Bundesverfassungsgericht in KralsruheLukas Ruge | StudentenPACK.

Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Dass man Studienplätze für Humanmedizin, Zahnmedizin, Tiermedizin oder Pharmazie nicht hinterhergeworfen kriegt, ist weithin bekannt. Ebenso, dass die benötigte Abiturnote sehr gut sein muss oder andernfalls die Wartezeit auf einen Studienplatz sehr lang wird. Und da die Begeisterung für diese Fächer ungebrochen ist, verschieben sich die Grenzen immer weiter nach oben. Dass das so nicht weitergehen kann, entschied heute das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Die medizinischen Fakultäten Deutschlands müssen nun ihr Auswahlverfahren deutlich umstrukturieren.

Bisher lief das folgendermaßen: Bei der Stiftung für Hochschulzulassung reichte man online sein Zeugnis ein, machte noch ein paar Angaben zur Person und Wunschstudienort und schon befand man sich mit über 60.000 anderen Bewerbern in einem Verfahren zur Vergabe von jährlich ungefähr 10.000 Studienplätzen. Dieses folgte dann der 20-20-60-Regel: Abzüglich einiger weniger Plätze für Studenten der Bundeswehr oder aus dem Ausland werden die ersten 20% der freien Studienplätze an die Abiturbesten in einer Bundesland-internen Rangfolge vergeben. Fast immer und fast überall bedeutet dies, dass unter allen Bewerbern mit der Durchschnittsnote 1,0 gelost wird. Zeitgleich werden weitere 20% der Plätze nach einer Rangfolge der Wartezeit vergeben. Damit ist die seit dem Abitur vergangene Zeit gemeint, die man zwar mit einer Ausbildung verbringen darf, nicht aber mit einem Studium an einer deutschen Hochschule. Betrug diese vor wenigen Jahren noch höchstens sechs Jahre, sind heute auch Wartezeiten von über vierzehn Semestern kein Garant mehr für einen Studienplatz.

Die Vergabe der übrigen 60% obliegt den Hochschulen. Jeder Bewerber kann an bis zu sechs Universitäten am späteren Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) teilnehmen, wobei viele Universitäten nur Bewerbungen einschließen, bei denen sie in der Reihenfolge der Wunschstudienorte ganz oben stehen. Auch hierbei ist die Abiturnote das entscheidende und manchmal auch einzige Kriterium, sodass sich die Grenzwerte hier meist kaum von denen der Abiturbestenquote unterscheiden. Zusätzlich können die Universitäten aber noch andere Kriterien gelten lassen: Sehr gute Noten im Bio-Leistungskurs, eine abgeschlossene Ausbildung zum Krankenpfleger oder ein gutes Ergebnis im Test für Medizinische Studiengänge (TMS) – einem bundesweiten Logik- und Konzentrationstest, an dem jeder Abiturient einmalig teilnehmen darf – können hinter dem Komma durchaus etwas bewegen. Darüber hinaus führen manche Unis wie auch Lübeck Auswahlgespräche oder aufwändige Assesment-Parkours durch, um die für sie geeignetsten Bewerber auszuwählen. Das Problem dabei: Um in Lübeck überhaupt zu einem Auswahlgespräch eingeladen zu werden, wird wiederum nach Abzug der Verbesserungen durch Ausbildung oder TMS eine Abiturnote von 1,0 oder sogar besser benötigt.

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Das Auswahlverfahren soll Auswahlgespräche beinhalten und die herangezogenen Kriterien sollen bundesweit einheitlich und frei von jeglicher Diskriminierung strukturiert werden.

Wer kein Spitzen-Abitur nach Hause gebracht hat und nicht über sieben Jahre auf einen Studienplatz warten möchte, dem bleibt nur der Weg ins Ausland, an eine teure Privatuni in Deutschland oder vor Gericht. So klagten nun auch zwei Bewerber vor dem Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen, dass das bisherige Verfahren die grundgesetzlich zugesicherten Rechte auf freie Berufs- und Wohnortswahl zu stark einschränke. Und sie bekamen heute Morgen um 10:00 Uhr vom Bundesverfassungsgericht in Teilen recht. Anders als bei den Studienplatzklagen, die jedes Semester zu hunderten geschrieben werden, wurde hier über das System als solches verhandelt. Und das soll sich nun bis Ende 2019 grundlegend ändern, da das bisherige Verfahren teilweise verfassungswidrig sei. Künftig müssen ab 2020 die Universitäten neben der Abiturnote mindestens ein weiteres davon unabhängiges Kriterium berücksichtigen, da diese bundesweit nicht ausreichend vergleichbar sei. Außerdem darf die Ortspräferenz keinen so starken Einfluss wie bisher haben. Des Weiteren soll die Wartezeit verkürzt und nach oben gedeckelt werden – ohne dadurch aber einen Studienplatz zu garantieren. Und außerdem: Das Auswahlverfahren soll Auswahlgespräche beinhalten und die herangezogenen Kriterien sollen bundesweit einheitlich und frei von jeglicher Diskriminierung strukturiert werden. Hierin wird wohl die schwierigste Aufgabe der Länder sowie der knapp vierzig medizinischen Fakultäten bestehen.

Diese stehen jetzt vor dem Problem, dass sich Abiturienten bei einem Wegfall der Wunschort-Angaben durchaus bei vielen oder allen Universitäten bewerben könnten, um dort jeweils ein Auswahlgespräch in Anspruch zu nehmen, sodass die Zahl der durchzuführenden Gespräche die der Bewerber noch um ein Vielfaches übersteigen würde.

Darüber hinaus dürfte der TMS in Zukunft eine noch größere Rolle spielen, um der Abiturnote etwas Gewicht zu nehmen, vorstellbar könnte beispielsweise eine verpflichtende Teilnahme sein. Eine alleinige Auswahl über den Test, wie es in Österreich der Fall ist, scheint aber erstmal unwahrscheinlich.

Offen lässt das Urteil, wie lange die Wartezeit „ein angemessenes Maß“ denn nun habe und was bei Erreichen dieser Zeitspanne passieren soll. Laut Urteil könne nämlich bei einem Konflikt zwischen der Anzahl der freien Plätze und dem Erreichen der Maximalzeit kein Studienplatz garantiert werden, sodass auch ein Wegfall der Wartezeit an sich diskutiert werden könnte.

Eine weitere große Herausforderung dürfte die Verteidigung des gewählten Verfahrens werden. Je komplexer das Auswahlverfahren ausfällt, desto mehr Angriffspunkte ergeben sich für klagende Anwälte, sodass es zu einer ständigen Umänderung kommen könnte. Und nicht zuletzt wird es schwierig sein, der Vielfältigkeit des ärztlichen Berufsbildes im Auswahlverfahren gerecht zu werden. An einen guten Hausarzt werden selbstverständlich andere Anforderungen gestellt als an einen guten Handchirurgen, einen guten Pathologen oder einen forschenden Mediziner.

Grundsätzlich muss aber weiterhin gesagt werden, dass aller Voraussicht nach auch weiterhin ein sehr gutes Abitur oder eine lange Wartezeit für einen Studienplätz nötig sein dürfte. Diese Auswahl als solches sei laut dem Bundesverfassungsgericht nicht per se verfassungswidrig und darf auch weiterhin zur Anwendung kommen. Zudem können alleine durch die Änderung nicht plötzlich mehr Bewerber einen Studienplatz erhalten, da die Anzahl der Studienplätze entgegen zahlreicher Forderungen nicht erhöht werden muss. Auch hat dies keinen Einfluss auf andere zulassungsbeschränkte Studiengänge, die nicht zentral vergeben werden, wie etwa Psychologie. Hier wird wohl auch in den kommenden Semestern die Zulassungsgrenze an der Uni Lübeck bei 1,0 liegen.

Ausführliche Erläuterungen des Urteils und Vorstellungen über die Umsetzung an unserer Universität könnt ihr in der im Februar erscheinenden Ausgabe des StudentenPACKs lesen.

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