Zukunftsbasteln – so nannten wir den Nachmittag unter Freunden im WG-Zimmer einer Altbauwohnung. Eine Runde von Psychologiestudierenden trifft sich gegen Ende des fünften Semesters, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie es nach der Bachelorarbeit weitergehen soll.

Mit einem Psychologiestudium kommt man überall hin, dachte ich mir zu Beginn des Studiums. Die Psychologie findet Einhalt in immer mehr Gebieten des Lebens. Sei es in der Unternehmensberatung, Mensch-Technik-Interaktion oder Patientenversorgung und trotzdem muss ich nun feststellen, dass dem Horizont der unendlichen Möglichkeiten Grenzen gesetzt sind. Die Jobperspektiven mit einem Bachelor in Psychologie sind sehr gering und wenn man dann auch noch mit psychisch Erkrankten arbeiten möchte praktisch nicht existent. Also muss ein Masterabschluss her. Nur welcher? Wo? Und wie einen Masterplatz bekommen? Die angeblich beliebten Studierenden-Sprüche: Durchkommen ist alles; Hauptsache bestehen; Vier gewinnt; haben bei Psychologiestudierenden schon im Abitur nicht gezogen und leider ändert sich das während des Bachelorstudiums auch nicht.

Man lernt, kämpft, schwitzt und bangt gemeinsam, muntert sich gegenseitig auf, in jeder Klausurenphase dasselbe Spiel. Aber wenn am Ende die Noten vergeben werden, steht jeder für sich mit seinem Notendurchschnitt, mit dem er gegen die Kommilitonen/innen und vormals Mitstreiter/innen auf der Suche nach einem geeigneten Masterplatz antritt, alleine da.

Bewertet durch eine Zahl, die einen Studierenden hauptsächlich daran misst, an welcher Stelle auf dem Multiple-Choice Klausurbogen er seine Kreuzchen gesetzt hat, wird nun entschieden, wer eine Zugangsberechtigung für das Weiterstudieren eines Studiengangs erhält, der noch bis vor wenigen Jahren ohne sinnlose Untergliederung oder Selektion auskam und mit dem Erhalt des Diploms abschloss.

Wer heute nicht mit einem Bachelorschnitt jenseits der 2,0 nach Hause geht, bekommt schnell das Gefühl: Ein Bachelor in Psychologie ist nichts wert.

Ein Glashaus.Svenja Meyn | StudentenPACK.

Ein Glashaus.

Knapp ein halbes Jahr war es damals vom Zukunftsbasteln bis zum Ende der Bewerbungsfrist für Masterstudiengänge hin und das vorherrschende Gefühl war Unsicherheit. Fragen, die sich bisher jeder im Einzelnen gestellt hatte, wurden gesammelt und vielleicht zum ersten Mal laut ausgesprochen. Worauf spezialisiere ich mich? An welcher Uni sind meine Chancen am größten?

Wo ziehe ich hin, oder darf ich bleiben? Studiere ich lieber nochmal etwas ganz anderes? Was mache ich, wenn mein Plan A scheitert? Muss ich mich dann demnächst arbeitslos melden?

Mit bunten Farben zeichneten wir: Zukunftsvisionen von abenteuerlichen Weltreisen, verunglückte Deutschlandkarten mit möglichen Studienorten, Hochzeitspläne, Berufsperspektiven.

Die Trennung des Psychologiestudiums in einen Bachelor- und einen Masterstudiengang bietet den Studierenden die Möglichkeit der individuellen Spezialisierung und die Chance, über den Tellerrand der eigenen Universität hinaus schauen zu können.

Den Universitäten hingegen gibt es die Berechtigung zur Selektion. Jede Hochschule sucht nach den klügsten Köpfen, den besten Studenten/innen und erfolgreichsten Forschern/innen. Als ein hochökonomisches Mittel zur Trennung von Spreu und Weizen gilt, nach wie vor, der Numerus Clausus. Dafür nicht enthalten in der Beurteilung der Bewerbungen: Schufa-Auskunft der Eltern, Geschlecht und Ethnie, Anzahl der Twitter-Follower, Empathie- und Kommunikationsfähigkeit, Ambitionen, soziales Engagement.

Aber wozu die Selektion, wozu die Ablehnung von Bewerbungen solcher, die ihr Bachelorstudium abgeschlossen haben, vielleicht nicht mit summa cum laude, aber immerhin mit einem Bestanden oder besser?

Wenn es doch in Deutschland an psychologischen Psychotherapeuten/innen mangelt? Wenn doch auf der anderen Seite der Psychologie eine psychisch erkrankte Person steht, die nach Monaten oder sogar Jahren des Leidens endlich den mutigen Entschluss fasst, sich professionelle Hilfe zu holen und dann zunächst warten muss. Fast fünf Monate (19,9 Wochen) dauert es nach einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer von 2018 im Bundesschnitt von der ersten Anfrage des/der Patienten/in bis zum Therapiebeginn. Im April letzten Jahres ist ein neues Gesetz in Kraft getreten, nach dem Psychotherapeuten/innen mit Krankenkassenanerkennung wöchentlich feste Sprechzeiten für Interessierte anbieten müssen. Maximal vier Wochen darf die Wartezeit des/der Patienten/in für so einen 25 minütigen Termin dauern, ein Therapieplatz ist damit jedoch nicht gewährleistet.

Dass wir in Deutschland an einer psychotherapeutischen Unterversorgung leiden, ist ein offenes Geheimnis und dass die lange Wartezeit auf die Patienten/innen sowohl abschreckend als auch krankheitsfördernd wirkt, ist kein Wunder.

Wie können wir es uns als Gesellschaft leisten, an der psychischen oder sonst einer Gesundheit der Bevölkerung zu sparen, wo doch die nötigen Ressourcen (bereits drei Jahre ausgebildete Studierende) vorhanden sind?

Und die Bastelgruppe, die muss sich jetzt entscheiden. Am 15.07. enden in der Regel die Bewerbungsfristen für zugangsbeschränkte Masterstudiengänge.

Wer sich bereits beworben hat, der darf nun warten. Auf eine Zu- oder Absage von Plan A, dem Wunschmasterplatz, oder darauf, dass einige Absagen den Raum der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, auf ein „es bleibt ja immer noch die Warteliste“ reduzieren.

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