Die Wissenschaften entwickeln sich bekanntlich stetig weiter und wenn die neueste Lehrbuchauflage erscheint, ist sie auch schon wieder veraltet. So weit so bekannt. Das gilt auch für die ethischen Grundsätze der Medizin. Der weithin bekannte hippokratische Eid ist dabei nach zweitausendfünfhundert Jahren in vielen Teilen veraltet und undeutlich, weshalb der Weltärztebund 1948 eine Neuauflage, das Genfer Ärztegelöbnis, formulierte. Der Text soll als ethische Richtlinie im Beruf dienen und umfasst Punkte wie Schweigepflicht oder das Nichtschadensgebot – und wurde jetzt grundlegend überarbeitet. Mit dem Update umfasst er mittlerweile vierzehn Punkte. Gut, dass Ethik kein Prüfungsfach ist.

Nun haben in der Öffentlichkeit vor allem die neu hinzugeschriebenen Absätze für Aufsehen gesorgt. Fortan solle man zusätzlich die Patientenwürde und -autonomie respektieren, sein Wissen zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung mit der Gemeinschaft teilen und auch auf die eigene Gesundheit achten. Ja, ok, man könnte an dieser Stelle fragen, warum das da siebzig Jahre lang nicht enthalten war, so abwegig oder revolutionär muten die Änderungen ja schließlich nicht an.

Dabei wird die wohl tiefgreifendste und bedeutsamste Änderung gänzlich übersehen: Dem zehnten Punkt „Ich werde meinen Lehrern die ihnen gebührende Achtung und Dankbarkeit erweisen.“ wurden nun die Kollegen und – Achtung! – die Studierenden hinzugefügt. Im moralischen Kompass der Ärzteschaft (und zeitgleich in der Präambel der Berufsordnung) steht nun also festgeschrieben, dass man DIR gefälligst die Achtung und Dankbarkeit erweist, die dir zusteht!

Der Arbeitsauftrag für die Studierenden ist somit klar: Die Gesetzesgrundlage ist da, nun gilt es, ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen! Kein Arztzimmer darf mehr ohne Poster des Genfer Gelöbnisses sein – die wichtigen Passagen natürlich mit Textmarker hervorgehoben. Undankbarkeit oder gar Unfreundlichkeit sollte man mit der Zuversicht derer, denen das Recht zur Seite steht, begegnen. Wertschätzung sollte aktiv eingefordert werden. Der einzige Nachteil der Änderung bleibt, dass man sich nun nicht mehr darauf freuen kann, selbst mal die Studenten herumzuscheuchen.

Ob die World Medical Association die goldenen Zeiten, die nun für uns Studenten anbrechen, im Sinn hatte? Vielleicht. Aber es dürfte schwierig werden, das ganze Ausmaß der Veränderungen auszumachen. Bedeutet das den endgültigen Durchbruch für eine faire Bezahlung im Praktischen Jahr? Bestimmt! Mehr als eine Pfandflasche als Tageslohn müsste in der „gebührenden Achtung und Dankbarkeit“ ja schon enthalten sein. Klar sollte sein, dass die Zeiten von „SPITZE BETONEN!“ als Universalausruf in Richtung des PJlers nun endgültig vorbei sind.

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