu einem Probevortrag eingeladen. Im Januar 1990 erhielt ich dann den Ruf nach Lübeck, den ich nach recht kurzen Verhandlungen annahm und am 1. August meine Stelle hier am Institut für Pharmakologie antrat. Ich hatte zweimal die Möglichkeit, an eine andere Universität zu gehen, bin aber Lübeck treu geblieben.

StudentenPACKWelche Ereignisse haben Sie während Ihrer Zeit in Lübeck besonders beeindruckt und was fanden Sie daran so faszinierend?

Dominiak: Besonders beeindruckt hat mich mehr als einmal, dass die Existenz der Universität immer mal wieder infrage gestellt wurde und das nur aus rein pekuniären Gründen. Das herausragendste Ereignis war dabei der Kampf um den Erhalt der Universität im Mai, Juni und Juli des Jahres 2010, wo die Landesregierung unter Carstensen ernsthaft beabsichtigte, die Medizin in Lübeck zu schliessen, was ja gleichbedeutend mit der Schließung der Universität zu Lübeck gewesen wäre, da nur die Medizin und die Informatik autonome Studiengänge sind und waren. Alle übrigen Studiengänge sind sogenannte Hybridstudiengänge, die sich aus der Informatik und der Medizin speisen. Schliessung der Medizin hätte natürlich auch Schliessung der Hybridstudiengänge bedeutet. Faszinierend war, wie sich vor allem die Studentinnen und Studenten mit ihrer Universität solidarisierten und auch die Lübeck Bürgerinnen und Bürger motivierten, sich für ihre Universität einzusetzen. Das Ergebnis: mehr als 14.000 demonstrierten in Kiel für den Erhalt der Universität und den haben wir ja auch erreicht.

StudentenPACKWas denken Sie, wie die Universität in 50 Jahren aussehen wird?

Ich denke, dass die Universität möglicherweise 4000 Studentinnen und Studenten unterrichten wird und dass wir durch die Neubauten der wissenschaftlichen Institute aber auch des Universitätsklinikums mehr denn je eine für Studentinnen und Studenten, aber auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Ärztinnen und Ärzte sehr begehrte kleine Universität mit Spitzenleistungen auf den Gebieten der Medizin und Medizintechnik sein werden. BioMedTec, der Wissenschaftscampus Lübeck kann und wird möglicherweise dazu beitragen, eine Technische Universität Lübeck Wirklichkeit werden zu lassen. Das Potential des Wissenschaftscampus birgt eine Menge interessanter Möglichkeiten.

StudentenPACKWas raten und was wünschen Sie der Universität für die kommenden Jahre

Dominiak: Ich wünsche der Universität, dass sie den Übergang zur Stiftung gut meistert, die Voraussetzungen dazu sind gut und dass sie ein erfolgreiches Fundraising zustande bekommt. Mein Rat, sofern er erwünscht ist wäre, dass die Universität sich die Zeit und Ruhe nimmt, das was sie erreicht hat zu konsolidieren und sich nicht davon beeindrucken lässt, dass fast jedes Jahr eine neue Wissenschaftsministerin bzw. ein neuer Wissenschaftsminister eine neue „Sau“ durchs Dorf treibt.

StudentenPACKNach 9 Jahren an der Spitze der Universität kommt nun der verdiente Ruhestand auf Sie zu. Was fangen Sie mit der ganzen freien Zeit an?

Dominiak: Zunächst geniesse ich es, aus dem „Hamsterrad“ ausgestiegen zu sein und nicht mehr durch die vielen Termine fremdbestimmt zu werden. Ich habe ja noch einen Job in Düsseldorf als Aufsichtsratsvorsitzender des dortigen Universitätsklinikums, der bindet mich an ca. 5-6 Tagen im Monat. Ich werde mir auch ein Ehrenamt suchen und zwar schwebt mir vor, mich in irgendeiner Weise um krebskranke Kinder zu kümmern. Natürlich stehe ich auch meiner Universität zur Verfügung, falls sie mich für das Stiftungskuratorium oder den Stiftungsrat benötigt. Und dann habe ich jetzt endlich genügend Zeit, mich meinen Hobbys zu widmen, ich spiele weiter im Uniorchester Geige, kann mehr zu Hause üben, kann endlich lesen und ich werde auch in Hamburg und Lübeck Musikvorlesungen besuchen.

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Gespräch mit Helge Illig über 20 Jahre Informatik in Lübeck https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-helge-illig-uber-20-jahre-informatik-in-lubeck/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-helge-illig-uber-20-jahre-informatik-in-lubeck/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:06:03 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212450 StudentenPACKSeitdem die Informatik in Lübeck anzutreffen ist, sind auch Sie auf dem Campus unterwegs. Können Sie sich einmal kurz vorstellen?

Helge Illig: Meine Name ist Helge Illig und ich bin seit 1993 hier auf dem Campus. Ich habe hier in Lübeck im ersten Semester Informatik mit Nebenfach Medizin angefangen und habe das Studium 1999 als erster Absolvent der Informatik mit einem Diplom abgeschlossen. Danach habe ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Medizinische Informatik (IMI) angefangen, wo ich schon seit 1993 als studentische Hilfskraft tätig war. Ich habe damals hauptsächlich in der Betriebsgruppe für das Krankenhauskommunikationssystem gearbeitet. Nachdem das UKSH eine eigene IT-Abteilung erhielt, wurden die Aufgabenfelder später getrennt, sodass sich dann das Institut für Medizinische Informatik um das Rechenzentrum der Universität gekümmert hat. Nach dem Ausscheiden des Gründungsdekans und Institutsleiters Prof. Pöppl wurde vor ca. sechs Jahren das ITSC gegründet, welches diese Aufgaben übernommen hat. Mit einigen Kollegen, die ebenfalls vom IMI ins ITSC gewechselt sind, haben wir das ITSC aufgebaut, welches ich seitdem als Betriebsleiter leite.

StudentenPACKWas waren Ihre drei prägendsten Ereignisse in Ihrer Zeit hier an der Uni?

Illig: Prägend war natürlich der Studienstart 1993, als wir mit etwa 20 Kommilitonen das Studium begannen. Als Informatiker waren wir damals „Die Neuen“, außer uns gab es schließlich nur die Medizinstudenten, die uns mit einer deutlich größeren Anzahl gegenüber standen. Die Reaktion war eher „Was sind denn das für komische Leute, die nur am Computer sitzen?“. Auch in der Lübecker Bevölkerung wurde die Informatik eher mit der Fachhochschule und nicht mit der Universität verknüpft. 2010 war sicherlich mit „Lübeck kämpft für seine Uni“ auch ein sehr prägendes Ereignis. Als drittes wäre das die aktuelle Umwandlung der Universität in eine Stiftungsuni, was viel aufwirbelt. Momentan bin ich als Vorsitzender im Personalrat für den wissenschaftlichen Bereich tätig und dadurch auch in den entsprechenden Gremien vertreten und kann deshalb auch sagen, dass sich für die Mitarbeiter und auch für die Studenten nicht viel ändern wird. Viel ändern wird sich hingegen auf der Verwaltungsseite. Ich halte das aber auch für sinnvoll und denke, dass die Universität dadurch gestärkt wird. Somit war der 12.12.2012, an dem der Senat den Beschluss für die Stiftungsuni verabschiedete, auch ein sehr bedeutender Moment.

StudentenPACKWas haben Sie von „Lübeck kämpft“ 2010 noch in Erinnerung?

Illig: Ich erinnere mich noch gut daran, dass wirklich alle an einem Strang gezogen haben: Die Studenten, die Mitarbeiter, die Lübecker Bevölkerung und auch Firmen, die durch Sponsoring oder ihre Kontakte in die Politik daran beteiligt waren. Die Unterstützung war einfach überwältigend. Das Superereignis war die große Demonstration in Kiel, als 14.000 Menschen gegen die Schließung demonstriert haben. Man lief durch die Straßen und war umgeben von Gelb. Dann schlossen sich auch noch die Kieler Studenten mit den lilafarbenen Transparenten an. Die Veranstaltung war super, der Anlass war nicht so schön und ich hoffe, dass das nicht nochmal passieren muss. Wir befinden uns aber mit der Stiftungsuni auf einem ganz guten Weg.

StudentenPACK1993 begann mit der Veranstaltung „Einführung Informatik I“ die erste Vorlesung der Informatik in Lübeck mit Prof. Linnemann. Wie war es für Sie damals Informatik zu studieren?

Illig: Es war irgendwie komisch. Ich musste nach der Schule nicht zur Bundeswehr und habe deshalb gleich mit meinem Studium hier begonnen. In den ersten Vorlesungen war erstmal gar nichts vorbereitet. Es gab Prof. Linnemann, Prof. Pöppl, der das alles hier mit gegründet hat, und Prof. Bernd Fischer, der die Mathematik gehalten hat. Die Vorlesungen selbst waren sehr gut und genau auf uns Informatikstudierende abgestimmt. Wenn wir etwas nicht verstanden hatten, wurde das in der Vorlesung sofort geändert. Das war auch kein Wunder, schließlich waren wir damals die ersten, die das hörten. Es war allerdings eher wie in der Schule und nicht so, wie man sich das von den Erzählungen der Studierenden aus anderen Städten vorgestellt hatte. In Münster hat ein Freund von mir mit 1000 anderen Studenten Jura angefangen, da waren wir mit unseren 20 Leuten natürlich eher übersichtlich. Woanders war es undenkbar mit seinem Professor zu sprechen, hier hingegen war es gut, diesen direkten Kontakt zu den Dozenten zu haben. Ich finde nach wie vor gut, dass sich das trotz der erhöhten Studierendenzahl auch nicht wirklich geändert hat. Man könnte sagen, dass es hier beinahe ein familiäres Verhältnis gibt, auch weil viele Studenten als studentische Hilfskräfte in den Instituten beschäftigt sind. Das ist für den Standort Lübeck echt toll!

StudentenPACKWenn Sie die Wahl hätten heute oder vor 21 Jahren mit einem Informatikstudium hier in Lübeck zu beginnen, wofür würden Sie sich entscheiden?

Illig: Ich würde eher damals noch einmal anfangen, wobei mir einige Sachen vor 21 Jahren auch gefehlt haben. Insbesondere einen Teil, der sich mehr mit der Wirtschaft beschäftigt, hätte ich mir gewünscht. In meiner Zeit im Konvent und im Senatsausschuss MINT hatte ich die Einführung von Wirtschaftsinformatik oder etwas vergleichbarem angeregt, was in diesem Jahr mit Entrepreneurship in Digitalen Technologien hier hinzugekommen ist. Es war zu meiner Studienzeit schwierig, Vorlesungen abseits der Informatik zu hören, mit Ausnahme von Medizinveranstaltungen. Durch das Nebenfach Medizinische Informatik gab es zwar einige Veranstaltungen, die sich mit etwas anderem als Informatik befassten, aber heute wäre das noch ein wenig spannender. Insgesamt war das damals aber auch schon ganz gut.

StudentenPACKIn Ihrer Zeit als Student hier an der Uni haben Sie sich viel in den unterschiedlichen studentischen Gremien engagiert. Was waren damals die großen Themen?

Illig: Als ich anfing war das Meiste Aufbauarbeit. Es gab noch keine Fachschaft, deshalb habe ich die mit ein paar Kommilitonen gegründet und war da auch der erste Sprecher. Ein wenig später wurde die Fachschaft dann noch einmal neu gegründet, warum ist mir jedoch nicht ganz klar gewesen. Zudem war ich im Konvent und in den Berufungskommissionen für die folgenden Professuren der Informatik beteiligt. Es war spannend, als studentisches Mitglied die Uni so mitgestalten zu können. Man ist eben kein kleiner Student, der nichts zu sagen hat. Das, was man sagte, hatte wirklich Gewicht. Diese Möglichkeit der Mitgestaltung fand ich sehr gut. Es war nicht zuletzt auch recht lustig, mal nicht von den Professoren bewertet zu werden, sondern stattdessen ihre Bewerbungen an der Universität entgegen zu nehmen. Zur Abwechslung wollten die dann einmal was von uns!

StudentenPACKEines Tages verkündete der MUFtI, die Zeitschrift der Fachschaft Informatik den Einzug der Modems in die Uni. Was änderte sich damals hier?

Illig: Genau, damals gab es noch Modems! Zwei Stück um genau zu sein, über die wir als Studenten erstmals von zu Hause aus auf das Netz hier in der Uni zugreifen konnten. Davor gab es in der alten Seefahrtsschule einen Rechnerraum mit zehn Arbeitsplätzen, in dem wir arbeiten konnten. Das reichte also noch nicht einmal für alle Studenten. Heute sieht das alles ein wenig größer aus. Mittlerweile kann man sich von überall über das SSL-Gate anmelden oder die großen PC-Pools mit insgesamt 150 Rechnerarbeitsplätzen nutzen. Auch der Funktionsumfang der Rechner ist angewachsen. Auf das Internet mit Suchmaschinen wie Google oder eine Lernplattform wie die Moodle konnte damals nicht zurückgegriffen werden. Wir haben an den Rechnern einfach C oder Cobol programmiert. Es war eher so, wie man es aus der Schule kannte, wenn man einfache Programmiersprachen gelernt hat. Wir haben uns immer sehr gefreut, wenn wir ein einfaches Programm geschrieben hatten. Heute haben die Studenten Software wie MatLab und andere Tools zur Verfügung, die einen vollkommen anderen Umgang mit den Rechnern ermöglichen.

StudentenPACKEiner der Meilensteine der Informatik war der Neubau des Informatik-Gebäudes „Gebäude 64“. Seit dem ersten Einzug in das Gebäude haben Sie hier gearbeitet. Was können Sie über die Bauzeit berichten?

Illig: Herr Pöppl war der Gründungsdekan der Informatik hier an der Uni und er war auch derjenige, der das Gebäude 64 mit zu verantworten und geplant hat. Ich war als Hiwi und anschließend als Mitarbeiter in der Medizininformatik tätig und habe den ganzen Umzug vom Zentralklinikum hierher miterlebt. Zuerst waren alle Institute der Informatik weit verstreut. In der Seefahrtsschule saßen Herr Linnemann (Informationssysteme) und Herr Reischuk (Theoretische Informatik) und im Technikzentrum waren die Softwaretechnik von Herrn Dosch und Herr Herczeg mit dem IMIS untergebracht. Die große Frage war nun, wie alle zusammen auf dem Campus untergebracht werden könnten. Als wir dann mit der Planung der Infrastruktur beginnen wollten, stellte sich heraus, dass man in der Bauplanung ein Bürogebäude entworfen hatte. Dass auch ein Datennetz benötigt wurde, wurde hierbei komplett vergessen. Da mussten wir erstmal überlegen, wie sich das wieder gerade biegen ließ. Und das Ergebnis dieser Korrekturen kann man heute noch überall im Gebäude sehen, weil viele Büroräume mit Netzwerkschränken zugebaut sind. Durch den Lärm der Switche kann man da drinnen auch nicht mehr arbeiten. Es ist sehr verwunderlich, wie so etwas bei der Planung einfach vergessen werden konnte. Wenn man im Gebäude einmal die Flure entlang geht, sieht man überall schwarze Glasplatten, hinter denen die Versorgungsschächte liegen. Hätte man die einen halben Meter breiter gebaut, hätte man da die Serverschränke unterbringen können. Da haben wir viel „Spaß“ mit gehabt. Die Einrichtung des Datennetzes haben dann wieder wir vom Institut für Medizininformatik gemacht.

StudentenPACKEin berühmtes Zitat bei den Baumaßnahmen am nicht nur am Gebäude 64 waren die Worte „Baulärm ist der schönste Lärm“ von Herrn Dominiak. Können Sie sich dem als jemand, der hier bei den Baumaßnahmen zugegen war, anschließen?

Illig: Ich habe den Spruch gehasst und da war ich auch nicht der einzige. Man kann das gut sagen, wenn man weit weg sitzt. Herr Dominiak war zuerst als Lehrstuhlinhaber in der Pharmakologie und später als Präsident im Herrenhaus oder im Haus 1 und 2 schließlich immer weit weg von der Baustelle. Ich glaube er hätte den Spruch nicht gesagt, wenn er hier im Gebäude gesessen hätte. Als das Gebäude gebaut wurde, hat da noch keiner drin gearbeitet. Dadurch, dass das Gebäude auf großen Säulen ruht, die in die Erde gerammt wurden, waren allenfalls die Erschütterungen ein wenig nervig, insgesamt aber okay. Schlimm war die Aufstockung des Gebäudes, nachdem es bereits in Betrieb genommen war. Das war wirklich nicht in Ordnung. Man konnte nicht telefonieren, man konnte keine Besprechungen machen, man konnte bei dem Lärm auch keine Klausuren schreiben, weil es fast unmöglich war sein eigenes Wort zu verstehen, geschweige denn sich zu konzentrieren. Auch wurde während der Aufstockung für das Einsetzen einer neuen Treppe das Dach am Freitagnachmittag teilweise abgenommen, bevor es am Wochenende zu einem starken Unwetter kam. Kein Wunder, wenn dann der ganze Keller schwimmt! Also Baulärm finde ich nicht so gut. Und ich glaube jeder, der hier im Gebäude gesessen hat, sieht das ähnlich. Dennoch ist es natürlich schön, wenn man neue Gebäude bekommt. Seit 1993 hat sich das Gesicht des Campus völlig verändert, mehr natürlich der Universitätsteil mit dem Gebäude 64 und dem schicken neuen CBBM nebenan. Auch die geplante Verlängerung des CBBM durch das BMF und das neue Fraunhofer-Gebäude sind schöne Vorhaben, insbesondere, dass die Gebäude neu sind, ist von Vorteil. Wenn man sich im Vergleich dazu die Kieler Universität ansieht, besteht der Campus da überwiegend aus alten Gebäuden. Gebäude wie die Seefahrtsschule hier hatten zwar einen eigenen Charme, aber wirklich toll war das eigentlich nicht.

StudentenPACKWenn Sie ein Bild vom Campus in 20 Jahren malen würden, was wäre darauf zu sehen?

Illig: Ich glaube, dass die Uni Lübeck dann noch deutlich größer sein wird, sowohl in der Fläche als auch in der Anzahl der Studienfächer. Die Schritte für diese Erweiterungen insbesondere im Life Science Sektor werden durch die bereits vorgenommene Gründung des BioMedTech-Campus und die Kooperation mit der Fachhochschule weiter voran getrieben. Die Uni wird damit noch weiter aufblühen. Nicht zuletzt unterstützt auch die Stiftungsuni diesen Weg, indem von außen Stifter hinzukommen und Förderungsmaßnahmen durchgeführt werden können. Ich denke, dass wir in Zukunft gestärkter und besser dastehen werden als heute.

StudentenPACKIn diesem Jahr wurde Frau Annette Schavan die Ehrendoktorwürde der Universität verliehen. Wie stehen Sie zu dieser Verleihung?

Illig: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Ich war damals in der Senatssitzung dabei, in der über die Verleihung entschieden wurde. Es gab Abwägungen, ob ihr der Titel verliehen werden sollte oder eher nicht. Ich persönlich finde es schwierig Personen Ehrendoktortitel zu verleihen, die noch in Amt und Würden stehen. Als Frau Schavan dann wie Herr Guttenberg und andere von der Plagiatsaffäre eingeholt wurde, stand im Raum, wie mit der ganzen Situation umgegangen werden sollte. Ich finde es ehrlich gesagt ein wenig schwierig, die Promotionsarbeiten, die vor 20 oder 30 Jahren geschrieben wurden, mit den heutigen Mitteln darauf zu überprüfen, wo vielleicht etwas abgeschrieben wurde. Es ist sogar ein wenig unfair. Was in den Arbeiten fehlt, sind zudem nur die Verweise auf die ursprünglichen Texte. Dass man sich bei seiner Arbeit mit Sekundärliteratur darüber informiert, wo oder wie andere auf dem Gebiet bereits gearbeitet haben, ist normal. Man muss es eben nur zitieren, Wenn Sie jetzt geschrieben hätte, aus welchem Werk die Texte kamen, hätte niemand etwas gesagt. Mit den damaligen Mitteln ist es natürlich nicht so einfach wie mit den Mitteln von heute, mit denen man auf elektronischem Wege schnell etwas findet. Im Senat haben wir uns am Ende einstimmig für die Verleihung entschieden. Durch die Plagiatsaffäre wurde das dann verschoben und erneut diskutiert, aber daraufhin in einem weiteren Beschluss auch erneut bestätigt. Dann sollte man sich daran auch halten. Oft lässt man sich auch von außen durch die Presse lenken. Was die heute erzählt, muss man schließlich auch nicht alles glauben. Das ist manchmal sehr stark in eine Richtung gedrängt, und ich finde es schwierig, wenn man sich dadurch selbst in eine Richtung drängen lässt.

StudentenPACKVielen Dank für dieses Interview!

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https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-helge-illig-uber-20-jahre-informatik-in-lubeck/feed/ 0
Gespräch mit Prof. Volker Linnemann über 50 Jahre Uni Lübeck https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-prof-volker-linnemann-uber-50-jahre-uni-lubeck/ https://www.studentenpack.de/index.php/2014/11/gesprach-mit-prof-volker-linnemann-uber-50-jahre-uni-lubeck/#respond Mon, 03 Nov 2014 08:05:39 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=212448 StudentenPACKWahrscheinlich haben nicht alle Studenten Sie in einer Vorlesung gehabt. Könnten Sie sich einmal kurz vorstellen?

Volker Linnemann: Von 1972 bis 1977 habe ich in Braunschweig studiert und das Studium als Diplom-Informatiker im Januar 1977 abgeschlossen. Anschließend war ich wiss. Mitarbeiter an der TU Braunschweig, wo im Juli 1979 die Promotion zum Dr. rer. nat. erfolgte. Als Post-Doc bin ich dann für ein Jahr an die University of Toronto gegangen und habe anschließend zwischen 1981 und 1982 bei der Nixdorf-Computer AG in Paderborn, heute ein Teil der Siemens AG, in der Abteilung Software-Technologie gearbeitet, bevor ich dann Hochschulassistent an der Universität Frankfurt wurde. 1986 wechselte ich zum wissenschaftlichen Zentrum der IBM nach Heidelberg bis ich 1991 einen Ruf auf eine Professur an der Universität Würzburg annahm. Seit dem Wintersemester 1993/94 war ich an der Universität zu Lübeck, die damals noch Medizinische Universität hieß, als Professor tätig und habe das Institut für Informationssysteme geleitet. Zum 1.4.2014 habe ich meine aktive Zeit als Hochschullehrer beendet.

Der damalige Direktor des Instituts für Medizinische Informatik Prof. Dr.-Ing. Dr. med. habil. S. J. Pöppl hatte den Diplomstudiengang Informatik mit dem damals einzigen Nebenfach Medizinische Informatik als Aufbaubeauftragter geplant und ins Leben gerufen. Im Sommer 1993 ergingen mehrere Rufe auf Professuren für diesen Studiengang. Ich war damals der einzige Rufinhaber, der bereits im Wintersemester 1993/94 seine Tätigkeit an der Universität in Lübeck begonnen hat, zeitgleich mit den ersten Informatik-Studierenden.

In der Forschung hat sich das von mir geleitete Institut für Informationssysteme mit Fragestellungen der Datenmodellierung und Datenspeicherung insbesondere im World Wide Web beschäftigt. Ein wichtiger Schwerpunkt war die Entwicklung von typsicheren Programmierkonzepten für die Programmierung von XML-Anwendungen. Da der Diplomstudiengang 1993/94 aufgenommen wurde, war das Institut in der Lehre zunächst nur in die Anfängerausbildung involviert. Im ersten Jahrgang habe ich den gesamten Zyklus Informatik I-IV gelesen. Später hat sich das Institut in der Grundlehre auf die Vorlesung Informatik II konzentriert, die heute im Bachelorstudiengang den Namen Algorithmen und Datenstrukturen trägt. In den höheren Semestern habe ich Vorlesungen und Vertiefungen im Bereich Datenbanken und Informationssysteme gehalten.

StudentenPACKWas hat Sie bewegt, die Berufung in Lübeck wahrzunehmen?

Linnemann: Informatik war damals ganz neu hier in Lübeck. Als Student in Braunschweig hatte ich die Situation 1972 schon einmal erlebt, da dort der Informatik-Studiengang auch ganz neu aufgebaut wurde. Jetzt hatte ich die Möglichkeit, den Start eines Informatikstudienganges aus Professorensicht zu erleben. Deshalb war es mir wichtig, von Anfang an dabei zu sein.

StudentenPACKEs begann 1993 mit Ihrer Vorlesung „Einführung Informatik 1“ als erste Informatikveranstaltung neben den Mathematikfächern. Was unterscheidet eine Vorlesung, die Sie damals gehalten haben, von einer Vorlesung, die Sie noch Anfang des Jahres gehalten haben?

Linnemann: Damals gab es beispielsweise noch keine Beamer. Vorlesungen wurden in der Regel an die Tafel oder auf Folie geschrieben. Folglich war es natürlich auch nicht möglich, Computerprogramme in der Vorlesung vorzuführen. Es gab auch kein WWW. Wenn es Vorlesungsunterlagen für die Studierenden gab, wurden sie entweder in der Vorlesung direkt verteilt oder es wurde eine Kopie an einem zentralen Ort, z.B. in der Universitätsbibliothek, deponiert, sodass sich jeder selbst eine Kopie anfertigen konnte. Mein Eindruck ist auch, dass die Studierenden damals in den Vorlesungen aufmerksamer waren. Das liegt vielleicht an den heute wesentlich größeren Möglichkeiten, sich anderweitig über die Vorlesungsinhalte zu informieren. Bei großen Grundvorlesungen muss man sich heute als Dozent wesentlich mehr um die Aufmerksamkeit kümmern, wenn man nicht im Gemurmel vieler Studierender untergehen will. Studentische Evaluationen gab es damals noch nicht. Es ist natürlich positiv, wenn man als Dozent Feedback von den Studierenden bekommt und dadurch die Vorlesung verbessern kann. Es gibt aber leider Studierende, die sich hinter der Anonymität der Evaluation verstecken und allgemeine sehr negative Kommentare abgeben, die keinerlei konkrete Hinweise enthalten. Solche Kommentare können für einen Dozenten sehr deprimierend sein, besonders dann, wenn man sehr viel Arbeit in eine Vorlesung investiert hat.

StudentenPACKWenn Sie noch einmal studieren würden, würden Sie damals oder heute studieren?

Linnemann: Ich würde heute nicht anfangen wollen. Ich weiß auch nicht, ob ich das heute mit meinen Ansprüchen von damals schaffen würde. Das Studium ist vollgepackt mit vielen Veranstaltungen, weil die Informatik gewachsen ist und jeder Dozent seinen Bereich für sehr wichtig hält. Wenn ein Studierender heute aus finanziellen Gründen parallel zum Studium viel arbeiten muss und trotzdem seinen Bachelor in sechs Semestern schaffen will, hat er entweder eine 60 Stunden Woche oder er mogelt sich durch das Studium und macht nur das Nötigste. Dann wird er zum Bulimie-Studierenden: Lernen – Klausur schreiben – Vergessen – Lernen – Klausur schreiben – Vergessen … . Ein wirkliches Durchdringen des Stoffes ist beim vollgepackten und verschulten Bachelorstudiengang in 6 Semestern so gut wie unmöglich. Viele Studierende gehen nicht mehr in Vorlesungen. Sie nehmen aus Vorlesungsskripten und Folien nur noch das zur Kenntnis, was für die Übungen und Klausuren relevant ist.

StudentenPACKDen ersten großen Höhepunkt fand die Informatik nach 1993 im Jahre 2004 mit dem Bau des Informatik-Neubaus (Gebäude 64). Was können Sie uns dazu sagen?

Linnemann: Das war eine ziemlich lange Geschichte. Als ich 1993 angefangen habe, hieß es vom Kanzler noch: „Das dauert 1 Jahr, dann wird gebaut.“ Es hat dann mehr als 6 Jahre gedauert, bis im Februar 2000 der erste Spatenstich für das Gebäude vollzogen werden konnte. Ich hatte zu meiner Berufung schon Unterlagen bekommen, die die geplanten Flächen dieses Gebäudes beschrieben. Endlich einziehen konnten wir dann aber erst im März 2004, mehr als 10 Jahre nach Beginn des Informatik-Studiengangs. Das war auch sehr wichtig, denn die Informatik und die Mathematik waren vor dem Bezug des Neubaus auf viele Standorte verteilt. Der Standort Seelandstraße, wo einige Institute untergebracht waren, befand sich hinter der damals noch vorhandenen Herrenbrücke. Wenn die Brücke hochgeklappt war, verlängerte sich der Weg um mindestens 15 Minuten. Seit etwa 9 Jahren befindet sich an der gleichen Stelle der mautpflichtige Herrentunnel. Damals war schon geplant, das Gebäude irgendwann aufzustocken, wenn es zu klein würde. Manchmal kommt es in der Bauphase eines öffentlichen Gebäudes vor, dass das Ministerium sieht, dass es günstiger ist, gleich das ganze Gebäude zu bauen, anstatt Teile bei Bedarf später hinzuzufügen. Hier war das leider nicht der Fall. So wurden am Anfang nur Erdgeschoss, erstes und zweites Geschoss gebaut. Zwischen 2009 und 2011 wurde dann das dritte Stockwerk aufgesetzt. Hierdurch entstanden natürlich hohe Mehrkosten im Vergleich zu einem Komplettbau aus einem Guss. Die Zeit dieser Erweiterung war für die Mitarbeiter im Gebäude 64 alles andere als schön. Nach dem Abnehmen des Daches kam es während der Bauarbeiten zu einem Wasserschaden, sodass das Wasser in einigen Institutsräumen und Fluren stand. Um Schimmelpilzbildung zu verhindern, liefen dann wochenlang lärmende Pumpen in einigen Fluren und Räumen. Schlimmer noch war aber der teilweise unerträgliche Lärm der Bauarbeiten. Die Universität kann von Glück sagen, dass kein Mitarbeiter die unerträglichen Zustände in dieser Zeit öffentlich gemacht hat. Sonst wäre die Universität gezwungen gewesen, Interimsräume für viel Geld anzumieten.

StudentenPACKDas nächste große Ereignis traf die Universität dann ja 2010, als die schwarz-gelbe Landesregierung versuchte den Medizin-Studiengang an der Universität zu schließen. Was haben Sie von „Lübeck kämpft“ miterlebt?

Linnemann: Es war nach 2005 bereits die zweite Aktion der Landesregierung um Geld zu sparen. Das war damals ein ziemlicher Schlag ins Kontor. Entweder war die Landesregierung von der Fehleinschätzung ausgegangen, die anderen Studiengänge könnten die Universität am Leben erhalten, oder sie hat den Medizin-Studiengang mit dem Gedanken zu schließen versucht, dass im Anschluss ohnehin die gesamte Universität schließen würde. Aber es zeigte sich: Landesregierungen reagieren sehr empfindlich auf große Demonstrationen. Beim ersten Mal im Jahr 2005 war eigentlich schon beschlossen, die Informatik in Lübeck und Kiel zusammenzulegen. Durch eine große Demonstration auf dem Koberg war der damalige Minister so von dem Widerstand beeindruckt, der gegen diesen Plan aufgebracht wurde, dass das Thema wenige Tage später schon wieder vom Tisch war. 2010 war das ähnlich. Nach der riesigen Demonstration in Kiel dämmerte der Landesregierung, dass die Schließungspläne vielleicht schädlich sein könnten. Vielleicht war aber auch von Beginn an geplant, die Bundesregierung mit den Schließungsplänen unter Druck zu setzen, um die erforderlichen jährlichen 25 Millionen Euro aus Berlin zu bekommen. Das haben vielleicht nicht alle in der Landesregierung im Kopf gehabt, aber bei einigen könnte das durchaus so gewesen sein. Der damalige Ministerpräsident Peter Harry Carstensen war übrigens nach meiner Wahrnehmung der einzige, der später öffentlich zugegeben hat, dass die Schließungspläne ein Fehler waren. Vom damaligen Minister Jost de Jager habe ich auf entsprechende Fragen von Journalisten nur ausweichende Antworten gehört.

StudentenPACKWaren Sie in Kiel dabei?

Linnemann: Ja, ich war dabei. Mich hat damals beeindruckt, dass man wirklich Ohrenschützer brauchte, um keinen Ohrenschaden zu riskieren. Es war unheimlich laut. Ich erinnere mich noch daran, wie wir vor dem Landeshaus standen und wie empfindlich einige Politiker der damaligen CDU-FDP-Koalition auf Fragen der Demonstranten reagiert haben. Einige hatten wohl ein schlechtes Gewissen. Das war sehr interessant.

StudentenPACKIn diesem Jahr kam es zu der sehr umstrittenen Verleihung der Ehrendoktorwürde an die ehemalige Ministerin Annette Schavan für ihr Handeln während „Lübeck kämpft“. Wie stehen Sie zu dieser Verleihung?

Linnemann: Um der Sache wirklich gerecht zu werden, muss man die Zeit vor Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe zu ihrer Dissertation trennen von der Zeit nach Bekanntwerden der Vorwürfe.

Vor Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe:

Mehr als ein Jahr bevor die Plagiatsvorwürfe bekannt wurden, hat die Universität zu Lübeck mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen, Frau Schavan die Ehrendoktorwürde für ihren Einsatz für die Universität zu Lübeck zu verleihen. Ich war damals zunächst nicht begeistert über diesen Beschluss, weil es etwas fragwürdig ist, jemandem eine Ehrendoktorwürde zu verleihen, der lediglich Steuergelder für die Universität locker gemacht hat. Man kann die Verleihung der Ehrendoktorwürde aber vertreten, weil es nicht einfach nur Geld war, sondern es war der Weg, dieses Geld gesetzeskonform zur Verfügung zu stellen. Frau Schavan hätte auch sagen können: Das geht mich nichts an, das ist Ländersache. Sie hat sich für die Universität eingesetzt und einen Weg der Rettung gefunden, obwohl sie eigentlich nicht zuständig war. So gesehen war ihr Einsatz außerhalb ihres eigentlichen Bundesministerauftrags, daher ist aus meiner Sicht die Ehrendoktorwürde in Ordnung. Die Ehrendoktorurkunde wurde ausgefertigt und vom Präsidenten der Universität zu Lübeck unterschrieben. Es fehlte nur noch der Vollzug durch das Überreichen der Urkunde.

Nach Bekanntwerden der Plagiatsvorwürfe:

Bevor die Urkunde übergeben werden konnte, wurden die Plagiatsvorwürfe in Bezug auf die Dissertation von Frau Schavan bekannt und in einem gesetzeskonformen Verfahren wurde Frau Schavan der Doktortitel entzogen. Das hat das Gericht bestätigt. Frau Schavan hat keine weiteren Rechtsmittel eingelegt und den Entzug des Doktorgrades akzeptiert. Sie darf also den Titel Dr. phil. aufgrund von Plagiaten nicht mehr führen. Ich bin der Meinung, dass eine Ehrendoktorwürde eine integre Persönlichkeit voraussetzt, die sich in ihrem Leben nichts Wesentliches hat zu Schulden kommen lassen. Die rechtskräftig bestätigten Plagiate sind eine schwere Verfehlung, die aus meiner Sicht eine Ehrendoktorwürde ausschließen, unabhängig von den Verdiensten von Frau Schavan. Die Urkunde hätte aus meiner Sicht nicht übergeben werden dürfen. Wenn Frau Schavan auf einer Übergabe bestanden hätte, hätte die Universität den formalen Weg des Entzugs der Ehrendoktorwürde gehen müssen, den die Promotionsordnung für den Fall vorsieht, dass sich die geehrte Person der Auszeichnung nicht würdig erwiesen hat. Die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Frau Schavan nach den rechtskräftig bestätigten Plagiaten hat aus meiner Sicht den Ehrendoktortitel der Universität beschädigt. Die Universität muss froh sein, dass keiner der Ehrendoktoren der Universität seinen Titel zurückgegeben hat.

StudentenPACKDas letzte angefangene Großprojekt der Universität zu Lübeck bis jetzt ist die Stiftungsuni, die durch das Stiftungsgesetzt allmählich feste Formen annimmt. Was halten Sie von diesem Projekt?

Linnemann: Ich halte das Projekt Stiftungsuni für sinnvoll, aber auch für gefährlich. Ich weiß nicht, ob eine so kleine Universität dieses Risiko wirklich eingehen sollte. Ich kann nur hoffen, dass es gut geht. Es wird wahrscheinlich immer Stimmen im Ministerium geben, die sagen werden: „Ihr seid doch jetzt Stiftungsuni, Ihr braucht kein Geld mehr.“ Durch das Stiftungsgesetz ist das Land zwar weiterhin zu entsprechenden Zuschüssen an die Universität verpflichtet, ein Gesetz zu ändern ist aber jederzeit ohne Beteiligung der Universität möglich. Wenn das Land also wieder versucht, die Uni zu schließen, wird das über den Geldweg seitens des Landes laufen. Die große Gefahr ist also, dass das Land per Gesetz die Zuschüsse für die Stiftungsuni streicht und damit die Universität austrocknet. Man kann nur hoffen, dass sich in einem solchen Fall viele Stifter an entsprechenden Demonstrationen beteiligen. Aber vielleicht sollte man das Thema Stiftungsuniversität optimistischer sehen. Wenn es gut läuft, bietet die Stiftungsuniversität hervorragende Chancen für die weitere Entwicklung der Universität zu Lübeck.

StudentenPACKWelche Ereignisse haben Sie in Ihrer Zeit hier an der Uni besonders geprägt?

Linnemann: Meine erste Vorlesung in Lübeck war sehr prägend. Damals gab es nur wenige Studierende, mit denen man auch in der Vorlesung diskutieren konnte. Die Zeit in der das hier anfing war insgesamt eine sehr schöne Zeit. Heute ist durch die Einführung des Bachelor-Master-Systems alles leider sehr bürokratisch geworden. Sie müssen sich nur mal anschauen, was es heute für Ämter in der Lehre gibt, die es früher nicht gab: Vizepräsident Lehre, Studiengangsleiter Sektion MINT, Studiengangsleiter Informatik, Studiengangskoordinatorin Informatik. Damals konnte ich das alles noch alleine machen, weil es so viel Bürokratie noch nicht gab und diese auch nicht notwendig war. Mittlerweile ist es schon für einen Studierenden schwierig, zu durchblicken, was alles zu machen ist, wie man sich wo anmelden muss und was man im Krankheitsfall auf jeden Fall und in welcher Frist tun muss, um keine gravierenden Nachteile zu haben. Seit einigen Jahren wird nach einer Software gesucht, die das alles auch für das Prüfungsamt leichter macht, aber gefunden wurde da meines Wissens noch nichts Gutes. Sehr prägend waren auch die monatlichen Professorentreffen. Zu Anfang waren wir zu viert (Prof. Pöppl, Prof. Reischuk, Prof. Lasser und ich). Diese Treffen fanden zunächst immer in einem China-Restaurant in der Nähe des damaligen Informatik- und Mathematikstandortes ehemalige Seefahrtschule statt. Da es manchmal etwas hoch herging, wurden die Treffen dann in die Universität verlegt.

StudentenPACKIn den letzten drei Jahren hat sich erst die Medizinische Informatik, in diesem Jahr auch die Medieninformatik und der Master-Studiengange Entrepreneurship in Digitalen Technologien selbstständig gemacht. Was wird da noch kommen?

Linnemann: Dieser Prozess wird so weitergehen. Die Informatik wird immer größer. Zwischen der Informatik 1972, als ich mit dem Studium angefangen habe, und der Informatik heute liegen Welten. Damals bestand die Informatik im Wesentlichen aus Berechenbarkeit und Entscheidbarkeit, Automatentheorie und formale Sprachen, Programmiersprachen, Compilerbau, Betriebssysteme und natürlich Technischer Informatik. Die Programmiersprachenlandschaft beschränkte sich auf Algol, Fortran, COBOL, PL/I, SIMULA und LISP. Mehr gab es damals nicht. Die Gebiete Datenbanksysteme und Komplexitätstheorie waren damals noch sehr jung und in Braunschweig zunächst noch nicht als Lehrfach vorhanden. Das kam etwas später. Heute umfasst die Informatik wesentlich mehr, sodass man das nicht mehr alles in einen Studiengang packen kann. Deshalb wird diese Spezialisierung so weitergehen. Es kann sogar gut sein, dass es irgendwann keinen Kerninformatik-Studiengang, sondern nur noch spezialisierte Informatikstudiengänge, gibt. Das ist eine Konsequenz der immer größer werdenden Stofffülle.

StudentenPACKVielen Dank für dieses Interview!

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