Heike Hufnagel – StudentenPACK. https://www.studentenpack.de Das Magazin der Studenten in Lübeck Sat, 06 Feb 2016 15:19:19 +0000 de-DE hourly 1 Fallschirmspringen https://www.studentenpack.de/index.php/1998/10/fallschirmspringen/ https://www.studentenpack.de/index.php/1998/10/fallschirmspringen/#respond Thu, 01 Oct 1998 10:00:51 +0000 http://www.studentenpack.de/?p=234195 Das hatte ich nun davon!

Provoziere niemals einen guten Kumpel, von dem Du weißt, daß er ungewöhnliche Aktionen liebt.

Allerdings: Jahrelang in Lübeck gewohnt und die Chance eines Fallschirmsprunges nicht genutzt zu haben, möchte ich später meinen Kindern auch nicht erzählen müssen.

 

Also tauchten wir Anfang Oktober diesen Jahres beim Fallschirmspringclub Lübeck auf und nahmen an einem Schnupperkurs teil.

Dies bedeutet:
350.-DM pro Person für zwei Tage Kurs plus einen Automatensprung, für den Ablauf vorgesehen ist ein Wochenende.
(Automatensprung = Alleinsprung mit Fallschirm, der sich von alleine öffnet, weil die Zugleine am Flugzeug befestigt ist)

 

Auch die anderen Teilnehmer waren zwischen 20 und 40 Jahren alt, Geschlecht, Beruf und Familienstand bunt gemischt. Am ersten Unterrichtstag wurde uns wichtige Theorie beigebracht. Wir lernten, aus was für Teilen ein Fallschirm zusammengesetzt ist, wofür welches Teil gebraucht wird, wie man lenkt und bremst, welchen Einfluß der Wind hat, was für Fehler am Schirm bzw. beim Springer auftreten können, und (was besonders wichtig ist) wie der Flughafen aus 2km Höhe aussieht.

Der zweite Tag begann mit Abrollübungen. Der gefährlichste Part am Fallschirmspringen ist tatsächlich die Landung. Es ist nämlich keineswegs cool, eine Standlandung mit elegant gespreizten Beinen zu vollführen, sondern sehr schmerzhaft. Gerade ein Anfänger (weil ungeübt) findet schwerlich den richtigen Zeitpunkt zum Abbremsen, was in eine sanfte Landung resultieren würde, so daß die Bodenberührung meistens härter als nötig ausfällt. Es ist also ratsam, sich abzurollen, um ohne einen Bänderriß, Knöchelbruch oder Schlimmerem davonzukommen.

Als wir schließlich von einem meterhohen Tisch auf Schotterboden rollend landen konnten, ohne uns wehzutun, war dieser Übungsteil beendet.

Nächster Punkt auf der Unterrichtsordnung war das “Hängen im Gurtzeug”. Dazu ist an einer Art Galgen ein Fallschirmgurt angebracht, in den man gehängt wird. Hier übten wir wieder und wieder das richtige Verhalten nach dem Sprung, wie man den nicht vollständig geöffneten Schirm flugtauglich macht, auf welche Weise Leinen zu entwirren sind, und (anhand von Fotos) zu erkennen, in welchen Situationen man den Schirm dann doch lieber abwerfen und den Reserveschirm benutzen sollte.

Am Abend schrieben wir einen Test über das Gelernte (so daß unsere Trainer bei schlechtem Ausgang wenigstens den Beweis in Händen hielten, daß wir ja “theoretisch” alles gewußt hatten).

Der Morgen des dritten Tages brach an. Wir waren zugegebenernaßen etwas nervös, als wir uns auf den Weg zum Club machten.

Dann hieß es warten. Das Draußen glich einer Waschküche, und der Pilot darf leider niemanden auf den bloßen Verdacht hin, daß sich wahrscheinlich direkt unter dem Flugzeug unter der Wolkendecke der Flughafen befindet, rausspringen lassen.

Nachdem ich fast mein ganzes Münzgeld beim Kartenspielen verloren hatte und der Abend dämmerte, gaben wir auf. Wie deprimierend. Die ganze Aufregung umsonst ( und Chemie noch genauso ungelernt wie gestern auf dem Schreibtisch).

Die nächsten Wochenenden verliefen ähnlich. Wir lernten, daß es mindestens 1001 unerwartete Gründe gibt, weshalb ein Flugzeug mit 10 Automatenspringern als Fracht unmöglich losfliegen kann.

Endlich hatten wir Glück. Zu begeistert, um Angst zu haben, da wir tatsächlich in Anzügen, mit Fallschirmrucksäcken und Funkgeräten ausgerüstet, das Flugzeug bestiegen, nahm ich meinen Platz am Fenster ein. Ich liebe fliegen. Winzigklein wurden Häuser, Bäume und Felder.

Allerdings setzte die Angst schlagartig und heftig ein, als die Schiebetür geöffnet wurde, der Gegenwind ungebremst ins Innere des Flugzeugs donnerte und mich nur noch ein halber Meter von dem gähnenden Nichts trennte. Spätestens als ich meine Beine aus der Luke schwang, ging mir auf, daß ich verrückt sein mußte. Warum, um Himmels Willen, sollte ein normaler Mensch sich aus 1500 m Höhe in die Tiefe stürzen, um an einer Stoffplane zu hängen?

Zu spät! Auf die Aufforderung meines Springtrainers “Ready?Go!” warf ich mich in vorschriftsmäßiger Haltung hinaus und fiel und fiel in rasender Geschwindigkeit, alles war Nebel, oben von unten konnte ich sowieso nicht mehr unterscheiden, aber ich war frei…

 

Dieses Gewirbel von Körper und Emotionen stoppte schlagartig, als sich nach 4 Sekunden der Fallschirm öffnete und ich 1,2 km über dem Erdboden schwebte. Unbeschreiblich.

Ich mußte gleich meine neuerworbenen Kenntnisse anwenden und die Fangleinen entwirren, um den Schirm lenk- und steuerbar zu machen.

Einmalige Aussicht.

Weit entfernt andere Schirme.

Alles unwirklich.

Totale Ruhe.

 

Nachdem ich mit einiger Mühe ( und Schweißausbrüchen) endlich den Flughafen tief unter mir geortet hatte, war alles ganz leicht.

Ich hatte alles unter Kontrolle. Der Schirm flog Kurven und Drehungen, wenn ich es wollte. Also hing ich gemütlich im Gurtzeug und genoß die Freiheit und Aussicht, während der Boden allmählich näher kam.

Über Funk wurde ich so über das Gelände gelotst, daß ich nahe der Bodenstation landete und dabei (zufällig, zugegeben) direkt den Zielkreis traf. Und abrollte.

 

Die Endorphine wurden nicht sofort ausgeschüttet, sondern erst nach und nach in den nächsten Tagen, während ich dieses Erlebnis verarbeitete. (Und ständig für Außenstehende unerklärlich selbstzufrieden vor mich hin grinste.)

Wodurch ich inzwischen zu folgendem Schluß gekommen bin: Es war eine wahnsinnig spannende schöne Erfahrung, und es soll nicht mein letzter Sprung gewesen sein!

 

 

Archivierter MUFtI-Artikel

Dieser Artikel erschien in der Onlinezeitung der Fachschaft Informatik. Er wird hier im Rahmen unserer Archivierungsbemühungen kopiert. Das Original ist in der Way-Back-Machine des Internet Archives zu finden.

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