Carsten Schönebeck – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Sun, 17 Jul 2016 06:38:23 +0000 de-DE hourly 1 Der studentische Mikrokosmos https://www.studentenpack.de/index.php/2009/11/der-studentische-mikrokosmos/ https://www.studentenpack.de/index.php/2009/11/der-studentische-mikrokosmos/#respond Mon, 02 Nov 2009 09:00:46 +0000 http://www.studentenpack.uni-luebeck.de/?p=111035
Hauptgebäude der Uni GreifswaldWikipedia-Nutzer Axt

Hauptgebäude der Uni Greifswald

Dieses Semester kam es in Greifswald zu ungewöhnlichen Entwicklungen. Ohne Vorwarnung teilten mehrere Referatsleiter dem StuPa nach mehreren Konflikten ihren Rücktritt mit. Wie es zu diesen Entwicklungen kam und wie sich der AStA neu aufstellte wollen wir in unserer neuen Rubrik “Universitäres aus Deutschland und der Welt” betrachten, über die Gremienarbeit in Greifswald berichtet Carsten Schönebeck vom Greifwalder Uni-Magazin webMoritz.de.

Vielen gilt die Zeit des Studiums als die schönste Zeit des Lebens. Dabei geht es um Unabhängigkeit, Freiheit und dem dementsprechend um Selbstbestimmung. Gerade letztere wird unterstrichen durch den Mikrokosmos, der sich „studentische Selbstverwaltung“ nennt.

Zu Beginn jeden Jahres wählen die Greifswalder Studenten ihr Studierendenparlament (StuPa), bestehend aus 27 Mitgliedern, geleitet von einem Präsidium und nach langen Jahren der parteilichen Unabhängigkeit mittlerweile von den hochschulpolitischen Gruppen dominiert. Das Parlament wiederum legt, jedes Jahr aufs Neue, die Struktur des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) fest, bestimmt also wie viele Referenten und welche Resorts es geben wird, anschließend werden selbige mit hoffentlich tatkräftigen Kommilitonen besetzt. Das StuPa als Legislative, der AStA als Exekutive – so ist es gedacht. Und auch wenn einige Kommilitonen aus dem süddeutschen Raum häufig über diese Institutionen lästern und sich glücklich schätzen, dass studentische Selbstverwaltung bei ihnen daheim verboten sei, so muss man in Greifswald froh sein, dass wir sie haben.
Wer jungen Menschen vorhält, sie würden nur noch mit Blick auf Geldbeutel und Karriere an der politischen Willensbildung teilnehmen, der kennt die Greifswalder Studierendenschaft nicht. Dafür sind die Sitzungen zu anstrengend, die Aufwandsentschädigungen für AStA-Referenten zu niedrig und die Arbeitsbelastung zu hoch. Daran mag auch liegen, dass StuPa und AStA immer wieder Nachwuchsprobleme haben. Einen vollständig besetzten Ausschuss gab es lange nicht mehr, einzelne Referate bleiben unbesetzt. Im Parlament sind auf Grund von Rücktritten mittlerweile alle Kandidaten nachgerückt. Jeder, der kandidiert hat, durfte ins Parlament, dies und eine Wahlbeteiligung von gerade einmal gut 10%, lassen oft Zweifel aufkommen an der demokratischen Legitimation der studentischen Selbstverwaltung.

Den oft vernommenen Vorwurf, gerade der Konservativen, die studentische Selbstverwaltung sei zu einseitig politisch und politisch zu einseitig, findet man in Greifswald nicht bestätigt. Trotz der erstarkenden Hochschulgruppen bleibt man hier weitgehend pragmatisch und scheuklappenfrei. So dürften wir wohl einer der wenigen Hochschulstandorte sein, an dem ein katholischer RCDSler im AStA für die Gleichstellung von Homosexuellen zuständig war (und für seine Amtsführung Lob von allen Seiten bekam). Und während in vielen großen Städten die ASten im inflationären Strudel der Interessenvertreter untergehen, kann man sich auch darüber bei uns nicht beklagen.

Greifswald als kleine Oase in der vorpommerschen Sandkiste lebt und atmet universitär. 56.000 Einwohner, gut 12.000 Studenten, der Einfluss auf die Kommunalpolitik ist dementsprechend (vergleichsweise) hoch. Bei einem Pflichtbeitrag von 8,50€ jedes Studenten an die verfasste Studierendenschaft verwaltet das Parlament jährlich gut 200.000€, auch das eine Summe, mit der man hier durchaus etwas bewegen kann. So richtet der AStA jedes Semester aufs Neue, und mittlerweile mit gehöriger Routine, die Ersti-Woche aus, in der den Neulingen erstmal gezeigt wird, wo es an der Universität lang geht – sowohl vormittags – akademisch als auch am Abend – studentisch.

Neben dem AStA unterhält sich die Studierendenschaft auch noch einen Medienbetrieb. Ein monatlich erscheinendes Magazin machte vor elf Jahren den Anfang, es folgten eine regelmäßige Fernsehsendung und ein lokaler Nachrichtenblog (und an dieser Stelle die Schleichwerbung für webmoritz.de).

Gefördert wird an allen Ecken und Enden der Stadt: Studentenclubs, Kulturfestivals, Konzerte, der lokale Radiosender, alle profitieren von den Zuweisungen des StuPas. Und da es sonst wenige Töpfe gibt, in denen Geld zu verteilen ist, fühlt man sich gelegentlich schon recht wichtig, wenn man im historischen Konferenzsaal tagt, debattiert und gelegentlich auch mal etwas beschließt. Auch im StuPa gibt es die Pragmatiker, die ihre Unterlagen wälzen, sich informieren und heimlich still und leise ihre Stimmkarte heben. Mehr und mehr findet man aber auch die Selbstdarsteller, die Debatten mehr oder minder wortgewandt in die Länge ziehen, die zu jedem Antrag mindestens zwei Nachfragen haben, die sich und die anderen mit Geschäftsordnungsparagraphen schwindelig reden und die den staatsmännischen Zeigefinger erheben, wenn ein Antrag nicht den Formalien entspricht.

Da ist er wieder, der Mikrokosmos, in dem sich Parlamentarier wie kleine Könige fühlen, denn während sie am Tage unmotiviert und vom Kaffee getrieben in den Vorlesungen sitzen, dürfen Sie alle zwei Wochen für vier Stunden den Chef spielen. Das Schauspiel, das dabei aufgeführt wird, kann auch Außenstehenden durchaus Freude bereiten. Am schönsten aber ist der Moment, gegen Ende der Sitzung, in dem sich das präsidiale Selbstbewusstsein der Parlamentarier beinahe überschlägt und doch mit einem Mal in sich zusammen fällt. Dann nämlich, wenn der Hausmeister den Sitzungssaal betritt und raunzt: „Sind se mal bald fertig hier, ich will auch mal Feierabend haben.“ Dann merkt auch der schärfste Parlamentsdegen, wer hier eigentlich Herr im Hause ist.

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